Neues Regierungsviertel

Mit der Kapitulation waren auch die monumentalen Phantasien ausgeträumt, nicht aber die Planungen für den \Waterlooplatz. Schon im ersten Aufbauplan, der unter Otto Meffert im Juli 1947 entstand, taucht er als grau-schwarzer Verkehrsplatz wieder auf, allerdings deutlich schmaler geworden. Die Planung basierte weitgehend auf dem Elkartschen Verkehrskonzept, war aber von Achsenkreuz und Parteiforum befreit.

Erst unter dem neuen Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht gewann die neue Vision einer Stadtkrone im Bereich Leineschloß/Waterlooplatz Konturen. Hillebrecht griff den Plan der Landesregierung auf, ihre im Stadtgebiet verteilten Ministerien und Ämter zu einem Regierungsviertel zusammenzufassen, lehnte aber den vorgesehenen Standort am Schiffgraben ab und setzte sich energisch für die Nutzung des Leineschlosses als Sitz des Landtags ein:

„Keine andere Hauptstadt in den Bundesländern, von der provisorischen Bundeshauptstadt ganz zu schweigen, hat die einmalige politische und städtebauliche Chance, mit den Bauten der Landeshoheit ein politisches Zentrum, ein Regierungsviertel von Rang und ein charakteristisches Stadtbild zu schaffen, so wirkungsvoll nutzen können wie Hannover“, notierte er 1962. 1)

Im Dezember 1948, einen Monat nachdem der Rat der Stadt dem Landtag empfohlen hatte, das Leineschloß als Regierungssitz auszubauen, beauftragte Hillebrecht den Architekten Georg Seewald mit der Untersuchung verschiedener Standorte für die Regierungsbauten. Und der stellte in einer Studie fest, daß es „keinen zweiten Raum im Stadtgebiet (gibt, der so zentral und im Mittelpunkt aller Kraftlinien gelegen ist“ wie der Waterlooplatz, und er hoffe, daß von einem Regierungsviertel „Impulse ausgehen, die zur Neugestaltung und damit auch zum Wiederaufbau der Landeshauptstadt führen können“.

Weiter schlug er vor, die Verbindung über die Legionsbrücke aufzugeben und den Platz durch eine Querstraße zu teilen. Auf die stadtseitige Hälfte setzte er vier Querzeilen mit Regierungsbauten, während der andere Teil im Ihme-Grünzug aufgehen sollte. Bemerkenswert ist, wie er die Sichtbeziehungen zur Waterloosäule herausstellte und sie in das Orientierungssystem der neu geordneten Stadt einfügte.

Der Umbau des Waterlooplatzes begann 1953 mit dem Bau des Doppelfinanzamtes, dem der Durchbruch der Gustav-Bratke-AIlee folgte. Übrigens führte sie wie schon im Elkartplan von 1939 direkt auf die Säule zu. Dagegen wurde die neue Lavesallee statt in axialer Ausrichtung in weicher Kurvung in einem Grünzug an der Säule vorbei auf das Leineschloß zugeführt.

Ausgangslage: Die zerstörte Stadt

Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg

Zukunftsorientiertes Verkehrskonzept

Neues Regierungsviertel

Umgang mit historischer Bausubstanz

Neugestaltung des City-Bereichs

Innerstädtischer Wohnungsbau

Wohnquartiere in den Stadtteilen

Krankenhäuser und Gebäude der Gesundheitsfürsorge

Schulen, Kultureinrichtungen und Sportanlagen

Denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude und Geschäftshäuser

Hannover Messe

Bundesgartenschau 1951

Visionen

Architekten des Wieder-/Neuaufbaus

Stimmen zur Stadtentwicklung

Der Neuaufbau im Spiegel zeitgenössischer Dokumentarfilme

Literatur

Die nordwestliche Randbebauung des Platzes entlang der Verkehrsachse verstärkt den Eindruck des Fließenden und Landschaftsartigen. Die Bauten eines Berufsschulzentrums (1952 – 1955, Werner Dierschke), der Finanzämter (1953 – 1954, Entwurf: Staatshochbauamt) und des Niedersächsischen Innenministeriums (1954 – 1955, Staatshochbauamt) präsentieren sich als Einzelbaukörper, die mit in der Höhe gestaffelten Flügeln in den freien Raum ausgreifen und diesen räumlich-plastisch gliedern. Helle Einzelbaukörper nahmen durch ihre Staffelung die fließende Bewegung auf, während ältere Bauten, die sich nicht in das visuelle Konzept einfügten, abgerissen wurden: wie z. B. das Zeughaus, dessen Mauern alle erhalten waren, oder noch zehn Jahre später dasFriederikenschlößchen und die Wasserkunst.

Nordwestliche Randbebauung (Innenministerium und Finanzamt) am Waterlooplatz 1955

Nur den Platz, den gab es nicht mehr, selbst wenn ihn 1956 eine Lokalzeitschrift zum ,,schönsten Platz von Hannover“ kürte.10 Das eigentlich Neue, das damals so viel Bewunderung fand, war der ,,rhythmisch gestaltete architektonische Raum“11 des Waterlooplatzes, also die stadtbaukünstlerische und nicht die verkehrstechnische Leistung. Hillebrecht schrieb später, daß er über diese neue ,,Visitenkarte“ Hannovers besonders glücklich sei.12 Die ideale Achse Säule – Schloß – Marktkirche hatte ihre dominierende Rolle für die Umgebung verloren und stand nun mit der geschwungenen Straße und den frei gruppierten Bauten in einer spannungsvollen Beziehung.

 

Standortwahl

„Die Wahl des richtigen Bauplatzes ist für den Wert eines Gebäudes seit jeher wichtiger und entscheidender als die grundrißliche und architektonische Gestaltung des Gebäudes selbst. 1)

Diesen Worten Hillebrechts zufolge musste die Standortbestimmung der Landesregierung, des Landtages und der Staatskanzlei wohl bedacht sein.

„Diese Gebäude können nicht ‚irgendwo‘ liegen; sie dürfen es nicht, wenn wir wirklich den Grundstein zu einer echten Demokratie legen wollen.“ 2)

Bereits im Spätsommer 1948 schlug Hillebrecht des Leineschloß als Landtagsgebäude und den Bereich des Waterlooplatzes als Standort für die Ministerien vor.

Dieses Gebiet als künftiges Regierungsviertel zeichnet sich aus durch seine

  • Historische Bedeutung,
  • Zentrale Lage in im Herzen der Stadt,
  • Und gute verkehrsmäßige Erreichbarkeit für den innerstädtischen und den überregionalen Verkehr.
Regierungsviertel und Verwaltungszentrum Regierungsviertel (Stand: 1995)

  1. Landtag und Leineschloss
  2. Sozialministerium
  3. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie
  4. Justizministerium
  5. Innenministerium
  6. Umweltministerium
  7. Landwirtschfatsministerium
  8. Ministerium für Wissenschaft und Kultur
  9. Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten
  10. Altes Rathaus

11. Städtische Schulverwaltung und Hochbauamt
12. Städtisches Ordnungsamt
13. Neues Rathaus
14. Städtische Bauverwaltung
15. Oberfinanzdirektion
16. Polizeidirektion
17. Wasser- und Schifffahrtsamt
18. Finanzamt
19. Landesverwaltungsamt
20. Landeskirchenamt

Am 17. Juni 1949 beschloß der Rat der Stadt, sein Nutzungsrecht an dem Leineschloß abzutreten, sofern das Land das Gebäude als Landtags- und Regierungssitz nutzen würde. Am 5. Juli nahm der Landtag dieses Angebot an. Es dauerte allerdings noch sieben Jahre, bis das Schloß wieder aufgebaut wurde. Es sollten dann noch weitere sechs Jahre vergehen, bis der Landtag im Schloß seine Arbeit aufnehmen konnte.

„. . . Hannover war eine Provinzstadt geworden, bevor es zerstört wurde, und zwar in zweifacher Hinsicht; einmal verwaltungsrechtlich durch die Ereignisse von 1866, dann aber – und dies viel nachhaltiger ! – durch die Vernachlässigung in baulicher Hinsicht, weil jene Überlieferung alter Stadtbaukunst verlorengegangen war, die um das Wesen einer Stadt wußte.“

„Über allen Überlegungen und Planungen für eine noch so ungewisse Zukunft stand unausgesprochen die Schicksalsfrage unserer Stadt zur Beantwortung:

Wie kann es gelingen, dieser Stadt wieder ein Gesicht zu geben, das ihr unter all den Städten im Lande das bestimmte Gepräge der Hauptstadt Niedersachsens verleiht? Es gab und gibt auch heute nur einen einzigen Ansatzpunkt für dieses tiefste Anliegen unserer Stadt: Das Leineschloß! Seitdem ich im November 1948 diesen Gedanken in die Bürgerschaft trug, hat sich der Rat unserer Stadt in voller Einmütigkeit hinter diese wichtigste städtebauliche Aufgabe gestellt, nämlich mit dem Leineschloß und dem städtebaulichen Einflußraum dieses Bauwerks Hannover das Gesicht einer Landeshauptstadt zu geben.

Architektur ist eine Sprache von stummer, aber steter Beredsamkeit. Wer sich ihrer nicht bedient oder nicht recht zu bedienen vermag, ist nicht nur unbegabt für Politik, sondern wird den Mangel seines Talents dadurch zu spüren bekommen, daß seine Politik dem Volke fern und unverständlich bleibt.“

Die Neuplanung der Stadt unterstreicht die Bedeutung dieses alten ausgesuchten Standortes im modernen Bild der Stadt. Hier hebt sich durch den großen Ringzug der innerstädtischen Straßen, klar von der übrigen Bebauung abgegrenzt, das Zentrurn Hannovers, das Herz der Stadt, ab. Eine große Grünfläche hält die nötige Distanz zwischen Verkehr und Parlamentsgebäude, eine Distanz, die die Autorität und Würde des Landtages hervorhebt und dieses Gebäude zu dem nobelsten Bauwerk der Stadt machen wird. Hinzu kommt der großartige Vorraum des Waterlooplatzes, über den der Blick von Süden her auf ein Stadtbild von einmaliger und eindrucksvoller Art trifft. In ähnlicher Weise ist das neue Landtagsgebäude fest in die Innenstadt einbezogen worden, nämlich durch die Anlage eines Platzes vor dem Portikus und dessen Anbindung über den alten Markt durch einen neuen Straßenzug für Fußgänger nach dem Platz am Kröpcke.

Das Parlamentsgebäude wendet damit sein Gesicht der Innenstadt zu, etwas, was dreihundert Jahre hindurch für den Regierungssitz nicht gelang, da die Pläne von Laves Papier bleiben mußten. Damit wird Hannover stärker als bisher den Charakter eine Landeshauptstadt erhalten.“

„In der Zeit des Klassizismus wurde Hannover eine Stadt von Rang, eine Landeshauptstadt. Die Bauten dieser Zeit gaben Hannover das entscheidende Profil, und in dieser Zeit liegen auch die Ansätze zu einer Landeshauptstadt im städtebaulichen Sinne. Da sind das Opernhaus und das Palais Wangenheim, das Wallmodenschlösschen und das Friederikenschlößchen, da ist der noble Friedrichswall mit Laves‘ eigenem Haus, und da ist die lange Flucht des Leineschlosses mit dem weiten Atem großen Städtebaues, der einmal über das großartige Parterre des Waterlooplatzes in die Calenberger Landschaft bis zum Deister hin wehte. Das war Stadtbaukunst!“

„Der Begriff eines Parlamentsgebäudes als eines ganz eigenen Bautyps wird sich erst nach und nach ausprägen und seine charakteristischen Formen werden noch gefunden werden müssen. Umso glücklicher erwies sich in Hannover der Umstand, daß die Ruine des Leineschlosses in die neue Bauaufgabe einbezogen werden konnte, wobei auf der anderen Seite das Bemühen um die Erhaltung wertvoller Teile der Ruine selbstverständlich neue Schwierigkeiten mit sich brachte.“

„Dabei wird etwas Weiteres gelingen, das den Wert des Kulturdenkmals erhöht, nämlich die Wandlung des Gebäudes vom königlich-hannoverschen Schloß zum demokratisch-niedersächsischen Landesparlament. Die Ressentiments, die hier und da zunächst gegen die Verwendung der alten Schloßruine für das Parlament bestanden, sind längst überwunden, aber es mußte tatsächlich als eine wichtige Gestaltungsaufgabe betrachtet werden, das Bauwerk in ein charakteristisches Parlamentsgebäude zu verwandeln, das zwar als Kulturdenkmal die Formsprache der Vergangenheit nicht leugnet, als Bauschöpfung jedoch eine eigene Lösung für den alleinigen Zweck, Landtagsgebäude zu sein, darstellt.“

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