Umgang mit historischer Bausubstanz

Oft kritisch betrachtet wird der Abriss im Krieg unbeschädigter, historischer Bausubstanz, der mit der Wiederaufbauplanung einherging. Diese Kritik begann Mitte der 60er Jahre öffentlichkeitswirksam zu werden, mit Protesten gegen weitere Abrissvorhaben – auch wenn es bereits zu Zeiten des Neuaufbaus in den 50er Jahren vereinzelte Kritiker gab.

Exemplarisch für diese Kritik sei hier Wolfgang Schächte zitiert, der in seinem Vorwort zu Fridrich Lindau “ Hannover – Der höfische Bereich Herrenhausen“ 2003 schrieb: 1)

Wie kaum eine andere deutsche Großstadt verfiel Hannover nach den Kriegsverwüstungen in Architektur und Städtebau einem ungebremsten Fortschrittsglauben. Wiederaufbau hieß in dieser Stadt von beginn an unmissverständlich und kompromisslos Neubau. Nicht der behutsamen wie kritischen WIederherstellung des Geschundenen sowie Beschädigten galt die ganze Kraft und Aufmerksamkeit, sondern dessen endgültiger, irreversibler Tilgung. Von einer geradezu obzessiven >Tabula-rasa-Mentalität< getrieben, wurde dem fragwürdigen Versprechen auf eine bessere Zukunft dabei nahezu > in toto< die vergangenheit geopfert. Anstelle der Wiederherstellung des Beschädigten aber Wiederaufbaufähigen wurden mehr oder minder alle relevanten städtebaulichen einlassungen der Moderne, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Möglichkeiten nur planerisch geprobt werden konnten, nun in aller realer Konsequenz auf Hannover projiziert.  Es galt gleichsam exemplarisch, an seinem Beispiel die Strukturen und baulichen Charakteristika der historischen europäischen Stadt qualitativ zu überwinden und zu ihr ein scheinbar adäquates >modernes Gegenmodell< zu entwickeln.

Weniger harsch fällt die Kritik von Stefan Amt aus, der den „rigorosen“ Umgang mit der historischen Stadtstruktur in die Gesamtplanungen einzuordnen versucht: 2)

„1949 erklärte der Rat die gesamte Stadt zum Wiederaufbaugebiet und stellte einen ersten Bebauungsplan auf, der die Richtlinien für den Wiederaufbau festlegte. Das Leitbild der Gesamtplanung war eine räumlich gegliederte, baulich aufgelockerte und in ihrem Umfang begrenzte Stadt, deren gliederndes Element ein Hauptstraßennetz mit Innenstadtring und äußeren Tangenten bilden sollte. Durch die Auflösung der historischen Strukturen der Aegidienneustadt, der Leineinsel, des Neustadter Leineufers und des Waterlooplatzes erhielten die an die Altstadt angrenzenden Bereiche ein völlig neues Aussehen. Vor allem die an den modernen Verkehrsbedürfnissen orientierte Planung einer autogerechten Stadt galt in den folgenden Jahren als vorbildlich. Das Ziel dieser Umstrukturierung, die aus einem Netz von Außentangenten, einem Innenring und verbindenden Radialstraßen besteht, war eine leistungsfähige Verkehrsbedienung der gesamten Stadt und die Befreiung des Stadtzentrums sowie angrenzender Wohngebiete von Durchgangsverkehr.

Als erste Markierung eines der neugeschaffenen Innenstadteingange entstand 1952/53 das Continental-Hochhaus am Königsworther Platz, einem Knotenpunkt des neuen Tangenten-Fünfecks. Zu seiner Zeit war dieses fünfzehngeschossige Gebäude der höchste Bürobau in der Bundesrepublik.

Die aus heutiger Sicht rigorose Vorgehensweise bei der Durchsetzung der Verkehrsplanung wird besonders augenfällig beim Umgang mit dem Waterlooplatz, an dem ab 1951 ein neues Regierungsviertel entstand. Mit der Anlage des Leibnizufers und des Friedrichswalls wurde die Anbindung an den Schlossbau unterbrochen und die Struktur dieses ehemaligen Exerzierplatzes bewußt durch die Brechung der Symmetrie mit der schwingenden Straßenfuhrung der Lavesallee weitgehend aufgelöst.

Trotz dieser hauptsachlich zukunftsorientierten Maßnahmen wurde auch die Gefahr eines Identitätsverlustes durch die immensen Kriegsverluste -von ursprünglich mehr als 16.000 Fachwerkbauten waren nur 32 nicht zerstört- erkannt. Die beabsichtigte Bewahrung des historischen Stadtbildes beschränkte sich jedoch hauptsachlich auf den Erhalt des Stadtgrundrisses. Nicht sonderlich erfolgreich erscheint auch der Versuch eine Traditionsinsel im Bereich der historischen Altstadt zu schaffen, was durch den Wiederaufbau der wichtigsten Baudenkmäler, die Errichtung translozierter Fachwerkgebäude sowie die Begrenzung der zulässigen Bauhöhen fur die Neubebauung erreicht werden sollte.“


Anmerkungen

1) Schächte,Wolfgang (2003): Vom Elend der Geschichte… Vorwort zu: Friedrich Lindau: Hannover – Der höfische Bereich Herrenhausen. Vom Umgang der Stadt mit den Baudenkmalen ihrer feudalen Epoche. München/Berlin 2000, S. 9
2) Amt, Stefan (2000): Hannover – Stadt und Architektur vom Mittelalter bis zur Gegenwart.  In: Architekturführer Hannover. Hrsg. von Martin Wörner, Ulrich Hägele, Sabine Kirchhof. Berlin 2000. S.XIII-XXVIII. [abgerufen 19.04.2023]

 

 

Ausgangslage: Die zerstörte Stadt

Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg

Zukunftsorientiertes Verkehrskonzept

Neues Regierungsviertel

Umgang mit historischer Bausubstanz

Neugestaltung des City-Bereichs

Innerstädtischer Wohnungsbau

Wohnquartiere in den Stadtteilen

Krankenhäuser und Gebäude der Gesundheitsfürsorge

Schulen, Kultureinrichtungen und Sportanlagen

Denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude und Geschäftshäuser

Hannover Messe

Bundesgartenschau 1951

Visionen

Architekten des Wieder-/Neuaufbaus

Stimmen zur Stadtentwicklung

Der Neuaufbau im Spiegel zeitgenössischer Dokumentarfilme

Literatur

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