Film und Erinnerungskultur
„Jede Kultur beruht auf Erinnerung”
Detlef Endeward (2018)
Wenn der Bedeutung der Bilder – und hier auch der Filmbilder – zunehmend mehr Rechnung getragen wird, so ist das auch im Zusammenhang mit der Diskussion um Erinnerungskultur zu sehen. Erinnerungskultur ist als kollektiv geteiltes Wissen über die Vergangenheit zu verstehen. Die gemeinsame Erinnerung ist beteiligt an historischer Sinnsstiftung. Die Medien prägen diese Erinnerungen wesentlich mit. Sie begegnen uns überwiegend über Bilder: in Filmen und Ausstellungen, im Internet, in der bildenden Kunst und in der Architektur. Der historische Film wird dabei als bedeutsames Medium einer Erinnerungskultur und damit als Interpretation der Vergangenheit, als narrative Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte wahrgenommen.
Es ist kein Zufall, dass dies gerade jetzt geschieht. Die Zeitzeugen von Krieg und Holocaust, von Flucht und Vertreibung sterben aus. Es geht um die Überführung ihrer individuellen Erfahrungen und Erinnerungen ins kollektive Gedächtnis. „Die Geschichtsbilder werden jetzt fixiert, die Erinnerungsorte jetzt festgelegt, die Anteile von Erinnerung und Vergessen jetzt festgelegt“ (Frühwald 2007). Die Bedeutung der filmischen Erinnerungskultur zeigt sich nicht nur in der Vielzahl, sondern auch in der Repräsentativität der Beispiele. Die TV-Serie ‚Holocaust‘ und die Spielfilme ‚Schindlers Liste‘ von Steven Spielberg und ‚Das Leben ist schön‘ von Roberto Benigni haben beispielsweise bahnbrechende öffentliche Debatten ausgelöst.
Obwohl sich die Vergangenheit zeitlich immer weiter von uns entfernt, so entsteht doch der Eindruck, sie rücke immer näher. Bilder, für Film und Fernsehen produziert, sind mittlerweile an die Stelle von Erinnerungen und Erfahrungen getreten. War der Gedächtnisbegriff früher auf das Individuum beschränkt, so haben die bewegten Medien maßgeblich dazu beigetragen, dass sich ein kollektives Gedächtnis herausgebildet hat, dessen wir uns alle bewusst oder unbewusst in unseren Betrachtungsweisen der Geschichte bedienen. Die Bedeutung von Geschichtsfilmen ist demnach kaum zu überschätzen: Sie bieten mehr oder weniger massenkompatible Interpretationen von nationaler und internationaler Geschichte, organisieren das öffentliche Gedächtnis und Gedenken und homogenisieren die Erinnerung. Hieraus ergibt sich die politische Dimension der filmischen Geschichtsdarstellung, da jeder Film, gleichgültig ob gewollt oder nicht, einen politischen Beitrag darstellt.
„Gewöhnlich sind einem Menschen seine Erinnerungen teuer. Und so ist es sicher auch kein Zufall, daß er sie stets in poetischen Farben ausschmückt. … Denn es ist schließlich ein großer Unterschied zwischen der eigenen Vorstellung von seinem Geburtshaus, das man viele Jahre lang nicht gesehen hat, und der unmittelbare Wahrnehmung dieses Hauses nach einem längeren zeitlichen Zwischenraum. Gewöhnlich zerstört die Konfrontation mit der konkreten Quelle der Erinnerungen deren poetischen Charakter. Ich bin davon überzeugt, daß man hieraus ein überaus originelles Prinzip für einen im höchstem Naße interessanten Film ableiten kann. …“
Andrej Tarkowskj