Film im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1950

Film im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1950

Eine neue Zeit für die deutsche Filmproduktion

Detlef Endeward (2022)

Mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 beginnt auch für den Film eine neue Zeit. Sämtliche neuen deutschen Filmprojekte sind genehmigungspflichtig, wobei die Alliierten recht unterschiedliche Vorstellungen von der Gestaltung der zukünftigen Filmlandschaften entwickelten. So bemerkt der zuständige amerikanische Filmoffizier – später im deutschen Film als Peter van Eyck ein bekannter Schauspieler – zu einem bis dahin völlig unbekannten Jungregisseur: „Wie war der Name? Staudte? In den nächsten fünf Jahren wird in diesem Land überhaupt kein Film gedreht, außer von uns.“ Mit dieser Einschätzung liegt er allerdings nicht ganz richtig: Wolfgang Staudte dreht in der russischen Besatzungszone mit DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946) den ersten deutschen Nachkriegsfilm und avanciert in den Folgejahren neben Helmut Käutner, der in Hamburg mit IN JENEN TAGEN (1947) beginnt, zu einem der wichtigsten Nachkriegsregisseure der beiden deutschen Staaten.

Trotz der sehr unterschiedlichen Bedingungen der Filmwirtschaft in SBZ und Westzonen kann der deutsche Film bis ca. 1949 als Einheit betrachtet werden. Viele deutsche Filmschaffende – Regisseure (G. Lamprecht, H. Deppe, A.M. Rabenalt, Paul Verhoeven, ab 49 Staudte), Drehbuchautoren, Kameramänner, Schauspieler etc.- arbeiten abwechselnd für westliche Filmgesellschaften und für die DEFA, wobei die DEFA schon aufgrund ihrer besseren Arbeitsbedingungen sehr attraktiv ist. Zudem besorgt die DEFA, vor allem in der Anfangsphase Rohfilmmaterial und technisches Gerät für einige westliche Filmfirmen. Viele  der  in  Ost-  und Westdeutschland  fertiggestellten  Filme  werden  von  den jeweiligen  Zonen im Rahmen  eines  Filmaustauschabkommens gegenseitig ausgewertet. Filme 1:1, von den 14 DEFA-Filmen bis 48 waren 8 im Austausch, von den 26 Westproduktionen waren 13 Austauschfilme.

In den Jahren von 1946 bis 1950 entstehen insgesamt 77 deutsche Filme. Den größten Anteil hatten daran die Produktionen der DEFA in der sowjetischen Zone bzw. dann DDR (Siehe: Liste der in Deutschland von 1945 bis 1950 produzierten Spielfilme).

Viele Filme streben eine „Bewältigung“ der Vergangenheit an, einige setzen sich mit dem Antisemitismus auseinander (Ehe im Schatten von 1947, Regie: Kurt Maetzig) oder –   Filmen der DEFA – thematisieren Sozialkritik und Antikapitalismus und propagieren ein neues, sozialistisches Deutschland. In der überwiegenden Mehrzahl der Filme werden Probleme und Schicksale der Nachkriegszeit dargestellt. Schließlich gibt es noch die Versuche einer Zeitsatire in kabarettistischen Filmkomödien sowie die reinen Unterhaltungsfilme ohne äußeren Zeitbezug. Hier wie dort wird aber auch neben ernsthafter filmischer Auseinandersetzung „leichte Kost“ produziert. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren wird für die Filme dieser Zeit vom Publikum der Begriff „Trümmerfilm“ geprägt, durchaus abwertend gemeint. Die Bezeichnung „Trümmerfilm“ ist insofern berechtigt, als die physischen und psychischen Trümmer in den meisten dieser Filme eine wichtige Rolle spielen. Der Begriff wird rasch auf alle Zeitfilme ausgedehnt, die entsprechend skeptische betrachtet werden. So besteht in dieser Zeit die wohl extremste Diskrepanz zwischen deutschen Produktionen und Publikumswünschen – gleichwohl offenbaren die Filme über ihre Themen und Motive auch viel über Nachkriegsmentalität der Menschen.

Vorherrschende Themen und Motive waren: der Krieg mit seinen Folgen physischer und psychischer Zerstörung – Hunger und Existenznot in Trümmern, Schwarzmarkt einerseits, Flüchtlingsschicksale, Kriegsheimkehrer sowie die Entlastung der Mitläufer andererseits. Die Menschen erscheinen als Opfer“ der Geschichte. Werteverlust und die Perspektivlosigkeit werden häufig thematisiert, verbunden mit Appellen an die Moral und den Willen zum Aufbau. Arbeit und Leistung sowie Familienglück sind zentrale Ideale und weisen den Weg in eine bessere Zukunft:

Und nicht zuletzt: Im filmisch inszenierten Überwinden dieser Trümmer-Elemente wird bereits auf die dominanten Tendenzen der 50er Jahre verwiesen: so die häufige Hinwendung und Beschränkung aufs private Glück bzw. auf die Kleinfamilie (ÜBER UNS DER HIMME, LIEBE 47) oder die Abkehr bzw. Dämonisierung der Stadt verbunden mit einer Mythologisierung von Landschaft und Natur (MENSCHEN IN GOTTES HAND, WEGE IM  ZWIELICHT). Die erfolgreichsten westdeutschen Produktionen jener Zeit waren denn auch solche, die über die Trümmer hinwegtrösteten:  durch Atelierglanz (ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN) oder durch das Glück einer (neuen) ländlichen Heimat.

Die deutschen Produktionen dieser Zeit sind jedoch allesamt nur mäßige Erfolge gewesen, gemessen an den attraktiven ausländischen, insbesondere amerikanischen Produktionen, die noch 1949 80 – 90% der Spieltermine in den Theatern belegen. Doch bleibt es bemerkenswert, dass von den 40 bis  zur Währungsreform in Deutschland produzierten Filmen rein äußerlich 30 Zeitfilme waren, die in der Nachkriegszeit selbst spielten bzw. durch ihr Thema in unmittelbarer Beziehung zur damaligen Gegenwart standen.

Einen derartig hohen Gegenwartsbezug hat es in der Filmproduktion sonst zu keiner Zeit in Deutschland gegeben. Auch filmästhetisch verdient die unmittelbare Nachkriegszeit Beachtung: eine ganze Reihe von Produktionen versucht an filmästhetische Standards anzuknüpfen, die durch den „unpolitischen“ Unterhaltungsfilm aus der Zeit des Faschismus nicht diskreditiert waren. Staudte knüpft mit DIE MÖRDER SIND UNTER UNS an einen expressionistischen Stil an, in LANG IST DER WEG werden Elemente des dokumentarischen Films beeindruckend in eine Spielfilmhandlung verwoben, DER RUF, AFFAIRE BLUM und ROTATION präsentieren analytisch beobachtende Inszenierungen.

Diesem filmischen „Neuanfang“ steht der Vorwurf der Kontinuität im deutschen Film gegenüber: Wer jetzt für den Film arbeitet, hat in der Regel auch eine Vergangenheit im Dritten Reich gehabt – und die fällt recht unterschiedlich aus.

Grundlagen

Die Beiträge zu Film im Nachkriegsdeutschland sind auf der Grundlage der folgenden Arbeiten erstellt worden:

Autorengruppe Nachkriegsspielfilme: Spielfilme der Nachkriegszeit als Quelle ihrer Gegenawart. (unveröffentl. Manuscript 1992)

Heinrich Behring: Kollektive Tagträume – Die Ästhetik des deutschen Nachkriegsfilms 1945 – 1949. Diss. Universität Hannover 1993

Detlef Endeward: Spuren kollektiven Bewußtseins: Basismaterial Film. In: FWU-Magazin 5/1993

Detlef Endeward: Geschichten von Hoffnungen und Wünschen, von Illusionen und zerstörten Gefühlen. Nachkriegsgesellschaft als Gegenwart und Geschichte im Film. In:

Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose Suche, erstarrte Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945-1949. Diss. Universität Hannover 1993

Peter Stettner: Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die ‚Junge Film-Union‘ 1947 – 1952, Hildesheim 1992

Irmgard Wilharm: Bewegte Spuren. Studien zur Zeitgeschichte im Film. Hannover 2006

Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991

Wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien. Hannover 1995

Firmennachlass der Junge Film-Union im Filminstitut Hannover

Firmennachlass der Filmaufbau GmbH Göttingen im Filminstitut Hannover

Auswahl, Zusammenstellung und Einordnung der Materialien: Detlef Endeward (2021ff)