Die Anfänge des Kinos im Deutschen Kaiserreich: Technik, Publikum und kulturelle Konflikte
Die Geschichte des Films in Deutschland beginnt früh – noch vor der berühmten ersten öffentlichen Filmvorführung der Brüder Lumière am 28. Dezember 1895 in Paris. Bereits am 1. November desselben Jahres präsentierten die Brüder Max und Emil Skladanowsky im Berliner Wintergartenpalais kurze Filme auf einem selbst entwickelten Überblendprojektor. Obwohl ihre Technik innovativ war, konnte sie sich gegenüber dem praktischeren Cinématographe der Lumières, der sowohl Aufnahme als auch Projektion ermöglichte, nicht durchsetzen. Dennoch markiert diese Vorführung den Beginn einer rasanten Entwicklung des Films als Massenmedium im Deutschen Kaiserreich.
Technische Pioniere und die Etablierung des Mediums
Neben den Skladanowskys prägten weitere Persönlichkeiten die Frühphase des deutschen Films. Oskar Messter entwickelte bedeutende technische Innovationen, darunter die Verbesserung der Projektionsapparate und die Einführung des Tonfilms mittels Synchronisation. Guido Seeber wiederum gilt als einer der ersten Kameramänner, der mit filmischen Effekten experimentierte und die visuelle Sprache des Mediums entscheidend mitgestaltete. In Hannover produzierte Carl Buderus Filme über aktuelle Ereignisse und 1906 produzierte er – noch im gleichen Jahr der Köpenikiade – Der Hauptmann von Köpenick (Regie und Hauptdarsteller: Carl Sonnemann). Hildesheim wurde zu einem bevorzugte Drehort, hier drehte u.a. Heinrich Galeen 1914 DER GOLEM und Paul Wegener 1915 DER GEHEIMNISVOLLE WANDERER. (Filmschauplätze in Niedersachsen)
Die Kinematographie war zunächst ein Spektakel für die gehobenen Gesellschaftsschichten. Doch die Faszination der Neuheit ließ schnell nach, und das Kino wandelte sich zur Jahrmarktsattraktion für Kleinbürger und Arbeiter. Die Inhalte der Filme passten sich diesem Wandel an: Belanglose Kurzfilmchen dominierten das Programm, oft mit sensationellen oder exotischen Themen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Joseph Delmont etwa inszenierte in Berliner Studios wilde Raubtiere und erlangte damit internationale Bekanntheit.
Soziale Durchdringung und kulturelle Kritik
Die Popularität des Films wuchs rasant. In Berlin verdoppelte sich die Zahl der Kinos zwischen 1905 und 1913 von 105 auf 206, in Hannvoer gabe existierten mit dem Cinématographe Lumière und dem Theater für „Lebende Photographien“ 1896 zwei Kinoorte, bis 1914 waren es dann 30Kinos (Wilharm, 1991)
Im gesamten Reich gab es 1917 über 3.000 stationäre Kinotheater. Wanderkinos versorgten auch ländliche Regionen mit filmischer Unterhaltung. Der Film wurde zum Freizeitvergnügen breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere der städtischen Unterschichten und der Jugend. Dennoch war das Publikum heterogen: Soziologische Studien aus der Kaiserzeit zeigen, dass Kinobesucher oft zwischen sozialen Klassen und Generationen standen und gemeinsame Erfahrungen von Marginalisierung teilten. (Wilhrm,
Gleichzeitig stieß das Kino auf massive Kritik vonseiten konservativer Kulturträger, Kirchen und Teilen der Arbeiterbewegung. Evangelische und katholische Kreise verurteilten das Kino als „Teufelszeug“ und „geistige Volksvergiftung“. Der Schriftsteller Victor Noack sprach 1903 von einer „Orgie der Geschmacklosigkeit“. Der Vatikan untersagte Geistlichen den Kinobesuch, und deutsche Bischöfe warnten in Hirtenbriefen vor dem „Teufelswerk Kino“. Auch die sozialistische Arbeiterkulturbewegung lehnte das Kino ab, da es nicht dem Ideal der klassischen Hochkultur entsprach.
Künstlerische Ambitionen und die Geburt des Filmstars
Trotz dieser Widerstände entwickelte sich das Kino weiter. Künstlerisch ambitionierte Regisseure versuchten, dem verächtlich als „Kintopp“ bezeichneten Medium durch literarisch inspirierte Spielfilme mehr kulturelle Tiefe zu verleihen. Paul Wegener schuf mit „Der Student von Prag“ (1913) einen der ersten deutschen Kunstfilme. Ernst Lubitsch, beeinflusst von Max Reinhardt, inszenierte zunächst mehraktige Filme und später präzise gestaltete Kammerspiele, die dem deutschen Film internationale Anerkennung verschafften.
Auch der Import ausländischer Filme – insbesondere aus Dänemark und Italien – prägte die deutsche Kinolandschaft vor dem Ersten Weltkrieg. Die Sprachlosigkeit des Stummfilms erleichterte den internationalen Austausch. Mit dem Wunsch des Publikums nach bestimmten Darstellern entstand das Phänomen des Filmstars. Henny Porten und Asta Nielsen gehörten zu den ersten gefeierten Persönlichkeiten auf der Leinwand. Die Nachfrage nach Fortsetzungen führte zur Produktion von Filmserien, wobei der Detektivfilm besonders beliebt war. In diesem Genre begann auch Fritz Lang seine Karriere, die ihn später zu einem der bedeutendsten Regisseure des deutschen Expressionismus machte.
Das Kino etablierte sich als Massenmedium
Die Anfänge des Kinos im Deutschen Kaiserreich zeigen ein spannendes Spannungsfeld zwischen technischer Innovation, gesellschaftlicher Durchdringung und kultureller Auseinandersetzung. Während das Kino sich als Massenmedium etablierte und neue Formen der Unterhaltung sowie künstlerischen Ausdrucks hervorbrachte, blieb es zugleich Projektionsfläche für Ängste und Kritik konservativer Eliten. Die Entwicklung des Films in dieser Zeit legte den Grundstein für die spätere Blüte des deutschen Kinos in der Weimarer Republik und darüber hinaus.
Literatur
1895–1918: Pionierzeit – Vom Kintopp zur Filmindustrie (Wikipedia, 04.11.2025)
Brunold, Robin (2015): Geliebtes „Teufelszeug“ – Die Anfänge des Kinos & des Films im Deutschen Kaiserreich
Wilhrm Irmgard (1991): Hannoversche Kinoanfänge oder „Die Photographie in vollster Lebenstätigkeit“
Film im deutschen Kaiserreich bis 1918
Kino und Film begannen vor der ersten Kinovorführung
- Lebende Bilder
- Die Pioniere des Films im heutigen Niedersachsen
Film und Politik im Ersten Weltkrieg
Die ersten Spielfilmproduktionen
Literatur
