Bildungsstandards und Fachcurricula Geschichte
Film und Geschichtsunterricht – eine schwierige Beziehung
„Es gibt keine Quelle, es gibt kein Medium, das hinsichtlich seiner Intensität, seiner Faszination, Suggestivität, Ausdrucksstärke und Erlebnisqualität, aber auch seiner Genauigkeit und Realitätsnähe dem Film gleichkäme“ (Schneider 1985: 526).
Diese Aussage von Gerhard Schneider beschreibt das Verständnis, dass Historikerinnen und Historiker dem Film entgegenbringen bis heute – sofern sie überhaupt ein Verhältnis zur Arbeit mit Filmen entwickelt haben. Die Erkenntnis, dass Bilder die Interpretation historischer Ereignisse beeinflussen, ist also nicht neu. Trotzdem hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Beschäftigung mit Filmen in der Geschichtswissenschaft und vor allem in der Geschichtsdidaktik nur sehr langsam und randständig weiterentwickelt.[1] Für das Fach Geschichte gilt dabei sicher auch, dass eine gewisse kulturelle ‚bilderfeindliche‘ Tradition und Disposition lange Zeit die fachwissenschaftliche Diskussion bestimmt hat.[2] In den letzten Jahren wurden aber Impulse aus den Kommunikationswissenschaften aufgenommen, um sich der Realität der bewegten Bilder zu nähern. Befördert wurde diese Entwicklung durch die Prozesse der Digitalisierung und Vernetzung, durch die Bilder in bisher ungeahnter Vielfalt zur Verfügung stehen.
„In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst“ (Paul 2013). Der Film steht allerdings nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Visual History.
Wenn der Bedeutung der Bilder – und hier auch der Filmbilder – zunehmend mehr Rechnung getragen wird, so ist das auch im Zusammenhang mit der Diskussion um Erinnerungskultur zu sehen. Die Medien prägen die Erinnerungen. Sie begegnen uns überwiegend über Bilder: in Filmen und Ausstellungen, im Internet, in der bildenden Kunst und in der Architektur. Der historische Film wird dabei als bedeutsames Medium einer Erinnerungskultur und damit als Interpretation der Vergangenheit, als narrative Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte wahrgenommen (vgl. Braun).
Es ist kein Zufall, dass dies gerade jetzt geschieht. Die Zeitzeugen von Krieg und Holocaust, von Flucht und Vertreibung sterben aus. Es geht um die Überführung ihrer individuellen Erfahrungen und Erinnerungen ins kollektive Gedächtnis. „Die Geschichtsbilder werden jetzt fixiert, die Erinnerungsorte jetzt festgelegt, die Anteile von Erinnerung und Vergessen jetzt festgelegt“ (Frühwald 2007). Die Bedeutung der filmischen Erinnerungskultur zeigt sich nicht nur in der Vielzahl, sondern auch in der Repräsentativität der Beispiele. Die TV-Serie ‚Holocaust‘ und die Spielfilme ‚Schindlers Liste‘ von Steven Spielberg und ‚Das Leben ist schön‘ von Roberto Benigni haben beispielsweise bahnbrechende öffentliche Debatten ausgelöst.
Dieser Sachverhalt bildet sich mittlerweile auch in den curricularen Rahmenplanungen für den Geschichtsunterricht ab. So fordert das Kerncurriculum für den Sekundarbereich II des Geschichtsunterrichts in Niedersachsen, dass sich Schülerinnen und Schüler mit den verschiedenen Formen von Geschichte in unserem Alltagsleben – und auch mit Filmen – auseinandersetzen: „Geschichte tritt dem Zeitgenossen allgegenwärtig entgegen und fordert ihn mehr oder weniger bewusst zur Auseinandersetzung heraus. Die Begegnung mit Geschichte vollzieht sich für Lernende nicht nur im Geschichtsunterricht. Gedenk- und Feiertage, Erinnerungsorte, Museen, Denkmäler, Fernseh- und Filmproduktionen, Internetseiten mit historischen Bezügen, öffentliche Kontroversen um Deutungen von Geschichte, Geschichtsbilder im kollektiven Bewusstsein von Nationen oder einzelner Gruppen und vieles andere mehr – Geschichts- und Erinnerungskultur ist wesentlicher Bestandteil gesellschaftlichen Lebens.“[3]
Perspektive Medienbildung
Ansatzweise sind in den vergangenen Jahren auch Diskussionsansätze aus der Medienbildung im historischen Diskurs wahrgenommen worden. Film ist das narrative Leitmedium für Kinder und Jugendliche. Das Medium hat für sie Bedeutung als Kinofilm und als Fernsehformat, als Lang- und Kurzfilm, als Spiel-, Dokumentar-und Animationsfilm, Musik- und Kunstvideo, Werbefilm, Handyfilm etc. Kinder und Jugendliche probieren und handhaben audiovisuelle Ausdrucksformen, nutzen sie kreativ-gestalterisch. Die ‚Bühne‘ dafür ist zunehmend das Internet geworden, in dem sich alle diese Formen und Gattungen in veränderten Kontexten wiederfinden. Der Umgang mit Film(en) ist ein kulturelles Handlungsfeld, dem weitreichende individuelle, soziale und gesellschaftlich kulturelle Bedeutung zukommt.[1] Die filmanalytische Arbeit wird in diesem Kontext als ein wesentliches Element des Erwerbs von Medienkompetenz im Geschichtsunterricht ausgewiesen. Bereits v. Borries hat in den 1980er Jahren Filme als „Medien historischer Sozialisation“ verstanden, „die für Vermittlung von Geschichtsinteresse, -kenntnis und -bewusstsein […] wesentlich wichtiger sind als die Schule insgesamt und erst recht der Geschichtsunterricht. […] Innerhalb des historischen Films dürfte die Gattung des Spielfilms weit einflussreicher sein als die der Dokumentation“ (v. Borries 1986: 211). Auch wenn diese These in jüngerer Zeit in Frage gestellt wird (Näpel 2013), wird nicht in Frage gestellt, dass der Geschichtsunterricht in der historisch-politischen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen keineswegs die alleinige Deutungshoheit über die Geschichte hat und dass der kritische Umgang mit Film auch im Geschichtsunterricht erfolgen muss. Es gibt aus den 1990er Jahren und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts eine Reihe von Fachbeiträgen, in denen der Versuch unternommen wurde, medien-und kommunikationswissenschaftliche mit fachdidaktischen Ansätzen zu verknüpfen. Daran haben sich beispielsweise auch die Formulierungen zur Medien- und Methodenkompetenz in den Bildungsstandards für das Fach Geschichte aus dem Jahr 2006 orientiert (Verband der Geschichtslehrer Deutschlands 2007):
Veranstaltungen und Fortbildungsangebote
- Veranstaltungen im Kino im Künstlerhaus Hannover
- Veranstaltungen im Medienhaus Hannover
- Workshops bei den niedersächsischen Schulmedientagen
- Werkstatt im Rahmen der Studienwochen der IAKM
Filme in der historisch-politischen Bildung
Bildungsstandards, Fächercurricula und Medienbildungskonzepte
Bildungspakete für den Unterricht
Anmerkungen[1] Wenn es um Film und um Filmbildung in der Schule geht, ist immer noch die Rede vom ‚vergessenen Medium‘ (Wagner 2010: 6). Siehe auch Wilharm 1995: 9; Riederer 2006. [2] „Wir sind kulturell nicht gleich intensiv vorbereitet wie auf das Wort. Und deshalb müssen wir uns hier eine Bildgrammatik erst noch erarbeiten“ (Doelker 2007). Und: „Trotz all dieser Fortschritte bleiben bei der Analyse und Nutzung von Bildern als Quellen Desiderata und Probleme erkennbar. Die Fokussierung der Historischen Bildforschung auf das statische Bild in Form des Gemäldes, des Plakats und der Fotografie ist nicht nur von der Sache her begründet, sondern auch Ausdruck einer diffusen Angst vor den laufenden Bildern des Films“ (Paul 2013). [3] Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg Geschichte, hrsg. V. Niedersächsischen Kultusministerium, Hannover 2017. Hier: Rahmenthema 4 – viertes Schulhalbjahr der Qualifikationsphase: Geschichts- und Erinnerungskultur. Wahlmodul 6: Begegnung mit Geschichte im Film und in den Neuen Medien, S. 48f |
Inhaltliche Bezüge zu den Kerncurricula Geschichte
In der gegenwärtig noch aktuellen Fassung der Bildungsstandards von 2011 sind die hier aufgeführten konkreten Kompetenzerwartungen für verschiedene Jahrgangsstufen allerdings wieder zurückgenommen und durch eine allgemeine Formulierung ersetzt worden: „Verschiedene Gattungen historischer Quellen und Darstellungen sowie weitere Überreste und Medien mit historischen Bezügen unterscheiden und auswerten. Text-, Bild-, Filmquellen sowie Darstellungen, Sachquellen, Denkmale, Bauwerke, Zeitzeugen, Geschichtskarten, Statistiken, Diagramme von höherer Komplexität mit geeigneten Arbeitsschritten und selbstständig erschließen“ (Verband der Geschichtslehrer Deutschlands 2011: 7).
Diese erneute ‚Zurückhaltung‘ dem Medium Film gegenüber deutet darauf hin, dass der Film in der Realität des Geschichtsunterrichts doch noch nicht wirklich angekommen ist. Das Leitmedium des Geschichtsunterrichts ist nach wie vor der schriftlich bzw. gedruckt vorliegende Text. Die Arbeit mit Filmen bleibt weiterhin randständig.
[1] Die Länderkonferenz Medienbildung hat deshalb zusätzlich zum referenzbildenden ‚Kompetenzorientierten Konzept für die schulische Medienbildung‘ ein kompetenzorientiertes Konzept für die schulische Filmbildung herausgegeben, in der Filmanalyse eines von vier Kompetenzfeldern darstellt: „Die Schülerinnen und Schüler schlüsseln die Zeichensysteme sowie die narrative Struktur von Film auf, wenden Inhalt/Form/Struktur-Beziehungen in Analyse, Erörterung und Interpretation an. Sie rezipieren Filme bewusst als gestaltete Werke und ordnen diese in ihre historischen und/oder kulturellen Kontexte ein.“