Aus Bombentrümmern zur Vision der „neuen“ Stadt?

So – allerdings ohne Fragezeichen – überschreibt der NDR einen Online-Beitrag zur Nachkriegs-Stadtentwicklung in nordeutschen Städten und führt weiter aus:

„Schnell gilt es, die Trümmer zu beseitigen und die Städte wieder aufzubauen. Denn Mitte der 40er-Jahre herrscht akute Wohnungsnot, viele Menschen müssen in Notunterkünften unterkommen, sogenannten Nissenhütten. In den 1950er-Jahren entsteht ein regelrechter Bauboom. Doch wie sollen Gebäude, Wohnviertel und Städte der Zukunft aussehen? Das ist eine Frage, die nicht nur Architekten und Stadtplaner, sondern auch Bürger und Politiker beschäftigt. Während die Traditionalisten die Städte so oder zumindest so ähnlich aufbauen wollen, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen hatten, gibt es auch Verfechter eines radikalen Neuanfangs.

Licht, Luft – und Platz für Autos

Diese Stadtplaner und Architekten haben Visionen: Ihnen schweben gegliederte Stadtviertel vor, die von Licht und Luft durchströmt werden, mit breiten Straßen, die den Verkehr durch die Städte pumpen. Autogerecht, aufgelockert und begrünt sollen diese Städte sein.

Einigen Stadtplanern kommen die Zerstörungen des Bombenkrieges deshalb gar nicht so unrecht, denn auf den freigewordenen Flächen ist viel Platz für eine moderne, zeitgemäße Architektur. Und was die Bomben verschont haben, opfern einige der Nachkriegsarchitekten vielerorts ihrem Plan, denn mittelalterliche Häuser und verwinkelte Gassen stören nur.“

Vision und Wirklichkeit der Nachkriegs-Stadtplanung

Am Beispiel der Stadt Hannover lässt sich verfolgen, ob Vision und Wirklichkeit der Nachkriegs-Stadtplanung  zusammenpassen.

Infolge des vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges war auch die Stadt Hannover durch Bombenangriffe stark in Mitleidenschaft gezogen worden: 51,2 % der Wohnungen galten als total zerstört oder schwer beschädigt, 43,6% als mittel oder leicht beschädigt; kaum besser sah es mit den öffentlichen Gebäuden, Geschäftshäusern sowie mit den Industrieanlagen und gewerblichen Betrieben aus. In der Innenstadt waren über 90% der Gebäudesubstanz zerstört. Angesichts der katastrophalen Kriegszerstörungen stellte sich die Frage, wie (anfänglich auch: ob überhaupt am gleichen Ort) ein Wieder- oder Neuaufbau erfolgen könnte bzw. sollte. Nachdem man die ersten Nachkriegsjahre mit planerischem Improvisieren und privater Aufbauinitiative bestritt, wurden ab 1949 städtische Aufbaupläne entwickelt, die dann die Basis für den umfassenden Aufbau in der folgenden Dekade legten. In der  Spiegelausgabevom Juni 1959 wird diese Entwicklung als „Wunder von Hannover“ gefeiert und die Stadt zur „Stadt des Jahres 2000“ erklärt.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Architekten, die den Umgang mit historischer Bausubstanz kritisieren, damit aber den massenhaften bedenkenlosen Abriss der Nachkriegsarchitktur und v.a. der brutalistischen Architektur der 70er Jahre meinen. Aber das ist (k)eine (völlig) andere Geschichte.


Die Filme

Materialsammlungen


Der Neuaufbau im Spiegel zeitgenössischer Dokumentarfilme

Dieser Neuaufbau Hannovers wurde vor allem von dem Fotojournalisten Heinz Koberg in den 50er Jahren filmisch dokumentiert. Mit der Erlaubnis der britischen Militärverwaltung sowie des Oberstadtdirektors Gustav Bratke ausgestattet, begann Koberg ab 1948 damit, 16mm-Filmaufnahmen in Hannover zu machen, die anfänglich das  Ausmaß der Zerstörungen, dann den Wiederaufbau festhalten sollten. Ab 1949 arbeitete Koberg offiziell im Auftrag des Rates der Stadt Hannover an dem ersten Hannover-Film, der dann 1950 fertiggestellt wurde. Bis Ende der 50er Jahre drehte Koberg sieben solcher Informationsfilme.

Ein Gegenbild zu den Bildern und Einschätzungen der 50er Jahre, die von Stolz auf das Erreichte und von Optimismus im Hinblick auf das noch zu Leistende geprägt sind, bietet eine Dokumentation aus dem Jahr 2018. Die darin zum Ausdruck kommende Sichtweise der Nachkriegsentwicklung ist geprägt von der aktuellen zeitgenössischen Diskussion um die Zukunft der Stadt und geht dabei ziemlich rücksichtslos mit den Visionen der Vergangenheit um, wenn diese überhaupt wahrgenommen werden.


Hannover1949/50

Der Film ist der erste einer Reihe von in den 1950er Jahren nahezu jährlich gedrehten „Wiederaufbau-Filmen“, die Heinz Koberg – im Hauptberuf Pressefotograf und Redakteur bei der Hannoverschen Presse – bis 1960 in und über Hannover drehte.


Hannover 1951

Hier werden die Wiederaufbauleistungen gezeigt, wobei die Ursache für den Wiederaufbau – die Zerstörung Hannovers im 2. Weltkrieg – ausgeblendet bleibt. Stattdessen beginnt der Film mit dem Merian-Stich des alten Hannover im 17. Jahrhundert. Neben der Bautätigkeit werden auch der Anstieg der Einwohnerzahl, der Fremdenverkehr und Großveranstaltungen wie die Bundesgartenschau und die Industriemesse, die Constructa-Bauausstellung, der Blumenkorso und das Schützenfest festgehalten. Damit wird demonstriert: Das Leben beginnt sich zu normalisieren.


7 Jahre danach. Hannover 1952

Inzwischen sind die jährlichen Wiederaufbaufilme Kobergs von einer deutlichen Standardisierung gekennzeichnet: Die wieder gestiegene Einwohnerzahl (490.000) wird verkündet und damit Größe und Lebensqualität dokumentiert, anschließend werden die Baufortschritte abgehandelt: Neue Wohnsiedlungen (Mittelfeld, Constructa,…


Hannover 1953 – Bildnis einer arbeitsamen Stadt

1953 versäumt es Heinz Koberg nicht, die Aufbauleistungen des vergangenen Jahres zu bilanzieren. Anlässlich des zehnten Jahrestages des schweren Bombenangriffs von 1943 am 9. Oktober wird in einem Insert noch einmal an den Krieg erinnert. An diesem Jahrestag wurde auch der Grundstein für den Bauabschnitt „Rund um die Kreuzkirche“ gelegt, wobei Rudolf Hillebrecht eine Ansprache hielt. In der Folge werden erneut stolze Zahlen präsentiert.


Hannover 1954

Der längste der Koberg‘schen Wiederaufbau-Filme: Wie in den anderen werden auch hier die Fortschritte des vergangenen Jahres des mittlerweile zur Halbmillionenstadt gewachsenen Hannovers dokumentiert. Schwerpunkte dabei sind die Schulbauten, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur…


Hannover 1955

Filmische Bilanz des Jahres 1955. Eine große Rolle spielen neben den Schul-, Krankenhaus- und Kultur-Neubauten die Entwicklungen auf dem Verkehrssektor, der auch stilistisch durch Mehrfachbelichtungen hervorgehoben wird. Auffällig auch, das weite Strecken des Films Feste zeigen:


Herr Schmidt fragt sich durch (1956)

Der Film beschreibt unterhaltsam den Wiederaufbau von Hannover in den 1950er Jahren: Im Rahmen eines Dialogs überzeugt ein Kommentator den skeptischen „Herrn Schmidt“ von den Fortschritten im Wohnungsbau, im Straßenbau, bei Schulen, Krankenhäusern, Freizeiteinrichtungen usw


Hannover 1957

Ein Filmbericht von Heinz Koberg und Heinz Lauenroth, der die Aufbauleistungen des vergangenen Jahres vorstellt: Bau von Schulen und Krankenhäusern, Dokumentation der Versorgungs- und Verkehrsanlagen, Vorstellung von Kultur- und Sporteinrichtungen.


Hannover 1958

Mit demselben Team wie im Vorjahr realisierte Heinz Koberg auch den Tonfilm „Hannover 1958“. Wiederum werden die Aufbauleistungen des Jahres 1958 resümiert, sei es im Straßen-, Wohnungs- oder Schulbau. Stolz werden etwa das 50 Meter hohe Leuchtenhaus der Elektroindustrie auf dem Messegelände oder 6.000 neue Wohnungen in Ricklingen, Döhren und Buchholz vermerkt.


Alle machen mit (1960)

Mit diesem Film zeigt Heinz Koberg stolz den Wieder- und Neuaufbau der Stadt seit 1949. Im Mittelpunkt stehen neue Verkehrswege, Wohnviertel, Schulen, Krankenhäuser und Freizeiteinrichtungen, deren Bau nicht zuletzt durch Engagement und Zusammenarbeit der Bürger möglich geworden sei. In der Darstellung wirft Koberg auch einen Blick in den damaligen Schulunterricht, der recht amüsante Szenen offenbart.


Mosaik einer Stadt (1960)

Im Gegensatz zu den nahezu jährlich seit 1949/50 von Heinz Koberg gedrehten „Aufbaufilmen“ zeigt der künstlerisch ambitionierte Film nicht den gegenüber dem jeweiligen Vorjahr erzielten Fortschritt, sondern versucht einen Gesamtüberblick über den Wiederaufbau in Hannover, der auch die Schwierigkeiten und Diskussionen berücksichtigt.


15 Jahre Hannover-Messe im Spiegel der Wochenschau (1962)

Eine Rückschau der Hannover-Messe aus dem Jahre 1962 auf die Jahre 1947-1962 mit vielen Archivaufnahmen, die die Entwicklung dieser Industriemesse dokumentieren.


Stadtportrait Hannover (1964)

Die Stadt Hannover in ihrer Entwicklung als Messe- und Industriestadt mit interessanter Architektur. Inka Eckermann interviewt Stadtplaner Rudolf Hillebrecht, Messedirektor Leopold Merkelbach und Pferdezüchter von Warburg.


Rudolf Hillebrecht, Hannover 1966/67

Erläuterung der beim Wiederaufbau der Stadt Hannover maßgeblichen Überlegungen des Architekten und Städteplaners – Besprechung am Planungstisch.


Unsere Geschichte – Von Bausünden und Bürgerprotest (2018)

Norddeutschland lag nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Trümmern. Hamburg, Bremen, Kiel, Hannover, Hildesheim waren vom Bombenkrieg verwüstet. Leid und Kummer für die Bewohnerinnen und Bewohner. Doch Stadtplaner und Architekten sahen eine gute Gelegenheit, ihre Utopie von der neuen Stadt zu verwirklichen. Mittelalterliche Gassen und verwinkelte Höfe störten da nur. Licht und Luft sollte die Neubauviertel durchströmen. Wie Adern sollten breite Straßen den Verkehr durch die Stadt pumpen. Was der Krieg verschonte, opferten die Nachkriegsplaner allzu oft dieser Vision.

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