Nachtwache (1949)

Inhalt

Der evangelischer Pfarrer Heger (Hans Nielsen) kommt mit seiner zehnjährigen Tochter  als Seelsorger in das kleinstädtische Burgdorf. Im Hospital trifft er die Ärztin Cornelia Badenhausen (Luise Ullrich), die nach leidvollen Erlebnissen im Krieg der Kirche und dem Glauben skeptisch gegenübersteht.  Zweifel an Gott und Unsicherheit über den SInn des Lebens spürt Heger oft in  Begegnungen mit den durch den Krieg entwurzelten Menschen. Sein eigener Glaube gerät ins Wanken, als seine Tochter bei einem tragischen Unfall stirbt. Durch den Beistand des katholischen Kaplans von Imhofff (Dieter Borsche) findet der evangelische Pfarrer zum Glauben und zu seiner Aufgabe zurück.: Gemeinsam mit dem Kaplan wir er eine Art „Nachtwache“ halten für „die von dem Dunkel der Zeit überschattete Menschheit“. (Werbetext/Programmheft)

Regie: Harald Braun.
Regie-Assistenz: Fritz Stapenhorst, Rainer Geis.
Buch: HaraldBraun.
Kamera: Franz Koch, Josef Illig.
Bauten: Walter Haag.
Kostilme: Lilo Bodamer.
Maske: Heinrich Beckmann, Minna Held.
Schnitt : Fritz Stapenhorst.
Ton: Erich Leistner.
Musik: Mark Lothar

DarstellerInnen:

Luise Ullrich (Cornelie Badenhausen),
HansNielsen (Pfarrer Johannes Heger),
Rend Deltgen (Stefan Gorgas),
Dieter Borsche (Kaplan von Imhoff),
Angelika Voelkner (Lotte),
Käte Haack (Oberin),
Gertrud Eysoldt (Schwester Jakobe),
Nicolai Kolin (Karnickelmann),
Herbert Kroll (Bürgermeister),
Annette Schleiermacher (Helferin),
Marion Gauer, Gudrun Rabente, Claire Reigbert, Annemarie Hanschke, Inge von Morawaski, Peter Paul, Hans Herrmann-Schaufuß, Ilona Lam6, Odo
Krohmann, Ernst Falkenberg, Wemer Leonhard.

Produktion: Neue Deutsche Film GmbH (NDF),
München / Filmaufbau GmbH, Gottingen.
Produzent: Harald Braun.
Co-Produzent: Hans Abich, Rolf Thiele.
Produktionsleitung: Jacob Geis;
Assistenz: Georg Langfeld, Peter Paul Keimer.
Aufnahmeleitung: Gustl Lautenbacher, Frank
Roell.
Drehort : Atelier Göttingen;
Außenaufnahmer: Göttingen und Umgebung.
Länge:110 min,3016 m.
Format: 35mm, s/w, I :1.33.
Uraufführung: 21.10.1949, Hannover (Weltspiele).

Auszeichnungen:

  • Bambi 1950 (Künsllerisch bester deutscher
    Film 1919).
  • Bambi I 95 I (Geschafl lich erfulgreichster deutscher
    Film 1950).

Der zweite Film der Filmaufbau entsteht in Koproduktion mit der Neuen Deutschen Film GmbH, München, und wird ein überwältigender Erfolg. Der „erste religiöse Spielfilm in Deutschland“ (Hans Abich) wird als künstlerisch bester deutscher Film 1949 und als geschäftlich erfolgreichster deutscher Film 1950 mit zwei Bambis ausgezeichnet.


Hans Abich: Gedanken zum ersten religiösen Spielfilm in Deutschland (1949)

Deutschland hat sich von der Verfilmung religiöser Stoffe am längsten zurückgehalten – vielleicht gerade deshalb, weil das Gespräch über die Verfilmbarkeit dieses Bezirkes besonders intensiv und kritisch geführt worden ist. In Göttingen wird in diesen Wochen an dem ersten deutschen Gegenwartsfilm um eine christliche Frage gearbeitet. Dr. Harald Braun ist der Autor, der Schriftsteller Paul Alverdes hat am Drehbuch mitgewirkt, Harald Braun führt auch die Regie. Daß er als Pfarrerssohn um die Dinge des kirchlichen Bereichs weiß, macht ihn sicher nur bedächtiger bei der Entscheidung, was davon „hereinnehmbar“ ist. Man wird von ihm als langiährigen Filmautor und Regisseur sicher keine künstlerischenKonzessionen an den Konfessionalismus erwarten. Sein Film heißt  NACHTWACHE. Vielleicht ist es ein evangelischer Stoff; aber er sucht die Korrespondenz der katholischen Seite. Er redet trotzdem nicht von einem Interkonfessionalismus im Sinne einer una sancta und bleibt auch damit auf dem Boden der deutschen Situation.

Vor allem aber bringt dieser Film jene Menschen ins Spiel, die dem Glauben fern stehen, die Skeptiker, wie wir sie zahllos als Nachbarn unserer eigenen Existenz um uns wissen. Ihnen ist bange vor der Sicherheit der Christen, und auch diese erfahren, daß es kein Geschenk der Glaubenssicherheit gibt. Das Christentum hat hier seinen Schauplatz nicht in irgendeiner Abseitigkeit. Es stellt sich den Vorbehalten und Gegnerschaften unserer Tage.

Hans Abich, Kirche und Film, Nr. 14, 15.7.1949


Auszüge aus einem Gespräch am 5.12.1990 in Hannover

Frage: Was hat Sie damals eigentlich am Thema des Films, das man heute ja als ökomenisch bezeichnen könnte, so angesprochen?

Abich: Das Drehbuch hat mir sehr gefallen. Es war dramaturgisch gelungen. Auch nicht-religiöse Zuschauer konnte sich den gefühlen, die der Film ansprach, schwer entziehen.

Frage: NACHTWACHE hatte in 19 Monaten 9 Mio. Besucher. Haben Sie diesen Erfolg irgendwie vorhersehen können? Wußten Sie, daß dies der Stoff der Zeit war?

Abich: Nein, aber wir müssen da ein Gefühl getroffen haben…

Frage: Für diesen Film ist der Begriff der „Heilung“ ein zentraler. Gilt dies auch schon für LIEBE 47, diese Annahme, daß es da kranke Seelen gibt, denen – vielleicht durch das gute Vorbild ä Heilung, Linderung, Hilfe verschafft werden soll?

Abich: Ja. Ich fühle mich da in einigen unserer frühen Gefühle ertappt. Ihre Beobachtung ist wohl richtig und gilt auch noch für spätere Filme, z.B. GELIEBTES LEBEN (1953).

 

 

Die Dreharbeiten fanden im Filmatelier Göttingen statt sowie in Einbeck und in Göttingen. Die Filmbauten lagen in der Hand von Walter Haag.

Nach der Trennung des Atelierbetriebs von der Filmproduktion war NACHTWACHE das erste Projekt der unter dem alten Namen a, 4. April 1949 neugegründeten Produktionsfirma. Der Film entstand in Coproduktion mit der Neuen Deutschen Filmgesellschaft. Die Produzenten entwickelten ein ungewöhnliches Finanzierungsmodell für NACHTWACHE:

„Drei evangelische Landeskirchen übernahmen Ausfallbürgschaften und schickten – in Gestalt von Werner Heß und Anton Kochs – Berater zu den Dreharbeiten.

Die entstehung dieses Films begleitete die Presse von Anfang an mit großer Aufmerksamkeit und hohen Erwartungen.

Nach der Uraufführung des Films am 21. Oktober 1949 in Hannover vermeldete die Rheinische Post: ‚Die Erwartungen, die man in diesen Film setzte, haben sich erfüllt.‘ Tatsächlich traf NACHTWACHE ein Zeitgefühl, die Resonanz des Publikums war überwältigend. NACHTWACHE wurde ein ‚außerordentlicher Kinoerfolg‘, der sich so kräftig für Filmaufbau Göttingen so nie wiederholte, aber die Basis für weitere Arbeit lieferte.“


Susanne Fuhrmann: Zur geschichte der Filmaufbau Gmbh Göttingen. In Wir Wunderkinder.100 Jahre Filmproudktion in Niedersachsen.Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien e.V., Hannover 1995, S. 51/52

Das Ende lebendiger Widersprüche

Am Ende schauen alle in eine Richtung: zum A1tar, zum Pfarrer, zum KapIan. Alle singen ein Lied oder sehen dem Gesang der anderen zu – jeder für sich, jeder allein. Ein ungewöhnlicher Schluß eines ungewöhnlich erfolgreichen Filmes. DIE NACHTWACHE (Vergleichsfilm, Urauff. 21.10. 1949; Regie: Harald Braun) sahen in 19 Monaten 9 Millionen Bundesdeutsche. 1)

Der Zuschauer erlebt kein Happy-End, kein Familienglück: Das Glück – für jede der Figuren bedeutet es anfangs etwas anderes:

Gorgas, der erfolgreiche Schauspieler (René Deltgen, im schwarzen Ledermantel, sehr finster und zerstört gezeichnet), kann auf das Glück des Glaubens an den Menschen oder auch an ein höheres Wesen nicht vertrauen. Seine Erfahrungen mit sich selbst, seiner Schuld, den anderen sind noch zu lebendig. Gorgas kann und will nicht von diesen Erfahrungen absehen. Auch seine letzte Hoffnung, die Liebe zu einem – seinem – Kind könne seinem Leben wieder einen Sinn geben, wird enttäuscht. Gorgas erscheint als ein Mensch mit heftigen Gefühlen. Von einem seiner Kollegen wird er bei seiner Ankunft am Ort des Geschehens einem Hotelportier folgendermaßen vorgestellt:

„(…) Das ist Stefan Gorgas. Mit dem müssen sie sich übrigens gut stellen, der schmeißt sonst mit Koffern und harten Gegenständen um sich (…).
Gorgas: Unser Komiker, den dürfen Sie nicht ernst nehmen. 2)

Gorgas versucht hier die durch seinen Schauspielerkollegen erfolgte Negativcharakterisierung zu relativieren. Dieser Versuch bereitet eine negative filmische Bewertung der Figur des Gorgas vor: Dem Schauspieler wird mehrfach unterstellt, daß seine Äußerungen theatralische Verstellung, übertrieben und maskenhaft sind. Im Verlauf der Handlung werden sich die Figuren, die sich in ihrem Seelenfrieden nicht mehr erschüttern lassen wollen, mit Grauen von Gorgas abwenden. So etwa die Hauptfigur Cornelie (Luise Ullrich), eine Ärztin, die in einem Diakonissenkrankenhaus tätig ist. Cornelie erscheint als lebendige, sinnliche Existenz: Schaukeln im sonnigen Garten, flotte Musik und Schokolade, Fahrradfahren über holprige Wege – eine Frau, die weiß, was sie will und das Leben in vollen Zügen genießt.

Eine Zeitlang sieht es so aus, als wolle der evangelische Pfarrer Heger (Hans Nielsen) das Gleiche. Bei der Ankunft auf dem Bahnhof am Ort seiner neuen Pfarre sehen wir ihn mit seiner kleinen Tochter „Mücke“ in einer konkreten, heiteren, einfühlsamen Lebendigkeit. Für wenige Sekunden gibt es ein Familienbild, als die Ärztin Cornelie sich auf dem Bahnhof mit „Mücke“ anfreundet. Doch dieses Bild bleibt im Film Ausnahme – eine Erfüllung wird es nicht geben.

Hegers Weg führt ihn immer mehr von einer widersprüchlich-lebendigen Existenz fort. In folgendem Dialog zwischen Heger und dem katholischen Kaplan (Graf!) Imhoff (Dieter Borsche) über die zurückgeholte Kirchenglocke wird der Beginn einer Annäherung der beiden Geistlichen deutlich:

Imhoff: Wir müßten sie läuten… Sie und ich! Stellen Sie sich vor: die beiden Pfarrer von Burgdorf läuten Sturm! Damit die da unten endlich wach werden….
Heger: Und damit wir beide hier oben nicht ins Träumen kommen…
Imhoff: Es ist vieles, was uns trennt, Heger. Wir dürfen es uns nicht wegmogeln. Aber es ist mehr, was uns verbindet-. Wir haben denselben Vater…“ 3)

Immer häufiger sehen wir Hegers Blick vom Glockenturm seiner zerstörten Kirche aus über die Dächer der Stadt streifen. Immer mehr rückt er ab, von den sinnlichen Freuden und Bedürfnissen, seinen eigenen und denen der anderen Menschen. Zu Beginn des Films war er diesen zunächst noch so nahe gewesen, in seiner undogmatischen Art, strenge Regeln und Rituale durch praktische, vernünftige Verhaltensweisen zu ersetzen. Anschaulich wird diese Haltung Hegers in der Szene seiner Amtseinführung im Krankenhaus, in dem auch Cornelie tätig ist und immer wieder mit Swing, Zigaretten und flotter Frisur die (ungeschriebenen) Gesetze der Demut der Diakonissen stört:

Oberin: Herr Pastor Heger wollen Sie nicht der Schwesternschaft ein Wort als Geleit mitgeben?
Heger: Tja, eine feierliche Ansprache möchte ich Ihnen und mir eigentlich schenken… Fertige Sinnsprüche für alle Lebenslagen sind meistens ziemlich langweilig (…) Und wenn ich jetzt eine so große Rede hielte, würde die Suppe kalt werden! – Darum will ich mich kurz fassen: – Ich freue mich, bei Ihnen zu sein! Wir wollen gemeinsam arbeiten, gemeinsam fröhlich sein und uns immer daran erinnern, wer uns die Fröhlichkeit zu dieser Arbeit gibt… Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast. Amen. 4)

Verstärkt wird dieser Eindruck der Diesseitigkeit durch den im Film direkt anschließenden Bericht einer jungen Schwester über diese Szene. Cornelie hatte sie gefragt, ob der neue Pfarrer denn auch „so schrecklich feierlich“ sei:

Schwester Elisabeth: Feierlich? Nein . Ganz vergnügt. Daß heißt, ernst ist er natürlich auch, aber nicht wie ein Pfarrer ernst ist, sondern wie ein (betont:) Mann ernst ist.“ 5)

Später erzählt der Film, daß diese Lebendigkeit auch einen Preis hat: Sie macht den Boden, auf dem man geht, leicht schwankend, weil sie die Wahrnehmung und das Denken offen hält für die Veränderung und den Zweifel. Heger wird nach dem Unfall seiner kleinen Tochter auf einer Schiffschaukel in einen Zweifel verfallen, der dem ähnlich ist, der Cornelie vom Glauben an Gott fernhält. Cornelie hält jedoch an der Vorstellung und Erfahrung fest, daß der Tod eines Kindes nie einen Sinn machen kann. Sie tut dies ebenso wie Gorgas, der das Mädchen zur Schaukelei verführt hat und sich und die Menschen nicht nur für diese Tat! 6) verantwortlich macht, schuldig sprechen will. Heger verfällt dagegen in jene Erstarrung, die sein katholischer Amtskollege in seiner Person vom ersten bis zum letzten Moment seines Auftretens zeigt. Cornelie, die selbst ein Kind bei einem Luftangriff verloren hat, geht nach dem Tod von Hegers Tochter „Mücke“ in sein Haus, um ihn zu trösten.

Cornelie (zur Diakonissin Jacobe): „Es war schrecklich… (Die Operation… ) Der Kummer um das Kind. .. genau wie damals bei mir. Wieder haben wir alles getan, wieder konnte man nicht helfen. (Man ist ja nichts.) Man kann ja nichts! Ist er noch auf? Ich hab‘ Angst um ihn! (Damit kann man nicht fertig werden.) Nein, nein. Sie wissen ja nicht, was das heißt: geboren und gesegnet, behütet und geliebt, plötzlich… Ach, es ist ja so sinnlos…(…) Nein; er braucht mich, ich muß zu ihm!
(Cornelie sieht Heger durch einen Türspalt am Klavier sitzen und hingebungsvoll singen: Breit aus die Flügel beide, (oh Jesu, meine Freude … )
Cornelie: Er braucht mich nicht! “ 7)

Der Film stellt diese Orientierung, zu der auch Heger am Ende gefunden hat, eindeutig als Gewinn dar: die Festigkeit, Sicherheit und Fähigkeit, allein mit Gott seinen Frieden zu finden, nicht mehr auf andere Menschen angewiesen zu sein, die Gewißheit in der Sicht und ethischen Beurteilung der Welt und anderer Menschen und schließlich die Fähigkeit, die eigene Vergangenheit ruhen lassen zu können.

Ruhe – nichts treibt mehr um. Bewegungslos ist das Gesicht des ehemaligen Staffelkapitäns und jetzigen katholischen Kaplans Imhoff, fest, ruhig und sicher seine Stimme. Keine Verführungen können ihn erreichen, keine Sinnlichkeit, keine Unmoral, aber auch keine Skrupel, kein Schmerz, kein heftiges Gefühl. Diesen Mann – das strahlt die Figur aus – kann nichts aus dem Gleis bringen: keine Liebe, keine Trauer, kein Selbstzweifel, keine Wut. Er weiß, was zu tun ist und wird es tun. Dieter Borsche wurde durch seine nicht eben große Rolle in DIE NACHTWACHE berühmt und in den 50er Jahren zu einem der begehrtesten Hauptdarsteller.

Die Zeit der verstörten Seelen, der umgetriebenen, unglücklichen deutschen Männer wie Gorgas, der noch einmal in fast identischen Bildern das schmerzhaft-verzerrte Gesicht des Chirurgen Mertens aus DIE MÖRDER SIND UNTER UNS in Erinnerung ruft, ist vorbei. Gorgas verschwindet lautlos aus dem Bild. Keiner fragt nach ihm – auch Cornelie, die selbstbewußte und emanzipierte Ärztin, nicht. Wir sehen sie am Ende in der Kirche stehen, etwas abseits. Ob die sehr irdische Orientierung der von Luise Ullrich verkörperten Ärztin Cornelie hier, in dieser gefestigten Welt, doch noch ihren Platz findet, bleibt offen. Betrachtet man die von dieser kritischen Schauspielerin in späteren deutschen Filmen verkörperten Frauentypen, scheint dies aber doch eher unwahrscheinlich:

„In den 5oer Jahren wird sie zur tapferen, patenten Mutti, zur burschikosen Frau der Gegenwart, die die Trümmerjahre miterlebt hat und nun tatkräftig den Aufbau des Wirtschaftswunderlandes auf der Leinwand unterstützt. 8)

Viele der von ihr gezeichneten Frauenprofile der jungen Bundesrepublik sind durch ein kritisch-rationales Selbstbewußtsein und einen beruflichen Ehrgeiz bestimmt. Eine Erfüllung in der Liebe erlangen Luise Ullrichs Figuren jedoch – wenn überhaupt allenfalls am Ende und durch Unterwerfungsgesten. 9)

Am Ende von DIE NACHTWACHE erscheinen die Haltungen der beiden Pastoren als Lösungsmodelle. Den Preis ihrer Unberührbarkeit und ihres Seelenfriedens – den Verlust der Wahrnehmung der eigenen Lebensgeschichte, der eigenen Empfindungen, der Lebendigkeit und Widersprüchlichkeit im Verhalten, der Vertrautheit und Nähe mit anderen Menschen thematisiert der Film nicht.

Besonders die Festigkeit des Kaplans Imhoff 10) in seiner Neuorientierung im Glauben und seiner Berufung als Seelsorger wird als positives Handlungsvorbild bewertet. Negativ erscheinen dagegen folgende Haltungen, die dem Antipoden des Kaplans, dem Schauspieler Gorgas, zugeschrieben werden: Der mit der Frage nach der eigenen Verantwortung verbundene Blick zurück und starke Gefühlsäußerungen, die zum einen als hohl (masken-, theaterhaft), zum anderen als gefährdend (Luftschaukelbild und -unfall), zum dritten als Kräfte bewertet werden, die eine Lebensfreude und den Blick in die Zukunft hindern.

DIE NACHTWACHE war nicht nur beim Publikum ein Erfolg. Der Film fand auch in der zeitgenössischen Kritik vielfach – wenn auch oft zwiespältige – Beachtung. In den Besprechungen wird außergewöhnlich oft auf Reaktionen der Kinozuschauer reflektiert. 11)

Die Kritiken stehen nicht selten unter Überschriften wie „Der Film hat mir manches gegeben“, „Nachtwache ergreift Herzen“, „Film als ‚lebensdienstliche Funktion“ 12).

Eine ganze Reihe von Artikeln berichten über kontroverse Diskussionen um diesen Film. 13) Insbesondere in kirchlichen Presseorganen verbinden sich die Betrachtungen zu DIE NACHTWACHE oft mit Grundsatzüberlegungen zum „christlichen Film“ 14) und seiner Bedeutung in der aktuellen Nachkriegssituation. Kritisiert wird mitunter die ästhetische Qualität oder die Unentschiedenheit in der Aussage des Films. Reflexionen und Wiedergaben der Rezeption beim breiten Publikum pointieren dagegen immer wieder einen Punkt: DIE NACHTWACHE erscheint als segensreiche Thematisierung eines akuten und allgemein-gesellschaftlichen Problems und manchem Rezensenten zudem als hilfreiches Orientierungsmodell. Unter der Überschrift „‚Nachtwache‘ – ein Film von den letzten Dingen“ heißt es da etwa:

„Nun hat sich der deutsche Film zum erstenmal nach dem Kriege einem solchen Stoff zugewandt, und hier schlägt nun zum Guten aus, was man ihm, wie dem deutschen Charakter überhaupt, oft zum Vorwurf macht: ein gewisser Hang zum tiefsinnigen Grübeln und zum faustischen Suchen. (…) Das eigentliche Motiv des Filmes ist die Frage nach dem Sinn des Leides und des Leidens (…) 15)

Und während dieser Rezensent den Film in einen Gegensatz zu einer Predigt setzt und ihn (wie viele Kritiken) nur als Denkanstoß versteht, geht die Zeitschrift Evangelischer Filmbeobachter in ihrer Beurteilung weiter:

„Und es wäre falsch, die starke Ergriffenheit, mit der das Publikum den Film verläßt, allein auf das Konto des Mitleidens und des Rührseligen zu setzen. Mancher notvolle Mensch unserer Tage begegnet hier den Fragen seines eigenen Lebens. Und, was das überraschende dieses Films ist, er erhält eine Antwort.“ 16)

Wie andere Rezensenten sah auch W. Müller-Debus am Ende seiner Betrachtungen zu DIE NACHTWACHE in die Zukunft:

„Die bedeutende Wirkung und die (…) nachweislichen Erfolge machen diesen Film zu. einem Bahnbrecher auf einem freilich ebenso gewagten wie zukunftsträchtigen Wege, der aber aus Liebe zu dem ausweglos suchenden Menschen unserer Zeit mutig weiter beschritten werden sollte.“ 17)

Die Heilung kranker Seelen ist in den untersuchten Spielfilmen ein wichtiges Motiv, oft eine Hoffnung, die die Handlung zumeist in ein eher beschwörend als realistisch gestaltetes Happy-End treibt. Im Film DIE NACHTWACHE gelang offenbar endlich ein den Zeitgenossen stimmig und glaubhaft scheinender Entwurf für diese Heilung.

Für den Produzenten Hans Abich war der Erfolg dieses Spielfilmes keinesfalls, und schon gar nicht in diesem Ausmaß, vorhersehbar. 18) Die Themenwahl hatte der von Abich heute als „arg ethisch“ umschriebenen Programmatik der Produktionsfirma Göttinger Filmaufbau GmbH entsprochen. 19) Von Anfang an erhoffte sich die junge Produktion, daß der Film etwas sein könnte, „womit man ein hungerndes Volk, das mit anderen Völkern und sich Schindluder getrieben hatte, möglicherweise kulturell breit (…) ernähren könnte.“ 20)

Der Film (Autoren: Regisseur Harald Braun und Paul Alverdes) habe schon mit seinem Titel DIE NACHTWACHE bewußt die Assoziation des Krankenpflegerischen, der Heilung nahegelegt.

Inhaltlich vage, aber in der Struktur durch die Sehnsucht nach Schutz und Trost eher kleinbürgerlichen Lebensentwürfen verbunden, zeigte sich schon LIEBE ’47, die erste Produktion der Göttinger. Erst mit dem Film DIE NACHTWACHE traf diese „Problemfilm“-Firma offenbar tiefsitzende Hoffnungen auf eine „Lösung“ für die deutsche Nachkriegsmisere. Hans Abichs rückblickende Selbstcharakterisierung umreißt Grenzen der Wahrnehmung der Realität und der Neuorientierung, die auch nach meiner Analyse für die Mehrzahl der Spielfilme typisch sind:

„Wir waren natürlich gar nicht fähig, 1949, eine Zwischenbilanzüber uns selbst zu führen, (…). Aber ob wir überhaupt fähig gewesen wären, zu zeigen, wie es sei, wie es war, weiß ich gar nicht, wir hätten dafür möglicherweise noch keinen Ausdruck gewußt. Wir waren nicht ganz sicher wie es ist. Also wir waren der Überzeugung: Kollektivschuld ja – aber wir müssen daran arbeiten, das Individuum aus dieser Schuld herauszuführen.“ 21)

Bettina Greffrath (1993)


Anmerkungen

  1. Gustav Kahn-Ackermann: Die Neue Zeitung, 7,7,1951, zit. nach Sylvia Wolf: Zwischen Gestern und Morgen, Vierzig Jahre NDF 1947-1987
  2. Zitiert aus der Dialogliste des Films, Aus: Nachlaß der Filmaufbau GmbH, Gesellschaft für Filmstudien e.V. Hannover, S. 12
  3. Dialogliste, a.a.O., S. 22
  4. a.O., S. 5f
  5. a.O., S. 6
  6. Gorgas hat das Mädchen, das wußte, daß die Schaukel „gefährlich“ werden kann, dazu überredet. Er wird dann – durch die Ankunft Cornelies am späteren Unfallort – abgelenkt und kann nicht mehr verhindern, daß das Mädchen, um Cornelie zuzuwinken, losläßt und aus der Schaukel stürzt.
  7. Dialogliste, a.a.O., S. 33
  8. Filmlexikon Cinegraph, a.a.O.
  9. B. in DIE FRAU VON HEUTE, Regie: Paul Verhoeven, 1954
  10. Über den Darsteller Dieter Borsche – insbesondere in der Darstellung des Kaplans Imhoff – meinte der Produzent des Films Hans Abich rückblickend: „Der gefiel mir sehr. Da war aus den Trümmern etwas Edles herausgerettet.“ (in einem Interview im Dezember 1990)
  11. Ausgewertet wurden ca. 25 Kritiken
  12. In der Reihenfolge der Überschriften: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5.11.1949; Wiesbadener Kurier, 1.12.1949; Freie Presse Bielefeld, 29.10.1949
  13. B. Katholischer Filmbeobachter Köln Nr. 24/1950: „An der ‚Nachtwache‘ scheiden sich die Geister“; Katholisches Sonntagsblatt, Stuttgart, 19.3.1950
  14. z.B. Christ und Welt 13.10.1949; Hesselberg-Bote, Gunzenhausen, 22.11.1944; Evangelische Bildkammer: Mitteilungen 1/50, hektographiert
  15. Nürnberger Nachrichten, 7.1.1950
  16. 21, München, 1.11.1949
  17. Christ und Welt, 13,10,1949, Aufschlußreich erscheint mir in diesem Zusammenhang auch ein im Mannheimer Morgen“ veröffentlichter Bericht über die Aufnahme des Films in Portugal, die hiernach vor allem durch eine zentrale Frage getragen scheint: „Wie haben die Deutschen den schweren Schock der Niederlage mit all ihren demütigenden Begleiterscheinungen moralisch überstehen können? Für einen Teil, und sicher nicht nur für einen kleinen Teil des deutschen Volkes, gibt der Film darauf eine Antwort, die im Ausland vielleicht sogar deutlicher vernommen wird als in Deutschland selbst, Es ist eine den Portugiesen packende, weil völlig überraschende Antwort. Vieles hatte er erwartet, aber nicht dies, den Glauben an Gott als Grundlage des Lebens unter Trümmern.“ („Ein Film stellt Deutschland vor“, Mannheimer Morgen, 20.12,1951)
  18. hierzu ein Gespräch mit Hans Abich zum Thema „Filmland Niedersachsen“, durchgeführt im Rahmen eines Praxisseminars am Historischen Seminar der Universität Hannover. Beteiligt war u.a. Prof. Dr. I. Wilharm, Das Intervier wurde am 5.12.1990 im Norddeutschen Rundfunk (Fernsehen) in Hannover aufgezeichnet, Alle weiteren Zitate Abichs aus diesem Interview.
  19. Die Ziele der mit der Göttinger Produktion von Anfang an verbundenen erzieherischen Vorstellungen blieben allerdings offenbar auch dem Produzenten Abich eher undeutlich. Auf die Frage „Was waren denn da die Erziehungsziele (…)? Wohin sollte es gehen? Wohin sollten die Menschen verändert, erzogen werden?“, antwortete Abich: „lhre Frage ist zielgerichteter als unser Denken war. Das kann ich nicht so auf einen Punkt beantworten. Wir wollten eine Verbesserung der Verhältnise in Deutschland, Da wir Filmliebhaber waren, wollten wir wieder deutsche Filme machen (…) Unsere Vorstellungen waren auch vage.“
  20. Ebd.
  21. Ebd.

Auszug aus: Bettina Greffrath: Verzweifelte Blicke, ratlose Suche, erstarrte Gefühle, Bewegungen im Kreis. Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945-1949. Diss. Universität Hannover 1993, S. 568-576

 

Die zeitgenössische Kritik lobt nach der Uraufüihrung am 27. Oktober 1949 vor allem die ökumenische Grundaussage des Films, sowie den Verzicht auf „Bekehrungstendenzen“ und die eindeutigen Antworten auf die „drängenden Fragen“ der Zeit. Siehe auch die Interpreation der Kritiken von B. Greffrath in der Filmanalyse.

NACHTWACHE ist ein überzeitlicher Zeitfilm. Sein Thema ist die ewige, bang hoffende, zweifelnde und oft verzweifelte Frage nach Gott. Aber diese ewige Frage erhebt sie aus der Not unserer Zeit.

Da ist eine junge Ärztin, der der Bombenkrieg ihr Kind genommen hat. Warum ließ Gott das zu? Wo war da noch ein Sinn zu erkennen, ein höheres Walten? Der Zweifel erfaßt sie, und als der Pfarrer Heger seinem Töchterchen vorsingt

„Dies Kind soll unverletzet sein“, geht sie hinaus. Da ist ihr einstiger Geliebter Stefan Gorgas, der Vater ihres toten Kindes. Kampfflieger im Krieg und jetzt Schauspieler geworden. Er kommt aus einer Welt der Zerstörung und des Zerstörens zurück, die sein Daseinselement gewesen war und nun aus seinem Herz und Hirn nicht weichen will. Ein Mann, den die Verzweiflung übermannt hat, der den Weg zu Gott nicht findet, weil er ihn nicht einmal suchen will. Und da sind endlich der evangelische Pfarrer und der katholische Priester, zwei Geistliche, die selber in ihrer Brust die Qual des Zweifels empfunden und dann erst die Gewißheit des Glaubens errungen haben.

Aber noch einmal wird der Glaube des Pfarrers vor die äußerste Prüfung gestellt, als ihm ein Unglück die kleine Tochter entreißt, indessen er in der Kirche den Segen Gottes erbittet. In der Stunde seiner tiefsten Glaubensnot hilft ihm die Aufgabe, Stefan Gorgas vor dem Schritt der letzten Verzweiflung zu bewahren. Indem er ihm hilft, hilft er sich selbst. Der Kaplan aber steht seinem evangelischen Amtsbruder zur Seite und hält mit ihm die Nachtwache im Dunkel der Zeit. Der christliche Glaube verbindet sie zu einer neuen Brüderlichkeit, die stärker ist als konfessionelle Unterschiede. (…)

Ein solches Thema zu wählen und aus einem solchen Geiste zu behandeln, ist avantgardistisch. Die Regie von Harald Braun ist es nicht. (…)

Gerd Schulte, Norddeutsche Zeitung, 22. 1 0. 19 49

Die Bilder der Wochenschau verblaßten, Jupiterlampen schmissen ihr rücksichtsloses Licht in die hannoverschen Weltspiele: die Uraufführung der »Nachtwache« wurde gefilmt, unter besonderer Berücksichtigung der Loge Balkon Mitte.

Dort saßen der Protektor des Films. D. Dr. Lilje, Landesbischof von Hannover, und Dr. Offenstein, Generalvikar des bischöflichen Ordinariats in Hildesheim, zusammen mit evangelischer und katholischer Geistlichkeit. »Die Nachtwache« ist der erste deutsche religiöse Spielfilm. > weiter

Wache im Dunkeln , aus DER SPIEGEL 44/1949

Eine „platte Redseligkeit“ kennzeichne den Film, so Bandmann/Hembus 1985, etwas was die zeitgenössische Kritik – unverständlicher Weise – überwiegen honoriert hätte.

Das Lexikon des internationalen Films urteilt über den Film:

„Der erste religiöse deutsche Nachkriegsfilm war bei Publikum und Kritik wohl auch deshalb ein großer Erfolg, weil er ein Bedürfnis nach moralischer Geborgenheit im Schoß der Kirche befriedigte. Aus der zeitlichen und emotionalen Distanz sind Sentimentalität, spirituelle Halbherzigkeit und Geschwätzigkeit des ökumenischen Dramas deutlicher zu erkennen. Auch die filmische Umsetzung kann trotz sichtbarer Bemühungen des Regisseurs nicht ganz überzeugen.“
„Der erste religiöse deutsche Nachkriegsfilm war bei Publikum und Kritik wohl auch deshalb ein großer Erfolg, weil er ein Bedürfnis nach moralischer Geborgenheit im Schoß der Kirche befriedigte. Aus der zeitlichen und emotionalen Distanz sind Sentimentalität, spirituelle Halbherzigkeit und Geschwätzigkeit des ökumenischen Dramas deutlicher zu erkennen. Auch die filmische Umsetzung kann trotz sichtbarer Bemühungen des Regisseurs nicht ganz überzeugen.“

„Der mit Problemem überfrachtete, allzu sentimentale und pathetische Film ist für die Entwicklung des deutschen Films nicht ohne Bedeutung. Die Nachtwache erschien damals vielen Kritikern beispielhaft; und sie hatte auch beim Publikum einen sensationellen Erfolg. Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil hier eine private Lösung der Zeitprobleme verheißen wurde.“

Reclams Filmführer. Von Dieter Krusche, Mitarbeit: Jürgen Labenski. S. 428. Stuttgart 1973.

Nachtwache, unter dem Slogan »Der Film, zu dem man seinen liebsten Menschen mitnimmt« in die Kinos gebracht, war der größte deutsche Filmerfolg der Saison 1949/50 und einer der erfolgreichsten Nachkriegsfilme überhaupt. Er erfüllte eine ähnliche Funktion wie die dann folgenden Heimatfilme, und zwar mit den gleichen Mitteln: er begegnete der seelischen Heimatlosigkeit (der Verlust an Heimat als ein Verlust an Seele ist ein zentrales Motiv von Egon Günthers Feuchtwanger-Verfilmung EXIL von 1980) mit dem Balsam einer Beichte, die Vergebung von allem auch ohne Sündenbekenntnis und Buße gewährt: NACHTWACHE ist ein ökumenischer Heimatfilm. Harald Braun, der sich das alles ausgedacht und in Szene gesetzt hatte, war dank passender Ausbildung der geeignete Mann für diese Aufgabe: er stammte aus einem Pastorenhaushalt und kam aus besten Ufa-Schnulzenschule. Die platte Redseligkeit des Werkes wurde sogar von den meisten Kritikern honoriert; nur Karl Korn schrieb in der FAZ: »Nachtwachen werden schweigend gehalten! Die besten Sachen aber über die Nachtwache hat Hauptdarstellerin hat die Luise Ullrich geschrieben, in ihren überhaupt sehr scharfsinnigen und ehrlichen Memoiren Komm auf die Schaukel, Luise. Eindrücke vor den Dreharbeiten (Braun demütigte die mit einer Erfahrung von 25 Filmen, darunter LIEBELEI und Brauns eigene NORA, gesegnete Hauptdarstellerin, indem er ihr Probeaufnahmen aufzwang): »Die Lektüre (des Drehbuchs) fiel mir schwer. Das Thema schien mir problemüberladen, triefend von Sentimentalität und aufgeprfropftund angepfropft mit konstruierter Dramatik . . . Viele Personen des Buches hatten durch den Krieg und durch das erlebte Elend den Glauben an Gott verloren. Am Schluß sang ein Kinderchor: >Erhebet Eure Herzen, erhebet sie zum Herrn<, und alle wurden bekehrt. Wenn sie mir die Rolle nicht geben, dachte ich, dann ist es auch kein Unglück.« Abschließende Eindrücke nach den Dreharbeiten: »Der Ton, den Harald Braun für die Ärztin wollte, war nicht mein Ton . ..Er wollte sie sanft, mild, leise, wehmütig, und ich wollte ihr hinterrücks eine Spritze Lebenswillen und Selbstironie verpassen, und wenn Harald es nicht merkte, einen Hauch Humor, weil ich finde, die schrecklichsten Dinge im Leben kann man als intelligenter Mensch nur mit Humor ertragen. Wir mußten Vokabeln klären. Harald sagte: >Verstehen Sie doch, die Arztin ist vom Leben enttäuscht und desillusioniert., ich sagte: >Das stimmt, Sie haben recht.< Das muß man immer sagen, wenn man mit einem Regisseur verhandelt und seine eigene Meinung durchsetzen will. >Aber Enttäuschung heißt ja wörtlich das Ende einer Täuschung, ist also eigentlich positiv und der Anfang einer Wahrheit. Und Glück liegt dort, wo keine Illusionen mehr sind.< Harald Bäun war vollkommen anderer Ansicht. Er verstand überhaut nicht, daß man heiter enftäuscht sein und sicn von Illusionen angenehm befreit fühlen kann. Trotzdem ließ er mich die Rolle so spielen, wie ich sie eben mit meinen Möglichkeiten spielen konnte, Er mochte mich sehr, aber ich war nicht sein Typ. Sein Typ war Zarah Leander, er liebte und verehrte sie.>

aus: C. Bandmann/J. Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960. München 1980, S. 162/63

Ausgestattet mit den klassischen Attributen eines Melodrams, durch emotionsgeladenen Musikeinsatz im Vorspann bereits angekündigt, subsumiert der unter der Regie Harald Brauns 1949 entstandene Film Nachtwache noch einmal – zusammenfassend und zukunftsweisend – die drängenden Themen der Nachkriegszeit. Braun bringt diese, wie der anfängliche Kameraschwenk in den Himmel verifiziert, auf eine ‚höhere‘ Ebene: Glaube, irdisches Glück und Moralität sind nicht länger dramaturgische ‚Nebenfiguren‘ sondern Hauptakteure.
Gleichwohl gilt im Folgenden weniger der melodramatischen Inszenierung das
Hauptaugenmerk, sondern vielmehr der Gegenüberstellung von starken und schwachen Männer- und Frauenfiguren. Eingebettet in den Rahmen der Religiosität werden die in der Darstellung der Geschlechter verhandelten Fragen nach Moral, Autorität, Sinnstiftung und verbindlichen Werten Vorreiter eines Diskurses, der am Ausgang der vierziger Jahre bereits die für die Adenauer-Zeit spezifischen Themen behandelt. Nachtwache ist gleichsam auch Abgesang einer für den Trümmerfilm typischen Mentalität des ‚Grüblerischen‘ und des Fatalismus: Der Zweifler weicht den ‚höheren Mächten‘, die Schuldfrage dem Verdrängen, der Antifaschismus dem Opportunismus.


Auszug aus: Anja Horbrügger: Aufbruch zur Kontinuität – Kontinuität im Aufbruch:
Geschlechterkonstruktionen im west- und ostdeutschen Nachkriegsfilm von 1945 bis 1952. Marburg 2007, S. 184-191 (Aufblende. Schriften zum Film13). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14356

Glaube, Zweifel, Liebe, Verzicht, Gewissenskonflikte – mit mehr letzten Fragen kann ein Film nicht überladen werden. „Haben sie nie an Gott gezweifelt, Imhoff?“, fragt Pfarrer Heger (pastoral breit, aber herzlich: Hans Nielsen). Doch, hat er. Aber nicht er beantwortet die Frage, sondern der Kameramann Franz Koch. Er setzt noch schärfere Schatten, belässt das Gesicht von Imhoff (Dieter Borsche) in grellen Konturen, fährt auf einen Putto in der Kirche zu und zeigt mit viel breiter Symbolik den inneren Kampf dieses Mannes. „In der Dunkelheit wartet Gott auf uns“ ist die Botschaft, die Heger nach dem Tod seiner kleinen Tochter Tröstung bringen soll.
> weiter

Falk Schwarz: Lauter letzte Fragen – filmportal.de  

Das könnte dich auch interessieren …