Nachtwache (1949)

Inhalt

Der evangelischer Pfarrer Heger (Hans Nielsen) kommt mit seiner zehnjährigen Tochter  als Seelsorger in das kleinstädtische Burgdorf. Im Hospital trifft er die Ärztin Cornelia Badenhausen (Luise Ullrich), die nach leidvollen Erlebnissen im Krieg der Kirche und dem Glauben skeptisch gegenübersteht.  Zweifel an Gott und Unsicherheit über den SInn des Lebens spürt Heger oft in  Begegnungen mit den durch den Krieg entwurzelten Menschen. Sein eigener Glaube gerät ins Wanken, als seine Tochter bei einem tragischen Unfall stirbt. Durch den Beistand des katholischen Kaplans von Imhofff (Dieter Borsche) findet der evangelische Pfarrer zum Glauben und zu seiner Aufgabe zurück.: Gemeinsam mit dem Kaplan wir er eine Art „Nachtwache“ halten für „die von dem Dunkel der Zeit überschattete Menschheit“. (Werbetxt/Programmheft)

Regie: Harald Braun.
Regie-Assistenz: Fritz Stapenhorst, Rainer Geis.
Buch: HaraldBraun.
Kamera: Franz Koch, Josef Illig.
Bauten: Walter Haag.
Kostilme: Lilo Bodamer.
Maske: Heinrich Beckmann, Minna Held.
Schnitt : Fritz Stapenhorst.
Ton: Erich Leistner.
Musik: Mark Lothar

Darsteller:

Luise Ullrich (Cornelie Badenhausen),
HansNielsen (Pfarrer Johannes Heger),
Rend Deltgen (Stefan Gorgas),
Dieter Borsche (Kaplan von Imhoff),
Angelika Voelkner (Lotte),
Käte Haack (Oberin),
Gertrud Eysoldt (Schwester Jakobe),
Nicolai Kolin (Karnickelmann),
Herbert Kroll (Bürgermeister),
Annette Schleiermacher (Helferin),
Marion Gauer, Gudrun Rabente, Claire Reigbert, Annemarie Hanschke, Inge von Morawaski, Peter Paul, Hans Herrmann-Schaufuß, Ilona Lam6, Odo
Krohmann, Ernst Falkenberg, Wemer Leonhard.

Produktion: Neue Deutsche Film GmbH (NDF),
München / Filmaufbau GmbH, Gottingen.
Produzent: Harald Braun.
Co-Produzent: Hans Abich, Rolf Thiele.
Produktionsleitung: Jacob Geis;
Assistenz: Georg Langfeld, Peter Paul Keimer.
Aufnahmeleitung: Gustl Lautenbacher, Frank
Roell.
Drehort : Atelier Göttingen;
Außenaufnahmer: Göttingen und Umgebung.
Länge:110 min,3016 m.
Format: 35mm, s/w, I :1.33.
Uraufführung: 21.10.1949, Hannover (Weltspiele).

Auszeichnungen:

  • Bambi 1950 (Künsllerisch bester deutscher
    Film 1919).
  • Bambi I 95 I (Geschafl lich erfulgreichster deutscher
    Film 1950).

Der zweite Film der Filmaufbau entsteht in Koproduktion mit der Neuen Deutschen Film GmbH, München, und wird ein überwältigender Erfolg. Der „erste religiöse Spielfilm in Deutschland“ (Hans Abich) wird als künstlerisch bester deutscher Film 1949 und als geschäftlich erfolgreichster deutscher Film 1950 mit zwei Bambis ausgezeichnet.


Hans Abich: Gedanken zum ersten religiösen Spielfilm in Deutschland (1949)

Deutschland hat sich von der Verfilmung religiöser Stoffe am längsten zurückgehalten – vielleicht gerade deshalb, weil das Gespräch über die Verfilmbarkeit dieses Bezirkes besonders intensiv und kritisch geführt worden ist. In Göttingen wird in diesen Wochen an dem ersten deutschen Gegenwartsfilm um eine christliche Frage gearbeitet. Dr. Harald Braun ist der Autor, der Schriftsteller Paul Alverdes hat am Drehbuch mitgewirkt, Harald Braun führt auch die Regie. Daß er als Pfarrerssohn um die Dinge des kirchlichen Bereichs weiß, macht ihn sicher nur bedächtiger bei der Entscheidung, was davon „hereinnehmbar“ ist. Man wird von ihm als langiährigen Filmautor und Regisseur sicher keine künstlerischenKonzessionen an den Konfessionalismus erwarten. Sein Film heißt  NACHTWACHE. Vielleicht ist es ein evangelischer Stoff; aber er sucht die Korrespondenz der katholischen Seite. Er redet trotzdem nicht von einem Interkonfessionalismus im Sinne einer una sancta und bleibt auch damit auf dem Boden der deutschen Situation.

Vor allem aber bringt dieser Film jene Menschen ins Spiel, die dem Glauben fern stehen, die Skeptiker, wie wir sie zahllos als Nachbarn unserer eigenen Existenz um uns wissen. Ihnen ist bange vor der Sicherheit der Christen, und auch diese erfahren, daß es kein Geschenk der Glaubenssicherheit gibt. Das Christentum hat hier seinen Schauplatz nicht in irgendeiner Abseitigkeit. Es stellt sich den Vorbehalten und Gegnerschaften unserer Tage.

Hans Abich, Kirche und Film, Nr. 14, 15.7.1949


Auszüge aus einem Gespräch am 5.12.1990 in Hannover

Frage: Was hat Sie damals eigentlich am Thema des Films, das man heute ja als ökomenisch bezeichnen könnte, so angesprochen?

Abich: Das Drehbuch hat mir sehr gefallen. Es war dramaturgisch gelungen. Auch nicht-religiöse Zuschauer konnte sich den gefühlen, die der Film ansprach, schwer entziehen.

Frage: NACHTWACHE hatte in 19 Monaten 9 Mio. Besucher. Haben Sie diesen Erfolg irgendwie vorhersehen können? Wußten Sie, daß dies der Stoff der Zeit war?

Abich: Nein, aber wir müssen da ein Gefühl getroffen haben…

Frage: Für diesen Film ist der Begriff der „Heilung“ ein zentraler. Gilt dies auch schon für LIEBE 47, diese Annahme, daß es da kranke Seelen gibt, denen – vielleicht durch das gute Vorbild ä Heilung, Linderung, Hilfe verschafft werden soll?

Abich: Ja. Ich fühle mich da in einigen unserer frühen Gefühle ertappt. Ihre Beobachtung ist wohl richtig und gilt auch noch für spätere Filme, z.B. GELIEBTES LEBEN (1953).

 

 

Der Filmthematisiert den Sinnzweifel vieler durch den Krieg gezeichneter Menschen in den Nachkriegsjahren.

Die zeitgenössische Kritik lobt nach der Uraufüihrung am 27. Oktober 1949 vor allem die ökumenische Grundaussage des Films, sowie den Verzicht auf „Bekehrungstendenzen“ und eindeutige Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit.

NACHTWACHE ist ein überzeitlicher Zeitfilm. Sein Thema ist die ewige, bang hoffende, zweifelnde und oft verzweifelte Frage nach Gott. Aber diese ewige Frage erhebt sie aus der Not unserer Zeit.

Da ist eine junge Ärztin, der der Bombenkrieg ihr Kind genommen hat. Warum ließ Gott das zu? Wo war da noch ein Sinn zu erkennen, ein höheres Walten? Der Zweifel erfaßt sie, und als der Pfarrer Heger seinem Töchterchen vorsingt

„Dies Kind soll unverletzet sein“, geht sie hinaus. Da ist ihr einstiger Geliebter Stefan Gorgas, der Vater ihres toten Kindes. Kampfflieger im Krieg und jetzt Schauspieler geworden. Er kommt aus einer Welt der Zerstörung und des Zerstörens zurück, die sein Daseinselement gewesen war und nun aus seinem Herz und Hirn nicht weichen will. Ein Mann, den die Verzweiflung übermannt hat, der den Weg zu Gott nicht findet, weil er ihn nicht einmal suchen will. Und da sind endlich der evangelische Pfarrer und der katholische Priester, zwei Geistliche, die selber in ihrer Brust die Qual des Zweifels empfunden und dann erst die Gewißheit des Glaubens errungen haben.

Aber noch einmal wird der Glaube des Pfarrers vor die äußerste Prüfung gestellt, als ihm ein Unglück die kleine Tochter entreißt, indessen er in der Kirche den Segen Gottes erbittet. In der Stunde seiner tiefsten Glaubensnot hilft ihm die Aufgabe, Stefan Gorgas vor dem Schritt der letzten Verzweiflung zu bewahren. Indem er ihm hilft, hilft er sich selbst. Der Kaplan aber steht seinem evangelischen Amtsbruder zur Seite und hält mit ihm die Nachtwache im Dunkel der Zeit. Der christliche Glaube verbindet sie zu einer neuen Brüderlichkeit, die stärker ist als konfessionelle Unterschiede. (…)

Ein solches Thema zu wählen und aus einem solchen Geiste zu behandeln, ist avantgardistisch. Die Regie von Harald Braun ist es nicht. (…)

Gerd Schulte, Norddeutsche Zeitung, 22. 1 0. 19 49

Eine „platte Redseligkeit“ kennzeichne den Film, so Bandmann/Hembus 1985, etwas was die zeitgenössische Kritik – unverständlicher Weise – überwiegen honoriert hätte.

Nachtwache, unter dem Slogan »Der Film, zu dem man seinen liebsten Menschen mitnimmt« in die Kinos gebracht, war der größte deutsche Filmerfolg der Saison 1949/50 und einer der erfolgreichsten Nachkriegsfilme überhaupt. Er erfüllte eine ähnliche Funktion wie die dann folgenden Heimatfilme, und zwar mit den gleichen Mitteln: er begegnete der seelischen Heimatlosigkeit (der Verlust an Heimat als ein Verlust an Seele ist ein zentrales Motiv von Egon Günthers Feuchtwanger-Verfilmung EXIL von 1980) mit dem Balsam einer Beichte, die Vergebung von allem auch ohne Sündenbekenntnis und Buße gewährt: NACHTWACHE ist ein ökumenischer Heimatfilm. Harald Braun, der sich das alles ausgedacht und in Szene gesetzt hatte, war dank passender Ausbildung der geeignete Mann für diese Aufgabe: er stammte aus einem Pastorenhaushalt und kam aus besten Ufa-Schnulzenschule. Die platte Redseligkeit des Werkes wurde sogar von den meisten Kritikern honoriert; nur Karl Korn schrieb in der FAZ: »Nachtwachen werden schweigend gehalten! Die besten Sachen aber über die Nachtwache hat Hauptdarstellerin hat die Luise Ullrich geschrieben, in ihren überhaupt sehr scharfsinnigen und ehrlichen Memoiren Komm auf die Schaukel, Luise. Eindrücke vor den Dreharbeiten (Braun demütigte die mit einer Erfahrung von 25 Filmen, darunter LIEBELEI und Brauns eigene NORA, gesegnete Hauptdarstellerin, indem er ihr Probeaufnahmen aufzwang): »Die Lektüre (des Drehbuchs) fiel mir schwer. Das Thema schien mir problemüberladen, triefend von Sentimentalität und aufgeprfropftund angepfropft mit konstruierter Dramatik . . . Viele Personen des Buches hatten durch den Krieg und durch das erlebte Elend den Glauben an Gott verloren. Am Schluß sang ein Kinderchor: >Erhebet Eure Herzen, erhebet sie zum Herrn<, und alle wurden bekehrt. Wenn sie mir die Rolle nicht geben, dachte ich, dann ist es auch kein Unglück.« Abschließende Eindrücke nach den Dreharbeiten: »Der Ton, den Harald Braun für die Ärztin wollte, war nicht mein Ton . ..Er wollte sie sanft, mild, leise, wehmütig, und ich wollte ihr hinterrücks eine Spritze Lebenswillen und Selbstironie verpassen, und wenn Harald es nicht merkte, einen Hauch Humor, weil ich finde, die schrecklichsten Dinge im Leben kann man als intelligenter Mensch nur mit Humor ertragen. Wir mußten Vokabeln klären. Harald sagte: >Verstehen Sie doch, die Arztin ist vom Leben enttäuscht und desillusioniert., ich sagte: >Das stimmt, Sie haben recht.< Das muß man immer sagen, wenn man mit einem Regisseur verhandelt und seine eigene Meinung durchsetzen will. >Aber Enttäuschung heißt ja wörtlich das Ende einer Täuschung, ist also eigentlich positiv und der Anfang einer Wahrheit. Und Glück liegt dort, wo keine Illusionen mehr sind.< Harald Bäun war vollkommen anderer Ansicht. Er verstand überhaut nicht, daß man heiter enftäuscht sein und sicn von Illusionen angenehm befreit fühlen kann. Trotzdem ließ er mich die Rolle so spielen, wie ich sie eben mit meinen Möglichkeiten spielen konnte, Er mochte mich sehr, aber ich war nicht sein Typ. Sein Typ war Zarah Leander, er liebte und verehrte sie.>

aus: C. Bandmann/J. Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960. München 1980, S. 162/63

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