Premierenstadt Hannover

Im Frühjahr 1948 begann mit der Wiedereröffnung des Palast-Theaters in der Bahnhofstraße ein neuer Abschnitt der hannoverschen Kinogeschichte, die Zeit der häufigeren Uraufführungen. Den Anfang machte am 21.2.1948 FILM OHNE TITEL, das Regie-Debüt des Hannoveraners Rudolf Jugert. FILM OHNE TITEL ist eine Komödie, über die Jugert sagte: „Was wir … wollten, war auf neuen filmischen Wegen echte Gestaltung unseres erlebten Schicksals, jenseits alles nur niederdrückenden Nur-Hässlichen, jeder billigen Schwarzweißmalerei. Wir wollen überwinden helfen, nicht durch frivoles Lachen – ein Lächeln soll es sein, das erneut an die Menschen heranzutragen, zu wecken ist. Darum in ernster Zeit eine Komödie.“

Schon im April 1948 folgte die nächste Uraufführung im Palast-Theater, WEGE IM ZWIELICHT (Regie: Gustav Fröhlich), eine tragische Geschichte, die in der Nachkriegszeit spielt. Die Kritik sah „die Stärke des Films in der Wahrheit seines Themas“, während er beim Publikum nur wenig Anklang fand.

Eine weitere deutsche Produktion der Nachkriegszeit, MORITURI (1948, Regie: Eugen York), die im September 1948 in Hannover anlief, löste sogar Proteste der Zuschauer im Kino aus, wie die Frankfurter Abendpost, jedoch keine der hannoverschen Zeitungen berichtete. Das Publikum hatte durch „Pfeifen, Johlen und Verlassen während der Vorstellung“ erreicht, dass das Palast-Theater den Film nach wenigen Tagen absetzte. MORITURI erzählt die Geschichte einer Gruppe von KZ-Häftlingen, denen die Flucht gelingt zu einem Versteck, in dem schon andere Verfolgte ausharren, in ständiger Gefahr, von den Deutschen entdeckt zu werden. Gerettet werden sie durch die Verschiebung der deutsch-sowjetischen Front. MORITURI versucht, die Geschichte aller Opfer des Nationalsozialismus zu vermitteln, unabhängig vom Motiv der Verfolgung.

Derartige Produktionen, die einen konkreten zeitgeschichtlichen oder politischen Bezug hatten, verfehlten aber zunehmend ihre Wirkung beim Publikum, das „leichte“ Unterhaltungsware vorzog. Dazu beigetragen hatte nicht zuletzt die veränderte politische Lage des Jahres 1948: Währungsreform und zunehmende Ost-West-Spannungen, die einen ersten Höhepunkt in der im Juni beginnenden Berliner Blockade fanden, wiesen den Deutschen zum einen eine neue Rolle als Verbündete der West-Alliierten zu, zum anderen schien durch die beginnende wirtschaftliche Besserung die Vergangenheit „überwunden“.

Als weiteres Beispiel für den veränderten Publikumsgeschmack in Hannover kann die Aufführung des ersten deutschen Nachkriegsfilms überhaupt, der DEFA-Produktion DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946, Regie: Wolfgang Staudte) gelten, der am 4.9.1948 im Palast-Theater aufgeführt wurde. Die Hannoversche Presse berichtete in ihrer Ausgabe vom 11.9.1948:

Ja, – sagen manche Leute, die zum Palast-Theater kommen, wo der vor zwei Jahren in Berlin uraufgeführte DEFA-Film Die Mörder sind unter uns läuft – das mag alles richtig sein, was uns da vor Ruinen und Sirenenhintergründen nochmals wiedergekaut wird; aber seit der Entstehung dieses Films sind Jahre in die Zonen gezogen, die die Situation grundlegend verändert haben. […] Die Reihe der Zuschauer, die am Freitagabend protestierend das Theater verließ, beweist sehr genau, dass der Film unsere geistige Situation widerspiegelt; man sieht nun mal nicht gern in einen so nackten und scharfen Spiegel, sondern setzt lieber eine rosarote Brille auf.

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS erzählt die Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der die Vergangenheit bewältigen möchte. Der Film liefert eine Bestandsaufnahme des materiellen und moralischen Trümmerfeldes, das die NS-Zeit hinterlassen hat und stellt die Frage nach der individuellen Schuld.

Eine derartige Konfrontation aber führte 1948 zur Ablehnung durch das Publikum, dessen Interesse offenbar zunehmend bestimmt war vom wirtschaftlichen Aufschwung und Wiederaufbau, weniger jedoch der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit galt.

Mit Beginn des Jahres 1949 wurde dem Wunsch der Zuschauer nach Unterhaltung zunehmend Rechnung getragen, der Film wurde mehr und mehr zum ausschließlich kommerziellen Produkt. Die Kinos zeigten überwiegend unterhaltende Spielfilme, in deren Zentrum die Entwicklung privater Beziehungen und Schicksale stand, während Zeitnähe und Lebensbedingungen thematisch fast keine Rolle mehr spielten.

Nach der Wiedereröffnung der Weltspiele am 24.3.1949 begann mit dem am 8.4.1949 uraufgeführten Film VERFÜHRTE HÄNDE (1949, Regie: Fritz Kirchhoff) eine lange Reihe von Uraufführungen, die Hannover in den fünfziger Jahren zu einer wichtigen „Stadt der Premieren“ machte.

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