Entwicklung der Lichtspieltheater von den Anfängen bis in die Nachkriegszeit

Peter Struck (2023)

Saal im späteren Gloria, o.J. (© Filmstitut Hannover)

Das Medium Film beginnt seinen Siegeszug 1895 in äußerst bescheidenen Räumlichkeiten. Das sensationelle Ereignis bannt den Blick auf die Leinwand und lässt die Zuschauer ihre Umgebung vergessen, die harten Stühle und die schlechte Luft. Auf die Gestaltung des Innenraumes verwendet man deshalb zunächst keine große Mühe. Innerhalb von zwei Jahrzehnten führt die Entwicklung des Kinos von Schaustellerbuden und Zelten auf Jahrmärkten und Schützenfesten über Hinterzimmer und ausgeräumte Ladenlokale, den »Kintopps«, bis zu den ersten »reinen« Lichtspieltheatern, die nicht selten in ehemalige Tanz- oder Konzertsäle einziehen. Anfangs benötigt die Kirmes-Attraktion des Kinos noch die vertraute Sphäre der Gaststätten, Kneipen und Varietés, und so etablieren sich kuriose Übergangsformen wie »Stehbierhallen« und »Kinematographenrestaurants«, in Hannover vor allem am Ernst-August-Platz. Ehemalige Gaststättensäle und ausgediente Varietébühnen werden zunehmend für den Kinobetrieb umgerüstet, an den baulichen Gegebenheiten wird dabei meist wenig verändert.

Universum-Saal o.J. (© Filminstitut Hannover

In dieser Frühzeit des Films entsteht aus einer Jahrmarktsattraktion allmählich eine selbstständige Kunstgattung mit eigener Ästhetik. Als sich das Kino schließlich immer mehr zu einer ernst zu nehmenden Wirtschaftsbranche entwickelt, wandelt sich das eher beiläufige Alltagsvergnügen schnell zu einem festlichen Ereignis. Bald werden für den Film repräsentative Häuser konzipiert, die den Erfordernissen des neuen Mediums gerecht werden können. Prunkvoll ausgestattete Säle sollen den Film nobilitieren und als seriöse Kunstform legitimieren. Als Vorbild für den Bautyp der Filmpaläste dient bald die verwandte Bauaufgabe des Theaters. Mit einem Raumprogramm aus Foyer, Umgängen, Erfrischungsräumen und der etablierten Aufteilung des Saals in Parkett und Rang lehnen sich die ersten großen Lichtspielhäuser nun deutlich an die Gestaltung der Schauspielhäuser an und übernehmen dabei selbst Ausstattungselemente wie den Bühnenrahmen. Nicht ohne Grund bezeichnet man das Kino anfangs als »Lichtspiel-Theater« oder als »Theater lebender Bilder«.

Kinosaal der Kammer-Lichtspiele 1928 (© Stadtbibliothek Hannover)

In den zwanziger Jahren wendet sich die Kinoarchitektur in der Fassadengestaltung und der Konzeption des Zuschauerraumes immer mehr von der verwandten Bauaufgabe des Theaters ab und der funktionalen Architektur des Neuen Bauens zu. In Berlin, das vor dem Zweiten Weltkrieg fast 400 Kinos zählt, darunter allein etwa 40 Häuser mit 1.000 bis 2.500 Plätzen, wird damals ein neuer Bautypus entwickelt, der quantitativ wie qualitativ den Zenit der Baugattung Kino darstellt und als »Licht-Architektur« völlig neue Maßstäbe setzt. Das künstliche Licht ist ein Wesensmerkmal und architektonischer Bestandteil des Kinos. Und so ist das »Lichtspieltheater«, anders als das Theater, ein Kind des Elektrizitätszeitalters: eine Architektur für die Nacht, die ihren Glanz erst in der Dunkelheit entfaltet. Das Lichtspiel der Projektion beginnt bereits auf der Straße, der »Zauber des elektischen Lichts, der im Kino-Saal die Bilder entstehen lässt, kündigt sich als Versprechen schon auf dem Trottoir an« (Lachenmeier/Jehle, S. 9).

Capitiol 1933

Doch nur wenige Kinos sind als freistehende Bauwerke konzipiert haben eine prägnante äußere Gestalt, da sich die baukünstlerische Qualität eines Filmtheaters vornehmlich nach innen richtet. Stattdessen bildet sich im Laufe der Zeit ein eigenständiger Typ des Kinosaals mit plastisch fließender Raumwirkung heraus. Stufenlos regelbare Lichtinszenierungen lösen die herkömmlichen Wand- und Deckenbeleuchtungen ab, dynamische Lichtbänder führen auf die Bildwand zu. Im Fokus steht jetzt nicht mehr die Repräsentation nach dem Vorbild des Theaters, sondern die Inszenierung des Kinosaales, die atmosphärische Beleuchtung, die Gestaltung eines Erlebnisraumes, der mit zum Filmerlebnis beitragen soll.

Und so ist das Kino gleichsam ein Synonym für »Licht, viel Licht in der Innen- und Außenarchitektur, innen zur Einstimmung auf das Filmgeschehen, außen als Lockung und Werbung […] im Verein mit den riesenhaften bunt-bizarren Reklametafeln« (Baacke, S. 9). Ein »dekorierter Schuppen« ist das Kino seit Beginn, als einfache Schaubuden oder Zelte mit einer beleuchteten und dekorativ bemalten Schaufassade ihr Publikum anlocken. »Etwas von diesem provisorischen Charakter, etwas von der Jugend des ganzen Kunstzweiges haben auch die letzten und vollkommensten Bauten beibehalten. Ja, es kann beinahe als ästhetischer Grundsatz aufgestellt werden, daß die Gestaltung des Kinos irgendwie schaubudenhaft, plakatartig und bizarr sein muß« (Zucker/Stindt 1931, S. 10, vgl. Baacke, S. 4).

Nachdem das Kino sesshaft geworden ist und sich als baukünstlerische Gattung auch stilistisch emanzipiert hat, verändert das Aufkommen des Tonfilms um 1930 noch einmal die Konzeption des Zuschauerraumes: Die Akustik wird jetzt zum wesentlichen Bestandteil der Raumkonzeption und Innenausstattung. Neue Baustoffe für Wand- und Deckenverkleidungen dämpfen den Schall, schließlich wird der Saal selbst nach den Gesetzen der Raumakustik geformt. Als günstig erweist sich eine rechteckige Raumform mit abgerundeten Kanten oder ein konisch konzipierter Raum, der sich leicht nach hinten erweitert.

Zusacherraum im Capitol 1930 (© Foto: Stadtbibliothek Hannover)

Diese Art der Gestaltung funktioniert bis zum Aufkommen des Stereotons in den fünfziger Jahren. Für ein besseres räumliches Hörerlebnis müssen die Saalwände jetzt mit stark gegliederten Oberflächen verkleidet werden, für die Decke verwendet man aus Brandschutzgründen Akustikplatten, die oft in Form von Schachbrett- oder Rautenmustern strukturiert sind. Auch die Wandverkleidung aus Folie wird meist rautenförmig über einer Füllung aus Glaswolle abgesteppt. Dazu verwendet man gern den neuen Markenartikel »Acella«, den die Firma Benecke in Hannover-Vinnhorst auf den Markt bringt – eine Kunststofffolie aus Weich-PVC, mit der nahezu alle Objekte bespannt werden können. Auch die Kinosessel werden damit bezogen. Acella gehört zu den Materialien, die die fünfziger Jahre richtig schön bunt machen. Ungewöhnliche Farbkombinationen und bisweilen eigenwillige Farbakkorde empfangen den Kinobesucher mit »einer beschwingten Heiterkeit und anziehenden Frische« (Prospekt des Herstellers).

Jedes Kino verfügt dabei über einen eigenen »Farbcode«, der jedoch mit den Jahren wechseln kann. Dabei lässt sich eine Vorliebe für drei Farbgruppen feststellen: eine Verbindung der Farbtöne Blau und Gold (Europa-Palast, Gloria-Palast, Luna-Lichtspiele), ein Farbdreiklang aus Rot, Beige und Gold (Central am Steintor, Posthorn-Lichtspiele, Rex am Steintor) und schließlich eine Palette aus Naturtönen von Braun, Grün und (Ocker-)Gelb (Theater am Kröpcke, Ring-Theater, Savoy-Theater) in Kombination mit Rot (Camera-Lichtspiele) und Gold (Park-Lichtspiele) oder Rot und Silber (Grenzburg-Lichtspiele) oder Grau und Gold (Esplanade-Lichtspiele). Nur wenige Theater wagen die Begegnung von Dunkelbraun und Rot mit Schwarz-Grau und Türkis (Rivoli-Lichtspiele), die Vermählung von Dunkelbraun und Orange mit Dunkelblau und Weiß-Gold (Metropol-Theater) oder den Flirt von Schwarz, Gelb und Blau vor grellbunt gemusterten Wänden (City-Theater).

Weltspiele Blick vom Balkon 1938 (© Foto: Wilhelm Hauschild)

Ein Relikt aus der Zeit, als das Kino das Theater beerbte, hat sich dabei bis heute erhalten: der Vorhang. »Seine Funktion im Theater: den Bühneraum, das Bühnengeschehen vom Zuschauerraum abzugrenzen, war im Kino überflüssig. Das Filmbild erschien erst mit Beginn der Projektion. Offenbar um die Spannung, die allgemeine Unruhe vor jedem Film dirigieren und konzentrieren zu können, behielt man den aus der Theatertradition stammenden Vorhang auch im Kino bei« (Baacke, S. 42). Anders verfährt man schließlich mit der Bühne und ihrem Rahmen: Als das Fernsehen in ernsthafte Konkurrenz zum Kino tritt, reagiert die Filmproduktion mit neuen kinotechnischen Attraktionen wie dem Mehrkanal-Magnetton, dem 3-D-Film und der Projektion auf eine leicht gekrümmte Breitwand (Cinemascope). So rüstet auch Deutschland ab 1953 auf das Cinemascope-Verfahren um, und eine Umbauwelle erfasst die deutsche Kinolandschaft. Der obligatorische Bühnenrahmen weicht nun einer vergrößerten Bildwandfläche, die meist die komplette Breite der Stirnseite einnimmt.

Mit dem Wegfall des Bühnenrahmens verschwindet erstmals die optische Begrenzung des Raumes nach vorn: »Der traditionelle, dem Theaterbau entlehnte Bühnenrahmen hatte den Zuschauerraum von dem Geschehen auf der Bildwand abgetrennt. Wie bei der Guckkastenbühne blickte der Kinobesucher vom Diesseits durch den Rahmen in die jenseitige Welt des Films. Mit dem Wegfall des Rahmens und der Vereinnahmung der Stirnseite durch die Projektionsfläche wurde diese distanzierte Weise des Sehens aufgehoben.« Eine konkav gebogene Leinwand macht den Zuschauersaal zum plastischen »Illusionsraum«, der das Publikum geradezu in das Filmgeschehen hineinziehen soll. »Der Zuschauer sollte nicht mehr nur in eine imaginäre Filmwelt hinausschauen, sondern er sollte sich fühlen, als sei er völlig von ihr umgeben« (Klein-Wiele, S. 117/118).

Auch in Hannover werden die in den ersten Nachkriegsjahren (wieder-)errichteten größeren Kinos bis Mitte der fünfziger Jahre auf das Cinemascope-Verfahren umgerüstet, ab 1953 werden die Neubauten bereits von vornherein mit einer Breitwand ausgestattet. Nach 1955 lassen die Umstellungen auf Cinemascope schlagartig nach.

1959 installiert lediglich der Gloria-Palast eine »Cinemiracle«-Großleinwand für die Aufführung der großen Breitwand-Epen. In den Glanzzeiten des Gloria-Palasts erreichen WINDJAMMER oder DOKTOR SCHIWAGO Laufzeiten von ein bis zwei Jahren: WINDJAMMER läuft ab 18.12.1959 im Gloria. Zwei Jahre später, am 21.12.1961, heißt es in einer Annonce in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: »49. Woche: Die letzten 3 Spielwochen eines Riesenerfolges in Hannover«. Der wird nur noch von DR. SCHIWAGO übertroffen, der Mitte März 1967 im Gloria anläuft. Am 14.3.1969 vermeldet eine Annonce in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: »105. Woche. Wir gehen in’s 3. Jahr! 2 Jahre – 24 Monate – 104 Wochen – 730 Tage – 1458 Vorstellungen – ununterbrochene Laufzeit! Über 1/4 Million Besucher unseres Theaters sahen diesen Welterfolgsfilm. Dr. Schiwago, der grösste Film der Welt, auf unserer Riesenleinwand.«

Gloria 1967 (© Foto: Wilhelm Hauschild)

In den wenigsten Fällen führen die Umrüstungen jedoch zu optimalen Bedingungen für das neue Verfahren, weil meist nur die Leinwand vergrößert wird, ohne dabei ein wirklich räumliches Erlebnis zu erzielen. Ein Beispiel für die konsequente Umrüstung auf Cinemascope bildet der Gloria-Palast, Beispiel für einen entsprechend konzipierten Neubau sind die Rivoli-Lichtspiele: das letzte große Kino, das im hannoverschen Kino-Boom errichtet wird, und gleichzeitig Hannovers modernstes Nachkriegstheater mit einer Spezial-Weitwand nach dem »Todd-AO-Verfahren«, die mit einem Radius von 128 Grad dem Blickwinkel des menschlichen Auges entspricht. »Hier nimmt die Bildfläche in einem parabolischen Bogen die gesamte offene Vorderwand des Theaters ein. Mit einer Breite von 16,60 Meter und einer Höhe von 7,80 Meter versetzt das belebte Bild den Besucher in die Zone der vollkommenen Illusion.«

Grundlagen

Die Beiträge zur hannoverschen Kinogeschichte sind auf der Grundlage folgender Arbeiten erstellt worden:

Lichstpielträume. Kino in Hannover 1896-1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991

Deac Russel: „Lebende Bilder“. Die Chronophotographen Ottomar Anschütz und Ernst Kohlrausch. In: Wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen. Hrsg von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1995

Peter Struck: Premierenfieber.Die hannoversche Kinokultur der fünfziger Jahre, Hannover 2022

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