Ökonomische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland

Im Zweiten Weltkrieg war die deutsche Wirtschaft, trotz aller Schäden, nicht in ihrer Substanz vernichtet worden. Weniger die Industriebetriebe als vielmehr das Transport- und Verkehrsnetz sowie vor allem die Wohngebiete in den großen Städten waren getroffen. Der Anlagepark der deutschen Industrie war nach dem Krieg größer als vorher. Es musst nicht von „Null“ aufgebaut werden.[1]

Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen nach Kriegsende waren somit trotz Kriegszerstörungen, Demontage- und Reparationslasten sowie der wirtschaftlichen Teilung des Landes erstaunlich gut. Bei unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konzepten (im weiten Spektrum zwischen Liberalismus, Keynesianismus, Gemein- und Planwirtschaft) und unterschiedlichen materiellen Rahmenbedingungen kam bereits im „Entscheidungsjahr 1947“ in allen vier Besatzungszonen ein nachhaltiger Wiederaufbau in Gang. Der Übergang zu anhaltendem und schnellem Wachstum gelang im Wesentlichen ohne Hilfe von außen.[2]

Die weitere wirtschaftliche Entwicklung wurden durch eine Reihe wirtschaftspolitischer Entscheidungen unterstützt, u.a. der sog. Marshall-Plan und die Währungsreform. Sie alle zeigten auf, dass die Westalliierten an einer grundlegenden Änderung der Wirtschaftsverfassung nicht interessiert, dagegen jedoch bestrebt waren, die Wirtschaft in der hergebrachten Weise zu reorganisieren. Die vorhandenen Eigentumsstrukturen wurden nicht angetastet. Die Sozialisierung der Grundstoffindustrie und der Großbanken wurde zwar diskutiert, niemals aber ernstlich umzusetzen versucht. Die Demokratisierung in den Betrieben kam nie über Ansätze hinweg, die lediglich an die Regelungen der Betriebsverfassungen aus der Weimarer Republik anknüpften, ohne die Mitbestimmung der Lohnabhängigen auszuweiten.[3]


Anmerkungen

[1] Die Bilder von der Zerstörungen der deutschen Innenstädte haben  sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt – bis heute. Die Bilder in den Wochenschauen haben dazu wesentlich beigetragen, „aber man hätte nur die Kamera um 180 Grad drehen müssen und Bilder von wenig zerstörten Vorstädten eingefangen.“ Aussagen des Wirtschaftshistorikers Albrecht Ritschl im Film „Unser Wirtschaftswunder –  Die wahre Geschichte“
[2] Vgl. Abelshauser (1981)
[3] Huster u.a. (1972)


Literatur

  • Abelshauser, Werner: Wunder gibt es immer wieder. Mythos Wirtschaftswunder, in: Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de. 29.06.2018 [abgerufen: 06.03.2022]
  • Abelshauser, Werner: Deutsche Wirtschaftsgeschichte Von 1945 bis in die Gegenwart. 2. vollständig überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auflage. C.H. Beck Verlag, München 2011
  • Abelshauser, Werner: Wiederaufbau vor dem Marshall-Plan. Westeuropas Wachstumschancen und die Wirtschaftsordnungspolitik in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ), Jahrgang 29 (1981) Heft 4, S. 545 – 578
  • Altvater, Elmar/Hoffmann, Jürgen/Semmler, Willi (1980): Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise. Ökonomie und Politik in der Bundesrepublik, Band 1, Berlin 1980
  • Benz, Wolfgang: Wirtschaftsentwicklung von 1945 bis 1949. [13.7.2005]
  • Huster, Ernst-Ulrich/Kraiker, Gerhard/Scherer, Burkhard/Schlotmann, Friedrich Karl/Welteke, Marianne: Determinanten der westdeutschen Restauration 1945 – 1949, Frankfurt/M. 1972
  • Trabant, Franz Josef: Der wirtschaftliche Wiederaufbau und seine Westorientierung. In: Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Jahre der Entscheidung 1945-1949. Hrsg. v. d. Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1989, S. 121-166

Ökonomische Entwicklung 1945 – 1949

Ende der vierziger Jahre und zu Beginn der Bundesrepublik ergibt sich daher grob umrissen folgendes Bild:

  1. Das westdeutsche Bürgertum hat gezeigt, daß die militärische Niederlage keineswegs die politische und ökonomische Niederlage impliziert. Die faschistische Form bürgerlicher Herrschaft war zerschlagen, keineswegs aber das ihr zugrundeliegende Produktionsverhältnis.
  2. Die Neuordnungsvorstellungen der Organisationen der Arbeiterklasse waren vor allem am Widerstand der US-Besatzungsmacht gescheitert; Westdeutschland wurde zur Speerspitze des Antikommunismus.
  3. Das Kapital konnte schon bald nach Kriegsende unter günstigen Produktionsbedingungen von Profit produzieren und akkumulieren und so seine Herrschaft im unmittelbaren Produktionsprozeß (mit Hilfe der Besatzungsbehörden) sichern. Das Kapitalverhältnis war längst wiederhergestellt, bevor die politische Form der bürgerlichen Herrschaft in der BRD mit dem formellen Akt der Verabschiedung des Grundgesetzes installiert wurde. Insofern blieb denn auch die Optionsmöglichkeit im Grundgesetz zugunsten von Sozialisierungen hohle Phrase.
  4. Währungsreform und Marshall-Plan-Hilfe beförderten den bereits in Gang gesetzten Akkumulationszyklus, waren aber nicht die Ursache des schnellen Wiederaufschwungs. Sie schufen in der Wiederherstellung der Basis der Geldzirkulation und der Beseitigung von Engpässen in der Rohstoffversorgung günstige Bedingungen für die weitere Akkumulation. Zugleich zementierte die Währungsreform mit der Entschuldung und der Begünstigung der Besitzer von Sachvermögen die Herrschaft des Kapitals.

So nimmt es nicht wunder, daß das im Faschismus terroristisch erpreßte hohe Niveau der Ausbeutung zunächst erhalten und sogar noch gesteigert werden konnte. Aufgrund der geschwächten und politisch entrechteten Arbeiterklasse sowie infolge der hohen Zahl von Arbeitslosen konnte das Kapital zu niedrigen Lohnkosten produzieren. Nach der Währungsreform bleibt der Lohnstopp bis Ende des Jahres 1948 bestehen, während der Preisstopp sofort aufgehoben wird. Und die niedrigen Löhne bleiben bis weit in die Phase der Bundesrepublik dem Kapital erhalten: So kommen – je nach Berechnungsmethode – verschiedene Untersuchungen über die Lage der Arbeiterklasse zu dem Ergebnis, daß das Reallohnniveau der westdeutschen Arbeiter erst 1950 (so Wallich 1955,78 ff.) bzw. erst 1956 (Kuczynski 1963,386) das Niveau von 1938 erreichte. Hält man sich vor Augen, daß die Reallöhne von 1938 noch unter dem vor der Weltwirtschaftskrise erreichten Niveau lagen, dann wird deutlich, wie groß die Niederlage der Arbeiterklasse tatsächlich gewesen ist und auf welche günstigen Verhältnisse das westdeutsche Kapital nach dem Zweiten Weltkrieg bei Wiederaufnahme der Produktion traf.


Auszug aus: Altvater/Hoffmann/Semmler: a.a.O., Bd. 1., S. 82/83


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