Der Marshallplan – Wiederaufbauprogramm, Propagandakampagne und Mythos

Zwei aktuelle Beiträge – zwei Sichtweisen

Die beiden hier gegenübergestellten Beiträge stammen aus zwei sehr unterschiedlichen Welten. „Der große ’sensationelle‘ Marshallplan“ ist ein Beitrag aus dem Internetportal finanzmarktwelt.de, eine sicher nicht wirtschaftskritisches Portal. Der Reaktionsbeitrag ist von Menschen geschrieben, die aus dem Bereich der Fianzwirtschaft stammen un dihre Ertfahrungen im Börsen und Bankengeschäft gemacht haben.

Der Beitrag „Die westlichen Alliierten kurbeln den deutschen Außenhanedel an“ stammt vom Bildungsportal Planet Wissen und ist von der Journalistin Beate Krol verfasst.

Die ARD hat Anfang der Woche eine höchst interessante Dokumentation über den Marshallplan ausgestrahlt. Bevor wir damit beginnen, nochmal vorab ein Kommentar zur ARD. Ja, wir „Kleingeistigen“ bei FMW kritisieren regelmäßig den Rundfunkbeitrag und die Sinnhaftigkeit diverser Programminhalte der Öffentlich Rechtlichen. Aber wir haben nie behauptet, dass alle Inhalte der ARD Schrott sind. Eine Doku wie die über den Marshallplan ist äußerst wertvoll und hilft beim Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge enorm weiter!

Der große „sensationelle“ Marshallplan (2018)

Als vor einigen Jahren in Griechenland die Krise am Schlimmsten wütete, wurde unter anderem nach einem Marshallplan gerufen. Genau so wollen viele „Experten“ Regionen wie Afrika auf die Beine helfen. Gemeint ist damit ein Konjunkturprogramm, ein finanzieller Impuls von außen, damit eine Volkswirtschaft auf die Beine kommt.

Man denkt beim Wort „Marshallplan“ immer, dass die USA kurz nach dem 2. Weltkrieg große Geldsummen nach Europa überwiesen um hier die Konjunktur anzukurbeln. Das stimmt aber nicht. Die US-Regierung gab US-Landwirten Geld, damit sie vor allem ihre Überproduktion an Baumwolle und Tabak nach Europa verschifften (Großbritannien, Frankreich, Deutschland waren die Hauptnutznießer). Diese Waren kamen bei europäischen Verarbeitern an, die dafür ganz normal zum Beispiel in D-Mark bezahlen mussten. Sie bezahlten aber nicht an die US-Produzenten, sondern an die deutsche Staatsbank KfW. Die nahm das Geld und vergab damit Kredite, zum Beispiel für den Wohnungsbau in Deutschland. Die Doku zeigt eindeutig, dass das Volumen dieser Kredite und ihr Effekt auf den Aufschwung in Deutschland aber nur minimal war.

Und auch war der Marshallplan kein Geschenk, sondern ein Kredit der USA. Die Bundesregierung zahlte diesen Kredit in US-Dollar in vollem Umfang wieder an die USA zurück. Die Doku-Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Wirtschaftswunder in Deutschland möglich war, weil zum einen hunderttausende Besatzungssoldaten ihre harten Dollars in Westdeutschland verkonsumierten, und damit Nachfrage schufen. Und die industrielle Basis war in Deutschland vorhanden, um den Wiederaufbau in Europa mit neu produzierten Wirtschaftsgütern versorgen zu können.

Was die Doku übrigens nicht erwähnt hat: Anfang der 50er-Jahre tobte der Korea-Krieg. Die USA hatten nach dem 2. Weltkrieg ihre Rüstungsproduktion stark zurückgefahren, und stießen aufgrund des hohen Munitionsverbrauchs in Korea an ihre Kapazitätsgrenzen. Sie baten Deutschland in Windeseile Kapazitäten hochzufahren. So produzierten ehemalige deutsche Wehrmachtslieferanten zügig Munition in großem Umfang für die US-Streitkräfte – für den Korea-Krieg. Das war die Geburtsstunde der deutschen Rüstungsindustrie nach dem 2. Weltkrieg, was ebenfalls zum Aufschwung beitrug.

Darum würde der Marshallplan für Afrika nicht funktionieren

Wie die Autoren der ARD-Doku gut erläutern, haben beispielsweise die Briten mehr Unterstützung (Kredit) aus dem Marshallplan erhalten als die Deutschen. Dennoch waren die Bürger in Großbritannien noch deutlich länger auf Lebensmittelkarten angewiesen, wo in Deutschland schon die große „Fresswelle“ eingesetzt hatte. Der Grund war die breit vorhandene industrielle Basis sowie das Fachwissen der Arbeiter und Ingenieure.

Die deutsche Wirtschaft war zügig bereit das kaputte Europa mit neuen Maschinen zu versorgen, wo aber in Großbritannien zur selben Zeit keine vergleichbare breite industrielle Basis vorhanden war. In der Doku wird auch auf Versuche der Vereinten Nationen in den 50er-Jahren verwiesen einfach nur mit Geld Afrika auf die Beine zu helfen. Das Konzept verpuffte. Auch das klassische Modell des Marshallplans dürfte heutzutage in Afrika verpuffen.

Die Förderung einer Volkswirtschaft von außen kann eben nur dann etwas bringen, wenn diese Volkswirtschaft technologisch und vom Wissensstand her in der Lage ist Produktion aufzubauen. Deswegen wäre es wohl erstmal sinnvoller eine breit angelegte Bildungsoffensive in Afrika aufzulegen, bevor man auf die Idee kommt immer wieder einfach nur Geld zu überweisen.

Die Gründe für das deutsche Wirtschaftswunder

Was waren also die Gründe für das Wirtschaftswunder. Da war der Support für die deutsche Industrie durch die amerikanischen Anforderungen an Munition, dank des Korea-Kriegs. Und es gab die hunderttausenden Besatzungssoldaten, die hier harte Währung unter die Leute brachten. Darüber hinaus gab es den ausdrücklichen Wunsch der US-Regierung, dass die Staaten in Westeuropa untereinander freien Handel treiben. Da war letztlich auch die noch vorhandene industrielle Infrastruktur in Deutschland sowie das Fachwissen der Arbeiter. Und ja, da war auch in einem gewissen kleinen Umfang der indirekte Marshallplan-Effekt. Aber seine Wirkung wird heute massiv überbewertet. Wie die Doku gut zeigt, hat das auch mit dem damals großflächigen Marketing der Amerikaner zu tun. Das führte auch dazu, dass sich die Westdeutschen dem westlichen Bündnis zugehörig fühlen, und nicht Richtung Osten tendierten. Dieser Plan ging ja auch auf.

aus: https://finanzmarktwelt.de/die-wahrheit-ueber-den-sensationellen-marshallplan-86615/ (abgerufen: 07.09.2022]

Die westlichen Alliierten kurbeln den deutschen Außenhandel an (2019)

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen weite Teile Europas in Schutt und Asche, es fehlten Wohnungen, und die Menschen hatten nicht genug zu essen. Um die Verelendung zu stoppen, beschlossen die westlichen Alliierten, den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft zu fördern und den innereuropäischen Handel anzukurbeln. Davon profitierte auch das Land, das den Krieg angezettelt hatte: der zukünftige Exportweltmeister Deutschland.

Das Herzstück des Wiederaufbau-Programms war der US-amerikanische Marshall-Plan, der im April 1948 in Kraft trat. Die Bundesrepublik (anfangs die Regierungen der Westzonen) erhielt mit fast 1413 Millionen US-Dollar gut ein Zehntel der gesamten Fördersumme, wovon ein großer Teil über die Kreditanstalt für Wiederaufbau weiter an die Unternehmen floss.

Weil auch die anderen europäischen Staaten Geld aus dem Marshallplan bekamen und die USA die Länder zudem zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit verpflichtet hatten, entwickelte sich schnell ein europäischer Markt, über den auch die Bundesrepublik Waren bezog und lieferte.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die deutsche Industrie ausgerechnet auf diejenigen Produkte spezialisiert war, die Europa für den Wiederaufbau nach dem von Deutschland angezettelten Krieg dringend brauchte: Fahrzeuge für die Landwirtschaft, Maschinen, Elektronik, Autos und Stahl.

aus: Beate Krol: Wie Deutschland zur Exportnation wurde, planet Wissen (abgerufen: 07.09.2022]

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