… von Anilin bis Zwangsarbeit

Der Weg eines Monopols durch die Geschichte vom Kaiserreich bis ins Nachkriegsdeutschland

Vorwort der 2. Auflage – online Ausgabe

Nie wieder!
zur Geschichte der I.G. Farben und ihren Auftrag an eine kritische Wissenschaft

Schluss mit den Aktien des Todes ist auf Transparenten zu lesen und I.G. Farben auflösen
sofort! Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter werden vom Sicherheitspersonal
unsanft aus dem Saal geschoben, damit der einstige Weltkonzern und Betreiber des KZs Monowitz
(Auschwitz III) I.G. Farben in Ruhe einen neuen Aufsichtsrat wählen kann. Szenen der
Nachkriegsjahre? Keineswegs: Frankfurt am 18. Dezember 2002. Die Alliierten beschlossen bereits
1945 das Chemie-Kartell zu entflechten und das Restvermögen in die I.G. Farben i.A.
(Interessengemeinschaft Farben in Abwicklung) zu überführen. Doch mit deren Aktien wurde 2002
nach wie vor spekuliert, eine rasche Liquidation war ebenso ausgeblieben wie angemessene
Entschädigungszahlungen an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Damals riefen 16
Organisationen unter ihnen die Bundesfachtagung der Chemie-Fachschaften aus ganz
Deutschland zu Protesten gegen die Aktionärsversammlung auf. Die BuFaTa Chemie hatte das
Thema im Sommer 2002 einige Jahre nach dem Erscheinen des ersten I.G.-Farben-Readers wieder
aufgegriffen und einen neuen Arbeitskreis I.G. Farben gegründet, der sich dem Bündnis gegen die
Aktionärsversammlung der I.G. Farben i.A. anschloss und gleichzeitig begann, diese online-
Ausgabe des I.G.-Farben-Readers vorzubereiten. Während der Arbeit an diesem Reader meldete die
I.G. Farben i.A. im Jahr 2004 Insolvenz an. Das letzte Geld war verspekuliert. Die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gingen bis heute leer aus.


Chemie im Dienst von Krieg und Tod

Vor nunmehr über einem halben Jahrhundert nutzten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, um einen internationalen Krieg und die Ermordung von
hunderttausenden Menschen in Konzentrationslagern zu ermöglichen. Chemikerinnen und
Chemiker verdienten an Tod bringenden Waffen, an Medikamenten für sterbende Soldaten, an der
massenhaften Versklavung von Häftlingen und schließlich am Völkermord in den
Konzentrationslagern. Angeblich im Dienste der Wissenschaft wurden Häftlinge durch
medizinische Versuche zu Tode gequält. Im I.G.-Farben-eigenen KZ in Monowitz wurden Tausende
durch Arbeit vernichtet. Der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung wurde durch das Giftgas
Zyklon B perfektioniert. Die I.G. Farben war der größte Einzel-Financier der NSDAP. Schon der
Vier-Jahres-Plan von 1936, der Deutschland in vier Jahren kriegsfähig machen sollte, war unter
maßgeblicher Mitarbeit der I.G. Farben entstanden, durch seine Zusicherungen machte der Chemie-
Gigant den zweiten Weltkrieg überhaupt erst möglich.


In den Nürnberger Prozessen wurden 1947 nur 13 der 23 angeklagten I.G. Farben-Funktionäre zu
geringen Haftstrafen verurteilt Strafen, die jedem Hühnerdieb damals zur Freude gereicht
hätten, wie der Spiegel später kommentierte. Die Sorge galt schon damals weniger dem
antifaschistischen Auftrag als der Gunst der Industriellen. So befürchtete der amerikanische
Ankläger Jackson bereits im Oktober 1946, daß die „öffentliche Attacke gegen die Privatindustrie
und zu einer solchen wird es im Laufe der Prozesse kommen den Industriekartellen den Mut
nehmen könnte, weiterhin mit unserer Regierung im Rahmen der Rüstungsmaßnahmen, die im
Interesse unserer zukünftigen Verteidigung getroffen werden müssen, zusammenzuarbeiten.

Stets für den Profit

Die I.G. Farben, die 1925 aus einem Kartell von Chemiegiganten entstand (u.a. aus BASF, Bayer,

Hoechst) verdiente sowohl an der Kriegsführung Deutschlands als auch über internationale
Tochtergesellschaften an derjenigen Amerikas. Rund 80 Milliarden Euro wurden von
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Dritten Reich erwirtschaftet, gerade mal 50.000 Ende
der 50er Jahre als Entschädigung gezahlt. Spekulationen auf den I.G. Farben-Grundbesitz in
Ostdeutschland, die 1989 zu Jubelszenen in der Aktionärsversammlung führten, wurden erst nach
heftigen Protesten durch die Rechtsprechung zurückgewiesen. Weiter erhob der Konzern bis zu
seinem Ende Anspruch auf die Schweizer Holding Interhandel (vormals I.G. Chemie Basel), deren
Vermögen auf 2,2 Milliarden Euro geschätzt wurde. An Liquidatoren und Aufsichtsräte wurden
jährlich mehrere Hunderttausend Euro ausgezahlt. Das Vermögen der Liquidationsgesellschaft lag
Anfang der 90er Jahre noch bei etwa 50 Milliarden Euro. Die I.G. Farben-Nachfolge-Unternehmen
Bayer, BASF und Sanofi-Aventis (vormals Hoechst) sind heute jeder für sich größer und mächtiger
als das gesamte Kartell, welches sie einst ins Leben riefen.

Aufgaben an eine Wissenschaft des Friedens

Wissenschaftliche Erkenntnis kann als Aufkl
ärung die Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt
und damit für bessere Lebensbedingungen und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen
bilden. Unter der Hegemonie von Krieg und Profitmaximierung jedoch können sich
wissenschaftliche Erkenntnisse destruktiv sogar unmittelbar menschenvernichtend auswirken.
Es gehört zur Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ziele und
Anwendungen der eigenen Wissenschaft immer wieder kritisch zu hinterfragen. Dieser Blick über
den Tellerrand ist kein Luxus, sondern absolut notwendig. In Bezug auf sein eigenes Fach
formulierte Carl Friedrich von Weizsäcker: Politik ist die verdammte Pflicht des Physikers im
Atomzeitalter. In diesem Sinne ist der Einsatz für eine kritische Wissenschaft und ein kritisches
Studium auch eine Lehre aus Faschismus und Krieg und aus der Geschichte der I.G. Farben.
Zur online-Ausgabe des I.G.-Farben-Readers

Der Gedanke, diesen Reader neu aufzulegen, kam einigen am Thema Interessierten während der
Sommer-BuFaTa 2002 in Freiburg, als noch einige Exemplare der 1. Auflage im Fachschaftsraum
gefunden wurden. Über die Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde
gerade eine intensive öffentliche Diskussion geführt, während die I.G. Farben i.A. vor Gericht um
ein beträchtliches Vermögen der schweizerischen Bank UBS focht.

Die Frage nach der Vergangenheit der deutschen chemischen Industrie kam damit auf die
Tagesordnung der BuFaTa. Vielen damals anwesenden Fachschaftlerinnen und Fachschaftlern war
das Thema I.G. Farben gar kein Begriff mehr. Daher entschlossen sich einige, den I.G.-Farben-
Reader erneut aufzulegen und ihn um ein Kapitel zur Geschichte des Protestes gegen die I.G.
Farben i.A. zu erweitern. Um den Reader noch breiter zugänglich zu machen, entschied man sich,
diese online-Ausgabe zu produzieren. Es wurden für diese 2. Auflage außerdem kleinere Fehler der
1. Auflage korrigiert, die Darstellung der Quellen vereinheitlicht und zusätzlich das Kapitel 7.4 zur
Geschichte des Protestes gegen die I.G. Farben i.A. neu ergänzt.

Insbesondere der AStA der TFH Berlin griff dieses Thema auf und überarbeitete die mit der
1.Auflage des Readers entstandene Ausstellung zur Geschichte der I.G. Farben. Die
Wanderausstellung … von Anilin bis Zwangsarbeit soll einer breiten Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden und kann kostenlos bei der BuFaTa Chemie ausgeliehen werden.
Der Arbeitskreis I.G. Farben der Bundesfachtagung der Chemie-Fachschaften (2002-2007)
Jens, Denis, Sonja (Chemie-Fachschaften der Universitäten Münster, Freiburg und Hamburg)

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