Materialien zur Explosion bei der BASF in Ludwigshafen am 29. Juli 1948

Bericht aus dem „Spiegel“ über die Explosion in Ludwigshafen am 29. Juli 1948

Anilin
Ursache unbekannt

Spiegel 31/31.07.1948

Etwas müde ging der Arbeiter Ludwig Stephan um halb drei aus dem Doppelportal der Badischen Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen-Oppau. Es war unwahrscheinlich heiß. An der Haltestelle der Linie neun traf er die Kollegen, die gerade zur zweiten Schicht in das Werk gingen. Die Neun kam, und Ludwig Stephan überlegte, was er wohl noch alles schaffen könnte, wenn er in zehn Minuten zu Hause in Hermshof sein würde. Kurz hintereinander rumsten zwei Explosionen. „Die sprengen wohl mal wieder Bunker“, sagte er zum Schaffner.
Der konnte nicht einmal mehr nicken. Es gab einen fürchterlichen Schlag. Die Fensterscheiben des Wagens splitterten heraus, und die Leute flogen von den Bänken. Blitzartig war Ludwig Stephan klar, was passiert war: Im Werk war etwas explodiert. Für Sekunden hielt er zusammen mit 100.000 Ludwigshafenern die Luft an. Und dann rannte er, was er konnte, zum Rhein.
Schreiende Menschen liefen wie er gehetzt die scherbenklirrenden Straßen entlang, an gähnenden Türen und hängenden Fensterrahmen vorbei, rüttelten an den Türen von verschlossenen Luftschutzbunkern und stolperten durch Hilfeschreie und Sirenengeheul der Holzbrücke über den Rhein nach Mannheim zu. Zwei unheimliche […] schwarze Rauchsäulen verdunkelten die Sonne.
Mitten im Werkgelände der Badischen Anilin- und Sodafabrik, einem Werk der IG Farben, das sich mit 18 Betonhallen 14 Kilometer lang am Ludwighafener Rheinufer hinzieht, hatte der vierstöckige Block 14 gelegen. Die 21.000 „Aniliner“ – so wurden die Arbeiter genannt – hatten sich schon länger den Kopf zerbrochen, was ihre 200 Kollegen in Block 14 wohl machten. Die Franzosen hatten das Haus seit einiger Zeit scharf bewacht, und keiner verriet, was im Bau vorging.
Bis die Zeiger der Uhr am Fabrikportal am Mittwoch auf 15 Uhr 44 gekrochen waren: Da gab es den Schlag, der aus 100 Gebäuden rund um den Block 14 einen unwahrscheinlichen Trümmerhaufen machte.
Ätzender, atembeklemmender Gasgeruch liegt über dem Ganzen. Die deutschen Feuerwehrleute müssen sich ihre Gasmasken überstülpen.
In den amerikanischen MP-Stationen und Pionierkasernen in Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe wird Alarm gepfiffen. GIs in Drillichzeug und Feldausrüstung mit Gasmaske kommen den Rettungsmannschaften mit schwerer Ausrüstung zur Hilfe.
Blutende, von Farben und Säuren blaurot gefärbte gespensterhafte Gestalten wanken aus den Trümmern der Indigo- und Anilinstraße. Unter dem zentnerschweren Dampfkessel liegt ein Arbeiter bei vollem Bewußtsein eingeklemmt. Er wird in stundenlanger Arbeit losgeschweißt.
[…] Am Haupteingang stehen die verzweifelten Angehörigen. Lautsprecher dirigieren die vor den Toren aufgefahrenen Rettungswagen und Mannschaften. „Es wird sofort ein kleiner Krankenwagen benötigt.“ Es werden viele Krankenwagen benötigt. Ein amerikanischer Kaplan zeichnet ein Kreuz auf die Stirnen der verstümmelten, verbrannten Körper. Ein Sergeant hält ihm das Gebetbuch. Tragbahren mit kleinen weißen Zetteln: „Name unbekannt, gefunden vor Bau D 200.“
[…] Deutsche, Amerikaner und Franzosen stapfen durch die violette Brühe auf dem Innenhof. Arbeiter sind mit Armen und Beinen unter riesigen Trümmern eingeklemmt. Mit Schneidbrennern werden sie losgeschweißt oder amputiert.
[…] In der Nacht drängen sich Presseleute in den mit Ölfunzeln spärlich beleuchteten Büro des Hauptverwaltungsgebäudes. „Wir können Ihnen auch nichts sagen.“ Nicht, wieviel Tote noch unter den Trümmern verkohlen, und nicht, was eigentlich explodiert ist. Warum das Giftgas über dem Schutt herumkroch, will auch keiner wissen. Die einen reden von Phosgen, das in der Fabrik lagerte, und die anderen wollen etwas von Chlor und Kohlenstoff wissen, der sich mit dem Luft-Sauerstoff zu dem Grünkreuz-Gas gemischt hat.
Die Franzosen sagen gar nichts, und erst als „Neues Deutschland“ und „Tägliche Rundschau“ aus Berlin von hochexplosiven Treibstoffen für V-2-Geschosse schrieben, dementierte der Quai d’Orsay, daß Explosiv- und Treibstoffe in der Badischen Anilin- und Sodafabrik hergestellt wurden.
Die Aniliner wissen meistens selber gar nicht, was sie eigentlich fabrizieren. Wie es aber zu einer derartigen Explosion kommen konnte, ist selbst ihren deutschen Chemikern schleierhaft.
Von den 50 Prozent der Fabrik, die die 104 Luftangriffe auf Ludwigshafen übrig gelassen hatten, sind nun mindestens weitere 15 Prozent zerstört. Die Stickstoffproduktion in den nicht getroffenen Werksteilen ist aber am Donnerstag wieder angelaufen.
Schritt für Schritt dringen die Spezialgruppen mit Schweißgeräten in den Block 14 vor. Es sieht aus, als ob er von einer Bombe allerschwersten Kalibers getroffen sei. Berge von 30 bis 40 Särgen haben die Trupps bei sich. Hoch in der Luft im Geländer einer heraus gesprengten Eisentreppe hängen verkohlte Leichen.
Die Toten werden auf den nahen Friedhof gebracht. Es ist eine unübersehbare Reihe.
Große Plakate im Werk kündeten für Donnerstag eine Versammlung an: „Was wird aus der Anilin?“ 50 Prozent des Werkes sollen demontiert werden.

Anilin. Ursache unbekannt. In: Der Spiegel, 31.07.1948


Sekunden vor der Katastrophe

Spiegel 35/28.08.1948

In Ludwigshafen (vgl. Spiegel 31/48 „Anilin“ stand über der Badischen Anilin- und Sodafabrik eine 300 Meter hohe weiße Wolke. Es war Dimethyl-Aether, der aus einem Kesselwagen vor Bau 14 auf ungeklärte Weise entwichen war. Wenn die Explosion von V-2_Treibstoffen ausgegangen wäre, hätte es nach Ansicht von Fachleuten eine schwarze wolke gegeben. – Das Photo ist ein bisher unveröffentlichtes Amateurbild des Anilinarbeiters Doetter. Er hatte die Kamera bereit, um seine kleine Tochter auf der <spielwiese am Willersinn-Weiher (2 km vom Werk) zu photogrphieren. einige Sekunden nach der AUfnahme explodierte die Dimethyl-Aether-Wolke durch die Reibung mit der Luft.



Informationen und Materialien zur Geschichte der IG Farben

Der 28. Juli 1948. Explosionsunglück bei BASF

„Am 28. Juli 1948 kam es in dem Chemiewerk der BASF zu einer Explosion, die für die bisherigen Wiederaufbauleistungen einen deutlichen Rückschlag bedeutete. Mehr als 200 Tote und ca. 3.800 Verletzte waren zu beklagen, 15 % der Produktionsanlagen wurden völlig zerstört. Aber Dank einer überwältigenden Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland und der Unterstützung durch die Besatzungsmächte gelang es relativ schnell, die Schäden zu beseitigen und den Opfern und deren Angehörigen zu helfen. Lediglich über den Verlust der Toten, denen bei den Trauerfeierlichkeiten am 2. August gedacht wurde, konnte niemand hinweghelfen.“

⇒ Siehe die Infoseite des Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz


Fotos vom Explosionsunglück in Ludwigshafen

⇒ Siehe die Infoseite Die Rheinland-Pfalz

Die Explosionskatastrophe von Ludwigshafen. Am Nachmittag des 23. Juli 1948 zerstörte eine furchtbare Explosionskatastrophe in mehreren Wellen den Hauptteil des Anilin- und Sodafabrik Ludwigshafen, eines der größten Werke der früheren IG-Farben. Nach den letzten Feststellungen dürfte die Zahl der Todesopfer etwa 200 bis 250 betragen, während die Zahl der Verletzten etwa 1000 erreicht. Die Ursache des Unglücks ist nicht geklärt, wahrscheinlich verursachten ausströmende Gase aus überhitzten Behältern die erste Explosion, die dann weitere Behälter entzündete. Unser Bild zeigt Aufräumungstrupps beim Absuchen des Werksgeländes nach Toten und Verletzten. Die Toten, die zumeist verstümmelt und kaum zu identifizieren sind, werden sofort in bereitstehende Särge gelegt. 30-7-48

Explosions-Wolke über dem Werksgelände

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