Nahrungsmittelknappheit und Versorgungsprobleme

Der Hunger belastete das Leben zahlreicher Menschen über viele Jahre hinweg

Behelfsverkaufsstellen in der hannoverschen Innenstadt

Am bedrohlichsten für die Menschen war der Mangel an Lebensmitteln. Der Aufbau einer Ernährungsverwaltung war schon mit dem Kriegsbeginn 1939 erforderlich geworden. Die Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion wurde dabei dem bereits 1933 gegründeten Reichsnährstand übertragen. Die Produzenten organisierten also über die Landes- und Kreisbauernschaften diesen grundlegenden Teil des Versorgungssystems selbst. Für die Verteilung der Lebensmittel an die Verbraucher durch ein Kartensystem sorgten neu eingerichtete Ernährungsämter auf Landes- und Kommunalebene.

Um die Versorgung mit Lebensmittelen so reibungslos wie möglich durchführen zu können, übernahm die britische Militärregierung das bestehende System der Rationierung und Zuteilung. Man nahm dabei in Kauf, in Widerspruch mit der selbst formulierten Absicht der umfassenden Entnazifizierung zu geraten. Die bestehenden Ämter und Landes- bzw. Kreisbauernschaften behielten ihre Kompetenzen, lediglich die höheren Funktionäre wurden ausgetauscht. Selbst der Reichsnähstand wurde im amerikanisch-britischen Besatzungsgebiet erst am 21.01.1948 mit dem Reichsnährstands-Auflösungsgesetz aufgelöst.

Daneben wurden der Groß- und Einzelhandel, die eng mit den Industrie- und Handelskammern kooperierten, sofort in das Versorgungssystem mit einbezogen.

Aber trotz dieser ungebrochenen Kontinuität in der Ernährungsverwaltung und aller Anstrengungen der Verantwortlichen reichten die zur Verfügung stehenden Lebensmittel bei weitem nicht aus, um die Bevölkerung umfassend mit dem für die Existenzsicherung Notwendigsten zu versorgen. Wer wirklich nur mit dem hätte auskommen müssen, was ihm auf den Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen zustand, hätte – zumal in den z.T. sehr strengen Wintern – kaum überleben können.

Eine Katastrophe trat nicht ein, weil es dem größten Teil der Bevölkerung trotz aller Kontrollen und Strafandrohungen gelang, sich zusätzliche Quellen für die Beschaffung von Lebensmitteln zu erschließen. Hamsterfahrten auf das Land und der Schwarzmarkt bestimmten zum großen Teil den Alltag vieler Menschen. Diese „Selbsthilfe“ offenbarte zugleich, dass es durchaus Lebensmittel gab, nur waren diese der Bewirtschaftung entzogen, wodurch die Bemühungen der Behörden, den Mangel wenigstens einigermaßen gerecht zu verteilen, zusätzlich erschwert wurden. Die Selbsthilfe war zwar verboten, aber angesichts der existentiellen Notlage gab es kaum jemanden, der sich nicht wenigstens einige Male über die Anordnungen hinweggesetzt hätte. Man fragte nicht lange, woher die Dinge stammten, die man oft nicht ohne Risiko „organisiert“ hatte. Und diejenigen, die von dieser Zusatzversorgung profitierten, hatten schon gar kein Interesse an einer wirklich durchgreifenden Bewirtschaftung.

Zudem kam es auch in den Ämtern selbst zu Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung der Lebensmittel. Nicht wenige Angestellte und Beamte beteiligten sich ihrerseits aktiv an Schwarzhandel und Schiebungen, zumal die Bürokratie und das nur schwer zu durchschauende Zuteilungsverfahren mit einer Vielzahl von Sondergenehmigungen eine effektive Kontrolle außerordentlich erschwerten. Wenn solche Fälle von Schiebungen aufgedeckt wurden, gab es allerdings harte Strafen.

Unzureichende Lebensmittelversorgung oder Kürzung der Rationen führten immer wieder zu massiven Protesten und zu scharfer Kritik an den Behörden und Produzenten.

Nahrungsmittelproduktion in der Bizone
Jahr Pflanzl.
Lebensmittel
Tierische
Lebensmittel
1946/47 89 60
1947/48 84 50
1948/49 109 69
Bezugsgröße 1939 = 100
aus: Werner Abelshauser: wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Stuttgart 1975, S. 135

Problematisch waren auch die Bemessungskriterien bei der Lebensmittelrationierung. Die Rationen wurden nur nach Kalorien bemessen, ohne zu berücksichtigen, dass es im Grunde wichtiger war, welche Anteile an Fett, Eiweiß und Kohlehydraten die Nahrung auswies. Als die Rationen in einigen Monaten unter 1.000 Kalorien sanken, war die Gefahr des Verhungerns vor allem für kranke und alte Menschen sowie für Kinder durchaus gegeben. Hungerödeme traten auf und es gab in dieser Zeit zahlreiche Todesfälle, die auf Unterernährung zurückzuführen waren. Aber im Allgemeinen war der Gesundheitszustand der Bevölkerung weit weniger schlecht, als wegen der allgemeinen Notlage hätte angenommen werden können.

Eine geringe Entlastung brachten die aus Spenden aufgebrachten zusätzlichen Schulspeisungen und die schon im November 1945 einsetzenden Sendungen von Care-Paketen aus den USA und Kanada.

Die niedersächsische Landwirtschaft hatte den Krieg ohne gravierende Schäden
überstanden. Ihr fiel die Aufgabe zu, die Versorgung der Bevölkerung des Landes mit den Grundnahrungsmitteln sicherzustellen und darüber hinaus bei der Ernährung solcher Regionen mitzuwirken, die – wie das Ruhrgebiet oder Berlin – auch vor 1945 auf Lieferungen von auswärts angewiesen gewesen waren, meist aus den östlichen Teilen Deutschlands, die nun mit ihren Überschüssen nicht mehr zur Verfügung standen. Angesichts der enorm ansteigenden Bevölkerungszahlen wäre das, wenn überhaupt, nur durch eine gewaltige Produktivitätssteigerung möglich gewesen. Dafür aber fehlten alle Voraussetzungen. Es mangelte an Saatgut, Dünger und Schädlingsbekämpfungsmitteln; der Maschinenpark war überaltert und nur zum Teil zu gebrauchen; die Bestände an Vieh und Pferden waren dezimiert, und zumindest anfangs standen nicht genügend landwirtschaftliche Facharbeiter zur Verfügung. So ergab sich aus all dem eine über Jahre hinweg bestehende Unterversorgung, die zumindest 1945 und 1946 noch dadurch verstärkt wurde, dass eine gleichmäßige und gerechte Verteilung des Vorhandenen nicht möglich war, weil die Transportmittel dafür nicht ausreichten.

Unter diesen Umständen hatte die Ernährungsverwaltung bis 1948 mit einer ständigen Mangelsituation zu kämpfen, die durch alle Bemühungen, durch Ödlandkultivierung die Anbaufläche zu vergrößern und durch Unterbindung von Schwarzschlachtungen, Schwarzmarkt und Kompensationsgeschäften den illegalen privaten Lebensmittelmarkt einzuschränken, nicht wesentlich verbessert werden konnte. Vor allem in den Städten, aber auch bei der sich nicht selbst versorgenden ländlichen Bevölkerung war die Versorgung mit Nahrungsmitteln eine Dauerkrise, die mehrmals in eine Katastrophe einzumünden drohte. Es war selbstverständlich, dass die im Krieg eingeführten Lebensmittelkarten beibehalten wurden. Die über sie verteilten Rationen, die sich je nach der Versorgungslage änderten, deckten jedoch bei weitem nicht den Grundbedarf und lagen erheblich unter denen der Kriegsjahre. Schwer- und Schwerstarbeiter, werdende und stillende Mütter erhielten zwar Zulagen; die Masse der Bevölkerung aber musste einen ständigen Kampf gegen Hunger und Unterernährung führen. Dabei hatten die Landbewohner durch ihre teilweise Selbstversorgung oder zumindest durch die Nutzung von Gärten – auch Flüchtlingen wurde in erheblichem Umfang Garten- oder Grabeland zur Verfügung gestellt – natürlich einen Vorteil gegenüber den Städtern, und Einheimische hatten es durch ihre alten Verbindungen leichter als Zugewanderte, sich zusätzliche Lebensmittel zu verschaffen.

Besonders bei den Flüchtlingen häuften sich seit 1947 Hungerödeme, Tbc undvandere Erkrankungen, die auf die unzureichende Ernährung zurückzuführen waren. Hilfssendungen aus dem Ausland wie etwa die Care-Pakete, waren nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Meldungen, wonach Bauern sich weigerten, den bei ihnen wohnenden Flüchtlingen von ihren Vorräten abzugeben.

Versorgung mit Kleidung, Haushaltswaren und Energie

Verkaufsstand zwischen Trümmern (Foto: Nds. Landesmedienstelle)

Ähnlich wie bei der Versorgung mit Lebensmitteln verlief die Entwicklung bei der Versorgung mit Kleidung, Haushaltswaren und Energieträgern. Auch hier fehlte es bis Ende der 40er Jahre an vielen lebensnotwendigen Dingen.

Auch die Bevorzugung der Versorgungsbetriebe bei der Zuteilung von Roh- und Brennstoffen sowie Transportmitteln konnten den Mangel nicht beheben. Die Produktion reichte für den gestiegenen Bedarf einfach nicht aus, und viele Waren wurden auch noch der Bewirtschaftung entzogen. „Die Fabriken benötigten einen Teil ihrer Produktion für Kompensationsgeschäfte, um Ersatzteile für die Maschinen zu bekommen. (…) Ebenso entzog der Handel einen Teil der Produktion der Bewirtschaftung, um sich Lager anzulegen oder Tauschgegenstände zu haben.“ (Berger/Müller, S. 58/59) Auf dem Schwarzmarkt tauchten diese Waren dann wieder auf. Besonders kurz vor der Währungsreform wurde das Horten von Waren zu einem großen Problem.

Die Masse der Bevölkerung, jahrelang zu Verzicht gezwungen, wurde zu Schwarzmarktgeschäften genötigt, wenn sie sich Schuhe, Stoffe, Haushaltsgeräte u. ä. besorgen wollte. Dazu brauchte man entweder viel Geld oder Kompensationsgegenstände, die man eintauschen konnte. Wer beides nicht hatte, konnte sich nur als billige Arbeitskraft verdingen.

Der Mangel an Energieträgern – Kohle, Holz, Strom, Gas – wirkte sich nicht nur mittelbar auf die Menschen aus, weil die Produktion eingeschränkt war, sondern führte auch unmittelbar zu großen Belastungen im Alltagsleben. Die Wohnungen oder Notunterkünfte ließen sich häufig nicht ausreichend beheizen, die Strom- und Gaszufuhr wurde zweitweise immer wieder reduziert oder ganz eingestellt. Vor allem in den Wintermonaten war das Leben außerordentlich hart, insbesondere für diejenigen Menschen, die sowieso schon in elenden Verhältnissen leben mussten. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen, z.B. die Schulen, mussten häufig ihre Tätigkeit einstellen.

Die Versorgungsprobleme verbesserten sich nur langsam. Auch nach der Währungsreform, als allmählich die bisherigen Schwarzmarktwaren regulär zu kaufen waren, gab es noch über eine längere Zeit Mangelerscheinungen. Erst 1950 wurden die letzten Marken abgeschafft.


Überarbeitete und aktualisierte Auszüge aus dem  Einführungstext zum Kapital 3 in: Detlef Endeward/Fritz Mauss/Jochaim Schlüchtermann: Wolfenbüttel nach ’45. Eine Stadt erzählt ihre Nachkriegsgeschichte. Hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1986, S. 43/44

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