Harter Konkurrenzkampf zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Um 1906/07 änderte sich die Kinolandschaft in allen größeren deutschen Städten, auch in Hannover. Es entstanden etwa zehn neue Kinos, Varieté-Mischformen und Wandervorführer nicht gerechnet. Unter den Theatern, die für sich in Anspruch nahmen, Filme besonderer Qualität in gepflegten Räumen zu zeigen, entstand in Hannover eine Rivalität, die in einem Inserate-Kampf ausgetragen wurde.

Das Drama begann mit der Ankündigung vom 15. März 1907, dass am 23. März abends um 6 Uhr in der Limburgstraße 2 „ein vornehmes Kinematographentheater“ namens Alhambra eröffnet werde, in dem es neben wissenschaftlichen Vorträgen“ die besten, hochaktuellsten, neuesten und vornehmsten Bilder“ geben werde. Irritierenderweise wurde am gleichen 23. März im Panoptikum, Bahnhofstraße 4, ein weiteres Kino eröffnet, das sich anpries als „billigstes und elegantestes, der Neuzeit gemäß ausgestattetes Etablissement in Hannover.“ Dies war aber nicht die eigentliche Konkurrenz, zumal das beibehaltene Kuriositätenkabinett der Eleganz des Unternehmens in den Augen der Neuerer wohl Abbruch tat. Zur Konkurrenz gehörte aber das Theater lebender Photographien (Inhaber Fritz Schrader), das in ursprünglicher Form im Dezember 1896 gegründet worden war, in der Zwischenzeit seine Vorstellungen unterbrach und am 16. April 1897 sein einjähriges Bestehen in neuer Form mit festlichem Programm beging. Zur Konkurrenz gehörte ferner das Central-Theater oder Kinematographen-Restaurant, das seit dem Oktober 1906 am Ernst-August-Platz 5 von Arthur Mest betrieben wurde. Mest und Schrader, die in Hannovers Kinogeschichte noch länger eine Rolle spielten, warfen dem Direktor des neuen Alhambra, Hans Kasprzewski, vor, zu unrecht lebende, singende und sprechende Photographien angekündigt zu haben, da die dort gezeigten lebenden Photographien weder sängen noch sprächen. Der Protest des Alhambra-Direktors im Inserat vom 19. April 1907 klingt nur begrenzt überzeugend:

„… diese Angaben sind unwahr, denn wir führen lebende Photographien schon seit Eröffnung unseres Theaters vor, während singende und sprechende Photographien demnächst, wie üblich, durch besondere Tages-Inserate bekannt gegeben werden. Wir fordern hierdurch die beiden Inserenten auf, innerhalb von einer Frist von drei Tagen ihre unwahren Behauptungen in diesem Blatte in vollem Umfange zu widerrufen, widrigenfalls wir gegen die selben gerichtlich vorgehen werden. Bei dieser Gelegenheit machen wir das geehrte Publikum darauf aufmerksam, das trotz der schwierigen Vorbereitungen, kombinierter lebend-sprechender Photographien in staunenerregender Vollendung von uns in allerkürzester Zeit zur Vorführung gelangen werden. NB: Von heute ab setzt sich unser Programm aus folgenden sensationellen Sujets zusammen: Silberhochzeitsfeier des Fürstenpaares von Schaumburg-Lippe, Großfeuer bei Nacht, Zu enge Schuhe, Flucht und Tod des Räuberhauptmanns, Der Bauer und die Leiter, Das Schicksal eines Kindes, Der Notar auf dem Rummel, Höllenflammen, Alpenpanorama von Chamoix und Faiet, Der Blinde und sein Hund.“

Auf diese, hinsichtlich des Hauptvorwurfes nicht ganz stichhaltigen Ausführungen gab es eine Erwiderung der beiden anderen Kinobetreiber, die eine Klage androhten, zu der es aber nicht gekommen zu sein scheint. Da in der Erwiderung die Ansprüche an das neue Kino sowohl in technischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht klar formuliert werden, wird die Anzeige ganz wiedergegeben:

„Erwiderung. In ihrer Erklärung vom 20.04. muß die Direktion des Alhambra-Theaters jetzt zugeben, daß sie in unwahrer Weise an der Theaterfront lebende, singende, sprechende Photographien verbreitet hat. Sie sucht sich damit herauszureden, daß demnächst singende und sprechende Photographien bekanntgegeben werden. Jedenfalls hat sie bis jetzt Unwahres angekündigt. Wir haben daher keine Veranlassung zu irgendeinem Widerruf, sehen einer Klage entgegen und haben schon selbst die Schritte zur Klage wegen unlauteren Wettbewerbes gegen das Alhambra-Theater eingeleitet. Sogenannte lebende Photographien sind alle; lebende, singende und sprechende aber solche, bei denen eine Wiedergabe von Gesang und Sprache mit dem Bilde erfolgt. Es würde uns gar nicht geniert haben, wenn das Alhambra-Theater nur lebende Photographien angekündigt hätte, denn die von ihm teilweise als „sensationelle Sujets“ sowie als neueste Weltereignisse angekündigten Photographien sind von uns schon zum Teil vor Jahr, Monat und Tag aufgeführt worden, z. B.: Fata Morgana, Das Kind als Friedensengel, Flucht und Tod des Räuberhauptmanns, Höllenflammen usw.; noch mehrere Bilder zu benennen, würde zu weit führen. Auf weitere Erwiderungen an dieser Stelle lassen wir uns nicht ein. Hannover, 20.04.1907″
( unterzeichnet von Arthur Mest und Fritz Schrader)

Die aufgestellten Kriterien sind eindeutig: technische Perfektion – und das hieß, bevor die großen Stummfilme mit Musikbegleitung entstanden, eben auch, dass mit einem Graphophon synchron gearbeitet wurde – und Aktualität. Das jeweils Neueste musste gezeigt werden. Ältere Filme waren billiger zu haben und wurden in weniger anspruchsvollen Häusern gespielt.

Die Neuerer traten auch mit dem Anspruch des „vornehmen Etablissement“ auf. Es reichte nicht mehr aus, nur einen wöchentlichen „Eliteabend“ – d. h. einen rauchfreien Abend – anzukündigen. Die Ausstattung selbst musste geschmackvoll und „der Neuzeit entsprechend“ sein. Eine solche wurde dem Alhambra auch in der Zeitung bestätigt, ebenfalls interessante flimmerfreie Bilder wie der Film von Buderus über die prunkvolle Silberhochzeit des Schaumburg-Lipper Fürstenpaares, aber: „ein von den Besuchern sehr empfundener Mangel ist das Fehlen des Restaurationsbetriebes, da bei längerem Verweilen in voll besetzten Räumen sich das Bedürfnis, eine Erfrischung zu sich nehmen zu können, geltend macht. Hoffentlich wird diesem Mangel bald abgeholfen“ (24. April 1907). Dem Alhambra bleib nichts anderes übrig, als einen Restaurationsbetrieb einzurichten, wie die Konkurrenz ihn schon hatte. Für die Pfingsttage wurde am 22. Mai 1907 die Rekordbesucherzahl von 8.000 veröffentlicht. Die Werbung für das Alhambra hielt weiter fest an der Formulierung „vornehmstes und einziges Theater lebendsprechender und singender Photographien“, wurde aber übertroffen von der Ankündigung eines neuen Konkurrenten am 26. Oktoberr 1907: Das Colosseum in der Goethestraße mit lebenden, singenden und sprechenden Photographien stellte sich dar als „einzig elegantes Theater der Residenz“ mit eigener Lichtanlage und „Auxetophonkonzert-Vorträgen“ und Bildern über „stets das Neueste der Woche“. Dazu gehörte 1907 u. a. die Schlacht von Casablanca und die große Flottenparade.

Es wäre falsch anzunehmen, dass damit die traditionellen Kleinkinos mit hoher Fluktuation ihre Funktion verloren hätten. Die Kombination mit Damenkapelle (Alte Flöte) oder auch mit Damenringkampf (Saalbau) fand auch ihr Publikum, ebenso der Kinoanteil im Varieté. Aber die neuen Theater, die sich als unterhaltende und bildende Institutionen für das gehobene Publikum verstanden, meldeten ihren Anspruch an.

Auszug aus: Irmgad Wilharm: Hannoversche Kinoanfänge oder „Die Photographie in vollster Lebenstätigkeit“. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien. Hannover 1991, S. 11-22

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