Wie kam der Cinématographe Lumière nach Hannover

Automatenausstellung im Gasthaus ‚Zum Einhorn‘

Irmgard Wilharm (1991)

Der Cinématographe Lumière

Wie kam der Cinématographe Lumière nach Hannover, und wie hing er mit der Automatenausstellung zusammen? Die Jahreswende 1895/96 war die Geburtsstunde des Films, wenn man darunter eine öffentliche Vorstellung mit auf eine Leinwand projizierten, sich bewegenden Bildern versteht. Sieht man den jahrhundertelangen Bemühungen um die bewegten Bilder ab – vom chinesischen Schattenspiel bis zum Daumenkino – , so wären die technischen Voraussetzungen der späteren Filmentwicklung von Erfindern in verschieden hochindustrialisierten Gesellschaften etwa gleichzeitig zustande gebracht. So ist der Streit darum, wem nun wirklich die erste Filmvorführung gelang, letztlich müßig. Die Darstellungen zur Filmgeschichte geben folgende Daten an: Skladanowskys erste öffentliche Filmvorführung fand in Berlin im Wintergarten am 1. November 1895 statt, die des Cinématographe der Brüder Lumière am 28. Dezember 1895 in Paris am Boulevard des Capucines im Grand Café. In New York wurde die erste öffentliche Filmvorführung on Koster und Bials Varieté am 20. April 1896 als „Edisons neuestes Wunder, das Vitascope“ angekündigt. Ohne die Erfindung eines haltbaren Zelluloidträgers mit lichtempfindlicher Beschichtung durch den Amerikaner Goodwin 1887 wären die Filmvorführungen nicht möglich geworden. (Chronik, S. 36f)

Wichtiger im Hinblick auf die spätere rasante Entwicklung des Films ist die Frage, wie die Verbreitung der Technik und die anhaltende Faszination des Publikums zustande kamen. Der Cinématographe Lumière kam als rheinischer Export nach Hannover. Bruno Fischli hat die Kölner Kino- und Filmgeschichte aufgearbeitet und dabei die Rolle des Süßwarenfabrikanten Franz Stollwerck und seines Sohnes Ludwig dargestellt. (Fischli, S.7-38) In der 1839 gegründeten Fabrik wurde der Vertrieb von dem technisch interessierten Firmengründer durch Automaten gefördert. (…) 1894 wurde die Abteilung für Automaten von der Firma der Gebrüder Stollwerck abgetrennt und als selbstständige Kommanditgesellschaft unter dem Namen „Deutsche Automaten-Gesellschaft, Stollwerck & Co.“ geführt. Diese Firma errichtete Automatenhallen mit Grammophonen, elektromechanischen Klavieren, Kinetoskopen (nach Edisons Erfindung zum Automaten umgebaut) in vielen Städten. Im März 1896 wurde Stollwercks Automatengesellschaft die kommerzielle Auswertung des Lumière-Kinematographen während der Berliner Gewerbeausstellung unter bestimmten Konditionen (30 % Gewinnbeteiligung) überlassen und zugleich die weitere Nutzung von Lumière-Kinematographen in Aussicht gestellt. Die Vereinbarung enthielt ferner folgende Klausel:

Außerdem wird Ihnen ab heute ausdrücklich untersagt, zu irgendeinem Zwitpunkt, sei es durch Sie oder eine andere Person, ein direktes oder indirektes Interesse an der Konstruktion, Ausführung oder am Verkauf eines ähnlichen kinematographischen Geräts zu bekunden. Es wird Ihnen somit durch diese Vereinbarung untersagt, an einer eventuellen Konkurrenz gegenüber dem Lumière-Kinematographen zu partizipieren. (Fischli, S. 10) 

Diese Klausel war angesichts der wachsenden Konkurrenz um die neuen Erfindungen notwendig, half aber letztlich nicht viel, wie sich gerade an der späteren Entwicklung in Hannover zeigen sollte, wo Carl Buderus als Kinopionier der Stadt den Apparat kopierte und selbst herstellte.

Faszination durch Automaten

In Hannover wurde in einem von Stollwerck gemieteten Ausstellungsraum im Hause des Lokals „Zum Einhorn“, Georgstraße 34 (nähe Baringstraße), der , die in den folgenden Anzeigen im Hannoverschen Tageblatt immer erschien. Die Faszination durch Automaten aller Art muss gewaltig gewesen sein – Ludwig Stollwerck entsprach mit der Deutschen Automaten-Gesellschaft dem Trend. Beim Durchsehen der Anzeigen-Beilagen des Hannoverschen Tageblattes,. auf dem die Daten zur Kinoentwicklung in dieser Darstellung weitgehend beruhen, fallen Inserate für Automatenrestaurants, automatischen Bierausschank, automatische Wasch- und Bügelapparate („50 % Zeitersparnis“), Musikautomaten und ähnliche Geräte auf, ehe für den Kinematographen geworben wird. Der zwar sensationell wegen der „Naturgetreuen Bilder“, aber zunächst ein Automat unter anderen, „eine Kreuzung zwischen einer technisch-wissenschaftlichen Spielerei und einem Jahrmarktscherz für Halbwüchsige“. (Fraenkel, S. 39) 

Auch für Ludwig Stollwerk gehörte der Kinematograph in den Zusammenhang der anderen faszinierenden technischen Neuerungen – aber mit dem Vorteil einer einfachen Apparatur mit hohen finanziellen Gewinnmöglichkeiten. In einem Brief an den New Yorker Teilhaber der Tochtergesellschaft „Volkmann, Stollwerck & Co“ schrieb Ludwig Stollwerck am 16. April 1896:

Ich muß ihnen gestehen, lieber Johann, ich habe nie in meinem Leben eine Erfindung gesehen, mit welcher ohne Risiko und fast ohne Arbeit soviel Geld verdient wurde. Die Leute schleppen ja das Geld rein ins Haus! Anders ist es da mit dem elektrischen Licht, mit Eisenbahnen, mit Phonographen und Kinetoskopen oder was wir nun sonst als Epoche machende Erfindungen bezeichnen wollen, da muss man Geist und verstand anstrengen, um etwas zu erreichen. Hier geht man mit einem kleinen Apparat von 20 ctm. Höhe, 20 ctm. Breite und 12 1/2 ctm. Tiefe hin, dreht daran und nimmt überall auf Filmstreifen die Photogrphien auf. Dann  macht man es umgekehrt, setzt das Licht anstatt nach vorn nach hinten und wirft die Bilder auf die Wand. Das ist die ganze Hexerei. (5)

Ähnliche Vorstellungen vom leichten, sicheren Geldverdienen haben in der turbulenten Anfangsphase des Kinos seine Verbreitung gefördert – und natürlich die Neuartigkeit der laufenden Bilder. Am 6. Oktober 1896 taucht im Hannoverschen Tageblatt eine Werbung für den Kauf eines Kinematographen mit Bildern auf, zu beziehen in Wachsning’s Hotel in der Schillerstraße. Geworben wird mit dem Hinweis „Viel Geld zu verdienen“, und angesprochen werden die früheren Betreiber von Wanderkinos auf Jahrmärkten. Am 15. November 1896 lautet eine andere Anzeige: „Empfehle complete Apparate (Kinematograph) neuester Construction (ruhigste Projection) mit 6 Original-Films zum billigsten Preise von 1.500 M., vollkommen fertig zu Vorführungen. Beste Erwerbsquelle. Anlernung gratis. H. Borschel, Hannover, Lemförder Straße 1“. Diese Unbekümmertheit im Umgang mit der neuen Technik legte sich mit der Verfeinerung der Apparate und dem – bei steigenden Kosten – wachsenden Risiko im Falle eines Misserfolges. Ganz ohne Risiko war das Unternehmen aber auch in seinen Anfängen nicht. So musste der Cinématographe Lumière bereits am 13. Januar 1897 seine Vorführungen wegen eines Brandschadens unterbrechen – ein ziemlich häufiger Grund für die Kurzlebigkeit und Fluktuation bei den frühen Kinoversuchen.

Quellenangabe

Die Beiträge zu den Kinoanfängen in Hannover sind erstellt worden auf der Grundlage des Textes  von Irmgard Wilharm:

Irmgard Wilharm: Hannoversche Kinoanfänge oder „Die Photographie in vollster Lebenstätigkeit“. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896 – 1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien. Hannover 1991, S. 11-22, dort auch: Literatur

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