Der Charakter der faschistischen Krisenlösung

Zwei kurze Beschreibungen der Problematik

Nils Kadritzke (

Eine faschistische Krisenlösungsstrategie mußte auf diese extrem schwierige ökonomische Situation eine kapitalgerecht und in sich konsistente Antwort formulieren, die beiden Seiten der objektiv gegebenen Krisenursachen (der Produktions- und Realisierungsprobleme, D,E.) gerecht zu werden vermochte. Die politische Antwort der faschistischen Diktatur konnte damit nur in der Zerschlagung der Arbeiterbewegung … einerseits, und in der Vorbereitung einer erneuten imperialistischen Expansion andererseits bestehen, die ihrerseits kurzfristig eine die Realisierungslücke füllende staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern beinhalten, langfristig aber die Eroberung eines erweiterten Wirtschaftsraumes anstreben mußte“

Wolfgang Fach (19

Zwei Momente sind es, die beide Lageskizzen prägen:

  • das industrielle Gesamt-Interesse ist in eine politische Krise geraten: innerhalb des par-lamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses vermag es sich nicht mehr so effektiv durchzusetzen, wie es seinen Repräsentanten als unabdingbar erscheint; deshalb
  • startet es eine politische Offensive mit dem Ziel, an den parlamentarisch-demokrati-schen Institutionen Korrekturen zu erreichen, die seine Einflußbahnen wieder glätten kön-nen, was vor allem heißt: Entmachtung der »Massen«.

Der faschistische »Ausnahmestaat« (Poulantzas) ist das historische Ergebnis dieser politischen Konstellation.

Die Funktion, die der NSDAP bei einer solchen Krisenlösung (2) zukam, stand partiell im Widerspruch zu den Interessen ihrer größten sozialen Basis und mithin zu deren teilweise
„antikapitalistischen“ Vorstellungen. Grundsätzlich musste die NSDAP eine Vermittlung von deren ökonomischen Ansprüchen mit denen von Exportindustrie, Schwerindustrie und Landwirtschaft leisten, um politisch handlungsfähig zu sein.

Die Aufgabe, das Lohnniveau zu drücken und die Bedingungen zur Intensivierung der Arbeit zu schaffen und damit schlagartig die Bedingungen der Profitproduktion zu verbessern, musste einhergehen mit der Verbesserung der Realisierungsmöglichkeiten, „die im wesentlichen durch den garantierten Absatz zu festen Preisen in Gestalt staatlicher Rüstungsaufträge sichergestellt wurde. (3)

Die neue staatliche Form, die zur Durchsetzung dieser Aufgaben notwendig wurde, setzte sich nun nicht als gradliniger Prozess und schon gar nicht als abgesprochene, geplante und stringent umgesetzte Strategie der Großbourgeoisie durch, sondern über Interessenkonflikte, persönliche Kämpfe und Intrigen und auch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung – quasi als Konsequenz vorhandener Möglichkeiten und Notwendigkeiten.

Es genügt nicht, „lediglich die Unterstützung dieser diktatorischen Herrschaftsform durch die am meisten krisenexponierten Elemente des Finanzkapitals festzustellen. Um die faschistische Diktatur als Versuch einer spezifischen Lösung der gesamtgesellschaftlichen Reproduktionskrise aufzeigen zu können, ist es vielmehr notwendig, die ökonomische Dringlichkeit einer politischen Intervention für bestimmte Einzelkapitale mit den ökonomischen Interessen der anderen Gruppierungen in Beziehung zu setzen …´“. (4)

So gesehen stellt sich die Herstellung der faschistischen Diktatur vielmehr als ein widersprüchlicher Prozess dain dem die Lösung „sich auf den kleinsten für alle Fraktionen akzeptabelen wirtschaftspolitischen Nenner konzentrierte“. (5) Die Annäherung vormals konkurrierender Konzeptionen erfolgte vor dem Hintergrund der sich verändernden politischen und vor allem ökonomischen Bedingungen in der Krise. Die einzelnen Momente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • die politischen Aktivitäten der profaschistischen Vertreter der Schwerindustrie und des Großgrundbesitzes wurden nach dem Scheitern der Regierung von Papen verstärkt. Dieses Scheitern offenbarte, dass eine wirksame Krisenlösungen gegen andere geseschaftliche Klassen, insbesondere die Arbeiterbewegung,  ohne eigene Massenbasis nicht durchzusetzen war.
  • Die Zusammenführung der Interessen der verschiedenen Klassen gelang auf der konzeptionellen Grundlage der sogenannten Agrarkartellierung (6), d.h. letztlich: die Gewinnung Südosteuropas als abgeschlossenen Absatzmarkt durch vielfältige bilaterale Handelsverträge. Diese Konzeption überbrückte die Differenzen zwischen Großagrariern und Exportindustrier, ging aber zu Lasten der Klein- und Mittelbauern.
  • Alternative Lösungsvorstellungen verloren in dem Maße an Glaubwürdigkeit, in dem ihre Vertreter (die exportorientierte Industrie) in akute ökonomische Schwierigkeiten gerieten. Sie wurden hinfällig mit der Verschlechterung der Weltmarktbeziehungen, die keine Konjunkturbelebung über den Export erwarten ließen. So mußten Vorstellungen des Ausgleichsabsatzes durch Rüstung und der Favorisierung der Binnenmarktsicherung
    und -ausweitung einerseits und der Kostensenkung durch Steigerung der Arbeitsleistung und Lohnsenkung andererseits an Gewicht gewinnen. Gerade letzteres war nur möglich, wenn die organisierte Arbeiterbewegung zerschlagen wurde. Dazu war eine ebenso breite Bewegung – eine Massenorganisation – nötig, die sich in der NSDAP mit ihrer gewaltbereiten und -fähigen SA anboten.

 

Fach, Wolfgang (1982): Wer verhilft Hitler zur Macht? Das »Faschismus«potential des Atomkonflikts. PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft12 (47), 55–68. https://doi.org/10.32387/prokla.v12i47.1518

Kadrtzke, Nils

Müller-Luckner, Elisabeth /Winkler, Heinrich August (Hrsg.) Die deutsche Staatskrise 1930 – 1933 : Handlungsspielräume und Alternativen. Schriften des Historischen Kollegs, München, Wien 2019

von Saldern, Adelheid (1983): Der neue Weg aus der Krise – der (alte) Weg zum „großen Deutschland“. Kurzreferat während einer Veranstaltung des Instituts für Politische Wissenschaft in der Universität Hannover am 31.01.1983 zum Thema „30. Januar 1933: Komtinuität, Bruch und Folgen“ (Manuskript)

 

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