30. Januar 1933 – Kontinuität, Bruch und Folgen

Der neue Weg aus der Krise – der (alte) Weg zum „großen Deutschland“

Kontinuitäten hinsichtlich politischer Bestrebungen und Ideologien vor und nach 1933 fallen einem rasch ein: zu denken ist an den Antisemitismus, an die Herd-Heim-Frauenideologie, an den völkischen Gedanken u.a.m.. Jedoch kommt es 1931 stets auch zu Brüchen: während vor 1933 die genannten Bestrebungen und Ideologien nicht allein das Feld beherrschten, sondern mit anderen koexistierten, wurden diese nach 1933 zu Staatsideologien und handlungsanweisenden staatlichen Direktiven erklärt und vielfach mit einem neuen Grad an Radikalität durchgesetzt bzw. durchzusetzen versucht. Dies ist ein entscheidender Unterschied; hierin liegt die e i n e große Bruchstelle

Die a n d e r e Bruchstelle ergibt sich aus bestimmten Veränderungen im politischen System. Zu nennen ist hier der Wegfall der Rechtsstaatlichkeit, der systematisch betriebene Terror (besonders gegenüber den Arbeiterorganisationen), die Gleichschaltung sowie die staatliche Propaganda und Manipulationsversuche auf neuer Qualitätsstufe.

Im Folgenden soll ein Kernbereich politischen Denkens und Handelns herausgegriffen und hieran den Grad und die Form der Verkettung von Kontinuität und Bruch genauer aufgezeigt werden. Dieser Kernbereich lässt sich in zeitgenössischer Begrifflichkeit als „Politik des Wiederaufstiegs Deutschlands“ ausdrücken, während in historischer Analyse von „deutscher Hegemonial- und Imperialismuspolitik“ gesprochen werden muss.

Eine „Politik des Wiederaufstiegs Deutschlands“ bedeutete unter wirtschafts- und rüstungspolitischem Aspekt einen entscheidenden Bruch hinsichtlich der Krisenlösungsversuche vor 1933 im Vergleich zu denjenigen nach 1933. Dabei handelte es sich um eine der Kernfragen der Politik, seitdem eine Wirtschaftskrise nie gekannten Ausmaßes Deutschland in eine schwere Gesellschafts- und Staatskrise getrieben hatte. Verschiedene Wege wurden mit Hilfe des Art. 48 eingeschlagen, keiner führte zum Erfolg. Entweder lag es an der Art der Wirtschaftspolitik (Deflationspolitik Brünings) oder die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen bzw. Pläne stießen auf zu große Widerstände in der Gesellschaft und die Präsidialregierungen waren zu schwach, um ihre Vorstellungen von einer Krisenlösung politisch trotzdem durchzusetzen. Schließlich einigten sich Wirtschaftsvertreter mit liberalen, konservativen und nationalsozialistischen Politikern in einem kompliziert verlaufenen Prozess auf einen neuen Krisenlösungsversuch, in dessen Mittelpunkt die Aufrüstung stand. Mit Hilfe einer massiven Aufrüstung sollte die Wirtschaft vom völlig verfallenen Weltmarkt gelöst und eine binnenmarktwirtschaftliche Umorientierung vorgenommen werden. Aufrüstung war aber auch das Zauberwort für die Reichswehr mit ihrem sterilen 100 000-Mann-Heer. Ein solches Aufrüstungskonzept konnte jedoch nicht mit den bisherigen Präsidialregierungen durchgesetzt werden, weil dies mit einer einseitigen Aufkündigung der rüstungsrestriktiven Bestimmungen des Versailler Vertrages verbunden war. Eine solche offensive Außen- und Rüstungspolitik konnte nur durch eine – wie es damals schon hieß – „starke Regierung“ vorgenommen werden: ein Bruch des politischen Systems hin zu einer Diktatur war deshalb zur Erreichung dieses Zieles „erforderlich“.

Da nach Lage der Dinge eine Militärdiktatur nicht in Frage kam, rückte eine Hitler-Lösung – eine faschistische Diktatur (mit Massenbasis!) – immer mehr ins Zentrum politischen Kalküls und politischen Ränkespiels. Eine Kurzformel, die diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringen soll, müsste demnach Iauten:

Bruch des politischen Systems dient dem Bruch in der Wirtschaftspolitik.

Eine „Politik des Wiederaufstiegs Deutschlands“ stand hinsichtlich ihres offensiven außenpolitischen Aspekts in großer Kontinuität zu entsprechenden Bestrebungen im deutschen Kaiserreich. Schwer gedemütigt durch die Kriegsniederlage und den Versailler Vertrag trauerten noch immer zahlreiche Menschen dem damit verloren gegangenen Anspruch Deutschlands auf einen „Platz an der Sonne“ nach, zugleich auf eine neue historische Chance hoffend. Hitler und seine Bewegung nahmen diese Kontinuität in der neuen Verpackung der Lebensraumideologie auf, und sie setzten alles daran, den „alten Eliten“ glaubhaft zu machen, dass nur sie in der Lage seien, eine solche im Kern kontinuitätsbeladene offensive Außenpolitik tatsächlich auch nach innen und außen durchzusetzen und Deutschland wieder „groß“ zu machen. Die Rechnung ging 1933 für Hitler und seine Bewegung auf. Um Deutschlands zukünftiger Größe willen verstummten die Vorbehalte in Teilen der Bevölkerung gegen eine Hitler-Regierung, nahm man die „unangenehmen Seiten“ des „Dritten Reiches“ in Kauf (unter dem Motto „wo gehobelt wird, fallen Späne“), ließ man sich gleichschalten und verzichtete im Wahn der neuen Volksgemeinschaftsideologie sogar auf den Schutz der Rechtsstaatlichkeit.

Eine Kurzformel, die diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringen soll‘ müsste also lauten:

Bruch des politischen Systems dient der Kontinuität imperialistischen Denkens und Handelns.

Als Fazit lässt sich feststellen: Jede willkürliche Trennung von Kontinuität und Bruch im Zusammenhang mit der „Machtergreifung“ Hitlers würde die Einsicht, warum viele Deutsche damals eine nationalsozialistische Herrschaft für „notwendig“ hielten, verschütten und damit die Erklärungsmöglichkeit des denkwürdigen Datums – 30.1.1933 – schmälern. Denn Bruch und Kontinuität bedingten sich gegenseitig, waren zwei Seiten einer Medaille. Und diese Medaille trug von Anfang an die Hauptinschrift:

Aufrüstung – der neue Weg aus der Krise, der (alte) Weg zu einem neuen „großen Deutschland“.


Adelheid von Saldern: Kurzreferat während einer Veranstaltung des Instituts für Politische Wissenschaft in der Universität Hannover am 31.01.1983 zum Thema „30. Januar 1933: Komtinuität, Bruch und Folgen“ (Manuskript)

 

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