Das Verhältnis der Klassen zueinander

Seit der Mitte der 20er Jahre hatten sich relativ gute Beziehungen zwischen den Agrarverbänden und der deutschen Industrie ausgebildet und zwar auf Grundlage folgender weitgehend übereinstimmender Interessen:

  • Sicherung der Unternehmerautonomie bzw. Stärkung der „freien Unternehmerinitiative“
  • Schutz des Eigentums an den Produktionsmittel
  • Abwehr des Eindringens des Staates in die Wirtschaft. („Kalte Sozialisierung“, Autonomie des Unternehmerhandelns)

Verstärkt wurde diese Kooperation noch durch die gegenseitige Abhängigkeit von Landwirtschaft und Teilen der Industrie. Außerdem bestand weitgehende Einigkeit darin, „bei wichtigen politischen Fragen bereits im vorparlamentarischen Raum Interessenabstimmungen vorzunehmen“.

Mit dem Beginn der Krise wurde eine derartige, nur sehr allgemein formulierte Zusammenarbeit immer schwieriger, weil die unterschiedliche konkrete Krisenbetroffenheit auch unterschiedliche Lösungsvorstellungen mit sich brachte, die sich vor allem im Widerspruch zwischen Agrarprotektionismus und exportorientierter Handelspolitik offenbarten. Die exportorientierte Industriefraktion machte zunehmend Front gegen die von den Agrarvertretern angestrebte Zerstörung des deutschen Handelsvertragssystems, das ihnen bis dahin relative Garantien für den industriellen Export sicherte. Lediglich die ebenfalls überwiegend binnenmarktorientierte Schwerindustrie hielt weiterhin die guten Kontakte zu den agrarischen Spitzenverbänden aufrecht.

Die selbständige Mittelklasse hatte ideologisch einen Anknüpfungspunkt für ein „Bündnis mit Agrariern und den Industriellen“, wenn es um die grundsätzliche Sicherung des Privateigentums vor den Auswirkungen der Krise ging. Mit den Interessenvertretern Agrarwirtschaft hielten ihre Interessenvertreter auch die traditionellen Kontakte aus der Kaiserzeit aufrecht. Zwischen ihnen und dem Großkapita1, bestanden jedoch erhebliche Differenzen, weil sie häufig als ungleiche Konkurrenten auf dem zunehmend beschränkten Binnenmarkt aufeinander trafen.

Alle drei Klassen hatten allerding eine gemeinsame konkrete Zielsetzung im Rahmen ihrer jeweiligen Krisenlösungsstrategien: die Ansprüche und Forderungen der Arbeiterklasse wurden nicht nur abgelehnt, ihre sozialpolitischen Rechte und Absicherungen sollten darüber hinaus abgebaut werden. Nur war auf Grund der unterschiedlichen ökonomischen Lage die Radikalität dieser „Kampfansage“ unterschiedlich stark ausgeprägt.

Die durch eine (befürchtete) Deklassierung, d. h. wirtschaftlicher Ruin, unmittelbar bedrohte selbständige  Mittelklasse machte die materiellen Ansprüche der Lohnarbeiter – die für sie Kosten darstellten – und die organisatorische Kraft der Gewerkschaften (neben dem Konkurrenzdruck des Großkapitals) für ihre schlechte ökonomische Lage verantwortlich und machte deshalb vor allem gegen die Arbeiterbewegung Front.

Den Interessenvertretern der Agrarwirtschaft stand der soziale und politische Einfluss der Arbeiterorganisation der Propagierung und vor allem Durchsetzung ihrer Krisenlösungsstrategie im Wege. Zusätzlich mussten ihre Forderungen nach Garantie hoher Preise (z.B. für Nahrungsmittel) den Widerstand der Arbeiterorganisationen angesichts der aktuellen materiellen Lage der Lohnabhängigen hervorrufen.

Die Schwerindustrie war zur Durchsetzung ihrer Interessen auf ein offensives Vorgehen gegen die Lohnarbeiter angewiesen, da nur so ihr Kostendruck kurzfristig zu verbessern war.

Lediglich die exportorientierte Industrie konnte – solange das „Exportventil“ existierte – Arbeiteransprüche in Grenzen tolerieren.

Aus diesem komplexen Interessengeflecht erwuchsen grundsätzliche unterschiedliche und nicht miteinander vereinbare Krisenlösungsstrategien, die sich im Kern aber alle gegen die Vorstellungen der organisierten Arbeiterklasse richteten.

Während Sozialdemokratie und in Grenzen auch die Gewerkschaften in ihrem politischen Handeln auf einen Ausgleich der Interessendifferenzen hinarbeiteten, drückten sich diese unvereinbaren Widersprüche  bei der KPD und anderen linken Gruppierungen in grundsätzlicher Systemopposition aus.

Zur Regierung Brüning konnte lediglich die exportorientierte Industrie ein relativ ungebrochenes positives Verhältnis entwickeln, sicherte deren Wirtschaftspolitik doch ihre Position zunächst noch weitgehend ab. 

Die Schwerindustrie dagegen entzog der Regierung sehr schnell ihre Unterstützung, weil die Brüning’sche Wirtschaftspolitik ihren Krisenlösungsvorstellungen nicht entsprach  und die Regierung nicht bereit war, schärfer als sie es ohnehin tat gegen die Lohnabhängigen vorzugehen.

Den Agrariern – obwohl massiv durch die Regierung Brüning unterstützt – reichte diese staatliche Hilfe bei weitem nicht aus, sie aus ihren ökonomischen Schwierigkeiten zu befreien, und vor allem widersprach die Handels- und Zollpolitik der Regierung ihren Interessen, so dass sie nicht bereit waren, die Regierung zu unterstützen.

Neben den Interessenvertretern der exportorientierten Industrie waren es lediglich die Sozialdemokraten, die durch die Tolerierung der Brüning’schen Politik – in der Hoffnung, dass so die Krise überwunden werden könnte – dieser Regierung halfen, noch handlungsfähig zu bleiben.

Mit der politischen Paralysierung der exportorientierten Industrie (infolge des weitgehenden Weltmarktzusammenbruchs) musste diese Beziehungskonstellation zerbrechen.
Die Brüning’sche Krisenpolitik verlor ihre ökonomische Basis und parallel dazu gewannen innerhalb der Machtverteilungskämpfe in der Industrie die Konzeptionen der Schwerindustrie
an Gewicht.

 

Das könnte dich auch interessieren …