Zum wirtschaftlichen Krisenzyklus
Die ökonomischen Krisen sind gekennzeichnet durch einen Überschuss an Waren; diese Phasen der Überproduktion im Verhältnis zur vorhandenen Nachfrage stellen sich periodisch immer wieder ein. Ihre Ursachen liegen im Wirtschaftssystem selbst. (1)
Die Produktion ist Warenproduktion, d.h. Produktion von Wertgegenständen, die am Markt mit Gewinn verkauft werden sollen. Aus dieser Grundbedingung wirtschaftlichen Handelns folgt die Tendenz der einzelnen Unternehmen, das Warenangebot auf den Märkten stets höchstmöglich zu steigern und gleichzeitig die Kosten und damit auch die Löhne so niedrig wie möglich zu halten.
Hiermit ist ein grundsätzlicher Widerspruch bereits angelegt, denn letztlich sind die Lohneinkommen die Geldmenge, mit der die produzierten Waren gekauft werden müssen. Zudem handelt nicht nur ein Unternehmen nach den genannten Grundbedingungen, sondern die Konkurrenz untereinander zwingt alle Unternehmen dazu. Diese stetige Wiederanlage von Kapital (Akkumulation) führt dazu, dass die Produktion ständig erweitert wird. Zu diesem Zweck entwickelt sich eine gewaltige Investitionsgüterindustrie, deren Warenabsatz wesentlich davon abhängt, dass der Absatz von Konsumgütern mit der gewohnten „Wachstumsrate“ von statten geht. Solange dies der Fall ist, sind alle Sektoren und Branchen – von Strukturkrisen abgesehen – „voll beschäftigt“, vor allem auch die Investitionsgüterindustrie. (2)
Nur hält die Nachfrage mit der Produktionssteigerung – mindestens im Bereich der Konsumgüterindustrie letztlich nicht mit. In dem Moment, wo wichtige Bereiche dieses Wirtschaftssektors aufhören zu investieren, fällt auch für die Investitionsgüterindustrie die Nachfrage in starkem Ausmaße aus. Sind diese Absatzstockungen verbreitet, führen sie zu Kurzarbeit und Entlassungen. Dies wiederum reduziert die Konsumgüternachfrage noch weiter, so dass auch in der Konsumgüterindustrie zusätzlich Kurzarbeit und Entlassungen erfolgen: Kurzum! „Der Stillstand der Kapitalakkumulationen in einigen Bereichen der Konsumgüterindustrie löst notwendig eine Spirale von Produktionseinschränkungen. Entlassungen und sinkender Nachfrage aus, welche (..,) in die Krise führt.“ (3)
Durch die Krise wird das Gleichgewicht zwischen Produktion und Nachfrage wieder hergestellt, indem es zunächst zu einer starken Einschränkung der Produktionstätigkeit kommt. Viele kleinere und/oder unrentabel wirtschaftende Unternehmen werden ruiniert. Produktionskapazitäten werden vorübergehend oder endgültig stillgelegt; kurz: „ein großer Teil der vorhandenen Kapazitäten des vorhandenen Kapitals wird vernichtet („entwertet“). Gleichzeitig werden Warenlager durch Preissenkungen geräumt und die Effektivlöhne der Arbeiter erheblich gesenkt“ (4) (Abbau übertariflicher Leistungen, Rückgang der Überstunden etc.), Zinsen für Leihkapital werden niedriger.
Alle diese Entwicklungen führen dazu, dass nach einiger Zeit, wieder günstigere Voraussetzungen für Neuinvestitionen vorhanden sind, die für einen Wiederaufschwung genutzt werden können. Für die nicht vernichteten Kapitale ergeben sich mit dem Wiederaufschwung neuer profitable Anlagemöglichkeiten. Es wird erneut investiert und die Vollbeschäftigung erreicht; die Konsumgüternachfrage steigt wieder.
Der Krisenzyklus setzt erneut ein.
An dieser Grundsituation ändert auch nichts die Verflechtung der nationalen Wirtschaften im Weltmarktsystem. Für die nationalen Unternehmen heißt dies aber, dass diejenigen, die eine gute Stellung auf den internationalen Märkten haben, begrenzt die Möglichkeit besitzen, durch Exportforcierung oder neuerdings vermehrt Produktionsverlagerung Inlandsschwierigkeiten ins Ausland zu verschieben. Aber auch hier stoßen sie absehbar auf Grenzen: sei es, dass die Märkte auch international ausgeschöpft sind oder dass die Krisenbekämpfungsmaßnahmen des Auslands ihren Expansionsbestrebungen ein Ende setzen.
Damit ist das zweite Element genannt, durch welches die Krisen verzögert und/oder abgemildert werden können: das staatliche Krisenmanagement. (5)
Die sog. antizyklische Wirtschaftspolitik kann begrenzt den Krisentendenzen entgegenwirken: staatliche Nachfrage kann Nachfragemängel ausgleichen, Binnenmarktsicherung kann ausländische Waren vom Markt fernhalten, durch Subventionierungen können bedrohte Wirtschaftszweige zeitweise gestützt werden, Exportsubventionierung kann die Verlagerung von Überproduktion unterstützen, staatliche Maßnahmen können zur Disziplinierung – bei Lohnforderungen etc. – der Lohnarbeiter beitragen, durch die Regelung der Zinssätze für Leihkapital – kann die Bereitschaft für Neuinvestitionen begrenzt gesteuert werden.
Für die Weltwirtschaftskrise sind nun die Bedingungen aufzuzeigen, die dazu geführt haben, dass der Wiederaufschwung sich nicht nach einiger Zeit wieder eingestellt hat, und die eine besondere staatliche Krisenpolitik notwendig machten.
Detlef Endeward
Anmerkungen
- Ich stütze mich in dieser Darstellung im Wesentlichen auf: Helmut Korte: Zur Aktualität der Marxschen Krisentheorie, Wunstorf 1974 und Kapital und Arbeit. Material für die gewerkschaftliche Schulungsarbeit, Tübingen 1973, Abschnitt P.
zu den Problemen und unterschiedlichen Ansätzen einer Krisentheorie: Paul M. Sweezy: Theorie der kapitalistischen Entwicklung, Frankfurt/M 1974, S, 161ff und P. Mattick/C. Deutschmann/W. Brandes: Krisen und Krisentheorien, Frankfurt/M. 1974
Insgesamt stellt sich die theoretische Erklärung der Wirtschaftskrise als ein umfassendes und kontrovers diskutiertes Problem dar. Dies äußert sich schon in unterschiedlichen Analyserichtungen: einige Wirtschaftstheoretiker arbeiten an einer „Krisentheorie“ der kapitalistischen Wirtschaft, andere versuchen, die „Konjunkturbewegungen“ zu erklären. Mir scheint der marxistisch orientierte, krisentheoretische Ansatz einen größeren Beitrag zu Erklärung von Wirtschaftskrisen zu erbrinen. Diese Kritik der politischen Ökonomie betont gerade die gegenseitige Bedingtheit der beiden gesellschaftlichen Sphären. - H. Korte , a.a.O., S. 6
- Korte, a.a.O., S. 7
- Korte, a.a.O., S. 8
- hierzu die Aufsätze in: V. Brandes u.a. (Hrsg.): Handbuch 5, Staat. Frankfurt/M. 1977, S: 277ff
Arbeitsmaterialien
- Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 1867.
- Korte, Helmut: Zur Aktualität der Marxschen Krisentheorie, Wunstorf 1974
- Mattick, Paul: Krisen und Krisentheorien. In: Krisen und Krisentheorien mit Beiträgen von Paul Mattick, Christoph Deutschmann und Volkhard Brandes. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1974.
- Müller, Alfred: Die Marxsche Konjunkturtheorie. Eine überakkumulationstheoretische Interpretation. Köln 2009.
- PROKLA: Krisen und Krisentheorien, Prokla Nr. 30, 1978.
- PROKLA: “Krise der Ökonomie – Versagen der Krisentheorie?” , Prokla Nr. 57, 1984.
- Sweezy, Paul: Theorie der kapitalistischen Entwicklung. Bund-Verlag, Köln 1959. Teil III: Krisen und Depressionen.