Zur Interessenlage der organisierten Arbeiterklasse

In der Wirtschaftskrise nahm die Verelendung großer Teile der Arbeiterklasse in verschärftem Tempo zu: (1) Diese Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen vollzog sich in vier Bereichen: (2)

  • Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter;
  • Herabsetzung des Reallohns der beschäftigten Arbeiter;
  • Erhöhung der Intensität der Arbeit;
  • Abbau der sozialen Versorgungsleistungen.

Die einzige Möglichkeit für eine Gegenwehr gegen diese Verschlechterung der sozialen und materiellen Lebensbedingungen lag in der Kampfkraft und politischen Fähigkeit der organisierten Arbeiter in den Arbeiterparteien und vor allem den Gewerkschaften begründet.

Zahlreiche Streiks und Demonstrationen offenbarten, dass die organisierte Arbeiterklasse nicht gewillt war, diese Verschlechterungen kampflos über sich ergehen zu lassen. (3)  Aber auch diese Kampfmaßnahmen änderten nichts an den zunehmend schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Möglichkeit, Arbeitskämpfe erfolgreich zu führen, wurde durch die steigende Arbeitslosenzah1- immer mehr eingeschränkt. 1932 waren nur noch etwa 1/3 aller Gewerkschaftsmitglieder überhaupt beschäftigt, und konnten damit die Arbeitsniederlegung als Druckmittel anwenden. Dieses Druckmittel wurde gleichzeitig durch das Heer der Arbeitslosen erheblich geschwächt. (4)

Die Arbeiterorganisationen – sowohl die Gewerkschaften wie auch die politischen Parteien – formulierten in dieser Situation ihre eigenen sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen, deren Umsetzung die Lage der Lohnabhängigen grundsätzlich verbessern sollte und damit in Widerspruch zu den Forderungen der großen und kleinen Unternehmens- bzw. Betriebseigentümer geraten musste.

In der SPD wurden mit der Verschärfung der Krise zwar auch „Forderungen nach einer ’systematischen‘ Konjunktur- und Arbeitsbeschaffungspolitik (erhoben), aber das war
ebenso unspezifisch wie die ins Auge gefasste ’scharfe Kontrolle‘ derjenigen Branchen, in denen die Monopolisierung am weitesten fortgeschritten war.“ (5)

In den konkreten Zielvorstellungen war die SPD wesentlich bescheidener und hielt sich an den „Rahmen gegebener Möglichkeiten“:

  • Verkürzung der Arbeitszeit,
  • Senkung der Preise,
  • aktive Lohnpolitik, um über steigende Löhne Überproduktion abzubauen.

Diese Forderungen wurden zur gleichen Zeit erhoben, in der die SPD die Regierung Brüning tolerierte, obwohl diese eine Politik betrieb, die den Forderungen der SPD diametral entgegenstand.

Innerhalb der Gewerkschaften wurden schon um die Jahreswende 1931/32 Elemente einer antizyklischen Auftrags- und Arbeitsbeschaffungspolitik entwickelt – sog. WTB-Plan.
Man sah die „selbsttätigen Kräfte der Krisenüberwindung außer Funktion gesetzt oder gelähmt“ (6) und wollte durch arbeitsintensive Projekte (Chausseebauten, Meliorationen, Kleinwohnungsbau und Hausreparaturen, Hochwasserschutz) die Arbeitslosigkeit abbauen und über die steigende Nachfrage durch diese Projekte und die Löhne der Wiederbeschäftigten die Konjunktur beleben. Verbunden waren diese Forderungen mit der gesetzlichen Fixierung der 40-Stunden-Woche. Die Finanzierung sollte über staatliche Kredite gesichert werden.

Diesen Forderungen fehlte jedoch nicht nur die „politische Verlängerung“ – innerhalb der SPD stießen derartige Vorstellungen auf taube Ohren – auch die Konfrontation mit den auf Kostensenkung orientierten Industriellen und der auf die Sicherung der Staatsfinanzen bedachten Regierung war damit vorprogrammiert.

Die SPD entwickelte erst nach dem Sturz der Regierung Brüning konkretere Vorstellungen zur Arbeitsbeschaffung, nur hatten sich die gesellschaftspolitischen Machtverhältnisse mittlerweile noch weiter zu Ungunsten der Arbeiterorganisationen verschoben und deren Durchsetzungschancen damit reduziert. (7)

Teile der SPD radikalisierten sich in ihren Forderungen mit zunehmender Verschärfung der Krise und propagierten schließlich grundsätzlich „systemüberwindende“ Vorstellungen. Damit trafen sie sich zwar in Teilen mit den Zielvorstellung der KPD, ein gemeinsames politisches Vorgehen war jedoch auf Grund der sich im Verlauf der Jahre herausgebildeten Konfrontation der Organisationen zueinander und weiter vorhandenen politischer Differenzen auch für diese Sozialdemokraten nicht möglich.

Die führenden Köpfe in der KPD sahen in der SPD lange Zeit eher den Bündnispartner der bürgerlichen Parteien oder gar der Faschisten als einen Verbündeten in der Auseinandersetzung mit eben diesen politischen Gegnern. Forderungen nach einer „Einheitsfront“ gegen den Faschismus wurden zwar – viel zu spät – formuliert, aber nie ernsthaft umgesetzt. Eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme sah die KPD letztlich in der revolutionären Überwindung des kapitalistischen Systems. In den tagespolitischen Auseinandersetzungen zur Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse engagierten sich die Kommunisten gleichwohl sehr stark.

Detlef Endeward


  1. Vgl. zur sozialen Lage der Arbeiterklasse: J. Kuczynski: a..a..O., S. 196ff, insbesondere S. 208ff und S. 228ff
  2. Vgl. E. Varga: a.a.O., S. 297ff
  3. Vgl. J. Kuczynski: a.a.O., S. 243ff
    1929: 441 Streiks mit 223 878 Beteiligten
    1930: 353 Streiks mit 223 885 Beteiligten
    1931: 451 Streiks mit 172 139 Beteiligten
    1932: 548 Streiks mit 129 468 Beteiligten
  4. Die sinkende Beteiligungszahl an den Streiks dokumentiert diese Problematik.
  5. J. Flemming u.a.: a.a.O., Bd. 2, S. 234
  6. J. Flemming u.a.: a.a.O., Bd. 2, S. 235
    Unter dem Titel WTB-Plan wurde ein im Januar 1932 vorgestelltes Programm aktiver Konjunkturpolitik und Arbeitsbeschaffung bekannt, das vor allem von gewerkschaftlicher Seite (ADGB) getragen wurde. Es ist nach den Initialen seiner Hauptproponenten Wladimir Woytinsky, Fritz Tarnow und Fritz Baade benannt.
  7. Da Interessenkonflikte zum Ende der Weimarer Republik weitgehend auf der Ebene der diskreten Absprachen und der direkten Einflussnahme auf Bürokratie und Verbände ausgetragen wurden, waren für die Arbeiterorganisationen die Chancen, ihre Interessen durchzusetzen gegenüber den anderen Klassen erheblich geringer. Wenn man bereit gewesen wäre, durch Mobilisierung der eigenen Massenbasis die Konfliktebene zu verschieben, damit aber auch erhebliche politische Risiken (unter Umständen bewaffnete Auseinandersetzungen) einzugehen, wäre dies eventuell zu verändern gewesen. Diese Bereitschaft war bei der SPD und den Gewerkschaften nicht vorhanden – ein bedeutender Unterschied zwischen Sozialdemokraten und KPD.

 

 

Das könnte dich auch interessieren …