Verhältnis von Politik und Ökonomie am Ende der Weimarer Republik
„Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“
Max Horkheimer
Ich gehe davon aus, dass die gesellschaftlichen Strukturen, insbesondere das Verhältnis von Poltik und Ökonomie in die Analyse des Nationalsozialismus, als deutsche Version des Faschismus, einbezogen werden müssen. Alle rein ereignisgeschichtlichen oder lediglich die Sphäre der Politik behandelnden Anaalysen sind wichtig, aber zumindest unvollständig. Aus den politökonomischen Analysen ergibt sich allerdings die Konsequenz, dass der Faschismus eine Form der politischen Herrschaftsausübung im Kapitalismus ist, aus dessen innerer Widersprüchlichkeit solches oder Ähnliches immer wieder entspringen kann.
Diese Materialien sollen als Grundlage für die Beschäftigung mit den Filmen dienen, die hier vor allem als historische Darstellungen, als Form der Geschichts“schreibung“ behandelt werden und nur sekundär als Quelle für den historischen Hintergrund ihrer Entstehungszeit.
Detlef Endeward
Politik und Ökonomie am Ende der Weimarer Republik
Bedingungen der Wirtschaftskrise in Deutschland
- Monopolisierung
- Rationalisierung
- Lohnniveau und Arbeitslosigkeit
- Finanzprobleme des Staates
Der Charakter der Krise 1929 bis 1933: eine Systemkrise
- Merkmale der System- und Gesellschaftskrise
- Zum Verlauf der Wirtschaftskrise
- Die Finanzkrise
- Modell zum wirtschaftlichen Krisenzyklus
Zur wirtschaftlichen Interessenlage der verschiedenen Klassen
- Zur Interessenlage der (Groß-)Industrie
- Zur Interessenlage der (groß)agrarischen Produzenten
- Zur Interessenlage der Mittelklasse
- Zur Interessenlage der organiserten Arbeiterklasse
Politik und Ökonomie in der Endphase der Weimarer Republik
- Politik und Ökonomie in der Phase der Regierung Brüning
- Politik und Ökonomie in der Phase der Regierung v. Papen
- Wirtschaftspolitik der Regierung
- Das Verhältnis der Klassen zueinander
Der kapitalistische Staat und die Interessen der unterdrückten Klassen
Diese erste Eigenschaft des kapitalistischen Staats hängt mit der spezifischen Autonomie des politischen Kampfs gegenüber dem ökonomischen Kampf, der politischen Macht gegenüber der ökonomischen Macht und der ökonomischen Klasseninteressen gegenüber den politischen Klasseninteressen in den kapitalistischen Gesellschaftsformationen zusammen.
Der kapitalistische Staat mit hegemonialer Führung durch eine Klasse vertritt unmittelbar nicht die ökonomischen Interessen der herrschenden Klassen, sondern ihre politischen Interessen. Als Organisationsfaktor ihres politischen Kampfes ist er das politische Machtzentrum der herrschenden Klassen. Gramsci drückte das sehr gut aus, als er feststellte:
»(. . .) Das Staatsleben ist aufzufassen als ein ständiges sich Bilden und Überwinden von unstabilen Gleichgewichtszuständen (. . .) zwischen den Interessen der Hauptklasse und den Interessen der untergeordneten Klassen. Überwiegen die Interessen der herrschenden Klassen, so doch nur bis zu einem gewissen Punkt, ohne den Grad des grob ökonomisch korporativen Interesses zu erreichen.«3
In diesem Sinne schließt der kapitalistische Staat schon in seinen Strukturen einen gewissen Spielraum ein, der innerhalb der Grenzen des Systems die Berücksichtigung der ökonomischen Interessen bestimmter unterdrückter Klassen in begrenztem Umfang gewährleistet. Dies ist ein Teil seiner Funktion, soweit diese Gewährleistung nicht in Widerspruch gerät zur hegemonialen Klassenherrschaft der herrschenden Klassen, d. h. zur politischen Einsetzung
dieser Klassen als Repräsentanten des Allgemeininteresses des Volks gegenüber diesem Staat. Zwar setzt der Begriff des kapitalistischen Staats eine spezifische Funktion der politischen Ideologie voraus, eine Herrschaftsform, die sich auf einen »Konsens« gründet, zu dem die unterdrückten Klassen auf besondere Weise organisiert und angeleitet werden, doch beschränkt sich die Eigenart des kapitalistischen Staats, von dem hier die Rede ist, nicht auf die bloße ideologische Konditionierung. Die Vorstellung eines Allgemeininteresses des „Volkes“, die ideologisch ist, aber den institutionellen Spielraum des kapitalistischen Staats beschreibt, steht für ein reales Faktum: dieser Staat leistet gerade infolge seiner Struktur eine Gewähr für ökonomische Interessen bestimmter unterdrückter Klassen, die sogar den kurzfristigen ökonomischen Interessen der herrschenden Klassen zuwiderlaufen können, mit deren politischen Interessen, ihrer hegemonialen Herrschaft, jedoch durchaus übereinstimmen.
Das führt uns zu einem einfachen Schluß, der jedoch nicht oft genug wiederholt werden kann. Diese Gewährleistung ökonomischer Interessen gewisser unterdrückter Klassen durch den kapitalistischen Staat darf nicht schon an sich als Einschränkung der politischen Macht der herrschenden Klassen betrachtet werden. Zwar wird sie dem Staat durch den politischen und ökonomischen Kampf der unterdrückten Klassen aufgezwungen, doch beweist dies lediglich, daß der Staat kein Werkzeug einer Klasse, sondern der Staat einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft ist. Der Klassenkampf innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformationen bedingt, daß diese Gewährleistung von Interessen gewisser unterdrückter Klassen innerhalb der Grenzen, die der Staat dem Kampf unter hegemonialer Klassenführung setzt, als Möglichkeit vorgegeben ist. Mit dieser Garantie zielt der Staat genau auf die Desorganisierung der unterdrückten Klassen ab; in einer Gesellschaftsformation, in der der Klassenkampf der unterdrückten Klassen möglich ist, ist sie manchmal unerläßliches Mittel zur Aufrechterhaltung der Hegemonie der herrschenden Klassen. In anderen Worten: es läßt sich stets eine Trennlinie je nach der konkreten Lage ziehen, diesseits derselben diese Gewährleistung der ökonomischen Interessen der unterdrückten Klassen durch den kapitalistischen Staat nicht nur das politische Verhältnis der Klassenherrschaft keineswegs unmittelbar in Frage stellt, sondern sogar ein Bestandteil dieses Herrschaftsverhältnisses ist.
Dies ist in der Tat ein besonderes Merkmal des kapitalistischen Staats, das von der spezifischen Autonomie des Überbaus gegenüber der ökonomischen Instanz, der politischen gegenüber der ökonomischen Macht herrührt. (…)
Nicos Poulantzas: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen, Frankfurt/M 19752, S. 188/89