Verhältnis von Politik und Ökonomie am Ende der Weimarer Republik

Krise, Klasseninteressen und Kapitalmacht

„Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“
Max Horkheimer

Detlef Endeward (06/2025)

Die Seite der Lernwerkstatt Film und Geschichte widmet sich der Endphase der Weimarer Republik aus einer politökonomischen Perspektive, die über rein ereignisgeschichtliche Darstellungen hinausgeht. Im Zentrum steht die Frage, wie sich das Verhältnis von Politik und Ökonomie im Übergang zur faschistischen Herrschaft gestaltete – und welche Rolle dabei die Interessen verschiedener Klassen und Kapitalfraktionen spielten.

Ein zentraler theoretischer Bezugspunkt ist die Analyse von Alfred Sohn-Rethel, der den Faschismus als eine Form der politischen Krisenlösung im Interesse des Großkapitals deutet1. Der Nationalsozialismus erscheint hier nicht als bloßer „Putsch von oben“, sondern als autoritäre Reorganisationsform kapitalistischer Herrschaft in der Krise2.

Diese Perspektive wird auf der Seite durch weitere Autoren ergänzt, etwa durch Nicos Poulantzas, der die relative Autonomie des kapitalistischen Staates betont und dessen Funktion als Vermittlungsinstanz zwischen Klasseninteressen analysiert3.

Auch die Monopolgruppentheorie (u. a. Jürgen Kuczynski, Dietrich Eichholtz) wird berücksichtigt, die unterschiedliche Kapitalfraktionen (z. B. Schwerindustrie vs. Chemie/Elektro) mit spezifischen politischen Strategien in Verbindung bringt4.

Hans Mommsen führt in seiner strukturalistischen Analyse die „kumulative Radikalisierung“ als zentrales Erklärungsmuster für den Aufstieg des Nationalsozialismus ein5. Für Mommsen war das Scheitern der Republik nicht zwangsläufig, sondern Ergebnis eines komplexen Wechselspiels aus institutioneller Schwäche, politischer Fragmentierung und ökonomischem Druck. Er betont die Rolle konservativer Eliten, die Hitler als „Bollwerk gegen links“ installierten, um eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie zu verhindern6.

Dirk Stegmann wiederum hebt die Bedeutung der sozialökonomischen Strukturveränderungen hervor, insbesondere die Rolle der Angestellten und des „neuen Mittelstands“ in der politischen Radikalisierung der späten Weimarer Jahre7. Seine Analysen zeigen, wie sich soziale Unsicherheit und Statusverlust in autoritäre Sehnsüchte übersetzten – ein Nährboden für faschistische Ideologie.

Niels Kadritzke schließlich betont in seiner marxistisch orientierten Analyse die innerkapitalistischen Widersprüche als Triebkraft der Faschisierung. Für ihn war der Übergang zur NS-Diktatur nicht primär durch ideologische Radikalisierung, sondern durch die Unfähigkeit des bürgerlichen Staates gekennzeichnet, die ökonomische Krise im Interesse der Arbeiterklasse zu lösen8. Der Faschismus erscheint hier als autoritäre Antwort auf die Krise der kapitalistischen Akkumulation.

Die Lernwerkstatt bietet darüber hinaus eine Vielzahl an Materialien – darunter Filme wie Kuhle Wampe oder Der Rat der Götter –, die als historische Darstellungen genutzt werden können, um die sozioökonomischen Bedingungen der faschistischen Machtübernahme zu reflektieren. Die Filme dienen dabei nicht nur als Quellen zur Mentalitätsgeschichte, sondern auch als ästhetische Formen politischer Analyse.


Anmerkungen

  1. Vgl. Alfred Sohn-Rethel: Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus, Frankfurt a. M. 1973.
  2. Vgl. Carl Freytag / Oliver Schlaudt (Hg.): Industrie und Nationalsozialismus. Schriften von Alfred Sohn-Rethel 1932–1948, Frankfurt a. M. 2015.
  3. Nicos Poulantzas: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen, Frankfurt a. M. 1975, S. 188 f.
  4. Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939–1945, Berlin 2003; Jürgen Kuczynski: Der Aufstieg der NSDAP und die Monopolgruppen, Berlin 1955.
  5. Hans Mommsen: Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1918–1933, Berlin 1989.
  6. Hans Mommsen: Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 30 (1982), S. 202–220.
  7. Dirk Stegmann: Die Republik von Weimar II. Das sozialökonomische System, Düsseldorf 1987.
  8. Niels Kadritzke: Faschisierung der Weimarer Republik und NS-Diktatur, in: Dietrich Staritz (Hg.): Das Parteiensystem der Bundesrepublik, Wiesbaden 1980, S. 47–63.

Der kapitalistische Staat und die Interessen der unterdrückten Klassen

Diese erste Eigenschaft des kapitalistischen Staats hängt mit der spezifischen Autonomie des politischen Kampfs gegenüber dem ökonomischen Kampf, der politischen Macht gegenüber der ökonomischen Macht und der ökonomischen Klasseninteressen gegenüber den politischen Klasseninteressen in den kapitalistischen Gesellschaftsformationen zusammen.

Der kapitalistische Staat mit hegemonialer Führung durch eine Klasse vertritt unmittelbar nicht die ökonomischen Interessen der herrschenden Klassen, sondern ihre politischen Interessen. Als Organisationsfaktor ihres politischen Kampfes ist er das politische Machtzentrum der herrschenden Klassen. Gramsci drückte das sehr gut aus, als er feststellte:

»(. . .) Das Staatsleben ist aufzufassen als ein ständiges sich Bilden und Überwinden von unstabilen Gleichgewichtszuständen (. . .) zwischen den Interessen der Hauptklasse und den Interessen der untergeordneten Klassen. Überwiegen die Interessen der herrschenden Klassen, so doch nur bis zu einem gewissen Punkt, ohne den Grad des grob ökonomisch korporativen Interesses zu erreichen.«3

In diesem Sinne schließt der kapitalistische Staat schon in seinen Strukturen einen gewissen Spielraum ein, der innerhalb der Grenzen des Systems die Berücksichtigung der ökonomischen Interessen bestimmter unterdrückter Klassen in begrenztem Umfang gewährleistet. Dies ist ein Teil seiner Funktion, soweit diese Gewährleistung nicht in Widerspruch gerät zur hegemonialen Klassenherrschaft der herrschenden Klassen, d. h. zur politischen Einsetzung

dieser Klassen als Repräsentanten des Allgemeininteresses des Volks gegenüber diesem Staat. Zwar setzt der Begriff des kapitalistischen Staats eine spezifische Funktion der politischen Ideologie voraus, eine Herrschaftsform, die sich auf einen »Konsens« gründet, zu dem die unterdrückten Klassen auf besondere Weise organisiert und angeleitet werden, doch beschränkt sich die Eigenart des kapitalistischen Staats, von dem hier die Rede ist, nicht auf die bloße ideologische Konditionierung. Die Vorstellung eines Allgemeininteresses des „Volkes“, die ideologisch ist, aber den institutionellen Spielraum des kapitalistischen Staats beschreibt, steht für ein reales Faktum: dieser Staat leistet gerade infolge seiner Struktur eine Gewähr für ökonomische Interessen bestimmter unterdrückter Klassen, die sogar den kurzfristigen ökonomischen Interessen der herrschenden Klassen zuwiderlaufen können, mit deren politischen Interessen, ihrer hegemonialen Herrschaft, jedoch durchaus übereinstimmen.

Das führt uns zu einem einfachen Schluß, der jedoch nicht oft genug wiederholt werden kann. Diese Gewährleistung ökonomischer Interessen gewisser unterdrückter Klassen durch den kapitalistischen Staat darf nicht schon an sich als Einschränkung der politischen Macht der herrschenden Klassen betrachtet werden. Zwar wird sie dem Staat durch den politischen und ökonomischen Kampf der unterdrückten Klassen aufgezwungen, doch beweist dies lediglich, daß der Staat kein Werkzeug einer Klasse, sondern der Staat einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft ist. Der Klassenkampf innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformationen bedingt, daß diese Gewährleistung von Interessen gewisser unterdrückter Klassen innerhalb der Grenzen, die der Staat dem Kampf unter hegemonialer Klassenführung setzt, als Möglichkeit vorgegeben ist. Mit dieser Garantie zielt der Staat genau auf die Desorganisierung der unterdrückten Klassen ab; in einer Gesellschaftsformation, in der der Klassenkampf der unterdrückten Klassen möglich ist, ist sie manchmal unerläßliches Mittel zur Aufrechterhaltung der Hegemonie der herrschenden Klassen. In anderen Worten: es läßt sich stets eine Trennlinie je nach der konkreten Lage ziehen, diesseits derselben diese Gewährleistung der ökonomischen Interessen der unterdrückten Klassen durch den kapitalistischen Staat nicht nur das politische Verhältnis der Klassenherrschaft keineswegs unmittelbar in Frage stellt, sondern sogar ein Bestandteil dieses Herrschaftsverhältnisses ist.

Dies ist in der Tat ein besonderes Merkmal des kapitalistischen Staats, das von der spezifischen Autonomie des Überbaus gegenüber der ökonomischen Instanz, der politischen gegenüber der ökonomischen Macht herrührt. (…)


Nicos Poulantzas: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen, Frankfurt/M 19752, S. 188/89

Die hier ausgewählten Filme leisten einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den sozioökonomischen Bedingungen für die faschistische Machtübernahme.

Politik und Ökonomie am Ende der Weimarer Republik

Auswahl, Zusammenstellung und Einordnung der Materialien: Detlef Endeward (2021ff)

Die Ausführungen in diesem Bereich stützen sich vor allem auf die Arbeiten von Karl Dietrich Bracher, John Kenneth Galbraith, George W. F. Hallgarten, Eric Hobsbawm, Eike Henning, Harold James, Niels Kadritzke, Jürgen Kuczynski, Dietmar Petzina, Nicos Poulantzas, Karl-Heinz Roth, Karsten Heinz Schönbach, Alfred Sohn-Rethel, Dirk Stegmann und Bernd Weisbrod. (Siehe Literaturangaben)

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