Einschätzung der politisch-ökonomischen Lage 1932/33 durch die Arbeiterorganisationen

Obwohl es bei den Arbeiterorganisationen schon früh bedeutende Personen gab, die sehr treffende Einsichten über den Charakter des Faschismus hatten, ist es den Organisationen der Arbeiterbewegung nicht gelungen, eine gemeinsame politische Praxis gegen den aufkommenden Faschismus zu entwickeln. Man bekämpfte sich einerseits viel zu sehr gegenseitig und andererseits erfolgten die strategischen Konsequenzen von SPD, Gewerkschaften und KPD aus zwar unterschiedlichen aber gleichwohl katastrophalen realpolitischen Fehleinschätzungen der politisch-ökonomischen Lage in der Wirtschaftskrise durch die jeweiligen Führungsgremien. Die tiefergehenden Analysen spielten für die praktische Politik kaum eine Rolle und waren ihrerseits zu unterschiedlich, als das daraus eine gemeinsame Strategie hätte entwickelt werden können.

So gingen die Arbeiterorganisationen allerdings „gemeinsam“ in den politischen Untergang und ihre Vertreter fanden sich – sofern sie nicht ermordet wurden – gemeinsam erst im Widerstand, im inneren und äußeren Exil oder in den Konzentrationslagern wieder.

Die SPD vertraute auf rasche Rückkehr kapitalistischen Wirtschaftens zum Business as usual. Das mögliche Ausmaß und die gesellschaftspolitischen Folgen der Arbeitslosigkeit hat sie völlig unterschätzt. Dass im Rahmen kapitalistischer Ökonomie eine faschistische Staatsform sich etablieren würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Gewaltbereiten Wirtschaftsimperialismus hielt sie für eine theoretische Konstruktion, von der man sich praktisch nicht in Unruhe versetzen lassen müsse. Schon bald, so ihre Erwartung, werde der Parlamentarismus wieder funktionieren. Also galt es, organisationsfest zu bleiben, nichts zu riskieren und auf wiederkehrende Vernunft der Wählerinnen und Wähler zu setzen.

aus: Arno Klönne: Weltwirtschaftskrise 1929 – ein schöpferischer Crash? (2011)

So unsicher die Regierung der Barone bei der Bestimmung des Wahltermins war und so sehr sie sich dabei mit dem parlamentarischen Kuhhandel verbunden zeigte, so sicher und eilig war sie mit der Auflösung des Reichstags.

Die Regierung von Papen hatte nicht den Mut, vor den Reichstag zu treten und ihr Programm kämpferisch durchzusetzen.

Sie will unbelastet den Staatsapparat für die Wahlen gebrauchen, will alle reaktionären Kräfte entfesseln und den Rundfunk für sich und Adolf Hitler einstellen. Die Nationalsozialisten sollten durch die überstürzte Auflösung geschont werden, um sie nicht in den Geruch der Tolerierung eines Kabinetts der Barone zu bringen. Aber vergeblich suchen die Nationalsozialisten vom Monokelkabinett Abstand zu halten. Ihr Jubelruf „Hitler beherrscht die Lage!“, ihre kritiklose Zustimmung zur stockreaktionären Regierungserklärung und die Tatsache, daß nur durch die Berufung auf die Nationalsozialisten das Kabinett Brüning gestürzt und das Kabinett von Schleicher – von Papen ans Ruder kommen konnte, zeigt, daß die Nationalsozialisten die eigentliche Regierungspartei sind. Die Regierung Brüning ist von Kräften gestürzt worden, denen sie noch zu sozialistisch war, und dies unter Mithilfe und Beifall der Nationalsozialisten. Die sagten, sie seien Sozialisten und funktionieren nur als Knüppelgarde des Großbesitzes beim Raub des letzten Stückchens Brot. Sie wollen Revolutionäre sein und sind die Landsknechte der Gegenrevolution. Sie spielen sich als Führer auf und sind nur miserable kleine Parvenüs, die sich von Aristokraten und Geldsäcken mißbrauchen lassen. (…)
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Die große Tatsache, aus der grundsätzlich alles erklärt werden kann, ist die unaufhaltsame Zersetzung des Kapitalismus. Der moderne Kapitalismus kann mit seinen eigenen Problemen und Sorgen nicht mehr fertig werden. Sein katastrophales, zwangsläufiges und unabwendbares Versagen auf allen Gebieten und der Selbsterhaltungstrieb des großen Besitzes stehen in einem unüberbrückbaren Gegensatz. Da gibt es für den Großbesitz nur die eine Frage: entweder zu warten, wie er Stück für Stück von einem sozial auf dem Boden gleichartiger Klasseninteressen sich zusammenfindenden Volk in den Hintergrund gedrängt wird, oder seinerseits die Initiative zu ergreifen, und offensiv gegen die vorwärtsdringende Arbeiterklasse vorzugehen. Der Großbesitz kann dabei an die Besitzängste der Kleinbürger appellieren, er kann die mächtigen Kräfte der geistigen und traditionellen Gebundenheit für sich aktivieren, und er kann sein Geld als politischen Faktor einschalten. So ist der Besitz überall in der Welt vorgegangen: Der Faschismus als letzte Reserve und letztes Kampfmittel der Reichen und Privilegierten.

Die Methoden bestehen in erster Linie in der Anwendung der den Arbeiterparteien abgelauschten revolutionären Propaganda, die man noch mit den Gefühlswerten einer lügnerisch vergoldeten Verherrlichung der alten Zeit antreibt. So gelingt es, die Massen gegen die eigenen Sehnsüchte und Interessen zu mobilisieren. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten, die lächerlichen Figuren, die sich selbst bedeutend dünken, wenn sie vergessen können, daß sie an der Strippe großer Klasseninteressen baumeln, und die Angst vor der Arbeiterbewegung half die Herden zusammenzutreiben.

Aus seinem Versagen in der Wirtschaft flieht der Kapitalismus in die Gewaltpolitik.

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Der Reichtstagsabgeordnete Paul Löbe (SDP) spricht zur Landtagswahl in Preußen 1932 über die gewerkschaftliche Forderung nach Arbeitszeitverkürzung: „Darin liegt ein Opfer, das auch von anderen Schichten des Volkes gewürdigt werden sollte.“

> Video-Clip (1.51 Min.) der Rede von Paul Löbe


Die KPD glaubte an den großen Kladderadatsch zumindest des deutschen Kapitalismus, auf den Zusammenbruch des ökonomischen Systems. Überall identifizierte sie schon vor 1933 Faschismus, hielt aber dessen Politikfähigkeit für nur kurzzeitig, den Prozess der Hinwendung zur radikalen Linken objektiv beschleunigend – »Nach Hitler kommen wir«. Hitlers Zeit, so meinte die KPD, sei kurz bemessen, die repressive, aber auch integrative Energie des Faschismus wurde sehr unterschätzt. In einem merkwürdigen Widerspruch dazu stand die warnende Agitation der Kommunisten: »Hitler bedeutet Krieg.« Offensichtlich rechnete man aber nicht damit, dass diese realistische Voraussage sich bewahrheiten werde. Und so konzentrierte sich die KPD in der Phase der Wirtschaftskrise darauf, weiteren Anhang für’s Wählen und Demonstrieren zu finden und »Sowjetdeutschland« zu versprechen.

aus: Arno Klönne: Weltwirtschaftskrise 1929 – ein schöpferischer Crash? (2011)

Wir Kommunisten wollen mit dieser Aussprache keine politischen Geschäfte machen. Die brennenden Probleme, die schärferen Zuspitzungen der Klassengegensätze, die Gefahr der unmittelbaren Aufrichtung der faschistischen Diktatur haben uns zu der heutigen Aussprache zusammengeführt. Unsere sozialdemokratischen Genossen sollen sich nicht scheuen, das auszusprechen, was sie denken, sie müssen sagen, wo sie der Schuh drückt, müssen auch sagen, welche etwaigen Beschwerden sie über unsere Partei haben. Nur so schaffen wir Klarheit im Kampfe gegen den gemeinsamen Feind aller Arbeiter, gegen den Faschismus und Kapitalismus.

1. Frage: Wie schätzen die Kommunisten den Charakter der Papen-Regierung ein? (…)

2. Frage: Warum ist das Verbot der KPD und des Kommunistischen Jugendverbandes augenblicklich akut? (…)

 

3. Frage: Meint die KPD die Einheitsfront ehrlich? Wie verteidigt die KPD die Freiheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus – Wie denkt sich die KPD die politische Linie und die Organisation der Antifaschistischen Aktion?
Ist die Antifaschistische Aktion ein kommunistischer Parteiladen? – Können SPD-Arbeiter, Reichsbanner-und Gewerkschaftsmitglieder, die an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen, Mitglieder der SPD bleiben? – Warum stellen die Kommunisten im antifaschistischen Kampf so eindringlich die Forderung nach Aufhebung des RFB-Verbots?
Sieht der Genosse Thälmann in dem Bestreben der SPD-Arbeiter, eine Einheitsfront zu bilden, den ersten Schritt zur Zerschlagung der SPD, oder sieht er nur den rückhaltlosen Einheitswillen der Arbeiter, den Einfluß des Faschismus zu brechen? (…)

4. Frage: Ist im Kampfe gegen die Popen-Regierung und gegen den Faschismus ein Bündnis der KPD mit der SPD möglich? – Wie steht die KPD zu einer Listenverbindung bzw. zu einem Wahlblock mit der SPD bei der Reichstagswahl? – Bringt der 31. Juli die Entscheidung? (…)

5. Frage: Hält die KPD beim Ziel der Schaffung der proletarischen Einheitsfront nicht auch Spitzenverhandlungen mit SPD- und ADGB-Führung für angebracht? – Wie steht zur Einstellung der Beschimpfungen“ der SPD-Führung? (…)

 

 

6. Frage: Bedeutet das Einheitsfrontangebot der KPD an alle Organisationen, die gewillt sind, gegen Lohnraub und Faschismus zu kämpfen, eine Änderung der Politik der Kommunisten? – Wie schaffen wir die Einheitsfront der Arbeiter und Angestellten im Kampf gegen Lohn-, Unterstützungs-, Gehalts-, Rentenabbau ? (…)

7. Frage: Was sagt die KPD zur SPD-Losung der „zweiten Republik“ und der „Restauration des Weimarer Systems“? (…)

 

 

8 Frage: Stimmt die kommunistische Behauptung, wonach in Preußen die SPD dem Faschismus Hilfestellung leistete? – Warum bekämpft die KPD die Politik des kleineren Übels“? (…)

9 Frage: Haben die Kommunisten im Kampfe gegen Versailles und den Youngplan Zugeständnisse an den Nationalsozialismus gemacht? Können Internationalisten ein nationales und soziales Freiheitsprogramm aufstellen, wie es die Kommunisten aufgestellt haben? (…)

10. Frage: Wie steht die KPD zum sogenannten ADGB-„Rettungsprogramm und zur ADGB-Losung des Umbau der Wirtschaft“? Gehen die Losungen des ADGB nicht viel weiter als die Arbeitsbeschaffungsforderungen der KPD? – Was halten die Kommunisten vom Arbeitsbeschaffungsprogramm des ADGB ? (…)

11. Frage: Sind Streikkämpfe während der Krise möglich? – Welche Kampf- und Einheitsorgane schlägt die KPD vor? – War die Streiktaktik der KPD und RGO bisher richtig? (…)

12. Frage: War die Gründung der RGO notwendig? – Bedeutet die Gründung nicht eine Spaltung der organisierten Arbeiterschaft? (…)

13. Frage: Wie unterscheidet sich die Stellung der Kommunisten in der Jugend- und der Frauenfrage von der der Sozialdemokratie? (…)

14. Frage: Gibt es zwei Arbeiterparteien? (…)

15 . Frage: Gibt es innerhalb der KPD Demokratie und ein Mitbestimmungsrecht der Mitglieder? (…)

16. Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen Führer und Masse bei der KPD, und wie beurteilt sie das Verhältnis von Führer und Masse bei der SPD und beim ADGB? (…)

17. Frage: Wie steht es mit der Abhängigkeit der KPD von der Komintern, von Moskau und der Politik der Sowjetunion? (…)

18. Frage: Unter welchen Bedingungen kann die Losung des politischen Massenstreiks als konkrete Kampflosung gestellt werden? (…)

19. Frage- Wie denkt sich die KPD die Bekämpfung des imperialistischen Krieges und die Verteidigung der Sowjetunion? (…)

20. Frage: Steht die Losung der Diktatur des Proletariats nicht im Gegensatz zum Mitbestimmungsrecht und der Demokratie innerhalb der Arbeiterklasse? (…)

21. Frage: Welche Bedeutung hat der 2. Fünfjahrplan? – Wodurch haben die russischen Arbeiter und Bauern in ihrem Lande Faschismus und Tributsklaverei verhindert? – Ist das russische Beispiel in Deutschland durchführbar? (…)


> Vollständiger Text

Genossen!

Die Bedeutung der heutigen Konferenz ergibt sich schon aus der Tatsache, daß zweifelsohne durch die Bildung der Hitlerregierung eine solche Zuspitzung des Klassenkampfes eingetreten ist, wie wir sie seit 1918 kaum mehr zu verzeichnen hatten …

Das Proletariat und die Werktätigen der ganzen Welt blicken auf uns und [auf] das deutsche Proletariat. Die russischen Arbeiter und Bauern blicken auf uns. Die kommunistischen Bruderparteien in Frankreich, in der Tschechoslowakei, Holland und überall haben glänzend ihre Solidarität mit dem schweren Kampf des [deutschen] Proletariats verkündet. Die deutsche Partei hat einen wichtigen Schlüssel für den revolutionären Aufschwung in ganz Europa in ihrer Hand. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Jetzt droht der Staatsstreich. Jetzt droht die Vernichtung der Partei. Jetzt sind in höchstem Grade entscheidende Wochen.

Der Kampf, der vor uns liegt, ist der schwerste, den die Partei zu bestehen hat. Er kann nicht verglichen werden mit den Jahren seit 1923. Er gibt jedem Kommunisten eine noch höhere Verantwortung als selbst in der damaligen Situation. Unmittelbar müssen wir die Offensive ergreifen, dann haben wir die Chance für uns.

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Noch einmal anders eine Lageeinschatzung und Perspektive bei der damaligen Gewerkschaftsbewegung, zumindest einer Führungsgruppe des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes: Hier wurde mit einem politischen Formwandel des deutschen Kapitalismus gerechnet, in Richtung auf ein nationalkorporatives System. In diesem aber, so meinten die Gewerkschaftsführer, würden die Gewerkschaften ihren Platz behalten können. Diesem Wunschbild entsprach der gewerkschaftliche Aufruf im Frühjahr 1933, am »Tag der nationalen Arbeit« teilzunehmen. Am 2. Mai 1933 war eine solche, an der gewerkschaftlichen Basis illusionäre Verwirrung stiftende Einschätzung von der Geschichte überholt. Die Gewerkschaften wurden verboten.

aus: Arno Klönne: Weltwirtschaftskrise 1929 – ein schöpferischer Crash? (2011)


Siehe auch:

Stimmen auch alle Gewerkschaften in die Forderung nach Arbeitsbeschaffung ein, so ist es doch allein der ADGB, der ein konkretes Programm vorlegt, das auf der Idee einer antizyklischen Konjunkturpolitik basiert.

Im Juni 1931 veröffentlicht Wladimir Woytinsky, der Leiter des Statistischen Büros der ADGB, ein Aktionsprogramm zur Belebung der Wirtschaft, mit dem er für eine „aktive Weltwirtschaftspolitik“ eintritt. Das führt zu einer heftigen Debatte innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Hauptkritiker ist Fritz Naphtali, der im Juli 1931 gegen die Vorschläge Woytinskys einwendet, sie müssten unweigerlich inflationistisch wirken und bedeuteten somit „eine Fehlleitung von Energien” der Sozialdemokratie. Angesichts der Erfahrungen der Hochinflation mögen diese Befürchtungen zwar verständlich sein. Sie beruhen jedoch auf einer Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Realität, die in Anbetracht der Deflations-Politik festzustellen zu einem fortschreitenden Schrumpfungsprozess der Wirtschaft beiträgt.

> weiter (gewerkschaftsgeschichte.de);
dort auch:

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