Das Brot und der Himmel.

Zwei deutsche Spielfilme als historische Quellen der frühen Nachkriegszeit

Detlef Endeward/Peter Stettner (1995)

Historisches Lernen mit Spielfilen

Die Nutzung von Spielfilmen für historisches Lernen ist sicher abhängig vom Vorverständnis über eben dieses Lernen. Wenn historisches Lernen als ein „fundamentaler und elementarer Prozess der menschlichen Lebenspraxis“[1], der Identitätsbildung begriffen wird, können sich Lernprozesse nicht in der Vermittlung von Wissen erschöpfen, sondern müssen so strukturiert werden, dass historisches Lernen auch als elementarer Prozess für die gegenwärtige Lebenspraxis und Handlungsfähigkeit erfahrbar wird. Zu einer solchen Handlungsfähigkeit trägt in großem Maße die Entwicklung und Ausprägung von Geschichtsbewusstsein bei. Damit ist gemeint, dass die Fähigkeit ausgebildet wird, die prinzipielle Differenz von Vergangenem und Gegenwärtigem wahrzunehmen, die Gegenwart als etwas Gewordenes und damit Veränderbares zu begreifen und über die Beschäftigung mit dem Vergangenen Grundlagen für das Verständnis des Gegenwärtigen zu erwerben. Geschichtsbewusstsein wird so zu einer zentralen Kategorie für historisches Lernen.[2] Die Auseinandersetzung mit dem Bewusstsein der Menschen von sich selbst und von der Gesellschaft, in der sie leben bzw. lebten, erhält dann aber auch einen großen Stellenwert als Gegenstand des Lernens.

Es ist selbstverständlich, dass historisches Lernen in diesem Zusammenhang eine sozial­geschichtliche Orientierung voraussetzt. Gegenstand des Lernens werden die sozialen und ökonomischen Lebensverhältnisse, ihre Entwicklung, Veränderung und die zugrunde­liegenden Bedingungen. Und um die Erweiterung des Blickes auf gesamtgesellschaftliche Strukturen und Prozesse mit dem Erfahrungshintergrund der Lernenden zu vermitteln, ist es sinnvoll, sich auch den alltäglichen Phänomenen in der Geschichte zuzuwenden. Eine solche alltagsgeschichtliche Orientierung findet in der Bundesrepublik seit Mitte der 80er Jahre ein größeres Echo: Bei der Beschäftigung mit dem alltäglichen Handeln der Menschen in ihrem jeweiligen lokalen bzw. regionalen Umfeld wurde die Möglichkeit entdeckt, den Blick auf die politische Geschichte bzw. auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse um eine Dimension – den Blick auf und von „unten“ –  zu erweitern. Für historisches Lernen heißt dies: bezüglich des Gegenstandes, des Umfeldes wie auch der Handlungsebene sind direkte Bezüge zum Erfahrungshintergrund der Lernenden herstellbar, Vergangenheit kann in den Erfahrungskontext der Lernenden geholt werden.[3]

So wurden Überreste und Berichte alltäglichen Lebens und Arbeitens – Wohnungen, Sportvereine, Tagebücher etc. – zu zentralen Quellen. Nicht zuletzt wandte man sich den „Überlebenden“ selbst zu: Die oral history, die Befragung bzw. das Gespräch mit Zeitzeugen, erlebte einen Durchbruch, eine Methode, die bis dahin in der Geschichtswissenschaft lediglich in Ansätzen (Memoiren und Interviews mit „großen Persönlichkeiten“) genutzt wurde.

Aber die bisherige alltagsgeschichtliche Orientierung allein führt nur bedingt dazu, Erkennt­nisse über Mentalitäten, das Bewusstsein der Menschen, zu gewinnen. Diese Eingrenzung resultiert daraus, dass zwar das alltägliche Handeln, nicht aber das zeitgenössische Denken und Wünschen der Menschen deutlich wird. Und auch die Methode der oral history hat ihre Grenzen. Die Befragung von Zeitzeugen ist immer eine retrospektive Betrachtung. Über die Erinnerungen, die berichteten Erfahrungen und Erlebnisse der befragten Menschen lassen sich eher Erkenntnisse über deren gegenwärtiges Denken, über die Verarbeitung von Geschichte, gewinnen, als Erkenntnisse über die Bewusstseinslage in der vergangenen Zeit. Dies führt zu der Frage: Wo finden sich weitergehende, ergänzende Hinweise auf das, was im Kopf der Menschen damals vor sich gegangen ist und was möglicherweise relevant wurde für die gesellschaftliche Entwicklung?

Unseres Erachtens ist das Massenmedium Spielfilm in besonderer Weise geeignet, uns Aussagen über Mentalitäten breiter Bevölkerungskreise zu vermitteln, und zwar als historische Quelle seiner Entstehungszeit, nicht als retrospektive Inszenierung vergangener Epochen. Der besondere Wert liegt in der unbeabsichtigten Überlieferung, dem Überrestwert aus der Produktionszeit des Films.[4] Der filmischen Apparatur ist, basierend auf einem fotomechanischen Prozess, ein Aufzeichnungsver­fahren zu eigen, dass eine prinzipielle „Wirklichkeitstreue“ hervorbringt.[5] Bei Dokumentar­filmen oder sogenannten „Filmdokumenten“ wird dies oft selbstverständlich unterstellt, und diese werden, wenn auch nicht sehr häufig, von Historikern als Quellen genutzt. Im Gegensatz dazu scheinen sich Spielfilme geradezu durch ihren „erfundenen“, inszenierten Charakter auszuzeichnen. Aber es ist natürlich die glei­che Filmkamera in Dokumentar- wie in Spielfilmen, die nach den gleichen Gesetzen funktioniert. Daher geht natürlich auch in den Spielfilm hi­storische Realität ein: wenn man die physische „vorfilmische“ Realität einmal bei Seite lässt, die auch in zahlreiche Spielfilme Eingang gefunden hat, so ist es die Art und Weise, wie die am Entstehungsprozess des Films beteiligten die „Welt“ ansehen, ihre Sichtweise auf die Vergangenheit, die Gegenwart und in die Zukunft. In den Filmen spiegeln sich dementsprechend zeitgenössische Bewusstseinslagen und Mentalitäten – Moralvorstellungen, erstrebte Ideale, Ängste, Wünsche und Hoffnungen einer Zeit. Diese „Weltanschauung“ ist auf Zelluloid gebannt. Sie findet sich sowohl auf der inhaltlichen Ebene (tragende Motive, Konfliktlösungen usw.) als auch auf der formalen Ebene (Perspektive, Kamerabewegun­gen, Konstruktion der Erzählung, Schnitt usw.). Und es ist anzunehmen, daß sie infolge der gesellschaftlichen Produktionsweise eines Spiel­films (es sind in der Regel mehrere Dutzend, oft Hunderte „Mitarbeiter“ beteiligt) stärker als bei individuellen Kunst- und Kulturprodukten einfließt. Minderheitenpositionen sind im Spielfilm die große Ausnahme, nicht zuletzt weil dieser auf das „große“ Publikum zielt.[6]

Man kann davon ausgehen, dass in historischen Umbruchsituationen, in denen bisherige Wertvorstellungen verloren gehen bzw. unbrauchbar werden, neue „Weltbilder“ und das Bedürfnis nach sozialer und psychologischer Orientierung eine große Bedeutung erlangen. Der Kinospielfilm als ein in der breiten Öffentlichkeit zumindest bis Ende der 50er Jahre beachtetes Bildermedium, das Lebensentwürfe projiziert, hat hieran entscheidenden Anteil. Eine solche Umbruchsituation ist in Deutschland nach Ende des 2. Weltkrieges sicherlich gegeben. In die Phase des Übergangs vom besiegten deutschen Faschismus zur Herausbildung neuer gesellschaftlicher und staatlicher Gebilde in Deutschland Ost und West zielen die folgenden Überlegungen, die anhand zweier Filmbeispiele entwickelt werden. Bevor diese Filme als Quellen beschrieben und interpretiert werden, soll zunächst wenigstens in Ansätzen der historische Kontext der deutschen Spielfilmproduktion jener Zeit skizziert werden.[7]

Filmproduktion im Nachkriegsdeutschland

Nach Kriegsende beschlagnahmten die Alliierten das Vermögen der deutschen Filmwirtschaft und stellten das gesamte Filmschaffen unter ihre Kontrolle. In der SBZ begann die neue Filmproduktion zügig: Die DEFA, aus dem bereits vorher bestehenden „Filmaktiv“ als Monopolbetrieb hervorgegangen, war lange Jahre mit weitem Abstand die größte und bedeutendste Filmproduktionsfirma im gesamten Nachkriegsdeutschland. Als die ersten westdeutschen Nachkriegsfilme produziert wurden, hatte sie neben zahlreichen Kultur- und Dokumentarfilmen bereits fünf Spielfilme fertiggestellt und einen festen Mitarbeiterstamm von über 1500 Personen. Dies hatte neben guten materiellen Voraussetzungen – im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands lag der Großteil der ehemaligen deutschen Produktionsstätten, u.a. die ehemaligen großen UFI-Atelieranlagen Johannistal und Babelsberg – seinen Grund auch darin, dass die sowjetische Besatzungsmacht den Film als Mittel der politischen Willensbildung hoch einstufte und dementsprechend auch den Aufbau einer neuen deutschen Filmwirtschaft früh förderte.[8] Die produzierten Filme unterlagen – wie in den Westzonen auch – der alliierten Zensur, wobei die SMAD bis 1947 unter Führung der sogenannten Leningrader Gruppe ein eher liberales Klima pflegte: Bei einem antifaschistischen Grundkonsens konnte ein breites Spektrum an filmischen Ideen und Formen realisiert werden. In den folgenden Jahren, sehr deutlich ab 1949/50 vollzog sich dann bei der DEFA allmählich die Wende zum „sozialistischen Realismus“.[9]

In den Westzonen begann die Filmproduktion recht langsam, da die filmischen Neuansätze zersplittert und jeweils kapitalschwach ausgestattet waren und von den Westalliierten anfangs nur zögerlich unterstützt wurden. Die ökonomischen und sozialen Produktionsbedingungen waren vor der Währungsreform durch extremen Material- und Ateliermangel gekennzeichnet. Die finanziellen Ressourcen spielten demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Der Absatzmarkt war für die neuen westdeutschen Produzenten bis 1949 eher unkompliziert. Das Publikum strömte in die Kinos, sofern sie schon wieder aufgebaut waren. Vor der Währungsreform waren es ca. 10 Besuche pro Kopf der Bevölkerung im Jahr, danach leicht abfallend, dann wieder bis spät in die 50er Jahre steigend.[10]  Das Publikum war neugierig auf die neuen deutschen Filme, stand den „Trümmerfilmen“ aber auch bald ablehnend gegenüber. Doch bis zur Währungsreform hatten auch diese Filme meist keine Probleme, ihre Produktionskosten wieder einzuspielen. Die Konkurrenz ausländischer Filme war zu dieser Zeit noch nicht erdrückend, da vor allem die amerikanischen Verleihe noch kein allzu starkes Interesse am deutschen Kinomarkt hatten. Dies änderte sich kurze Zeit später.[11]

Wenngleich flächendeckende Untersuchungen zu der alliierten Filmpolitik noch nicht vorliegen, so lässt sich doch in der Tendenz für die westlichen Besatzungszonen folgendes festhalten:[12]

Es bestand ein allgemeiner Lizensierungszwang für alle Filmschaffenden, entsprechende Filmprojekte mussten zur Vorzensur eingereicht werden und abschließend die Endzensur durchlaufen. Direkte Verbote von Filmprojekten bezogen sich ausschließlich auf bestimmte „sicherheitsgefährdende“ Stoffe (Kritik an Besatzungsmächten, faschistisches und rassistisches Gedankengut usw.); angesichts der allgemeinen Probleme und Nöte wurden teilweise (auch abhängig vom jeweiligen Kontrolloffizier) Zeitthemen bevorzugt: wegen des allgemeinen Rohfilmmangels sollte möglichst wenig Zelluloid für „Eskapismus“ verschwendet werden. Es gab aber ganz offensichtlich kein Hinein­reden in einzelne Motive oder gar deren filmische Gestaltung bei Projekten, die im Prinzip einmal genehmigt waren. Im Gegensatz zum Dokumentarfilm wurde der Spielfilm in den Westzonen kaum als Mittel politischer Willensbildung gesehen. Ab Herbst 1948 wurde die alliierte Filmzensur spürbar lockerer gehandhabt (Ende der Vorzensur), wenngleich sie erst im Sommer 1949 mit Gründung und Arbeitsaufnahme der FSK bis auf Ausnahmen erlosch.

Trotz vielfältiger Unterschiede kann die Spielfilmproduktion in West- und Ostdeutschland bis etwa 1949 noch im wesentlichen als eine Einheit betrachtet werden. Bis zum Ende 1948 wurden in Deutschland Ost und West 40 neue deutsche Spielfilme aufgeführt, von denen 35 einen unmittelbaren Zeitbezug zum Nachkriegsdeutschland aufwiesen.[13] Einen solch hohen Anteil an sogenannten „Zeitfilmen“ gab es nie zuvor und auch nie wieder in der deutschen Spielfilmproduktion.

Die Spielfilme, die in der frühen deutschen Nachkriegszeit in Ost- und Westdeutschland entstanden, weisen vielfach dieselben zeittypischen Motive auf: Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer, zerrissene und unvollständige Familien, Fragen des materiellen Wiederaufbaus und persönlichen Neuanfangs. Unsere Filmauswahl ergab sich aus der Repräsentanz dieser Motive.[14] Um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben, wurden zwei Filme gewählt, die direkte Parallelen aufweisen, obwohl sie ca. zwei Jahre auseinanderliegen und aus unterschiedlichen Produktionsbedingungen resultieren. Der Film UND ÜBER UNS DER HIMMEL (Regie Josef von Baky) mit Hans Albers in der Hauptrolle ist die erste in der amerikanischen Zone realisierte Produktion, der DEFA-Film UNSER TÄGLICH BROT (Regie Slatan Dudow) markiert bereits eine zeitliche Grenze – eine Woche nach Gründung der DDR uraufgeführt propagiert der Film das Modell eines sozialistischen Gesellschaftsaufbaus. In beiden Filmen erscheint unseres Erachtens Wichtiges dessen angelegt, was später in den jeweiligen Gesellschaften dominant wurde.

Zur genaueren Analyse werden zunächst Inhaltsangaben der Filme gegeben.[15]

Und über uns der Himmel

Der ehemalige Kranführer Hans Richter kehrt nach dem II. Weltkrieg unversehrt ins zerstörte Berlin heim. In dem beschädigten Haus, in dem er vor dem Krieg gewohnt hat, trifft er neben einigen alten Nachbarn auch Edith Schröder, Kriegswitwe eines Studienrates, und deren kleine Tochter Helga.

Hans Richter beginnt optimistisch mit der Wiederherstellung seiner Wohnung, hilft Edith und deren Tochter. Die Heimkehr seines Sohnes Werner erwartend, versucht er durch verschiedene Geschäfte einen gewissen Wohlstand zu erwerben. Dabei kommt Hans mit dem Schwarzmarkt in Berührung und wird selbst zum Schieber.

Schließlich kommt Werner zurück, ist jedoch aufgrund einer Kriegsverletzung vorübergehend erblindet. Nachdem er seine Sehkraft zurückerlangt hat, sieht und beurteilt er seine Umwelt: Trümmer, Kriegskrüppel, mühsame Aufbauversuche und Elend auf der einen Seite, Überfluß und Luxus in den Schieberlokalen auf der anderen Seite. Er überwirft sich mit seinem Vater, will diesem beweisen, daß es auch ehrlich geht und nimmt die Arbeit als Kranführer auf. Hans Richter wird durch die moralischen Vorstellungen seines Sohnes verunsichert, bricht aber zunächst noch nicht völlig mit der Schiebergesellschaft. Als er jedoch aufgrund eines Mißverständnisses meint, sein Sohn Werner würde ebenfalls „abrutschen“, besinnt sich Hans: er überwältigt die Schieberclique, die anschließend von der Polizei verhaftet wird. Nachdem Hans vom Irrweg der Schwarzmarktgeschäfte zu seiner Arbeit als ehrlicher Kranführer zurückgefunden hat, kann er mit Werner, Edith und deren Tochter einer harmonischen Zukunft entgegensehen.

Unser täglich Brot

Im Ostsektor Berlins haben in der Wohnung des ehemaligen Kassenverwalters Karl Webers und seiner zweiten Frau Martha die überlebenden Verwandten Zuflucht gefunden. In der allgemeinen Not gehen die Familienmitglieder unterschiedliche Wege: der ältere Sohn Ernst setzt seine Kraft für den Aufbau eines volkseigenen Betriebes ein, seine Schwester Inge folgt ihm, nachdem sie als Verkäuferin keine Arbeit mehr findet. Ernsts Stiefbruder Harry verdingt sich als Schieber auf dem Schwarzmarkt, die Nichte „Mary“ sinkt vom Ami-Liebchen zur Prostituierten, eine arme Verwandte und Trümmerfrau wird in der Wohnung nur widerwillig geduldet. Vater Webers steht der neuen gesellschaftlichen Entwicklung verständnislos gegenüber und überwirft sich mit seinem Sohn Ernst. Nach und nach verlassen die Kinder das Haus. Nachdem Karl Webers für sich keine individuelle Lösung hat finden können und sein Lieblingssohn Harry in tragischer Verzweiflung seinen eigenen Vater überfällt, erkennt auch der alte Webers, dass er nur im volkseigenen Betrieb eine Chance hat.

Vergleich der Filme

Dem ersten Eindruck nach hat man es hier mit zwei völlig verschiedenen Filmen zu tun. Diese Wahrnehmung ergibt sich vor allem aus der sehr unterschiedlichen Bauweise und Inszenierung der Filme, wenngleich in beiden Produktionen Menschen vorgestellt werden, die versuchen, mit der Zerstörung der alten Verhältnisse fertig zu werden, sich neu zu orientieren und dabei in Konflikt miteinander geraten.

Der Film UNSER TÄGLICH BROT ist ein exakt kalkuliertes und konstruiertes Stück „filmische Realität“, welches seinen Charakter als Film nirgends leugnet und auf Überzeugung und Einsicht setzt. Hier wird ein „Modell“ vorgestellt, ein Modell im brechtschen Sinne – gemeint ist die Methode der Darstellung im Lehrstück und im epischen Theater. Dieses filmische Lehrstück UNSER TÄGLICH BROT stellt innerhalb der Nachkriegsfilmproduktion eine Ausnahme dar. Es ist eine bewusste Anknüpfung an Traditionen, die im sogenannten „proletarischen Kino“ am Ende der Weimarer Republik entwickelt wurden und die durch den Faschismus zerschlagen worden waren. Der Film ist Ausdruck für ein politisch-intentionales Handeln und Wollen. Folglich ist UNSER TÄGLICH BROT auch konsequent parteilich, und Dudow leugnet diese Parteilichkeit an keiner Stelle. (Vgl. M 8) Mit seinem Film, seiner Stellungnahme will Dudow Entscheidungshilfen geben. Er stellt „dem Falschen“ „das Richtige“ gegenüber. Auf den ersten Blick wirkt UNSER TÄGLICH BROT deshalb auch aufdringlich, plakativ, allzu sehr „in den Dienst der richtigen Sache“ gestellt.

Die Geschichte in UNSER TÄGLICH BROT folgt einer einfachen, leicht nachvollziehbaren Chronologie: ausgehend vom Anfangsdatum 1946 zeichnet sie den Zerfallsprozess einer Familie und den Verfallsprozess des „Familienoberhaupts“ Karl Webers nach[16]. Diese Person des „typischen“ Kleinbürgers steht dabei zwar im Mittelpunkt, ist aber nicht der „Star“ des Films, sondern um ihn herum wird die Handlung fokussiert: wichtig sind die Beziehungen der Personen untereinander. Auf diese Weise ist es Dudow möglich, die daraus resultierenden Konflikte als gesellschaftliche Konflikte zum Ausdruck zu bringen. Deutlich wird damit zugleich: hier soll nicht „Realität“ – die der späten 40er Jahre im Nachkriegsdeutschland –[17] einfach abgebildet werden, hier wird „filmische Realität“ konstruiert, allerdings eine, die mit der historischen Situation der deutschen Nachkriegsgesellschaft korrespondiert und einen Blick auf sie zulässt. Die einzelnen Gespräche am Küchentisch „dokumentieren“ optisch und inhaltlich den Verfallsprozess, sie stellen die verschiedenen Stadien der Entwicklung und Entscheidungssituationen dar. In den Gesprächen werden die unterschiedlichen Bewertungen der jeweiligen Konfliktsituation vorgestellt, die von allen Beteiligten Entscheidungen verlangen. Miteinander kontrastiert werden diejenigen, die sich „richtig“ entscheiden: Ernst, Inge, Nicki, mit denen, die sich „falsch“ entscheiden: Harry, Mary. Und die Mittelpunktfigur steht dazwischen, wird letztlich gezwungen, sich für eine Seite – die „richtige“ – zu entscheiden. In diesem Sinne hat die Familie Modellcharakter.

Die filmische Inszenierung entspricht der Intention. Kamera und Montage weisen eine eher sachlich-dokumentarische Tendenz auf: keine aufwendige Inszenierung, das Dekors ist zurückgenommen, keine expressiven Schnittfolgen, relativ lange, ruhige Einstellungen, Beziehungen werden durch Schwenks und Schnitte deutlich gekennzeichnet, häufig wird dabei mit dem Mittel der gegenüberstellenden Montage gearbeitet. Im Spiel der Schauspieler setzt sich dieser Stil fort. Die einzelnen Charaktere – bis auf die Figur des alten Webers – verändern sich nicht, die Schauspieler stellen „Typen“ dar, keine „realistischen“ Menschen, diese „Typen“ haben allerdings ihr jeweils eigenes Profil, sie sind keine bloßen „Charaktermasken“ gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Dialoge haben sowohl für das Spiel der Schauspieler als auch für die Darstellung der Konflikte und die inhaltliche Präzisierung der Entscheidungssituationen eine große Bedeutung. Der Film will überzeugen, und dafür ist das Wort wichtig. So wird der Zuschauer nicht zur Einfühlung und Anteilnahme geladen, sondern zur Stellungnahme und zur eigenen Entscheidungsfindung.

Die Musik, von Hans Eisler komponiert, stützt die bildliche und verbale Aussage des Films nicht nur, sie hat eigenständige inhaltliche Funktion. Bei den Dialogpassagen in der Wohnung und in der Fabrik gibt es keine musikalische Begleitung oder Untermalung – die Musik würde vom wichtigen Wort ablenken. In den Passagen, die die einzelnen Konfliktstadien miteinander verknüpfen, sie mit „Außenwelt“ in Beziehung bringen, „treibt“ die Musik voran, vermittelt sie Dynamik und „Entwicklung“. Eisler selbst hat erklärt, was seine Musik ausdrücken soll: den

Heroismus der Hamsterer („Hungerzug“), die Freude über das erste markenfreie Essen („Die Suppe“) und besonders „die vorwärtsführende Kraft der arbeitenden Menschen“.[18]

Der Film UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist dagegen „Star-Kino“:  Hans Albers – der Kriegsheimkehrer Hans Richter, der mit den Problemen und Anfechtungen der Zeit zurechtkommen muss – wird entsprechend ins Bild gesetzt. Seine Suche nach Identität bzw. moralisch verbindlichen Werten und einer Lebensperspektive wird erzählt. Die Zeitprobleme werden kaleidoskopartig ausgebreitet, sind bloße Kulisse. Der Film knüpft so bruchlos an die Tradition des UFA-Unterhaltungsfilms an.

Die Geschichte wird linear, mit nur wenigen Nebenhandlungen erzählt. Diese dienen vor allem zur Skizzierung des Umfeldes, in dem sich Hans bewegt. Es gibt nur zwei kurze Rückblenden – Erinnerungen von Hans und Werner -, die den Erzählfluss jedoch nicht unterbrechen. (Sie sind auch filmische Erinnerungen an den „schönen alten UFA-Film“.) Die Handlungsstruktur des Films ähnelt der des antiken Fünfakters: „Das fünfaktige aristotelische Drama begünstigt (…) die Entwicklung einer Figur im Sinne idealistisch-individualistischer Ethik. Die fünf Akte sind Prüfsituationen des Helden, der sich gegen die Welt stellt und sich bewährt.“[19] In diesem Falle ist der Held der Kriegsheimkehrer und ehemalige Kranführer Hans Richter/Albers – ein  Held, wie in vielen Albers-Filmen vor 1945 auch:

  1. Akt – Exposition:
    Hans Richter kehrt ins zerstörte Berlin heim.
  1. Akt – Aufbau des Konflikts:
    Er beginnt mit dem Wiederaufbau seiner Wohnung, wobei er, der eigentlich „gute Kerl“, ins Schwarzmarktmilieu abrutscht.
  1. Akt – Durchführung und Zuspitzung des Konflikts:
    Hans Sohn Werner kehrt heim und lernt, zunächst blind, wieder „sehen“ – er sieht das Verwerfliche im Tun seines Vaters.
  1. Akt – retardierendes Moment und Wende:
    Werner und Edith Schröder brechen mit Hans.
  1. Akt – Lösung des Konflikts:
    Hans besinnt sich, wendet sich gemeinsam mit seinem Sohn gegen die (anderen) Schieber und findet sein privates Glück.

Als wichtig erscheint so im Wesentlichen das Verhalten dieses Helden, mit seinem Weg soll – und kann – sich der Zuschauer identifizieren. Lediglich das Verhalten der Personen aus seinem unmittelbaren, familiären Umfeld (Werner, Edith) hat noch Bedeutung, weil es sowohl zur Zuspitzung als auch Lösung des Konflikts beiträgt.

Kamera und Montage entsprechen völlig der Handlungsstruktur: sie setzen den Star des Films in Szene, Großaufnahmen und Schärfentiefen holen ihn aus seiner Umgebung heraus, stellen ihn in den Mittelpunkt. Die Trümmerwohnung, die Haiti-Bar – Studioausstattung wie einst im UFA-Kino. Und auch die Musik von Theo Mackeben knüpft an diese Traditionen an: sie hat untermalenden Charakter, ist gefühlsbetont und – bis auf das als Leitmotiv fungierende Lied – ohne eigenständige Aussagekraft.

Die Filme dokumentieren so zwei sehr unterschiedliche Varianten der Anknüpfung an die deutsche Filmgeschichte. Geht man allerdings näher auf die inhaltlichen Gesichtspunkte ein, unterscheiden sie sich zwar auf der intentionalen Ebene, den sog. „Botschaften“ voneinander, nähern sich in den dargestellten Motiven teilweise aber bis zur Übereinstimmung einander an.

Verlust eines tradierten Werte- und Sinngefüges

Sowohl UND ÜBER UNS DER HIMMEL als auch UNSER TÄGLICH BROT spielen sichtbar in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Berlin. Die gesellschaftlichen Probleme stellen sich nicht zufällig am Ausgeprägtesten in einer deutschen Großstadt dar. Und Berlin hat unter den deutschen Städten wiederum eine herausragende Bedeutung – auch für die Filmschaffenden selbst. Hier in der Großstadt Berlin zeigen uns die beiden Filme zusammengetriebene Menschen. In dem Baky-Film treffen unvollständige Familien, Heimkehrer und Ausgebombte in einem Mietshaus aufeinander. Infolge der Zerstörungen der einzelnen Wohnungen sind die Privatsphären der Menschen zunächst kaum voneinander getrennt. Aus der Perspektive Hans Richters sieht der Zuschauer, wie das alte Ehepaar Heise sowie Walter und Mietzi von Alltagssorgen geplagt werden. In dem Dudow-Film ist es eine Art Familienclan innerhalb einer Wohnung: außer der Kernfamilie der Webers (Eltern und Kinder) leben noch Ernsts Frau, die Cousine Mary und Ilse, eine entfernte Verwandte im Haushalt. Dabei zeigen die Personenkonstellationen in den beiden Filmen viele Entsprechungen. Es gibt die Hauptfiguren in der Vätergeneration (Hans Richter und Karl Webers), die erwachsenen jungen Männer (Werner Richter und Walter sowie Ernst und Harry), die Frauen der Müttergeneration (Edith Schröder und Mutter Webers), die jungen Frauen (Mietzi sowie Mary und Inge) usw. Für alle diese Personen steht die Sorge um die materielle Lebenssicherung im Vordergrund des Agierens. Die Art und Weise, wie die Menschen dies zu bewerkstelligen suchen und welche Rollen in den Filmen ihnen dabei zugeschrieben werden, zeigen wiederum gewisse Gemeinsamkeiten. Die Haupthandlungsträger, an denen mögliche gesellschaftliche Entwicklungslinien festgemacht werden, sind jeweils männlichen Geschlechts. Das heißt aber nicht, dass die Frauen in den Filmen „schwach“ gezeichnet wären. Edith Schröder und Mutter Webers erscheinen ausgesprochen gefestigt, geradezu als traditionelle moralische Instanzen, deren Wirkungskreis freilich Wohnung bzw. Haus nicht überschreitet. Und auch die jungen Frauen sind relativ stark, aber auch sie verbleiben in traditionellen, das heißt nicht-handlungsbestimmenden Rollen, verhaftet: Sie stehen den Männern zur Seite bzw. üben untergeordnete, „frauenspezifische“ Tätigkeiten aus: Nähen (Edith), Büroarbeit (Inge), Verkäuferin (Nicky). Die jungen Frauen, die dies nicht wollen, scheitern: als Prostituierte (Mary), oder im Gefängnis (Mietzi). Das Scheitern dieser jungen Frauen ist allerdings nicht so vollständig wie dasjenige von Harry und Walter. Die jungen Männer sind psychisch so erledigt, dass sie Selbstmord begehen, ihnen fehlt die Kraft, um trotz begangener Fehler am Leben festzuhalten. Bemerkenswert ist auch, dass gerade die jungen Frauen es sind, die als einzige in den Filmen Ansprüche formulieren, die über die bloße Existenzsicherung hinausgehen – ‚mal „richtig“ zu leben, zu tanzen, sich zu amüsieren.

Doch die Haupthandlungsträger sind in beiden Filmen Männer, wobei sich eine spezifische Konfliktlinie zwischen den Generationen zeigt: Väter und Söhne sind uneins über den richtigen Lebensweg, wobei die Väter, Hans Richter und der alte Webers, zum Schluss (etwas gewollt) auf den richtigen Weg der Söhne gebracht werden. Die Vater-Sohn-Konflikte in den Filmen sind allerdings mehr als nur „normale“ Generationskonflikte: sie stehen für die Probleme, die sich aus der Frage des richtigen „Wirtschaftens“, des Verhaltens in der Ökonomie, der materiellen Lebenssicherung ergeben. Und in diesem Zusammenhang taucht als zentrales zeitspezifisches Motiv in beiden Filmen der sogenannte „Schwarze Markt“ auf. Er bildet einen wesentlichen Teil des Lebens „draußen“, außerhalb der Wohnung, ja spielt auch in diese hinein. Dabei ist es erstaunlich, dass in beiden Filmen das Schwarzmarktgeschehen recht ähnlich dargestellt und bewertet wird. Sowohl in UND ÜBER UNS DER HIMMEL als auch in UNSER TÄGLICH BROT erscheint das individuell lebensnotwendige und daher gerechtfertigte Schwarzmarktgeschäft. Der einfache Tausch von Lebensmitteln gegen Baumaterialien, den Hans Richter für die Instandsetzung seiner Wohnung tätigt und derjenige des alten Ehepaars Heise, das Wertgegenstände gegen Lebensmittel tauscht, ist im Film genauso akzeptiert, wie in UNSER TÄGLICH BROT die Hamsterfahrt von Nicki, auf der sie auch schon ‚mal  – um den Hunger der Familie Webers zu stillen – einen Bauern betrügt. Der damit verbundene Diebstahl einer Stange Zigaretten erscheint ebenso legitim wie in UND ÜBER UNS DER HIMMEL die Aktion Hans Richters, als er seinem ehemaligen Kriegskameraden Fritz dessen Hosenriemen entwendet, um die Nähmaschine von Edith Schröder wieder in Gang zu setzen. Auf dieser Ebene sanktionieren beide Filme das „Organisieren“. Demgegenüber wird das Geschäftemachen durch Verschiebung von lebensnotwendigen Waren und damit verbundene Profite ebenfalls in beiden Filmen als kriminell gebrandmarkt. Bezeichnenderweise wird es ins Kneipenmilieu verschoben. In UNSER TÄGLICH BROT kommt hinzu, dass die professionellen Schieber als Kapitalisten erscheinen. Freilich ist es nicht so, dass die Grenzen vom „kleinen Organisieren“ zum „großen Schieben“ klar markiert wären. Hans Richter überschreitet die Grenze, ohne dass es ihm zu Bewusstsein kommt. Zum Schluss erkennt er seinen Fehler und wendet sich von der Schieber-Clique ab. Doch die Akzeptanz des „Schwarzen Marktes“ im kleinen Stil des Selbstversorgens bleibt in beiden Filmen bestehen. Dies macht deutlich, dass hier tradierte moralische und rechtliche Wertvorstellungen weitgehend außer Kraft gesetzt sind. Die Eigentumsgrenzen, Recht und Unrecht in Bezug auf die Aneignung bestimmter Gebrauchswerte sind nicht mehr klar definiert, sondern regeln sich nach den jeweiligen Verhältnissen von Macht, Geschicklichkeit usw. Betrug und Diebstahl sind in gewissem Umfang erlaubt. Die offiziellen Gesetze, die die Ökonomie regeln, also der legale Kauf und die Bewirtschaftung, spielen demgegenüber in den Filmen ein ganz untergeordnetes Dasein. Diese zeitspezifische Rechts- und Moralkrise spiegelt sich auch in den Figuren, die die Filme vorführen.

In dem Star-Film UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist die Krise im Wesentlichen auf die Entwicklung des klassischen Helden Hans Richter konzentriert. Aus dem Krieg unversehrt heimgekehrt packt er die Probleme mit guten Vorsätzen an, gerät aber, ohne es recht zu bemerken, auf die „schiefe Bahn“, aus dem kleinen alltäglichen Organisieren wird das professionelle Schwarzmarktgeschäft. Auch wenn er im Herzen immer der „gute Kerl“ bleibt, die Distanz zu seinen zynischen Schwarzmarktpartnern immer wieder betont wird, so weiß er über lange Zeit doch nicht, was in Bezug auf die großen Schwarzmarktgeschäfte und den damit realisierten Reichtum denn nun „richtiges“ und „falsches“ Verhalten ist. Dies wird besonders deutlich in der Sequenz, die auf das erste Zerwürfnis mit seinem Sohn folgt. (M 3, Nr. 34) Hans Richter versucht hier, sich ein Bild zu machen, Klarheit zu gewinnen, indem er alte Freunde besucht, durch die Trümmer der Stadt spaziert und Menschen bei der Wiederaufbauarbeit beobachtet. Hans anschließend: „Damals war ich so, und heute bin ich so; ich kann nichts dafür. Alles andere stimmt eben nicht mehr. Ja, was stimmt denn nun eigentlich nicht mehr, du lieber Himmel? ‚Lieber Himmel‘, hab‘ ich gesagt, jetzt fang‘ ich womöglich noch an zu beten.“

Die Rolle von Hans‘ Sohn Werner und diejenige der Edith Schröder sind in diesem Punkt ganz auf Hans zugeschnitten: sie verkörpern Anständigkeit, Fleiß und ein moralisches Gewissen. Dass sie sich dies bewahren konnten, erklärt sich im Film auch daraus, dass sie nicht, wie Hans Richter den Kampf um die Existenz „draußen“ in der Stadt führen müssen. Edith wird im Film nicht außerhalb des Wohnhauses gezeigt und Werner konnte durch die „verrückte“ Nachkriegsrealität nicht so geprägt werden, da er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg lange Zeit nicht „sehen“ konnte.

In den Nebenrollen sind es vor allem Walter und Mietzi, die durch die Zeitumstände aus der Bahn geworfen werden. Walter, ein grundanständiger Junge, der durch traumatische Kriegserfahrungen sowie bürokratische Hemmnisse – keine Stellung ohne Zuzugsbescheinigung und umgekehrt – handlungsunfähig ist, begeht schließlich doch einen Diebstahl. Eine moralische Verfehlung, die, als sie entdeckt wird, für ihn Anlass zum Selbstmord ist. Mietzi möchte einfach ‚mal so richtig „leben“, genießen, sich amüsieren. Dabei wird ihr nicht bewusst, dass sie in der Glitzerwelt der Großstadtkneipe in die illegale Schieberwelt abrutscht. Erst als sie von Walters Freitod erfährt, bricht sie zusammen und lässt sich als Mitwisserin verhaften.

In UNSER TÄGLICH BROT ist der Verlust eines sicheren Wertegefüges gleichfalls zentral, die Brüchigkeit tradierter Werte liegt dem Verhalten der Haupthandlungsträger konstitutiv zugrunde. In seinem starrsinnigen Glauben, dass die vergangenen Gesetzmäßigkeiten ewig gälten, isoliert sich der alte Webers zunehmend und verfällt in bedrohlicher Weise, bis er notgedrungen seine Entscheidung revidiert. Sein Sohn Harry, der den bequemen Weg eines schnellen Geschäfts auf dem Schwarzmarkt sucht, wird Handlanger eines professionellen Schiebers, hat aber nur vorübergehend geschäftliches Glück. Zudem verliert er seinen moralischen Halt so weitgehend, dass er einen anderen Menschen – ohne es zu wissen, seinen Vater – wegen eines Brotes überfällt. Er begeht schließlich Selbstmord. Die Cousine Mary, die ebenfalls auf „einfache“ Art ein materiell unbeschwertes Leben führen möchte, rutscht immer tiefer in die gewerbsmäßige Prostitution ab. Ernst Webers ist derjenige in der Familie, der den Bruch in der Tradition erkennt und benennt, derjenige, der im Film modellhaft die „richtigen“ Konsequenzen zieht.

Wenn sowohl in UND ÜBER UNS DER HIMMEL als auch in UNSER TÄGLICH BROT eine zeitspezifische Wertekrise konstitutiv ist, so differiert freilich entsprechend der jeweiligen Intention die interpretative Einordnung derselben in den beiden Filmen. In dem Star-Film UND ÜBER UNS DER HIMMEL, der an die Tradition des typischen „unpolitischen“  Unterhaltungsfilms der UFA im Nationalsozialismus anknüpft, ist die Schicksalshaftigkeit des Geschehens zentral, die einzelnen sind nur Opfer einer letztlich unergründlichen Macht. Wenn zweimal in die Vergangenheit zurückgeblendet wird, so geschieht dies mit einem explizit unpolitischen, der guten alten Zeit nachtrauernden Blick. Am deutlichsten wird die Schicksalshaftigkeit der Ereignisse in dem mehrfach vorgetragenen, die Handlung an entscheidenden Stellen begleitenden Lied, das als ein Leitmotiv des Films gelten kann.

Auch das filmische Lehrstück von Dudow setzt sich bis auf eine Bemerkung von Ernst Webers nicht explizit mit der Vergangenheit auseinander. Ernst spricht immerhin deutlich aus, dass nicht einfach alle nur Opfer einer Entwicklung waren. „Den Karren in den Dreck fahren, da wart ihr alle dabei“, so der Sohn in einer Auseinandersetzung mit seinem Vater. Da es dem Film jedoch um den Grundsatz des Aufbaus des Neuen geht, bei dem möglichst alle – auch der Kleinbürger – mitmachen sollen, zieht der Film quasi einen Schlussstrich unter die Vergangenheit, der Blick ist eindeutig auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet. Die Art und Weise, wie der Film die zeitgenössische Gegenwart in Form von politisch-ökonomischen Grundkategorien („Brot“ und „Geld“) zuspitzt, lässt keinen Zweifel daran, dass auch die geschichtliche Entwicklung eben nicht als schicksalhaft, sondern als politisch-ökonomisch bestimmt begriffen wird, als eine Entwicklung, die auch von den Entscheidungen der einzelnen Individuen abhängt.

Wege aus der Krise: ehrliche Arbeit und Kleinfamilie

In beiden Filmen sind Menschen auf der Suche nach dem richtigen Weg. Die Filme zeigen zwar, dass die Ökonomie des „Schwarzen Marktes“ in der dargestellen Gegenwart in gewisser Weise notwendig zum Überleben ist, sie zeigen aber auch, dass dies keine Perspektive ist, dass es anders werden muss. Eine wichtige Bedeutung kommt in dieser Hinsicht der „ehrlichen“ Arbeit zu.

In UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist es die individuelle Leistung, die körperliche Anstrengung des einzelnen, wie sie in einigen Szenen im Film inszeniert ist. Werner Richter bringt dies auf den Punkt, als er auf dem Kran zu seinem Vater sagt: „Ich bin glücklich, wenn ich morgens hier stehe. Und wenn ich den Hebel in der Hand halte, dann ist das gar kein kaltes Eisen mehr. Wenn die Sonne darauf scheint, dann schimmert es so (…)“

Kein gesellschaftliches Ziel wird hier – wie überhaupt im ganzen Film – der Arbeit(skraft) zugemessen, vielmehr bekommt diese einen verselbständigten, mystischen, individuell sinnstiftenden, ja mitunter therapeutischen Charakter.

In UNSER TÄGLICH BROT ist die ehrliche Arbeit gleichfalls zentral, wenngleich anders gezeichnet und differenziert. Dem Film liegt ein sozialistisches Verständnis von Arbeit als dem grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnis zugrunde. Sinnvolle Perspektiven können sich in diesem Sinne nur über eine wertschöpfende Arbeit ergeben. Arbeit ist hier nicht Selbstzweck, sondern erscheint stets zweckgebunden an die Erzeugung lebensnotwendiger Güter. Im Vordergrund steht dabei die kollektive Verausgabung der Arbeitskraft im Betrieb, hier in einer Maschinenfabrik. Interessant ist aber, dass neben der kollektiven Arbeit in der Fabrik auch der kleine Privatbetrieb, z.B. die Bäckerei, in der Nicki schließlich unterkommt, als eine positive Form von Tätigkeit erscheint.

Auffällig ist in beiden Filmen, wie gering der Stellenwert der Trümmerarbeit ist, wie wenig Wertschätzung den Menschen entgegengebracht wird, die diese Arbeit verrichten (müssen). Für alle Protagonisten in den beiden Filmen ist diese Arbeit „das Letzte“, was man sich – und anderen – zumuten will. Im Film von Baky bleibt Trümmerarbeit eine Hintergrundkulisse, mit der elende Lebensbedingungen umrissen werden, bei Dudow ist dies ähnlich, zudem wird die (entfernt verwandte) Trümmerfrau Ilse von allen Mitgliedern der Familie Webers geschnitten. Analog der politischen Auseinandersetzung geht es nicht um die Trümmer von gestern, sondern um die Schaffung des „Neuen“.

Für die Wiedergewinnung einer Perspektive ist in beiden Filmen nicht nur die Aufbauarbeit zentral, sondern – wenngleich mit unterschiedlicher Akzentuierung – die Kleinfamilie. In dem scheinrealistischen Baky-Film übertrifft die Bedeutung der Familie letztlich diejenige der ehrlichen Aufbauarbeit. War es schon die Sorge um seinen zunächst blinden Sohn Werner sowie um Edith Schröder und deren Tochter, die wesentlich dazu beitrug, dass Hans unlautere Schwarzmarktgeschäfte trieb, so sind es schließlich familiäre Sorgen und Hoffnungen, die den Ausschlag für eine moralische Wende geben. Nachdem schon Werners Vorwürfe zu einer ersten Verunsicherung von Hans geführt haben, so besinnt dieser sich endgültig erst aus der Angst um ihn: Um der Moral der Nachkommen willen darf die eigene nicht außer acht gelassen werden. Liebe und das private Familienglück sind die ausschlaggebenden Gründe, die den Held auf den rechten Weg zurückführen. Und auch Werner stellt die Familie obenan. In der vorausgehenden Szene „verrät“ Werner seinen Vater nicht an die Polizei, obwohl Recht und Gesetz dies verlangten, und er dies auch vorhatte. Aber die Familienbande sind eben doch stärker. Die Solidarbeziehungen gehen allerdings über die Kleinfamilie in spe nicht hinaus – die Schicksale der anderen Personen werden von Hans, Werner und Edith nur am Rande wahrgenommen, zum Schluss verliert man sich aus den Augen. Und das happy end zeigt schließlich den hoffnungsvollen Neuanfang in der kleinfamiliären Harmonie. Dass der Kranführer Hans Richter und die Studienratswitwe Edith Schröder relativ problemlos zusammenfinden, zeigt im Übrigen auch, dass die Barrieren, die die gesellschaftlichen Klassen bzw. Schichten voneinander trennen, niedriger geworden sind. „Heute passt vieles zusammen, was früher keine Garnitur gegeben hätte“, so Hans Richter in einer Anspielung gegenüber Edith.

In UNSER TÄGLICH BROT spiegelt die Ausgangsfamilie einerseits zeittypisch zusammengesetzte Familienclans, andererseits projiziert Dudow in diesen Familienverband ein Gesellschaftsmodell. Die jüngeren männlichen Hauptpersonen Ernst und Harry agieren jeweils stellvertretend für die Klasse, die sie repräsentieren. Folglich unterliegen sie im Laufe der Handlung auch keiner Wandlung, sie bleiben immer, was sie zu Beginn des Films auch gewesen sind. Nur der alte Webers ist eine Ausnahme: dieser „Prototyp“ des Kleinbürgers wird durch den Zwang der Verhältnisse dazu gebracht, seine ursprüngliche Haltung aufzugeben und sein Verhalten zu ändern, allerdings eher äußerlich aufgesetzt, im Innern bleibt er doch „der Alte“. Damit ist die eingangs gezeigte Familie auch ein Modell für eine zerfallende Gesellschaft: ihr Wert als Hort materieller Sicherung und moralischer Bezugspunkt nimmt ab. Die Funktion, „Leitbild“ für die handelnden Subjekte zu sein, wird zunehmend von dem „solidarischen Betrieb“ übernommen. Aber nichts desto trotz bleibt die Kleinfamilie unangetastet, ja gehört zu einer wünschenswerten Perspektive dazu: Ernst Webers und Peter Struwe, die Vertreter der Zukunft, machen nicht nur beruflich Karriere, sondern haben bzw. finden ihr privates, kleinfamiliäres Glück.

Resümee des Vergleichs

Die aufgezeigten Wege, die intendierten Aussagen sehen wie gesagt in den beiden Filmen sehr unterschiedlich aus. Zum einen – und hier kann der Film UND ÜBER UNS DER HIMMEL als die repräsentative Strömung gelten[20] – zeigt sich ein schicksalhaftes Verständnis von Faschismus, Krieg und Nachkriegsnot, das mit einer Verdrängung gesellschaftspolitischer Fragestellungen einhergeht, ein Verständnis, das unpolitisch an schöne Vergangenheiten anknüpfen möchte. Dies zeigt sich auch in der formalen Gestaltung des Films, die an die UFA-Tradition der 30er und frühen 40er Jahr anschließt – und in dem die Menschen sich ausschließlich als Opfer der Zeit verstehen. Zum anderen UNSER TÄGLICH BROT, eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Filmgeschichte der späten 40er Jahre. Es ist die Position einer gesellschaftspolitisch links orientierten, dem Prinzip des Sozialismus verbundenen Kraft, die bewusst den Bruch mit tradierten politisch-ökonomischen Verhältnissen sucht, die lehrstückhaft zuspitzt, die belehren will und zumindest aus heutiger Sicht – durchaus mit negativer Konnotation – in der Regel auch so empfunden wird. Bei aller Unterschiedlichkeit findet sich doch auch auf der Ebene der intendierten Aussagen eine Gemeinsamkeit: beide Filme zeigen eher „wie es sein soll“ als „wie es ist“[21]: Hans Richter und Karl Webers, die im Mittelpunkt stehenden Figuren, machen eine Entwicklung durch und entscheiden sich schließlich wunschgemäß „richtig“. In dem Dudow-Film scheint dies besonders deutlich, da der Film seine Intentionen offenlegt, zur Diskussion stellt. Das aufgesetzte Ende, die Integration des Kleinbürgers Webers in den sozialistischen Aufbau wurde zudem von der russischen Militäradministration gewünscht – Dudow wollte den alten Webers ursprünglich sterben lassen, nachdem er von seinem Sohn Harry überfallen worden war.[22] Aber auch in dieser Version hätte der Film seinen Charakter als Lehrstück behalten, wenngleich etwas weniger plakativ. Dies Bedürfnis, zu zeigen „wie es sein soll“, kann als Beleg dafür verstanden werden, dass es kaum den Wunsch gab, sich mit der gesellschaftlichen Realität der Nachkriegszeit ungeschminkt auseinanderzusetzen, vielmehr aber das starke Bedürfnis, Perspektiven und Zukunftswege aufzuzeigen bzw. aufgezeigt zu bekommen. Dies muss als ein Hinweis auf das Wechselverhältnis von verbreiteter Unsicherheit einerseits und autoritären Fixierungen in der deutschen Bevölkerung andererseits verstanden werden.

Unterhalb dieser Ebene der intendierten Aussagen finden sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die die Filme transportieren, indem sie – als sogenannte zeitnahe Filme – Motive aus der damaligen Gegenwart ausbreiten, einen spezifischen Blick auf den Nachkriegsalltag werfen. Der Ort, wo die typischen gesellschaftlichen Probleme der Zeit erscheinen, aber auch gelöst werden, ist die Großstadt. Die Konflikte, in die Hans Richter und andere geraten, zeigen, dass das tradierte Rechts- und Moralgefühl der Menschen in den Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit stark erschüttert war. Nicht nur, dass die NS-Ideologie und damit zusammenhängende Versprechungen, an die bis zuletzt nicht wenige Deutsche geglaubt hatten, sich als falsch herausgestellt hatten. Es hatte sich auch infolge des weitgehenden Zusammenbruchs und der unzulänglichen Versorgung der Bevölkerung ein „schwarzer Markt“ entwickelt, auf dem sich diejenigen durchzusetzen vermochten, die die tradierten Vorstellungen von Gemeinnutz, privaten Eigentumsrechten usw. erfolgreich abzulegen verstanden. Diejenigen, die bereit waren, für die eigene Versorgung oder diejenige von Verwandten und Bekannten Gegenstände zu stehlen oder beispielsweise einen Bauern zu betrügen, waren im Selbstverständnis der Zeit durchaus im „Recht“. Der Zweck heiligte hier die Mittel. Diese Verhaltens- und Verständnisweisen, geboren aus der Not, können als „Schule des Marktes“ verstanden werden.[23] Der Markt gehörte im Zweifelsfall dem „Stärkeren“, dieser bestimmte faktisch die Gesetze des Tausches.

Die Filme machen weiterhin deutlich, dass die zeitgenössische Krise im Sinne einer existenziellen Verunsicherung die Männer stärker traf als die Frauen. Erstere waren von den Anfechtungen der Zeit zumindest subjektiv mehr betroffen, zweifelten oder verzweifelten gar und waren stärker suizidgefährdet. Aber auch wenn die Frauen den Lebensalltag überaus tüchtig, mit Kraft und Ausdauer meisterten und ihre psychische Verfassung robuster war als die der Männer, so stand doch eine gesellschaftliche Emanzipation der Frauen nicht auf der „Tagesordnung“ der Geschichte. Im Zusammenhang einer weitgehenden gesellschaftlichen Verunsicherung schien für die gewünschte Stabilisierung ein Rückgriff auf tradierte Rollenmuster vielversprechender. Zusätzliche Experimente, wie sie eine über gewisse Notsituationen hinausgehende, allgemein akzeptierte Verschiebung im Verhältnis der Geschlechterrollen mit sich gebracht hätte, war mit dem Bedürfnis nach Sicherheit nicht zu vereinbaren, sondern hätten im damaligen Bewusstsein eher zu noch mehr Unsicherheit geführt und wurden daher von der Mehrheit der Frauen und Männer nicht gewünscht.

Hoffnung und Sicherheit bot in diesem Zusammenhang auch die Aussicht auf kleinfamiliäres Glück als einem überschaubaren Bereich des menschlichen Miteinanders. Dies ging mit einer Eingrenzung der zwischenmenschlichen Solidarität einher – die anderen, die nicht zur eigenen Kernfamilie gehörten, mussten selbst sehen, wie sie zurechtkamen. Eine Erleichterung für die Familienbildung war die Tatsache, dass die Grenzen, die die gesellschaftlichen Klassen und Schichten voneinander trennten, niedriger geworden waren. In der sich entwickelnden DDR sollte über die Kleinfamilie hinaus der volkseigene Betrieb die Funktion einer solidarischen Gemeinschaft übernehmen.

Um in der drückenden materiellen und seelischen Nachkriegsnot eine Zukunftsperspektive zu gewinnen, dafür hatte auch die Vorstellung einer „ehrlichen“ Aufbauarbeit eine wichtige Bedeutung. Sie wurde als sinn- und identitätsstiftendes Moment gedacht – anders als etwa die politische Demokratie, anders als gesellschaftspolitisches Engagement und eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als der Ursache für die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit.

Diese Charakteristika, die beschriebenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Filme lassen sich als Belege für zeitgenössische Bewusstseinslagen lesen, die wiederum für die innergesellschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland, das heißt in der Bundesrepublik und/oder in der DDR wirksam wurden.

Detlef Endeward/Peter Stettner (1995)


Anmerkungen

[1]   Vgl. Jörn Rüsen, Ansätze zu einer Theorie des historischen Lernens I: Formen und Prozesse, in: Geschichtsdidaktik, 10. Jg., Heft 3/93, S. 251.

[2]   Vgl. Karl-Ernst Jeismann, Geschichtsbewußtsein als zentrale Kategorie des Geschichtsunterrichts, in: Gerold Nimetz (Hg.), Aktuelle Probleme der Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1990, S. 44-75.

[3]   Auf diese Weise ist es dann möglich, aber auch notwendig, die „große Geschichte“ in neue – vielleicht auch nachvollziehbarere – Zusammenhänge zu stellen.

[4]   Im folgenden soll es weniger darum gehen, eine Theorie des Spielfilms als historische Quelle zu erörtern. Theoretische Aspekte sollen nur in soweit aufgezeigt werden, als sie für ein prinzipielles Verständnis der anschließenden exemplarischen Analysen der beiden Filmbeispiele notwendig erscheinen. Zu theoretischen Aspekten ausführlicher: Film – Geschichte – Wirklichkeit, Geschichtswerkstatt Heft 17, Hamburg 1989. Darin Heiner Behring: Fiktion und Wirklichkeit: Die Realität des Films; Peter Stettner: Film – das ist Geschichte, 24mal in der Sekunde. Überlegungen zum Film als historischer Quelle und Darstellung von Geschichte; Irmgard Wilharm: Die Nachkriegszeiten im deutschen Spielfilm; Rainer Rother: Historismus und Historienfilm. Momente aus einer Forsetzungsgeschichte. Bettina Greffrath: Von Tauchstationen und Entdeckungsreisen. Kleines Plädoyer für sozialpsychologische Fragen an die Film- und Kinogeschichte; Rolf Aurich: Film in der Geschichtswissenschaft. Ein kommentierter Literaturüberblick.

     Außerdem Rainer Rother, Die Form der Abbildung und die Struktur der Erzählung, in filmwärts Heft 17, S. 34-39.

[5]   Zugleich ist jeder Film – auch das sogenannte Filmdokument – unvermeidlich gestaltet, da der Filmemacher Entscheidungen treffen muß: zum einen in der Auswahl dessen, was gezeigt wird, zum anderen in der Form, wie etwas aufgenommen, montiert und dargestellt wird. Diese Entscheidungen sind selbst ein Teil der historischen Wirklichkeit.

[6]   Diese grundlegenden Überlegungen hat zum ersten Mal der Soziologe und Filmkritiker Siegfried Kracauer in seinem Buch „From Caligari to Hitler“ im Jahre 1947 formuliert. Die erste vollständige deutsche Ausgabe erschien im Rahmen der Herausgabe der Gesammelten Schriften Kracauers, Frankfurt/M. 1979.

[7]   Ausführlicher siehe Peter Pleyer, Der deutsche Nachkriegsfilm 1946 – 1948, Münster 1965 und Bettina Greffrath, Spielfilme als Quellen für kollektive Selbst- und Gesellschaftsbilder in Deutschland 1945 – 1949, Diss. Hannover 1993. Für die britische Besatzungszone: Peter Stettner, Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die „Junge Film-Union“ 1947 – 1952. Eine Fallstudie zur westdeutschen Filmproduktion, Hildesheim 1992.

[8]   Vgl. hierzu Alfred Lindemann, Die Lage des deutschen Films, in: Der deutsche Film. Fragen, Forderungen, Aussichten. Bericht vom ersten deutschen Filmautorenkongreß. 6.-9. Juni 1947 in Berlin, Berlin o.J., S.13.

[9]   Vgl. Kersten, Das Filmwesen in der sowjetischen Besatzungszone, Bonn, Berlin 1963, und derselbe, Entwicklungslinien, in: Film in der DDR, hg. von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte, München, Wien,1977, S. 7-56.

[10] Vgl. Filmstatisches Jahrbuch 1954/55, hg. von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V., S. 111. Zum Vergleich:. 1991 in der Bundesrepublik ca. 1,6 Besuche pro Kopf und Jahr. Nach: Ekkehard Böhm, Alles hat seinen Preis, HAZ 22.3.91, S.12.

[11] Vgl. Stettner 1992, S. 79-83.

[12] Für die britische Besatzungszone vgl. Stettner 1992, S. 21-37 und 52f. Wenngleich auch nach Bildung der Bi-Zone die jeweiligen Militärregierungen im Filmbereich getrennt weiterarbeiteten, so gelten die Bedingungen für die britische Zone doch in den Grundzügen ab 1947 auch für die amerikanische Besatzungszone.

[13] Bei der ostdeutschen Produktionsfirma hatte sich bis 1949 noch nicht die inhaltliche und formale Dominanz des „sozialistischen Realismus“ voll durchgesetzt, und die Westproduktion hatte noch nicht die schönfärberische Realitätsflucht angetreten, die sie ab Anfang der 50er Jahre auszeichnete. Zu den Zahlenangaben vgl. Pleyer 1965, S. 49.

[14] Die Verfasser haben in einem Gemeinschaftsprojekt – zusammen mit Rolf Aurich, Heiner Behring, Bettina Greffrath, Fritz Hoche und Irmgard Wilharm – 14 deutsche Nachkriegsspielfilme untersucht. Eine entsprechende Publikation wird in Kürze erscheinen.

[15] Genaueres zum Inhalt sowie zu den Darstellern siehe in der jeweiligen Sequenzprotokollen sowie in den filmographischen Angaben.

[16] Vgl. hierzu auch: Rolf Richter, Analyse eines Charakters. Der alte Webers („Unser täglich Brot“), in: Filmwissenschaftliche Beiträge, 1971, S. 84-114

[17] Der Film zeigt, im Jahre 1946 beginnend, den mehrjährigen Aufbau eines Maschinenbaubetriebes. Der Aufbau wird im Film im Wesentlichen von den Arbeitern und Ingenieuren selbst organisiert, mit Unterstützung der Gewerkschaft. Dudow interessiert sich nicht dafür, daß in der SBZ bereits 1948 die Betriebsräte aufgelöst, die Entscheidungsinstanzen zentralisiert und in diesem Sinne die Betriebsgewerkschaftsleitungen umgestaltet wurden. Dudow geht es vielmehr um die grundsätzliche Option für einen sozialistischen Aufbau. Vgl. Christoph Kleßmann, Betriebsräte und Gewerkschaften in Deutschland 1945 – 1952, in: Heinrich August Winkler (Hg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945 – 1953, Göttingen 1979, S. 44 – 73.

[18] Vgl. die Rezension „Ein Mädchen muß lange warten“, in: „Der Spiegel“ 17.11.1949. (M 10)

[19] Thomas Kuchenbuch, Filmanalyse. Theorien, Modelle, Kritik, Köln 1978, S. 157

[20] Der Film gehörte zu den erfolgreichsten deutschen Spielfilmen in der frühen Nachkriegszeit. Vgl. hierzu Pleyer 1965, S. 155.

[21] Bereits 1947 machte der deutsche Filmkritiker und Publizist Paul Ickes darauf aufmerksam, dass die frühen deutschen Nachkriegsfilme den Zuschauern – durchaus in der Fortsetzung vergangener Filmtradition – Anweisungen erteilten: „So müsst ihr leben, so denken und handeln. So sollt ihr sein, auf diesem Weg meistert ihr euer Schicksal.“ Zitiert nach „filmwärts“, Heft 20, S.20.

[22]  Indem Karl Webers innerlich der alte bleibt, reflektiert Dudow allerdings noch einmal die Künstlichkeit dieser Konstruktion.

[23] Der Begriff ist der Untersuchung von Lutz Niethammer (Hg.), „Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist“. Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet, Köln 1983, S.60ff entlehnt. Die Ausprägung von Verhaltensweisen im Zusammenhang des „schwarzen Marktes“ war – so ein Ergebnis der Studie von Niethammer – eine Art Initialsozialisation für den Neubeginn in Deutschland nach 1945.


Auszug aus: Detlef Endeward/Peter Stettner: Das Brot und der Himmel. Zwei deutsche Spielfilme als historische Quelle der frühen Nachkriegszeit. In: Irmgard Wilharm (Hg.): Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle, Pfaffenweiler 1995, S. 199-254

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