Die Zwanziger Jahre
Die Entwicklunng der Ernst-August-Stadt (mit ihren Ausläufern in die ehemalige Altstadt hinein) zur City von Hannover verfestigte sich in den folgenden Jahrzehnten. In den 20er Jahren schilderte man die Georgstraße beispielsweise folgendermaßen:
„…heute bildet sie mit ihren vornehmen Geschäftsläden unter dem stark pulsierenden Verkehr den eigentlichen Mittelpunkt des Geschäftslebens der Stadt. besonders in der Nähe des Café Kröpcke“.(1)
Das veränderte Bild, das die neuen Einkaufsstraßen vor allem durch die aufwendigen Schaufensterdekorationen der Geschäfte boten, beschrieb Stadtbaurat Paul Wolf in einem Vergleich mit den Gewerbe- und Kaufmannsbetrieben früherer Jahrhunderte. Während sich früher die Handwerker und Kaufleute damit begnügt hätten, an ihrem Haus ein mehr oder wenigcr reichlich verziertes Ansteckschild anzubringen und ihre Waren in Fensterkästen auszustellen, seien heute (also in den 20er Jahren), „in den Geschäftsstraßen der Städte die Erdgeschoßflächen… im wesentlichen in Glasflächen für Schaufenfensteranlagen aufgelöst…“. Dies führe dazu, so fährt Wolf fort, daß die Schaufensteranlagen „zumal bei Abendbeleuchtung, den Geschäftsstraßen im wesentlichen den bestimmenden Eindruck gcbcn“.(2)
Die wichtigste Veränderung des Straßenbildes vollzog sich also im Erdgeschoß der Häuser und damit direkt in Augenhöhe der Fußgänger und Passantinnen, nämlich die Auflösung der festen Mauer duch die Glasflächen der Schaufensterauslagen. Das Warengebot wurde vor den Augcn der Vorübergehenden ausgebreitet, die aufwendige Dekoration sollte deren Aufmerksamkeit gefangennehmen. Die Dominanz der Schaufenster verwies direkt auf die Dominanz des Konsums in diesem Bereich der Stadt. Wer die ununterbrochene Folge von Schaufenstern entlang einer Straßenseite abschritt, konnte kaum etwas anderes wahrnehmen als deren scheinbar endloses Warenangebot und die damit verbundene Aufforderung zum Kauf.
Von syrnbolischer Bedeutung für die hannoversche Innenstadt der l920er Jahre war auch das neue Hochhaus des Hannoverschen Anzeigers am Steintor, das im Jahre l928 erbaut wurde. Dieses Gebäude machte (ähnlich wie das neue Postscheckamt am Rarschplatz) deutlich, wie rasant die Veränderung der Innenstadt voranschritt, welche Rolle die Presse in der modernen Gesellschaft spielte und wie neue Formen in die hannoversche Architektur eindrangen. Das Stadtbild veränderte sich:
,,Hochhäuser an der lhmebrücke und am Geibel-Platz erhoben sich übers kleinstädtische Ambiente, das Anzeiger-Hochhaus und die vertikal sich erstreckende neue Stadtbücherei waren architcktonische Merkzeichen einer neuen Zeit, milchig-weißes Licht strahlte von den Bogenlampen, die Straßen, Ecken und Plätze erleuchteten, deren Schein fiel auch auf die Litfaßsäulen, die oben gleich Burgturmspitzen abschlossen.“ (3)
Die Bedeutung des Zentrums war von jeher stark durch die Verkehrserschließung bestimmt. Schon seit der Jahrhundertwende wurden Stadtteile wie List, Buchholz, Kleefeld tmd Kirchrode durch die Straßenbahn direkt mit dem Zentrum verbunden. Der große Straßenbahnerstreik vom 30. Juli bis zum 17. Oktober 1920 machte deutlich, „wie notwendig der Personentransport zwischen Arbeitsstätte, Wohnung und dem Znntrum des Warenumschlags, der Stadtmitte um das Kröpcke herum gewesen war.“ (4)
Großbanken bestimmten mit ihren repräsentativen Bauten – so das Gebäude der Cornmerzbank von l92l in der Theaterstraße – immer mehr das Profil der City. Die neue Konsumgesellschaft, die trotz Arbeitslosigkeit und teilweise schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse sich weiter ausbreitete, ließ sich vor allem an der Erweiterung des Warenhauses der Firma Karstadt AG im Jahre 1928 erkennen sowie an der Errichung eines Woolworth-Einheitspreisgeschäftes.
Die Stadtverwaltung beeinflußte die Entwicklung der City durch Fluchtlinienpläne und Bauord- nungen. Im Jahre 1922 kam es zur Aufstellung eines rechtlich allerdings nicht verbindlichen Generalbebauungsplanes, der freilich die Innenstadt nur indirekt berührte, weil er hauptsächlich auf die zukünftige flächenmäßige Erweiterung der Gesamtstadt ausgerichtet war. Doch stand ein solcher Plan schon ganz im Zeichen der städtebaulichen Funktionstrennung: Wohn-, Industrie- und Freiflächen sollten mit dem sie verbindenden Verkehr nunmehr wirkungsvoller geordnet und räumlich segregiert werden. Flankierende Hilfe boten die (1930 erneuerte) Bauordnung, vor allem aber der sogenannte „Schönheitsparagraph“ und andere Verwaltungsdekrete. So achteten die Stadtväter sehr darauf, daß die Georgstraße nicht unnötig „verunstaltet“ wurde. Auch versuchte die Stadtverwaltung, die City von politischen Kundgebungen möglichst freizuhalten.
Das Straßenbild in der Innenstadt veränderte sich in den 20er Jahren auch durch Motorrad und Automobil und die neuen Verkehrsschilder. Mit der zunehmenden Zahl von Automobilen und Motorrädern stellte sich auch die Frage, wo getankt werden sollte. Unter Hinweis auf den sogenannten Schönheitsparagraphen sollte die City um die Georgstraße herum möglichst von solchen neuen Zapfsäulen-Ungetümen freigehalten werden. Eine sogenannte Benzinabgabestelle auf dem Georgsplatz zu errichten, war bereits geplant, stieß aber auf zu großen Widerstand. Die Explosions- und Feuergefahr sei zu groß, besonders eben für die anliegenden Bankinstitute. Ein Gestank würde sich dabei entwickeln, der dieser Gegend abträglich sei. Auch der Vorschlag, eine solche Tankstelle auf dem Theaterplatz zu installieren, stieß auf wenig Gegenliebe. Schließlich wurde der Raschplatz, auf der Bahnhofsrückseite gelegen, als Standort für eine Tankstelle gewählt. (5)
Nach demKrieg „beherrschten“ Kriegsgewinnler die Straßen und Plätze in der City. Wo früher Adel und Bürgertum, die sogenannte gute Gesellschaft, die Szene prägten, promenierten nach dem Kriege Leute in „merkwürdiger Pelzeleganz“. Auf 50 Schritt würde man sie erkennen: „…teils jüngere Leute, behängt mit Pelzen, Lack, Brillanten, mit Gold bewaffnet bis in die Zähne, alles echt, echt und nochmals echt, nur sie sind es nicht, irgendwo schimmert immer der geistesarme Protz durch.“ (6)
Im Café Kröpcke traf sich dagegen die künstlerische Avantgarde, also mitten im Zentrum. Hannoversche Künstler, Literaten und Journalisten diskutierten dort oder lasen einige der 250 Zeitungen und Fachblätter, die in diesem bekannten Café täglich auslagen.
Die neue City verfügte über Attraktionen, die in keinem anderen Stadtteil zu finden waren. Neben Warenhaus und Einkaufspassage prägten beliebte Vergnügungs- und Gastronomiebetriebe, wie das Cafe Kröpck“ oder das Mellini-Theater das Bild der Innenstadt.
Auch die Filmtheater können stellvertretend für die neue sich nun stark verbreitende Massenkultur stehen. Die Weltspiele in der Georgsüaße sind ein bekanntes Beispiel für dcn Einzug des neuen Freizeitkommerzes in Hannover, so wie dieser sich auch in anderen Städten druchsetzte.
Adelheid von Saldern (1991)
Das Gesicht einer StadtDer „moderne Imagefilm“ aus dem Jahr 1932 erzählt vom Werden der Stadt bis in die damalige Gegenwart und zeigt die verschiedenen Wirtschafts- und Lebensbereiche der Stadt Hannover zu Beginn der 30er Jahre. |