Vorbedingungen der City-Bildung

Schon 1787 wurden hierfür die ersten Weichen von Georg III., welfischcr Kurfürst und König von Englandrrl, vorbereitet. Finem Erlaß zufolge sollte die Residenzstadt Hannover eine Prachtstraße erhalten. Die Stadt um das Aegidientor herum mußte deshalb erweitert werden. Da die Stadtbefestigung ihre Funktion im Verteidigungsfalle eingebüßt hatte, konnten die Stadtwälle geschleift werden. Die nach Georg III. benannte Straße verlief schließlich dort, wo zuvor Bastionen und Kurtinen gelegen hatten. Da die geplante Prachtstraße den Namen des Herrschers tragen sollte, stiftete dieser 14.000 Taler für die eigentliche Anlage. Zusätzlich sollte jeder 500 Taler erhalten, der hier solide bauen würde. (2)

Solche Schritte gaben zwar der späteren hannoverschen Innenstadt ein spezifisches Gepräge, lagen aber noch weit im Vorfeld von Industrialisierung und Urbanisierung und damit auch im Vorfeld der modernen City-Bildung.

Adelheid von Saldern (1991)

Hannoverscher Stadtwall im frühen 19. Jahrhundert

 

Wie ein steinerner Ring umschlossen die Befestigungsanlagen den seit dem Mittelalter wenig veränderten Stadtkern Hannovers und hemmten lange die Möglichkeiten einer expansiven Stadtentwicklung.

Um Hannovers Bedeutung als Residenzstadt hervorzuheben, wurde 1787 im Zuge der Stadtverschönerung mit der Anlage der Georgstraßc, benannt nach König Georg III., begonnen. Dazu wurden die Stadtwälle geschleift, die Gräben cingeebnet und stattdessen breite Alleen angelegt, die nun wie Tangentcn den mandelförmigen Stadtkern umgaben.

„Keine deutsche Stadt hat vielleicht seit kaum einem halben Menschenalter mehr an Heiterkeit und Schönheit, besonders durch die Entfestigung gewonnen als Hannover. Da, wo noch vor dreißig Jahren düstre Thorgewölbe die Einfahrt in die Stadt entstellten und Walldämme die freundliche Neustadt umringten und beengten, öffnen sich jetzt freie, schöne geregelte Straßen und Plätze, die Friedrichs- und die Georgenstraße, die Esplanaden mit ihren Schattengängen von Platanen und Linden, mit ihren lachenden Aussichten auf Wiesen und Gärten der Vorslädte.“ (1)

Doch trotz der guten Lage md namhafter Vergünstigungen für die Bauwilligen kam die Besiedlung der Georgstaße nur sehr langsam voran. Von den 27 geplanten Hausplätzen waren selbst 1822 erst vier bebaut. Ungefähr in dieser Zeit beschrieb Christian von Spilker die Georgstraße:

„Die Georgstraße ist nur auf der einen Seite bebauet; die nach dem Stadtgraben zugehende ist frei … Die Breite der Straße beträgt 150 Fuß. Für die Fußgänger ist den Häusern gegenüber ein breiter, mit zwei Reihen von Lindenbäumen besetzter, nicht gcpflasterter Fußweg eingerichtet, der durch eiserne Ketten, die zwischen aufgerichtetcn Pfeilern von Sandstein befestigt sind, von der Fahrstraße abgesondert wird. An dieser Stelle haben zwei ehemalige Bastionen zwei ziemlich große Plätze gebildet, von denen der eine mit Bäumen bepflanzt, der andere mit einer der Altstadt gehörigen Windmühle besetzt ist.“ (2)

1844 rnachte die Windmühle Platz für das neue Hoftheater und fand nach einer längeren Odyssee über das Aegidientor zum Engesohder Berg, dann in die Südheide nach Hohnebostel, schließlich 1938 ihren Ruheplatz im Hermann-Löns-Park. Die Windmühlenstraße gegenüber dem Opemhaus erinnert noch heute mit ihrem Namen an den Standort dieser Mühle vor eineinhalb Jahrhunderten.

Die Anlage der Georgstraße aber bildete den Grundstein zur zukünftigen Ernst-August-Stadt, die sich am noröstlichen Altstadtrand herausbilden sollte und die sich in die baulichen Anforderungen des anbrechenden technischen Zeitalters stadtplanerisch besser integrieren ließ als der mittelalterliche, verwinkelte und verbaute Stadtkern – Hannovers Altstadt.

Richard Birkefeld (1991)

Hannovers Innenstadt in den 1930er Jahren

Das zögerliche Bauverhalten des Bürgertums und die abwartende Haltung der Stadtplaner hatten für den Ausbau der Georgstraße zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfreuliche Folgen. Gerade im Zeitalter des Einbruchs der Technik des weiträumigen, großvolumigen Handels und Verkehrs konnte l8l4 bis l88l nach den Plänen des Hofbaumeisters Laves die Straße so großzügig wie möglich angelegt werden. Damit wurde in der Ernst-August-Stadt ein weiträumiger Kontrapunkt zur dunklen, engen und bis zu ihrer umfangreichen Zerstörung im 2. Weltkrieg immer noch mittelalterlich anmutenden Altstadt geschaffen.

Etwas mehr als 100 Jahre trennen die Situation im vorherigen Bild von dieser Photographie. Die Windmütrle hat dem l845 bis 1852 gebauten Hoftheater Platz gemacht, das seit dieser Zeit den optischen und gesellschaftlich-kulturellen Mittelpunkt der Georgstraße bildet. Auf der angrenzenden Grünfläche wurden im Laufe der Zeit Denkmäler bedeutender Hannoveraner errichtet. Unter den Bildnissen des Militärchirurgen Georg Friedrich Louis Stromeyer, des Technologen Karl Karmarsch, des Generalmusikdirektors Heinrich Marschner und zeitweilig auch Friedrich Schiller konnten sich die Bürger ergehen. Die 1846 gebaute niedersächsische Börse und das Eckhaus der 1906 errichteten Dresdner Bank bestimmen das Bild der Häuserzeile in der Rathenaustraße hinter dem Opernhaus. An der Ecke zum Georgsplatz entstand um die Jahrhundertwende die Hannoversche Bank mit iher weithin sichtbaren grünen Kuppel. 1920 zog hier die Deutsche Bank ein. Auch der Georgsplatz, der 1845 ebenfalls auf einer Bastion der Stadtbefestigung angeregt wurde, wird von Gerdinstituten umringt.

Die bebaute Seite der Georgstraße wird von den Gebäuden des „Georgspalastes“, Hannovers anspruchsvollem Unterhalttungsetablissement, des Bankhauses .Basse und des l9l8 in sachlicher ‚Industriearchitektur, errichteten Zeitungshauses des ,,Hannoverschen Kuriers“ dominiert. Dazwischen lockten fast nahtlos aneinandergereihte mondäne Geschäfte mit üppiger Schaufensterdekoration eine wohlbabende Kundschaft an.

Der jenseits des Kotgrabens angelegte Boulevard hatte sich zu Hannovers Prachtstaße entwickclt. Ecke Georg-/Karmarschstaße ist das Conti-Haus zu erkennen. Ihm gegenüber liegt der gesellige Mittelpunkt der Georgstraße: das Café Kröpcke.

Seit der Schleifung der Stadtwälle 1787 bis zur Zerstörung großer Teile des Stadtzentrums in den Bombennächten von 1943 vollzog sich am Rande der Altstadt eirn Urbanisierungsprozess, der sowohl das äußere Bild der Innenstadt als auch die Sozialstruktur des neu entstehenden Zentrums und der historischen Altstadt veränderte.

Gerade der von 1844 bis 1847 erbaute Bahnhof leistete einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung.

Richard Birkefeld (1991)

 

 

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