Ökonomische Kompetenz

Ökonomie: Ein gesellschaftliches Projekt

Detlef Endeward (08/2025)

Grundgedanke dieser Überlegungen ist: Ökonomische Gesetze sind keine Naturgesetze, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und Ideologien. Wirtschaftliches Handeln ist demzufolge nicht naturgegeben, sondern geprägt durch Macht- und Herrschaftsinteressen.

Wenn Ökonomie die materielle Grundlage für gesellschaftliches Leben ist, beduetet dies, dass es von existenzieller Bedeutung ist, wie die Ökonomie einer Gesellschaft verfasst ist, wer welchen Einfluss auf ökonomische Entwicklung hat. Demokratie, d.h. Partizipation muss sich auch auf die Sphäre der Ökonomie beziehen, sonst kann sich eine Gesellschaft nicht demokratisch nennen. Ein vertieftes Verständnis für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge erfordert es, politische und ökonomische Aspekte verknüpft zu denken. Das bedeutet, das ökonomische Kompetenz und politische Kompetenz die Basiskompetenzen im Modells darstellen.

Ökonomisches Lernen beinhalte zwei Perspektiven und eine konkrete Utopie:

Wirtschaftsordnungskompetenz

Auf der strukturellen Ebene muss ökonomisches Lernen dazu beitragen, die Funktionslogik des ökonomischen Systems zu begreifen. Das beinhaltet die Fähigkeit, ökonomische Strukturen, Machtverhältnisse und institutionelle Rahmenbedingungen zu verstehen und kritisch einzuordnen.

Handlungskompetenz im Wirtschaftlichen

Das beinhaltet die praktische Fähigkeit, ökonomische Zusammenhänge auf die eigene Lebenswelt zu beziehen und reflektierte Entscheidungen zu treffen.

Alternativen entwickleln

Diese doppelte Persspektive schließt die Kritik an der herrschenden marktzentrierten Ökonomie als ideologisch verzerrt ein und stellt die Forderung nach einer alternativen, gemeinwohlorientierte Wirtschaftsweise auf. Ökonomische Kompetenz bedeutet hier, zwischen konkurrierenden Logiken zu unterscheiden und gesellschaftliche Reformen aktiv mitzugestalten

Negt Beschreibt in „Der politische Mensch“ ökonomische Kompetenz mit: „Sorgfältiger Umgang mit materiellen und gesitigen ressourcen – der eigenen Arbeitskraft ebenso wie dem gesellschaftlichen Rohstoff“. Die Lebensbedingungen sind „wesentlich von wirtschaftlichem Handeln abhängig“ – diese Feststellung steht für ihn außer Frage, „in welcher Weise aber die Subjekte in die Normen und Kreisläufe wirtschaftlicher Systeme als Mittäter eingebunden sind, sodass ihnen der Blick auf Alternativen verdunkelt wird, das bedarf sehr wohl der Analyse und der Überprüfung von Gesetzmäßigkeiten, die sich als Ideologie oder gar scheinbar unvermeidliche Naturvorgänge auf die Lebensverhältnisse lagern.“ Er unterscheidet zwei Ökonomien:

Kritik an der „ersten Ökonomie“

Diese dominante Ökonomie basiere auf der Kapital- und Marktlogik, die als alternativlos dargestellt wird. Sie entziehe sich scheinbar menschlichem Einfluss und wird als „härter als Beton“ beschrieben. Die Lebenswelt der abhängig Beschäftigten würde zur Manövriermasse degradiert, soziale Gerechtigkeit bliebe außen vor.
Betriebswirtschaftliche Überlegungen verdränge die Idee einer Wohlstandsökonomie, mit Folgen wie Massenarbeitslosigkeit und Dehumanisierung der Arbeit.

 

Forderung nach einer „zweiten Ökonomie“

Es brauche eine alternative Ökonomie, die sich an Gemeinwohl, Gerechtigkeit und langfristigen gesellschaftlichen Kosten orientiert.

Wohlstand sei mehr als die Summe effizienter Einzelbetriebe – er verlangt eine gesamtgesellschaftliche Perspektive. Ziel sei eine Ökonomie des „ganzen Hauses“, die auf öffentlicher Vernunft und permanenter Gesellschaftsreform basiert.

Pädagogische Implikation

Ökonomische Kompetenz bedeutet Unterscheidungsvermögen zwischen verschiedenen ökonomischen Logiken. Sie muss helfen, verdeckte Ideologien zu erkennen und Alternativen sichtbar und als realisierbar denkbar zu machen

Ökonomische Kompetenz

Bei der ökonomischen Kompetenz geht es um Handeln in ökonomischen Zusammenhängen, nicht nur um Warentausch – obwohl er eine der Grundbedingungen der Ökonomie ist –, sondern auch um unterschiedliche Interessen, die im Marktgeschehen aufeinandertreffen. Spitzen wir die Grundlagen des ökonomischen Handelns zu: Grundlage des Wirtschaftens – und das weltweit, von den lokalen Märkten über die Volkswirtschaften der Staaten und Staatengemeinschaften bis zur Weltwirtschaft (Internationalisierung/Globalisierung) – ist die kapitalistische Marktwirtschaft. Der Kapitalismus ist die Bezeichnung für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das private Eigentum an Produktionsmitteln – Grundstücke, Fabrikhallen, Maschinenanlagen, Rohmaterialien, Halbfabrikate – unter Hinzukauf lebendiger Arbeitskraft Waren produziert nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Die Steuerung der Wirtschaft erfolgt über den Markt, die Teilmärkte. Ziel der Wirtschaftsform ist nicht in erster Linie, die Lebensmöglichkeiten der Menschen zu sichern, sondern langfristig Profitraten zu erzielen. Aus dem Kapitalbesitz, der die Voraussetzung über die Verfügungsgewalt der Produktionsmittel ist, entsteht das Weisungsrecht/Direktionsrecht über die Arbeitskraft der abhängig Beschäftigten.

Was immer als „Ersatzbezeichnung“ für kapitalistisches Wirtschaften – und seine Besitz- und Machtverhältnissen – in der politischen Debatte heute verwendet wird: Soziale Marktwirtschaft, Rheinischer Kapitalismus, neue soziale Marktwirtschaft, Wirtschaftsgesellschaft, globale Wirtschaft, liberale Wirtschaft – die Grundlage bzw. Zielsetzung der Gewinnmaximierung bleibt bestehen. Ihr haben alle Wirtschaftstätigkeiten auf den Teilmärkten – dem Kapitalmarkt, der Warenzirkulation, dem Arbeitsmarkt – sowie die Wirtschaftstätigkeiten der Staaten zu dienen. Aufgabe der Staaten ist in diesem Zusammenhang die Vorhaltung von Infrastrukturleistungen in den Bereichen Verkehr, öffentliche Sicherheit, militärischer Komplex, Bildungs- und Ausbildungssysteme, Forschung und Wissenschaft, Gesundheit, staatliche Finanz- und Geldpolitik. Zu dem unterstützt der Staat zum Teil die Wirtschaftstätigkeit der privaten Haushalte. Diese Aufgabenbereiche des Staates werden allerdings zunehmend privatisiert, so dass beispielsweise das Gesundheits- und Bildungssystem, aber auch die Verkehrsinfrastruktur teilweise privaten Investoren überlassen wurden, mit den entsprechenden Folgen für die Gesellschaft.

Wir können festhalten: Was sich in den Stationen der Wirtschaftskreisläufe abbildet, regelt nicht die berühmte „unsichtbare Hand“ oder, wie es heute in einer gängigen Metapher heißt, das „scheue Reh Kapital“, dem man nicht zu nahe kommen darf mit hohen Lohnforderungen oder Steuern. Dann läuft es davon und nimmt Arbeitsplätze mit. Es agieren Menschen, und wo die Kapitalbesitzer nicht selbst aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen, beauftragen sie Manager, für sich zu handeln. Alle Wirtschaftssubjekte treten sich im Wirtschaftsgeschehen formal gleich gegen über: Unternehmer, Arbeiter und Angestellte, Käufer und Verkäufer, Händler und Agenten. In der Praxis des Marktgeschehens treffen aber in der Regel materielle Ungleichheiten aufeinander, die unter kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen nicht aufhebbar, sondern jeweils nur auf Zeit zu regulierbar sind. (…)


Auszug aus: Adolf Brock , Robert Haussmann, Gerhard Leithäuser, Christine Zeuner: Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz: Curriculumentwicklung für die politische Grundbildung  – Ökonomische Kompetenz. SOCRATES-PROGRAMM – PROJEKTE ZUR LÄNDERÜBERGREIFENDEN ZUSAMMENARBEIT Grundtvig 1, Flensburg 2005, S. 49/50

Literatur

Negt, Oskar (2010): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Göttingen 20102

Adolf Brock , Robert Haussmann, Gerhard Leithäuser, Christine Zeuner: Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz: Curriculumentwicklung für die politische Grundbildung  – Ökonomische Kompetenz. SOCRATES-PROGRAMM – PROJEKTE ZUR LÄNDERÜBERGREIFENDEN ZUSAMMENARBEIT Grundtvig 1, Flensburg 2005

Gegenüberstellung des Kompetenzmodells des niedersächsischen Kerncurriculums für die Sek II mit dem Modell „Ökonomische Kompetenz nach den EU-Projekt Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz“

Kompetenzmodell des niedersächsischen Kerncurriculums für die Sek II
Ökonomische Kompetenz nach den Ausführungen im EU-Projekt „Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz“ (2)

Das Kerncurriculum (1) formuliert im Kompetenzbereich Fachwissen für die Lernbereiche politische Bildung und ökonomische Bildung zunächst die Kompetenzerwartung

 

Schülerinnen und Schüler

… verfügen über ein strukturiertes politisches und ökonomisches Orientierungswissen, welches ihnen das rationale Beurteilen politischer und ökonomischer Sachverhalte und Entscheidungen ermöglicht.

Schülerinnen und Schüler

…verstehen wirtschaftliche Zusammenhänge, die Grundlagen und Formen der Wirtschaft, ihre Differenzierungen und Wirkungen.

Für den Lernbereich ökonomische Bildung wird dies konkretisiert:

 

Schülerinnen und Schüler … erfassen wirtschaftliches Handeln in den Kategorien der ökonomischen Verhaltenstheorie

Schülerinnen und Schüler … erkennen subjektive Interessen und Bedürfnisse und objektive gesellschaftlichen Widersprüche

Kategorien: Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Knappheit, Opportunitäts- bzw. Alternativkosten, Konflikt, Risiko

Kategorien: Kapital, Verfügung über die Produktionsmittel und damit über die Arbeitsplätze, Verteilung der erwirtschafteten Güter, Partizipationsmöglichkeiten der Arbeitnehmer/innen.

… erfassen ökonomische Interdependenzen und Prozesse als Kreislaufzusammenhänge

… können diese Widersprüche benennen und Überlegungen anstellen, wie diese durch demokratische Alternativen und Strategien aufgehoben oder überwunden werden können.

Kategorien: betriebliche, zwischenbetriebliche, gesellschaftliche, internationale Arbeitsteilung, Wirtschaftskreislauf und Interdependenz

Kategorien: Rolle der Märkte, des Produktivkapitals, des Finanzkapitals und der Arbeitsmärkte. internationale Wirtschaftsverflechtungen, Weltmarktkonkurrenz (Globalisierung) und die Rolle der Staaten und der internationalen Wirtschaftsorganisationen.

… erfassen die institutionell-rechtlichen Bedingungen wirtschaftlichen Handelns.

 

Kategorien: Wirtschaftsordnung, Koordinationssysteme, Marktversagen, wirtschaftspolitische Handlungsfelder, Staatsversagen

 

(1) Kerncurriculum Politik/Wirtschaft Sek II Qualifizierungsphase
(2) nach: Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz: Curriculumentwicklung für die politische Grundbildung. Ökonomische Kompetenz, Flensburg 2005

Kurze strukturierte Zusammenfassung des Beitrags „Bildungsstandards und Kompetenzmodelle“

Zielsetzung der ökonomischen Bildung

  • Die ökonomische Bildung soll zur Allgemeinbildung beitragen, indem sie Mündigkeit, Tüchtigkeit und Verantwortung fördert.
  • Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, ökonomisch zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln – sowohl individuell als auch gesellschaftlich.

Kompetenzmodell

Das zentrale Modell basiert auf drei Dimensionen:

    1. Entscheidung und Rationalität des Einzelnen – Fähigkeit zu reflektierten ökonomischen Entscheidungen.
    2. Beziehung und Interaktion mit Anderen – Verantwortungsbewusstsein im wirtschaftlichen Handeln.
    3. Ordnung und System des Ganzen – Verständnis wirtschaftlicher Strukturen und deren politische Gestaltung.

Jede Dimension ist in drei Teilkompetenzen untergliedert und wird mit situationsspezifischen Rollenbildern verknüpft.

Rollenbilder als Strukturhilfe

Drei übergreifende Rollen:

    • Verbraucherin*
    • Erwerbstätiger* (Arbeitnehmerin und Unternehmerin)
    • Wirtschaftsbürgerin*

Diese Rollen sollen helfen, ökonomische Lebenssituationen zu strukturieren und Kompetenzen kontextbezogen zu entwickeln.

Bildungsstandards und Aufgabenbeispiele

Es wurden nationale Bildungsstandards für verschiedene Schulabschlüsse formuliert (Grundschule bis Abitur).

Aufgabenbeispiele zeigen, wie ökonomische Kompetenzen in konkreten Lebenssituationen (z. B. Konsum, Berufsalltag, Unternehmensgründung) angewendet werden können.

Didaktische Prinzipien

Die Inhalte der ökonomischen Bildung sollen pluralistisch und reflexiv sein.


Nach: Katharina Schild und Malte Ring: Bildungsstandards und Kompetenzmodelle. Wirtschaft unterrichten. Lehrstuhl für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik der Universität Tübingen. Zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

Das vorgestellte Kompetenzmodelle gibt zwar vor, as Ziel der Mündigkeit und gesellschaftlichen Teilhabe zu verfolgen – doch Negt würde diese Konzeption als zu funktionalistisch, zu systemkonform und zu wenig emanzipatorisch kritisieren.

Kritikpunkte aus dieser Perspektive

Funktionalistische Kompetenzorientierung

Die dargestellten Modelle betonen die Fähigkeit, „ökonomisch urteilen, argumentieren, entscheiden und agieren zu können“. Die Form der Kompetenzorientierung ist jedoch problematisch, weil sie den Menschen primär als wirtschaftlich funktionierendes Subjekt versteht – nicht als kritisch-reflektierendes Mitglied einer demokratischen Gesellschaft.
Bildung darf sich aber nicht nur auf „Tüchtigkeit“ zielen, sondern muss gesellschaftliche Selbstreflexion ermöglichen. „Kompetenz darf nicht zur Anpassungsleistung verkommen.“ – sinngemäß nach Negt

Reduktion auf Rollenbilder

Die Einteilung in Rollen wie „Verbraucher“, „Erwerbstätiger“ und „Wirtschaftsbürger“spiegelt eine ökonomisierte Sicht auf das Subjekt. Bildung darf aber nicht von der Verwertbarkeit des Menschen ausgehen, sondern von seiner Fähigkeit zur Mitgestaltung und Kritik. Rollenbilder können – und tun dies – die gesellschaftliche Komplexität und Widersprüchlichkeit des Lebens verschleiern.

Mangel an Kritkfähigkeit

Negt plädiert für eine Bildung, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse offenlegt und zur Veränderung befähigt. Die vorgestellten Standards hingegen bleiben systemaffirmativ: Sie zielen auf die Integration ins bestehende Wirtschaftssystem, nicht auf dessen kritische Reflexion.
Eine solche ökonomische Bildung läuft Gefahr, Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren, statt sie zu hinterfragen.

Demokratie als Lernprozess

Negt betont, dass Demokratie gelernt werden muss – durch Erfahrung, Konflikt und Auseinandersetzung. Die ökonomische Bildung, wie sie hier konzipiert ist, bleibt ideologisch intransparent, ist zu abstrakt und zu technokratisch, um diesen Lernprozess zu fördern. Es fehlt die Verbindung von ökonomischer Bildung mit politischer Bildung.

Fazit

Aus Negtscher Sicht müsste ökonomische Bildung:

  • gesellschaftskritisch statt systemkonform sein,
  • emanzipatorisch statt funktionalistisch,
  • subjektorientiert statt rollenfixiert,
  • und demokratiebildend statt verwertungsoptimiert.

Die dargestellte Position ein jedoch ein Schritt in Richtung Standardisierung für marktkonformes Verhalten – aber kein Schritt in Richtung Emanzipation und Demokratisierung aller Lebensbereiche.

 

Aus marxistischer Perspektive ist das Modell grundlegend zu kritisieren, da es zentrale gesellschaftliche Machtverhältnisse und die kapitalistische Produktionsweise nicht problematisiert, sondern reproduziert.

Kritikpunkte aus undaogmatisch marxistischer Perspektive

Verdeckung der Produktionsverhältnisse

Das Kompetenzmodell stellt ökonomische Situationen als neutral dar – etwa durch die Betonung individueller Entscheidungen, Interaktionen und Systemverständnis. Aus marxistischer Sicht sind diese Situationen jedoch nicht neutral, sondern Ausdruck von kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die auf Ausbeutung und Klassenherrschaft beruhen.
Die Bildungsidee bleibt oberflächlich, wenn sie diese Struktur nicht offenlegt.

Rollenbilder als Ideologie

Die Einteilung in Rollen wie „Verbraucher“, „Erwerbstätiger“ und „Wirtschaftsbürger“ erscheint zunächst pluralistisch – doch sie naturalisiert kapitalistische Subjektformen. Ein undogmatisch marxistischer Ansatz würde fragen: Warum wird der Mensch primär als Konsument oder Unternehmer gedacht? Diese Rollen sind Ergebnisse gesellschaftlicher Verhältnisse, nicht anthropologische Konstanten.
Bildung sollte diese Rollen hinterfragen, nicht affirmieren.

Reduktion auf Anpassungskompetenz

Die dargestellten Bildungsstandards zielen auf die Befähigung zur „Bewältigung ökonomisch geprägter Lebenssituationen“. Das klingt pragmatisch, ist aber aus marxistischer Sicht problematisch, weil es die Lernenden auf die Anpassung an bestehende Verhältnisse vorbereitet – nicht auf deren Veränderung.
Eine kritische ökonomische Bildung müsste die Frage stellen: Wer profitiert von diesen Verhältnissen – und wer leidet darunter?

Fehlende Kritik der politischen Ökonomie

Die Position bleibt in einer verhaltensökonomischen Perspektive verhaftet, die individuelle Rationalität betont. Eine undogmatisch marxistische Kritik würde stattdessen die Warenform, das Kapitalverhältnis und die Fetischisierung ökonomischer Kategorien analysieren. Ökonomische Bildung müsste die historisch-konkreten Bedingungen von Arbeit, Eigentum und Wert thematisieren – nicht nur deren Erscheinungsformen.

Fazit

Die dargestellte Position zur ökonomischen Bildung ist aus undogmatisch marxistischer Sicht:

  • systemaffirmativ statt systemkritisch,
  • ideologisch statt aufklärerisch,
  • verhaltensorientiert statt strukturanalytisch.

Eine emanzipatorische ökonomische Bildung müsste die Lernenden dazu befähigen, die gesellschaftlichen Grundlagen der Ökonomie zu erkennen, zu kritisieren und zu transformieren – nicht nur darin zu funktionieren.

Negts Ansatz zur politischen Bildung ist bekannt für seine Offenheit: Er formuliert klar, dass Bildung emanzipatorisch sein soll – also zur Befreiung und Selbstbestimmung der Lernenden beitragen. Seine Perspektive ist normativ, aber sie ist reflektiert und transparent. Das macht sie angreifbar, aber auch diskussionsfähig.

Das Kompetenzmodell verfolgt ebenfalls normative Ziele – etwa Mündigkeit, Tüchtigkeit und Verantwortung. Doch diese Begriffe sind nicht eindeutig ideologiefrei. Sie wirken zunächst neutral, sind aber in ihrer konkreten Ausgestaltung anschlussfähig an bestimmte wirtschaftsliberale oder systemaffirmative Denkweisen. Die Rollenbilder (Verbraucher, Erwerbstätiger, Wirtschaftsbürger) strukturieren ökonomische Lebenssituationen, aber sie tun dies ohne explizite Reflexion über Machtverhältnisse, Kapitalinteressen oder gesellschaftliche Alternativen.

Aus einer kritisch-emanzipatorischen Perspektive ist das Modell als „Überwältigungspädagogik“ kritisierbar, das meint: 

  • Es vermittelt scheinbar objektive Kompetenzen, ohne die dahinterliegenden normativen Setzungen offenzulegen.
  • Es impliziert ein bestimmtes Menschenbild (rational entscheidend, systemkonform handelnd), das nicht zur Diskussion gestellt wird.
  • Es vermeidet politische Kontroversität, obwohl ökonomische Bildung per se politisch ist.

Die Materialien zur Ökonomischen Kompetenz aus dem SOCRATES-PROGRAMM – PROJEKTE ZUR LÄNDERÜBERGREIFENDEN ZUSAMMENARBEIT Grundtvig 1 enthalten umfangreiche Arbeitsmaterialien und Texte, die folgenden Lernbereichen zugeordnet sind:

Ökonomische Kompetenz – Sehen: Ökonomische Kompetenz” – was könnte das sein?
Ökonomische Kompetenz – Urteilen: Ökonomische Zusammenhänge erkennen
Ökonomische Kompetenz – Handeln: „Eine bessere Welt ist möglich“

Die Materialien sind zwar für die Erwachsenenbildung konzipiert, eignen sich aber auch für den Schulunterricht.


Adolf Brock , Robert Haussmann, Gerhard Leithäuser, Christine Zeuner: Politische Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz: Curriculumentwicklung für die politische Grundbildung  – Ökonomische Kompetenz. SOCRATES-PROGRAMM – PROJEKTE ZUR LÄNDERÜBERGREIFENDEN ZUSAMMENARBEIT Grundtvig 1, Flensburg 2005

 

Das Kompetenzmodell von Oskar Negt

Philosophische Kompetenz
Werturteilsbildung und Reflexionsfähigkeit

Kulturelle Kompetenz
Ästhetisches Bewusstsein und Kreativität

Poltische Kompetenz/Demokratiekompetenz
Rechtsbewusstsein und Partizipationsfähigkeit

Soziale Kompetenz/Identitätskompetenz
Identitätsbewusstsein und authentische Handlungsfähigkeit

Interkulturelle Kompetenz

Kommunikative Kompetenz

Medienkompetenz
Mediealitätsbewusstsein und (selbst)kritische Handhabungskompetenz

Technologische Kompetenz

Ökonomische Kompetenz
Wirtschaftsordnungskompetenz, Handlungskompetenz im Wirtschaftlichen und Entwicklung von Alternativen

  • Solidarische Ökonomie

Gerechtigkeitskompetenz
Sensibilität für Enteignungserfahrungen und Wahrnehmungsfähigkeit von Ungerechtigkeit

Ökologische Kompetenz
Nachhaltigkeitsbewusstsein und poltisches Engagement

Historische Kompetenz
Geschichtsbewusstsein und Utopiefähigkeit

Ein Bildungskonzept der Komplexitätsfähigkeit
Gesamtsicht auf die Dimensionen

Die Lernwerkstatt im Konzept der Gesellschaftskompetenzen

Literatur

Ökonomische Kompetenz im Kontext des Gesellschaftskompetenzmodells

Ökonomische Kompetenz im Kontext des Gesellschaftskompetenzmodells bedeutet, wirtschaftliche Zusammenhänge als gesellschaftlich geprägte Prozesse zu verstehen. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass ökonomische Regeln keine Naturgesetze sind, sondern Ausdruck von Machtverhältnissen und Ideologien. Ziel ist es, die Funktionslogik des Wirtschaftssystems zu durchdringen und ökonomische Entwicklungen kritisch zu reflektieren. Demokratische Teilhabe muss auch die ökonomische Sphäre umfassen. Ökonomisches Lernen fördert die Fähigkeit, wirtschaftliche Entscheidungen in Bezug zur eigenen Lebenswelt zu setzen und politische sowie ökonomische Aspekte verknüpft zu denken

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