Hanns Lothar – ein Schauspieler der Zwischenzeit
Um seine Filmkarriere braucht man nicht bange zu sein
Gerhard Ehlerding (1991)
Um seine Filmkarriere braucht man nicht bange zu sein; die BUDDENBROOKS werden zeigen, welchen Gewinn er für die Leinwand darstellt. Er wird kein Star werden, gottseidank – der dazugehörige Glamour ist ihm fremd. Aber er wird, wenn man ihm nur die richtigen Rollen gibt, ein herrlicher Schauspieler vor der Filmkamera sein.“ (1) Mit diesen Worten endet der Artikel „Ein Komödiant erobert die Leinwand“ über den damaligen Filmneuling Hanns Lothar. Er entstand zu einem Zeitpunkt (1959), als Hanns Lothar sich bereits durch seine Arbeit auf der Bühne und beim Fernsehen eine gewisse Anerkennung verschafft, aber erst einmal vor der Filmkamera gestanden hatte.
Am 10. April 1929 wurde Hanns Lothar als Hans Lothar Neutze in Hannover als jüngster von drei Brüdern geboren. (2) Schon während seiner Schulzeit hatte er erste Kontakte zum Theater und war bereits als Sechzehnjähriger Mitglied im Ensemble der Städtischen Bühne in Hannover. Dort stand er von nun an regelmäßig mit seinen Brüdern Horst-Michael und Günther Neutze sowie mit dem Freund Hannes Messemer auf der Bühne. Berühmt wurde die Inszenierung von Shakespeares „Komödie der Irrungen“, für die die vier als Idealbesetzung gefeiert wurden. In dieser Zeit legte er sich, auch als Abgrenzung gegen die Brüder, das Pseudonym zu. 1952 ging er nach Frankfurt zum Kleinen Theater am Zoo, drei Jahre später, 1955, wechselte er dann ans Hamburger Thalia-Theater. Dort gelang ihm endgültig der Durchbruch, er übernahm die Hauptrollen der meisten wesentlichen Produktionen. In dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau Ingrid Andree kennen, deren Engagement in Hamburg allerdings gerade endete. Für seine Theaterarbeit erntete Lothar Lob von allen Seiten, wobei stets seine Vielseitigkeit hervorgehoben wurde. Von Shakespeare bis Tennessee Williams und O’Neill schien er sich bei allen Autoren gleichermaßen zu Hause, in allen Rollen gleichermaßen wohl zu fühlen. (3) Dabei wurde immer wieder auf die Leichtigkeit hingewiesen, mit der er seine Rollen verkörpere (4), eine Leichtigkeit, die er später auch vor der Kamera beibehielt.
Mit dem Beginn seiner Arbeit in Hamburg entdeckte ihn das Fernsehen. Aus dem „hochdotierten Geheimtipp“ (5) wurde einer der bemerkenswertesten Akteure des neuen Mediums, das ihn einem breiteren Publikum bekannt machte. In Rudolf Steinböcks DAS HEISSE HERZ stand er 1955 zum ersten Mal vor der Kamera. In den folgenden Jahren bis 1959 drehte er insgesamt zwölf Fernsehfilme, darunter einige Theaterstoffe, mit denen er bereits auf der Bühne erfolgreich gewesen war: DAS HEISSE HERZ (zum zweiten Mal 1957, Regie Peter Beauvais), BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER (1958, Regie Fritz Schröder-Jahn) und DER TOD DES HANDLUNGSREISENDEN (Franz Peter Wirth). (6) Neben diesen ambitionierten Theaterverfilmungen drehte Lothar aber auch eine Anzahl reiner Unterhaltungsfilme, mit denen das noch junge und wenig verbreitete Fernsehen Zuschauer zu gewinnen hoffte.
1959 arbeitete Hanns Lothar erstmals fürs Kino. Unter der Regie von Franz Peter Wirth entstand MENSCHEN IM NETZ, ein Film, der seinerzeit keine besondere Aufmerksamkeit erregte und inzwischen weitgehend vergessen ist. Unmittelbar im Anschluss daran verfilmte Alfred Weidenmann Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ und besetzte den Christian Buddenbrook mit Hanns Lothar, der mit dieser Rolle den großen Durchbruch auch auf der Leinwand schaffte. Diese in zwei Teilen herausgebrachte Literaturadaption wurde von der zeitgenössischen Kritik überschwänglich gelobt („das beste, was für dieses Talent aufzutreiben war“ (7)); einzig Dietrich Kuhlbrodt stellte in der Filmkritik fest, statt des Verfalls einer Familie gäbe es deren Privatleben zu sehen, wobei bisweilen die Generationen durcheinandergerieten und die Regie „diesen Widersinn des Drehbuchs“ noch verschlimmert habe. (8) Einig waren sich alle aber in der Beurteilung der Schauspieler, allen voran Hanns Lothars, der für seine Leistung einstimmig mit dem Preis der deutschen Filmkritik als bester männlicher Darsteller ausgezeichnet wurde.
Lothars nächster Film, der wie schon BUDDENBROOKS für die Filmaufbau GmbH Göttingen produziert wurde, ging wiederum Auf ein Theaterstück zurück, in dem er bereits gespielt hatte: Bruno Franks Komödie „Sturm im Wasserglas“. Lothar spielt in dem gleichnamigen Film von Josef von Baky (1960) einen Rundfunkreporter, der ein verfängliches Interview mit einem Bürgermeisterkandidaten veröffentlicht, dessen Tochter er liebt, Glaubt man den zeitgenössischen Kritiken, so waren es vor allem zwei Umstände, die diesen Film interessant machten. Zum einen spielte ein Hund eine wesentliche Rolle (9), andererseits war es der erste gemeinsame Auftritt des frisch verheirateten Paares Ingrid Andree und Hanns Lothar. (10) Beide wurden als Musterbeispiele von trotz Ruhm natürlich gebliebenen Schauspielern gefeiert. beide waren Lieblinge der Klatschspalten. Da traf es sich gut, dass sie auch im Film ein Liebespaar zu spielen hatten und man so die Liebe der beiden Schauspieler gleichsam auf der Leinwand „mitverfolgen “ konnte.
Die Rolle, die Lothar in seinen Film- und Fernsehproduktionen bis dahin zumeist gespielt hatte, war die eines schlaksigen, nicht ganz ernsten (und bisweilen nicht ganz ernstzunehmenden) jungen Mannes. Mit seinen folgenden Kinofilmen sollte sich daran einiges ändern. Nach einer Arbeit in der Schweiz. wo er 1960 unter Alfred Weidenmann AN HEILIGEN WASSERN drehte, arbeitete er im selben Jahr auch mit Wolfgang Staudte zusammen. Dieser verfilmte ein Drehbuch von Robert A. Stemmle und Thomas Keck, dem ein authentischer Bericht über eine vermeintliche Kindsmörderin zugrunde lag. (11) Lothar übernahm in diesem Film, der unter dem Titel DER LETZTE ZEUGE in die Kinos kam, die Rolle des Verteidigers, der durch seine präzise Beweisführung die Unschuld der Angeklagten nachweist und den wahren Mörder entlarvt. Lothar ist hier der eigentliche Hauptdarsteller – meistens wird Martin Held angegeben -, der das Geschehen steuert.
Präzision und Sicherheit in der Darstellung zeigte Lothar in BIS ZUM ENDE ALLER TAGE (1961), Franz Peter Wirths recht freier Bearbeitung von Heinrich Hausers Roman „Brackwasser“, in der aus einem eher sozialkritischen Thema eine exotische Liebesgeschichte wurde. Dennoch kamen Lothars schauspielerische Qualitäten seiner Rolle sehr zugute. Er spielt einen jungen Seemann, der im Grunde anständig und ehrbar ist, bisweilen jedoch ungerecht und heftig wird, und erweist sich hier als Darsteller, der aus einem Film immer noch etwas mehr machen kann, als es Drehbuch und Regie vorsehen.
Noch deutlicher wurde dies in seinem nächsten Film: ONE, TWO, THREE von Billy Wilder (USA 1961), der bei der Erstaufführung aufgrund der politischen Umstände zum Flop geriet, sich bei der Wiederaufführung Mitte der achtziger Jahre aber zu einem Kassenschlager entwickelte. Lothar beweist hier wiederum sein komödiantisches Talent. Er spielt Schlemmer, den deutschen Assistenten des amerikanischen Deutschlandchefs von Coca Cola (James Cagney) im Berlin kurz vor dem Mauerbau. Das Spiel zwischen Cagney und Lothar gerät zu einer bemerkenswerten Satire über undemokratische Traditionen und das „Wir haben von nichts gewusst“ in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. So beschwört Schlemmer in einer Szene mit dem ehrlichsten Blick, er sei während des Krieges im Untergrund gewesen, um dann zu konkretisieren, er habe als Schaffner in der U-Bahn gearbeitet und nichts mitbekommen von dem, was sich oben abspielte. Auch Hitler („Adolf wer?“) sei ihm kein Begriff. Erst später verrät er versehentlich seine Mitgliedschaft in der SS. Auch in dieser Rolle eines Deutschen, der für so viele seiner Landsleute steht, fällt Lothars Präzision im Spiel auf, mit der er die meisten anderen Darsteller überragt – James Cagney ausgenommen.