Heinz Erhardt – Das Gesicht der Filmstadt Göttingen

Der deutsche Unterhattungsfilm der fünfziger Jahre hatte seine netten, seine komischen und seine bösen Dicken und setzte sie zur Bewertung des Verhaltens im Wirtschaftswunder-Alltag ein.“
(Georg Seeßlen)


Natürlich Heinz Erhardt!

Dietrich zur Nedden (1995)

Heinz Erhardt – Hier im Theater am Aegi in Hannover, 1953 (© Foto: Wilhelm Hauschild)

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Das Lexikon des Internationalen Films leistet sich in wenigen Fällen eine Ausnahme von dem Ordnungsprinzip, seinen Inhalt alphabetisch ausschließ[ich nach Filmtiteln zu sortieren. So findet sich in der Ausgabe von 1987 der Eintrag ,,Die Heinz Erhardt-Komödien“.1) Offensicht[ich handelt es sich um eine Art Markenzeichen.

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Aus den insgesamt 36 Kinofilmen (es sind tatsächlich 4o)2),,,die unter Erhardts darstellerischer Mitwirkung“ entstanden, wählt das Lexikon dreizehn aus, die es als ,,typische Heinz Erhardt-Komödien“ gelten läßt, weil sie ,,ganz auf ihn als Hauptdarsteller zugeschnitten“ seien. Von diesen ,,typischen“ Filmen sind sieben vollständig oder teilweise in Niedersachsen entstanden. (Insgesamt drehte Erhardt hier zehn Filme.) Auch die fünf ,,Heinz Erhardt-Hits“, die der Schmalfilmvertrieb Bruno Schmidt 1983/84 auf 16mm anbietet, gehören in die Gruppe der in Niedersachsen hergestellten Produktionen.
Ist diese Verbindung der für die Marke ,,Heinz Erhardt“ stehenden Kinofilme mit Niedersachsen Zufall? Wahrscheinlich. Wir werden sehen.

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„Ich bin ein halber Hannoveraner“, sagt Erhardt artig in einem Gespräch mit der Hannoverschen Presse 1961.3 Geboren ist er 1909 in Riga. Seine Eltern trennen sich bald, beide heiraten jeweils noch zweimal. „Man reichte mich ständig herum und manchmal reichte es mirl“4) Als Erhardt zehn Jahre alt ist, holt ihn sein Vater zu sich, der mittlerweile Kapellmeister am Mellini-Theater in Hannover ist. Heinz Erhardt wohnt erst in Hannover und dann in der Wennigser Mark, besucht das Realgymnasium am Georgsplatz und dann eine Schule in Barsinghausen. Er lernt früh Klavier spielen, dirigiert mit dreizehn ein Freiluftkonzert: ,,Die Kindersinfonie von Haydn (…). Das Konzert fand in der Wennigser Mark statt.“ 5) 1924, als 15iähriger, wird er erneut ,,geraubt (…) nun wieder einmal von Mütterchen.“6)

Er kehrt nach Riga zurück.

Während der Autor des Artikels in der Hannoverschen Presse gerade berichtet, daß Erhardts Großmutter väterlicherseits noch in Hannover lebt, wird er unterbrochen, ,,- und leibhaftig zur Tür herein tritt Onkel Rudolf Großmutters Bruder, um mit Heinz eine Tasse Kaffee zu trinken.“ 7)

Erhardt erinnert sich an die Jugendjahre, erzählt auch von seinen ,,Gastspielen vor der Währungsreform, in der Schwanenburg, in der Conti, im Johann-Strauß-Theater, zu einer Zeit, als die Menschen Briketts ins Theater mitbrachten und statt zu klatschen trampelten, um die Füße warm zu bekommen.“ Und dann fällt ein Satz, der umso bemerkenswerter ist, als der Grund für Erhardts Aufenthalt in Hannover ein PR-Termin für seinen aktuellen Film DRILLINGE AN BORD (1959, Regie: Hans Müller) war, und den man sich andererseits merken sollte, wenn man sich mit Erhardt als Filmschauspieler beschäftigt: ,,Jedes Jahr spiele ich einmal Theater; das ist doch das Schönste.“ 8)

Die Zeitungsseite, auf der sich der Artikel über Heinz Erhardt findet, ist von einem arglistigen Ironiker gestattet, der vielleicht Zufall oder Schicksal hieß. Am linken Rand steht die Rubrik ,,Kavalier der Straße“. Mit der gleichnamigen Plakette wird ein gewisser Walter Poschmann ausgezeichnet. Es ist die 186ste, die verliehen wird. Die Aktion hat offensichtlich Tradition; sie verweist zudem auf den Erhardt-Film NATÜRLICH DIE AUTOFAHRER (1959, Regie: Erich Engels), dessen Leitmotiv die Aufforderung an alle Verkehrsteilnehmer ist: ,,Seid nett zueinander“. Wir kommen später darauf zu sprechen.

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Die Zeitungsseite, auf der sich der Artikel über Heinz Erhardt findet, ist von einem arglistigen Ironiker gestattet, der vielleicht Zufall oder Schicksal hieß. Am linken Rand steht die Rubrik ,,Kavalier der Straße“. Mit der gleichnamigen Plakette wird ein gewisser Walter Poschmann ausgezeichnet. Es ist die 186ste, die verliehen wird. Die Aktion hat offensichtlich Tradition; sie verweist zudem auf den Erhardt-Film NATÜRLICH DIE AUTOFAHRER (1959, Regie: Erich Engels), dessen Leitmotiv die Aufforderung an alle Verkehrsteilnehmer ist: ,,Seid nett zueinander“. Wir kommen später darauf zu sprechen.

Unten auf der Seite ist eine Anzeige der Schnapsfirma Doornkaat.

„Erhardt war auf der Bühne nie betrunken, obwohl er stets eine kleine Flasche Doornkaat dabei hatte. Oft platzierte er sie auch auf der Bühne. Zur 500. Vorstellung von ‚Das hat man nun davon‘ hatte sich Manager Klemmer als großartige Gratulationsleistung 500 Doornkaat-Fläschchen ausgedacht. Die wurden in einem Korb mit dem Schild ‚500‘ auf die Bühne gestellt. Diese 500 Fläschchen hat er alle für sich eingeheimst, er hat keinem auch nur eine Flasche abgegeben“, erinnert sich ein nicht namentlich genannter Bühnen-Kollege.9)

1969 fragte eine Illustrierte unter dem Titel ,,Scharfe Sachen für die Stars“ Prominente nach ihren Trinkgewohnheiten, ,,Was sie trinken, wenn sie alleine sind. (…) Heinz Erhardt hält nichts vom Mixen. Er kippt den Klaren pur.“ 10)

In einer undatierten Notiz aus seinem Tagebuch schreibt Erhardt: ,,Nun spiele ich wieder mit Dodo. Es geht doch besser so. Man steht dann über den Dingen und der Rolle.“ 11)

Unter dem 2. März 1969 schreibt er in sein Tagebuch: „Ich fühle mich sehr schlecht, unregelmäßiger Puls, Atemnot und zu hoher Blutdruck (210). Zur Vorstellung kann ich mich nur durch ein paar Doornkaat fithalten.“ 12)

Es gibt noch einige Doornkaat-Hinweise bzw. Anekdoten mehr. Vielleicht komme ich später darauf zurück. An dieser Stelle genügt der Hinweis, daß Erhardts Vorliebe für Doornkaat eine weitere Verbindung zu Niedersachsen darstellt. Die Doornkaat AG hat ihren Sitz in Norden/Ostfriesland. Gebrannt wird der Weizenkorn seit 1806 unter dem Wahlspruch: ,,Es ist von höchstem Wert, stets sein Bestes zu geben und auch immer das Beste zu fordern.“

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Eigenartig spät spielt Heinz Erhardt Hauptrollen im florierenden deutschen Film

der fünfziger Jahre. Nachdem er von 1938 an permanent im Berliner ,,Kabarett der Komiker“ aufgetreten ist und schließlich 1941 eingezogen wird (ins Musikkorps der Kriegsmarine, später wurde er zur Truppenbetreuung abkommandiert), kommt er gleich nach dem Krieg zum NWDR, wo er gemeinsam mit Will Meyen die Sendereihe ,,So was Dummes“ schreibt und spielt. Bald folgen die ,,Glosse der Woche“ und weitere Auftritte bei anderen Sendeanstalten. Dazu beginnt Erhardt, Theater zu spielen, Boulevardstücke und Schwänke, mit denen er auf Tournee geht. Noch nicht genug, wirkt er bei den damals sehr beliebten ,,Bunten Abenden“ mit und zieht durch die junge Republik: 1948 unter dem Titel ,,Triumph der guten Laune“, 1951 gibt es den ,,Abend des Lachens“, 1952 die ,,Schlager- und Humorparade“ sowie die ,,Ferienfreude für Daheimgebliebene“, denen ein Jahr später der ,,Philips-Starkasten: Laß‘ die Sorgen Sorgen sein“ folgt, danach ,,Du und ich – die große Parade“, der ,,Triumph der guten Laune“ und ,,Schminke und Mikrophon – Großer bunter Abend“. 13)

Erhardt gehört zweifellos zu den bekanntesten Humoristen (wie man damals sagte) des Landes, als er 1957 – nach diversen Kurzauftritten, Neben-, Klein- und Kleinstrollen – zum ersten Mal eine Hauptrolle spielt. Er ist 48 Jahre alt.

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Im Jahr davor, 1956, kommen gleich vier Filme in die Kinos, in denen Heinz Erhardt mitwirkt. lm ersten, ICH UND MEINE SCHWIEGERSÖHNE (1956, Regie: Georg Jacoby) mit Grethe Weiser, spielt Erhardt den Nervenarzt Dr. Mindermann. Der Evangelische Filmbeobachter meint: ,,Es ist von den schlechten deutschen Filmen dieser Spielzeit einer der schlechtesten“, während die Aachener Volkszeitung „ein nettes deutsches Lustspielchen“ sieht, das „flott und hin und wieder auch einfallsreich“ abläuft. 14)

Erhardts nächster Film DIE GESTOHLENE HOSE (1956) entsteht im Filmatelier Göttingen unter der Regie von Geza von Cziffra, mit dem Erhardt noch viermal zusammenarbeiten wird. Am Drehort führt ein Mitarbeiter des Remscheider General-Anzeigers ein Gespräch mit dem „beliebten Rundfunkhumoristen“: „Ich drehe jetzt andauernd Filme. Das ist schon mein erster, nein, mein zweiter“, läßt Erhardt aufgeräumt verlauten 15), womit er schlicht vier verschweigt: den Kurzfilm FRÄULEIN MABEL (1948) und die Spielfilme GESUCHT WIRD MAJORA (1949, Regie: Hermann Pfeiffer), LIEBE AUF EIS / MÄNNER UM ANGELIKA (1950, Regie: Kurt Meisel) und DREI TAGE MITTELARREST (1955, Regie: Bobby E. Lüthge, Klaus Günther Neumann). Eigentlich aber hat Heinz Erhardt Recht, denn seine Auftritte in allen vier Filmen sind kaum nennenswert.

In DIE GESTOHLENE HOSE spielt Erhardt den Diener Ferdinand Kofler. Wiederum der Evangelische Filmbeobachter fühlt sich durch den Film mitnichten unterhalten: ,,Wo so bar jeden Könnens und jeden Geschmacks geblödelt wird, da müßte allerdings, so sollte man meinen, jeder merken, daß das Ganze nichts ist als eine massive Beleidigung.“ 16)

Für Erhardt folgt nach MÄDCHEN MIT SCHWACHEM GEDÄCHTNIS (1956, Regie: Geza von Cziffra) eine kleine Rolle in II-A IN BERLIN (1956, Regie: Hans Albin), gedreht an Originalschauplätzen und im Filmatelier Göttingen. Der Film gilt als verschollen; kein allzu großer Verlust, wenn man den zeitgenössischen Kritiken Glauben schenkt. Der Titel erscheint uns heute so rätselhaft wie der des Vorgängers l-A IN OBERBAYERN (bgS). Enträtselt verweist er auf die bei Erhardt häufig wiederkehrende, im Nachkriegsdeutschtand insgesamt symptomatische Schlüsselfunktion des Automobils. „II-A“ war das Kfz-Kennzeichen für Bayern, „l-4″ stand für Berlin. 1956 aber, als der Film uraufgeführt wird, sind die Autonummern bereits geändert in die uns heute geläufige Sortierung.

 

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