Medien als Elemente interkulturellen Lernens
Deltef Endeward/Matthias Günther (1994)
Medien sind heute unverzichtbare Bestandteile eines umfassenden Komunikationsverhältnisses geworden, sowohl zwischen einzelnen Individuen als auch gesamtgesellschaftlich. Ohne Medien würde unsere Gesellschaft nicht ”funktionieren”, ohne mediale Informationen würden wir sogar nahezu handlungsunfähig. Medien bieten uns eine Orientierung in der durch sie selbst hervorgebrachten ”Flut” von Informationen. Sie interpretieren Sachverhalte, Ereignisse und Zusammenhänge und prägen so unser Bild von Welt entscheidend mit. Über die Medien drücken aber Menschen auch ihre Gefühle, Einstellungen, Konzepte, ihre Kreativität aus – wie durch andere Künste auch.
Medien sind also kein monolithisches, gefährliches Monstrum, sondern ein differenziert zu betrachtendes Spektrum von Chancen, Notwendigkeiten und auch Gefahren. Medienpädagogik als ein Teilbereich der Kommunikationspädagogik befaßt sich in diesem Sinne mit dem gesamten Spektrum der medienvermittelten Kommunikation von Menschen in unserer Gesellschaft, mit deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Ziel ist dabei die Kultivierung unserer Medienkompetenz als Bestandteil der Allgemeinbildung. Eine zur Kommunikationspädagogik erweiterte Medienpädagogik ist nicht nur eine Herausforderung an die Schule, sondern bietet auch die Chance, Schule für die Lebenswelt von Kindern zu öffnen. Dieser medienpädagogische Ansatz korrespondiert mit einem modernen Verständnis von Lernen: das formale Lernen wird durch kommunikatives Lernen – auch mit Medien – abgelöst.
Interkulturelles Lernen – was ist das?
”Bildung soll uns dazu verhelfen, uns einerseits von den autoritären Zwängen zu befreien, andererseits Verantwortung für andere zu übernehmen. Das Ziel von Bildung ist, Menschen darauf vorzubereiten, verantwortlich zu handeln. (…) ”[1]
Lernen, Probleme zu lösen, ist die nächstliegende Aufgabe der Bildung. Eine ”gebildete” Person sollte in der Lage sein, ein ihr gestelltes Problem schrittweise zu lösen. Dieses Problem kann individuell, interpersonell, lokal, gesellschaftlich oder global sein. Probleme zu lösen heißt aber auch, die Probleme überhaupt erst einmal anzugehen, heißt also letztlich: Lernen ist Handlungslernen, und so versteht sich auch die Gemeinsamkeit von Kommunikationslernen und interkulturel-
lem Lernen. Wesentlicher Bestandteil des Handlungslernens ist das praktische Tun, jedoch ist Praxis ohne Reflexion perspektivlos. Hier schließt sich der Kreis: Zur Reflexion gehört auch Wissen, aber nicht als Mittelpunkt des Lernens. Lernen ist nicht mehr sach-, sondern vielmehr erfahrungs- und praxisorientiert.
Gerade bei Kindern muß dabei die Gefühlswelt mit einbezogen werden. Kinder brauchen Geschichten, Personen. Das bedeutet nicht die Rückkehr zu einer reinen gefühlsbetonten Erzählpädagogik ohne Rationalität und aufklärerische Absicht. Aber Aufklärung funktioniert nur dort, wo Pädagoginnen und Pädagogen ihre Adressaten erreichen. Sie müssen sich zunehmend Gedanken darüber machen, wie sie Zugänge zu dem vermitteln, was sie ”aufklären” möchten. Rolf Wernstedt, Niedersachsens Kultusminister, hat dazu gesagt: ”Für die Pädagogik ist diese Situation die größte Herausforderung seit Jahren. Es genügt nicht mehr, nur Wissen zu vermitteln. Spannungen müssen abgebaut und gegenseitiges Verständnis aufgebaut werden.”[2] Von daher bezieht interkulturelles Lernen seinen hohen Stellenwert für schulische und außerschulische Bildungsarbeit.
Drei Dimensionen prägen das interkulturelle Lernen:
- Interkulturelle Kommunikation und Fremdverstehen, also die Dimension des Fremdsprachenlernens als Verstehensprozeß im Rahmen der internationalen Verständigung.
- Der Prozeß des Verstehens und Tolerierens von Fremdkulturen in verschiedenen Erkenntnisstadien, vom Ethnozentrismus über Aufmerksamkeit, historisch-politisches und auch subjektives Verständnis, Akzeptieren und Respektieren, Bewerten und Beurteilen, die selektive Aneignung hin zur Assimilation/ Akkulturation, zur Adaption/Anpassung, zum Bikulturalismus oder auch Multikulturalismus.
- Das Partnerschaftslernen, d. h. nicht ”Mini-Entwicklungshilfe” oder gelegentliche, caritativ orientierte Hilfsaktionen, sondern ein auf Kontinuität angelegter Prozeß gegenseitigen Austauschs von Informationen und Kontakten.
Unterhalb dieser Dimensionen werden die drei Lernfelder
- Leben in der europäischen Gemeinschaft
- Leben in der multikulturellen Gesellschaft
- Leben in der einen Welt
definiert.[3]
In allen drei Dimensionen und Lernfeldern können die Medien sicherlich ”Hilfe” sein. Sie dürfen aber nicht – verengend auf die Sachebene – als reine Informationsvermittler dienen, sondern müssen zum Kommunikationsbestandteil werden. Hier greift wieder das Verständnis von Medienpädagogik als ganzheitlicher Ansatz.
Wo können Medien Hilfe sein?
Medien können Anlaß und Mittel für allgemeinpädagogisches Handeln sein. So sind sie
- Anlaß und Mittel für praktisches Handeln:
Es gibt Ansätze – in Kunstschulen oder der freien pädagogischen Arbeit erprobt -, über malerische und plastische Übungen oder über Spiele zu versuchen, innere Zustände, bewußte und unbewußte, an die Oberfläche zu bringen und damit kommunizierbar zu machen. Medien können – wenn man sie praktisch und kreativ nutzt – die Palette pädagogischer Arbeitsmöglichkeiten in diesem Feld sinnvoll erweitern, z. B. durch Fotocollagen, Videoexperimente oder Hörspiele…
Dabei wird eine Zusammenarbeit möglich, die der Sprache weniger bedarf, die nicht zwangsläufig darauf aufbaut, daß die Schüler/innen über formales Wissen verfügen. Ob wir Ausländer oder Inländer sind, Fremde oder Einheimische, wir können uns und die anderen durch diese Arbeit besser kennen- und verstehenlernen. Wir bringen das jeweils ”Fremde” ins Bild und kommen dadurch auch auf unser Gemeinsames. Medien sind aber auch
- Anlaß und Mittel, miteinander ins Gespräch zu kommen
Jede/r von uns, auch ein Kind, hat Bilder im Kopf, Bilder vom anderen, vom Fremden. Solange diese Bilder unbewußt bleiben oder nicht geäußert werden, sind sie weder kommunizierbar noch gegebenenfalls veränderbar. Medien können ermöglichen, über ”Bilder”, damit vielleicht auch über wiedererkannte eigene Bilder ins Gespräch zu kommen, ohne daß man sich selbstentäußern muß, man spricht ja ”nur” über das Medienbild.
Lernen von Medien – Lernen mit Medien
Gegenseitiges Verstehen, Toleranz und Kommunikation untereinander – dies fordert Neugier, Offenheit, Verantwortungsbewußtsein und Kompetenz.
”Die monokulturelle Gesellschaft ist eine Fiktion. Seßhaftigkeit ist der eine Pol menschlicher Existenz. Der zweite ist Wanderschaft.”[4]
Unser Alltag, unser ganzes Leben ist geprägt von kulturellem Austausch: Schrift, Zahlen, Mathematik, das physikalische Weltbild, die Philosophie, das politische System, Musik, Eßkultur – ist all dies nur autochton, an Ort und Stelle – entstanden? Blickt man zurück in die Geschichte, erkennt man dies als völligen Unsinn: Die europäischen Stadtkulturen, insbesondere der Antike und des Mittelalters, hätte es ohne den Zuzug fremder Menschen und ohne weiträumigen Warenverkehr und Kulturaustausch nicht gegeben. Die Ausbeutung der anderen Kontinente ermöglichte erst die Industrialisierung in Europa, die Entstehung der heute bekannten sog. Nationalstaaten. Diese von (fremden!) Menschen geschaffenen künstlichen Gebilde, die Territorialstaaten, schafften zwangsläufig auch immer neue Minderheiten. Mit ihren Grenzen grenzen sie ein und aus. Aber hat der Ostfriese nicht vielmehr Gemeinsamkeiten mit dem Niederländer von nebenan als mit dem Bayern?
Bei Fremdheit handelt es sich um eine existenzielle Grunderfahrung. Ohne die Erfahrungen des anderen, Fremden kann kein Begriff vom Ich, vom Eigenen existieren.
- Medien – Fremdheit erfahren lassen, ohne daß sie Angst auslöst.
Die Begegnung mit dem Fremden/ dem fremden Blick über Medien erfolgt in einem ”Schonraum”. Da man nicht handeln muß, eröffnen sich Spielräume, mit den eigenen Gefühlen und Reaktionen zu experimentieren.
- Medien nutzen, Ängste kommunizierbar zu machen.
Ängste werden u. a. dadurch ausgelöst, daß das ”Fremde” als Bedrohung empfunden wird. ”Wollen wir uns unserer eigenen Ruhelosigkeit nicht stellen? Verunsichern uns die Flüchtlinge, weil sie nicht in unser festes Ordnungsgefüge passen? Sind sie ein Angriff auf unsere vermeintliche Gewißheit? Stellen sie dadurch, daß sie aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen kommen, unsere eigenen Lebenskategorien zu stark in Frage, unsere gesellschaftlichen und individuellen Werte?”[5] Bedroht fühlen kann sich also nur jemand, die/ der sich in einer unsicheren Lebenslage befindet und/ oder selbst unsicher ist. An der Lebenslage von Kindern kann Schule nichts ändern, wohl aber dabei helfen, daß sie Selbstbewußtsein entwickeln, eigene Wertemuster aufbauen und damit Unsicherheit überwinden.
- Medien nutzen, die eigene Identität zu stabilisieren
Zur Entwicklung der Identität gehört, sich klar zu werden über sein Selbstbild, zu lernen, daß dieses nicht mit dem Fremdbild identisch ist, dem Bild, was andere von uns haben. Das Ich aber definiert sich nur im Verhältnis zu anderen. Selbstkonzepte von Menschen sind Normen- und Bezugssysteme, die Orientierung bieten, Verhalten steuern und Erfahrungen ordnen. Um andere Menschen verstehen zu können, muß man sich auf deren subjektive Wirklichkeiten konzentrieren. Filme liefern solche subjektiven Wirklichkeiten. Zu erkennen, wie andere mich sehen, anderen zu offenbaren, wie ich sie sehe, dazu muß Schule einen Beitrag liefern. Sie muß dafür allerdings den Freiraum einer weitgehend herrschaftsfreien Kommunikation untereinander bieten und Kommunikationsanlässe schaffen.
- Medien – eine Möglichkeit zur „Positivberichterstattung“ von und über Minderheiten
In den Medien erfahren wir etwas von den kulturellen Ereignissen unserer unmittelbaren und ferneren Umgebung. Nur wer berichtet dort? Die Minderheiten? Gerade die (lokale) aktive Medienarbeit kann dazu beitragen, Minderheiten zu Wort kommen zu lassen. Fotoausstellungen können z. B. über die Herkunftsländer von Kindern informieren, ebenso Videofilme oder Zeitungen und Collagen. Medien leisten so einen Beitrag zu gemeinsamem Handeln.
Wir leben in der einen Welt
Medien sind Fenster zur Welt, erweitern den Erfahrungshorizont. In ihrer Eigenschaft als Dolmetscher und Mittler zwischen verschiedenen Lebenswelten erweisen sich Medien als wertvolle Hilfe. Zugleich erweitern sie unseren Erfahrungshorizont. An die Stelle exotischer Vorstellungen treten optisch und akustisch vermittelte Eindrücke. „Fremdes“ wird nicht nur abstrakt aufgenommen, sondern „sinnlich“ erlebt. Dabei eröffnet das Filmbild die Möglichkeit, auch Nebensächlichkeiten, die vom Gewohnten abweichen, neu zu erkunden. Filme können also zum Entdecken einladen.
Wissen über und Einstellungen zu Menschen fremder Kulturen sind in besonderer Weise durch Medien geprägt bzw. werden durch Medien vermittelt. Nur eine Minderheit in unserer Gesellschaft hat Gelegenheit zu unmittelbaren Begegnungen und Erfahrungen in und mit fremden Kulturen, sieht man einmal von den „touristischen“ Begegnungen ab. Medienvermittelte Erfahrungen können jedoch nicht mit unmittelbaren Erfahrungen verglichen werden. Gerade deshalb ist eine Auseinandersetzung mit Medien und den von ihnen vermittelten Informationen und Interpretationen notwendig. Die Schule muß dabei mit den Einflüssen außerschulischer Instanzen (z. B. der Familie) leben, die die Einstellung von Kindern bereits in der frühen Sozialisation beeinflussen.
Unterrichtsgegenstand im eigentlichen Sinne sind weniger die fremden Kulturen, Lebensformen und Probleme anderer Menschen für sich, sondern die eigenen Einstellungen und Beziehungen dazu. Sie müssen thematisiert werden. Vorhandene Vorurteile und Klischees lassen sich nicht durch noch so gut belegte Gegenbeispiele oder gar moralische oder sachliche Gegenrede abbauen. Auch ihre Verdrängung aus dem unterrichtlichen Alltag ändert nichts. Vorurteile müssen kommunizierbar gemacht werden: Nur etwas, worüber man reden kann, läßt sich langfristig abbauen. Moralischer Druck ist dabei wenig hilfreich. Das Fremd- und Anderssein darf nicht verborgen bleiben, es muß wahrgenommen und akzeptieren gelernt werden.
Die Perspektive der „Anderen“
Medien tragen dazu bei, Menschen aus anderen Kulturen die Möglichkeit zu geben, sich darzustellen. Dabei müssen wir Pädagoginnen und Pädagogen uns allerdings vergegenwärtigen, daß sich ”Betroffene” häufig anders verhalten als wir erwarten. Von ”Fremden” vermittelte mediale Botschaften zeigen auch eine uns ”fremde” Perspektive, sie können Lebenswelten aus Ländern zeigen, die wir nicht kennen, sie können aber auch das Leben von ”Fremden” bei uns zeigen, wie wir es selten oder nie wahrnehmen. Ein Asylbewerber z. B. wird seinen Alltag in einem Heim völlig anders darstellen, als wir es aus den Nachrichten oder Reportagen gewohnt sind. Eine ausländische Mitbürgerin wird das Thema ”Fremdenhaß” z.B. filmisch ganz anders umsetzen als es bei uns sonst vielleicht üblich ist.
Wenn wir uns darauf einlassen, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, können uns die Medien nutzen, die Menschen anderer Kulturen nicht nur als ”Opfer” oder ”Bedrohung” zu betrachten, sondern sie auch als Schöpfer wahrzunehmen. Indem wir ”fremde” Bilder – z. B. von den kulturellen Leistungen anderer Menschen – wahrnehmen können, haben wir die Möglichkeit, die vorgeprägten Denkmuster ”entwickelt – unterentwickelt”, ”primitiv – zivilisiert”, ”rückständig – fortschrittlich” usw. in Frage zu stellen. Ausgangspunkt für diese Bemühungen können Aspekte sein, die in allen Kulturen relevant sind, wie z. B. Umweltverhalten, Freizeitverhalten, Freundschaften, Liebe, Kunst … Defizitvergleiche (”sie haben nicht …, dort gibt es keine …”) sollten vermieden werden.
Dokumentarfilm oder Spielfilm?
Der Dokumentarfilm gilt als ”klassisches” Medium der Informationsvermittlung. Er ist letztendlich jedoch nicht ”realistischer” als ein Spielfilm. Viele Pädagoginnen und Pädagogen erwarten von der Dokumentation immer noch Objektivität, Authentizität, also wahrheitsgemäße Darstellung als ein Abbild der Wirklichkeit. Es ist jedoch ein Trugschluß anzunehmen, daß die Filmerfahrung als solche authentisch im Sinne eines Abbildes der Realität ist. Film ist immer ein subjektiver Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Dies trifft auch für den um Objektivität bemühten Dokumentarfilm oder die nüchterne Fernsehdokumentation zu. Authentisch im Sinne von ”echt” kann nur darauf bezogen sein, daß der Film seinem Sujet, seinem Gegenstand entsprechend ”stimmig” ist.
Auch wenn vom Spielfilm Objektivität und die wahrheitsgemäße Abbildung der Wirklichkeit gar nicht erst erwartet werden, muß er trozdem ”stimmig” sein. Spielfilme erzählen Geschichten statt ”Tatsachendarstellungen” zu montieren. Gesellschaftliche Wirklichkeit begegnet den Zuschauenden nicht über Ereignisse und Fakten, sondern über Personen mit Ängsten, Gefühlen und Wünschen. Überspitzt könnte man sagen: Spielfilme ”erschlagen” nicht mit Tatsachen, sie bieten Möglichkeiten der emotionalen Auseinandersetzung und der Identifikation.
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Die didaktische Qualität eines Films für die Bildungsarbeit liegt dann folgerichtig auch nicht in einer vordergründigen, auf ”korrekte” Faktenschilderung orientierten Darstellung, sondern in der Tiefe und Komplexität, mit der die jeweilige Grundproblematik ausgeführt wird, statt nur als Aufhänger zu fungieren. Gerade Kinder müssen ”eingeladen” werden zum ”Mit-sehen”, in einen aktiven Prozeß der Auseinandersetzung mit dem Medium einbezogen werden.
Indem ein Film Probleme individualisiert, an Menschen festmacht, werden sie konkret erfahrbar. Flüchtlinge, Ausgestoßene bleiben keine statistische Größenordnung: Sie bekommen Gesichter. Die Zuschauenden werden ermutigt, Fragen zu stellen, Stellung zu beziehen: Was bedeutet das für mich? Wie stehe ich dazu? Was ist mir fremd? Was würde ich tun? Wie stehe ich dazu?
Filme ermöglichen so einen Zugang zu den spezifischen Problemen von Menschen, die unter anderen kulturellen, politischen und sozioökonomischen Bedingungen leben, einen Zugang, den ihnen rational-verbalistische Analysen so nicht vermitteln können. Das Medium Film fungiert dann als Dramaturgie der Annäherung. Durch seine Intensität kann es gerade Kindern zu erkennen geben, daß ihre Probleme, Wünsche usw. nicht nur individuelle oder private sind, sondern sie diese mit anderen – auch aus völlig anderen Kulturen – teilen.
Einen positiven Ansatz der Vermittlung dieser Erkenntnis bietet die ZDF-Sendereihe ”Karfunkel”. Fast ausschließlich Regisseure aus anderen Kulturkreisen versuchen, Kindern durch Kurzspielfilme ihre Perspektive des Lebens von ”Fremden” – in erster Linie auch Kindern – in Deutschland zu näher zu bringen. Darin liegt zugleich auch das Neue des Sende-Konzeptes: Erfährt man gerade durch (Spiel-)Filme, die in anderen und durch andere Kulturkreise produziert werden, vieles über die Heimat der bei uns lebenden „Fremden“, so versucht Karfunkel, aus der Perspektive der Betroffenen deren Lebensalltag und Probleme in ihrer neuen Heimat zu zeigen. Humor, eine positive Einstellung, aber auch Phantasie und Emotionalität sollen Kindern einen Weg hin zum ”Fremden” bereiten. So können sie erkennen, daß die Unterschiede oft gar nicht so groß sind wie vielleicht vermutet. Dort, wo ihnen ”Fremdes” begegnet, bieten die einzelnen Episoden Raum zur Auseinandersetzung, zur Identifikation und damit zur Annäherung.
Organisation von Filmarbeit
Eine große Schwierigkeit liegt darin, (Spiel-)Filme zum interkulturellen Lernen für die Bildungsarbeit zugänglich zu machen. Häufig wird übersehen, daß solche Produktionen mit erheblichen Kosten verbunden sind. Vor allem Regisseure und Produzenten aus Ländern der sog. „Dritten Welt“ müssen meistens mit niedrigsten Budgets, häufig auch mit politischen Widerständen in ihren Heimatländern leben, die die Arbeit erschweren. Hinzu kommt, daß nur wenige Spielfilme deutsche Kinos erreichen, da sie für die „großen“ Verleiher in den seltensten Fällen finanzielle Gewinne einspielen.
Eine besonders wichtige Funktion bei der Erschließung dieser Filme für die Bildungsarbeit spielen deshalb die nichtgewerblichen Verleiher wie die Landesbildstellen, die kommunalen Bildstellen sowie kirchliche Medienzentralen. Seitdem interkulturelles Lernen im Begriff ist, zu einem festen Bestandteil schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit zu werden, konnten zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme zu diesem Thema zugänglich gemacht werden. Vor allem das FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht), Matthias Film (Evangelische Kirche) und das Katholische Filmwerk sowie das Kinder- und Jugendfilmzentrum und Atlas Film (um nur die wichtigsten zu nennen) erwerben die Rechte für diese Medien (was häufig zusätzlich mit hohen Synchronisationskosten verbunden ist) und bieten sie den nichtgewerblichen Verleihstellen an.
Zahlreiche Produktionen entstehen in Kooperation mit dem Fernsehen. Der Vorteil liegt dabei in der finanziellen Unterstützung der – damit aufwendigeren – Produktion. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, daß nach der Fernsehausstrahlung nur selten eine kommerzielle Kinoauswertung erfolgt, auf die Filmemacher/innen oder Produzenten angewiesen sind. Die Übernahmekosten von Fernsehproduktionen durch nichtgewerbliche Verleiher sind darüber hinaus in der Regel sehr kostenaufwendig. Um so positiver ist es zu werten, daß vom ZDF bereits zahlreiche der bisher ausgestrahlten „Karfunkel“-Folgen dem nichtgewerblichen Bereich zugänglich gemacht wurden.
Die Relevanz von AV-Medien für interkulturelles Lernen gerade bei Kindern kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden und wird in den kommenden Jahren weiter bestehen bzw. noch zunehmen.
„Mit der Vorführung von kritischen AV-Medien, die sonst kaum ein Publikum finden, können einerseits wichtige interkulturelle Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die mit der gegebenen Nachrichtenproduktion eher vermindert werden.
Die entwicklungspolitische Medienpraxis kann durch die Schaffung von Lernorten personale Kommunikation ermöglichen und auf diese Weise gegen die international praktizierte Enteignung von Sprache vorgehen und protestieren.„[6]
[1]Datta, Asit: Einführungsreferat auf dem Nord-Süd-Forum in Hannover im September 1992
[2]Wernstedt Rolf: Vorwort zu: Nord-Süd-Forum ”Leben und Lernen für die eine Welt”. Dokumentation, Hrsg. Nds. Kultusministerium, Hannover 1992
[3]Vgl. Jos Schnurer: Interkulturelles Lernen: eine Lernaufgabe für Schule und Lehrerfortbildung. In: Schulverwaltung 4/92, Ausgabe Niedersachsen
[4]Guido Schmitt: Mono- oder multikulturelle Gesellschaft. In: geographie heute, 107/93, S.35. Friedrich Verlag, Velber
[5]Winkler, Beate: Zukunftsangst Einwanderung, S.81. München 1992
[6]Willibald Geueke: Entwicklungspolitisches Lernen mit Spielfilmen. In: medien praktisch 3/88, S.7