Medien als Elemente interkul­tu­rellen Lernens

Deltef Endeward/Matthias Günther (1994)

Medien sind heute unverzichtbare Bestandteile eines umfassenden Komunikationsverhältnisses geworden, sowohl zwischen einzelnen Individuen als auch ge­samt­gesellschaftlich. Ohne Medien würde unsere Ge­sell­schaft nicht ”funktionieren”, ohne mediale Informa­tionen würden wir sogar nahezu handlungs­unfähig. Medien bieten uns eine Orientierung in der durch sie selbst hervorgebrachten ”Flut” von Informa­tionen. Sie interpretieren Sachverhalte, Ereignisse und Zusammen­hänge und prägen so unser Bild von Welt entscheidend mit. Über die Medien drücken aber Men­schen auch ihre Gefühle, Einstellungen, Konzepte, ihre Kreativität aus – wie durch andere Künste auch.

Medien sind also kein monolithisches, gefährliches Monstrum, sondern ein differenziert zu betrachtendes Spektrum von Chancen, Notwendigkeiten und auch Gefahren. Medienpädagogik als ein Teilbereich der Kommunikationspädagogik befaßt sich in diesem Sinne mit dem gesamten Spektrum der medienvermittelten Kommunikation von Menschen in unserer Gesellschaft, mit deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Ziel ist dabei die Kultivierung unserer Medienkompetenz als Bestandteil der Allgemeinbildung. Eine zur Kommunika­tions­pä­da­gogik erweiterte Medienpädagogik ist nicht nur eine Herausforderung an die Schule, sondern bietet auch die Chance, Schule für die Lebenswelt von Kin­dern zu öffnen. Dieser medienpädagogische Ansatz korres­pon­diert mit einem modernen Verständnis von Lernen: das formale Lernen wird durch kommunikatives Lernen – auch mit Medien – abgelöst.

 

Interkulturelles Lernen – was ist das?

Bildung soll uns dazu verhelfen, uns einerseits von den autoritären Zwängen zu befreien, andererseits Verant­wort­ung für andere zu übernehmen. Das Ziel von Bil­dung ist, Menschen darauf vorzubereiten, verantwort­lich zu han­deln. (…)[1]

Lernen, Probleme zu lösen, ist die nächstliegende Auf­gabe der Bildung. Eine ”gebildete” Person sollte in der Lage sein, ein ihr gestelltes Problem schrittweise zu lösen. Dieses Problem kann individuell, interpersonell, lokal, gesellschaftlich oder global sein. Probleme zu lösen heißt aber auch, die Probleme überhaupt erst einmal anzugehen, heißt also letztlich: Lernen ist Hand­lungs­lernen, und so versteht sich auch die Gemein­samkeit von Kommunikationslernen und interkul­turel­-

lem Lernen. Wesentlicher Bestandteil des Hand­lungs­lernens ist das praktische Tun, jedoch ist Praxis ohne Reflexion per­spektivlos. Hier schließt sich der Kreis: Zur Reflexion gehört auch Wissen, aber nicht als Mittel­punkt des Lernens. Lernen ist nicht mehr sach-, sondern vielmehr erfahrungs- und praxisorientiert.

Gerade bei Kindern muß dabei die Gefühlswelt mit einbezogen werden. Kinder brauchen Geschichten, Personen. Das bedeutet nicht die Rückkehr zu einer reinen gefühlsbetonten Erzählpädagogik ohne Rationa­li­tät und aufklärerische Absicht. Aber Aufklärung funk­tio­­niert nur dort, wo Pädagoginnen und Pädagogen ihre Adressaten erreichen. Sie müssen sich zunehmend Ge­danken darüber machen, wie sie Zugänge zu dem ver­mit­teln, was sie ”aufklären” möchten. Rolf Wern­stedt, Niedersachsens Kultusminister,  hat dazu gesagt: ”Für die Pädagogik ist diese Situation die größte Her­aus­forderung seit Jahren. Es genügt nicht mehr, nur Wissen zu vermitteln. Spannun­gen müssen abgebaut und gegenseitiges Verständnis aufgebaut werden.”[2] Von daher bezieht interkulturelles Lernen seinen hohen Stellenwert für schulische und außerschu­lische Bildungs­arbeit.

Drei Dimensionen prägen das interkulturelle Lernen:

  1. Interkulturelle Kommunikation und Fremdverstehen, also die Dimension des Fremdsprachenlernens als Verstehensprozeß im Rahmen der internationalen Verständigung.
  2. Der Prozeß des Verstehens und Tolerierens von Fremd­kulturen in verschiedenen Erkenntnisstadien, vom Ethnozentrismus über Aufmerksamkeit, hi­sto­risch-politisches und auch subjektives Verständnis, Akzeptieren und Respektieren, Bewerten und Be­ur­teilen, die selektive Aneignung hin zur Assimi­lati­on/ Akkulturation, zur Adaption/Anpas­sung, zum Bi­kul­turalismus oder auch Multikulturalismus.
  3. Das Partnerschaftslernen, d. h. nicht ”Mini-Ent­wick­lungs­hilfe” oder gelegentliche, caritativ orien­tierte Hilfsaktionen, sondern ein auf Kontinuität angeleg­ter Prozeß gegenseitigen Austauschs von Informa­tionen und Kontakten.

Unterhalb dieser Dimensionen werden die drei Lernfel­der

  • Leben in der europäischen Gemeinschaft
  • Leben in der multikulturellen Gesellschaft
  • Leben in der einen Welt

definiert.[3]

In allen drei Dimensionen und Lernfeldern können die Medien sicherlich ”Hilfe” sein. Sie dürfen aber nicht – verengend auf die Sachebene – als reine Informations­vermittler dienen, sondern müssen zum Kommunika­tionsbestandteil werden. Hier greift wieder das Ver­ständnis von Medienpädagogik als ganzheitlicher An­satz.

 

Wo können Medien Hilfe sein?

Medien können Anlaß und Mittel für allgemeinpäda­go­gisches Handeln sein. So sind sie

  • Anlaß und Mittel für praktisches Handeln:

Es gibt Ansätze – in Kunstschulen oder der freien päda­gogischen Arbeit erprobt -, über malerische und plasti­sche Übungen oder über Spiele zu versuchen, innere Zustände, bewußte und unbewußte, an die Oberfläche zu bringen und damit kommunizierbar zu machen. Me­dien können – wenn man sie praktisch und kreativ nutzt – die Palette pädagogischer Arbeitsmöglichkeiten in diesem Feld sinnvoll erweitern, z. B. durch Fotocollagen, Videoexperimente oder Hörspiele…

Dabei wird eine Zusammenarbeit möglich, die der Spra­che weniger bedarf, die nicht zwangsläufig darauf auf­baut, daß die Schüler/innen über formales Wissen verfü­gen. Ob wir Ausländer oder Inländer sind, Fremde oder Einheimische, wir können uns und die anderen durch diese Arbeit besser kennen- und verstehenlernen. Wir bringen das jeweils ”Fremde” ins Bild und kommen dadurch auch auf unser Gemeinsames. Medien sind aber auch

  • Anlaß und Mittel, miteinander ins Gespräch zu kom­men

Jede/r von uns, auch ein Kind, hat Bilder im Kopf, Bilder vom anderen, vom Fremden. Solange diese Bilder unbe­wußt bleiben oder nicht geäußert werden, sind sie we­der kommunizierbar noch gegebenenfalls veränder­bar. Me­dien können ermöglichen, über ”Bilder”, damit viel­leicht auch über wiedererkannte eigene Bilder ins Ge­spräch zu kommen, ohne daß man sich selbstent­äußern muß, man spricht ja ”nur” über das Medienbild.

 

Lernen von Medien – Lernen mit Medien

Gegenseitiges Verstehen, Toleranz und Kommunikation untereinander – dies fordert Neugier, Offenheit, Verant­wor­tungsbewußtsein und Kompetenz.

Die monokulturelle Gesellschaft ist eine Fiktion. Seß­haftigkeit ist der eine Pol menschlicher Existenz. Der zweite ist Wanderschaft.”[4]

Unser Alltag, unser ganzes Leben ist geprägt von kultu­rellem Austausch: Schrift, Zahlen, Mathematik, das phy­sikalische Weltbild, die Philosophie, das politische Sy­stem, Musik, Eßkultur – ist all dies nur autochton, an Ort und Stelle – entstanden? Blickt man zurück in die Ge­schichte, erkennt man dies als völligen Unsinn: Die europäischen Stadtkulturen, insbesondere der Antike und des Mittel­alters, hätte es ohne den Zuzug fremder Menschen und ohne weiträumigen Warenverkehr und Kulturaustausch nicht gegeben. Die Ausbeutung der anderen Kontinente ermöglichte erst die Industrialisie­rung in Europa, die Entstehung der heute bekannten sog. Nationalstaaten. Diese von (fremden!) Menschen geschaffenen künst­lichen Ge­bilde, die Territorialstaaten, schafften zwangs­läu­fig auch immer neue Minderheiten. Mit ihren Grenzen grenzen sie ein und aus. Aber hat der Ostfriese nicht vielmehr Gemeinsamkeiten mit dem Niederländer von nebenan als mit dem Bayern?

Bei Fremdheit handelt es sich um eine existenzielle Grunderfahrung. Ohne die Erfahrungen des anderen, Fremden kann kein Begriff vom Ich, vom Eigenen exi­stieren.

  • Medien – Fremdheit erfahren lassen, ohne daß sie Angst auslöst.

Die Begegnung mit dem Fremden/ dem fremden Blick über Medien erfolgt in einem ”Schonraum”. Da man nicht handeln muß, eröffnen sich Spielräume, mit den eigenen Gefühlen und Reaktionen zu experimentieren.

  • Medien nutzen, Ängste kommunizierbar zu ma­chen.

Ängste werden u. a. dadurch ausgelöst, daß das ”Frem­de” als Bedrohung empfunden wird. ”Wollen wir uns unserer eigenen Ruhelosigkeit nicht stellen? Verunsi­chern uns die Flüchtlinge, weil sie nicht in unser festes Ord­nungsgefüge passen? Sind sie ein Angriff auf unsere vermeintliche Gewißheit? Stellen sie dadurch, daß sie aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen kommen, unsere eigenen Lebenskategorien zu stark in Frage, unsere gesellschaftlichen und individuellen Werte?[5] Bedroht fühlen kann sich also nur jemand, die/ der sich in einer unsicheren Lebenslage befindet und/ oder selbst unsicher ist. An der Lebenslage von Kindern kann Schu­le nichts ändern, wohl aber dabei helfen, daß sie Selbst­be­wußt­sein entwickeln, eigene Wertemuster aufbauen und damit Unsicherheit überwinden.

  • Medien nutzen, die eigene Identität zu stabili­sie­ren

Zur Entwicklung der Identität gehört, sich klar zu wer­den über sein Selbstbild, zu lernen, daß dieses nicht mit dem Fremdbild identisch ist, dem Bild, was andere von uns haben. Das Ich aber definiert sich nur im Verhältnis zu anderen. Selbstkonzepte von Menschen sind Nor­men- und Bezugssysteme, die Orientierung bieten, Ver­halten steuern und Erfahrungen ordnen. Um andere Menschen verstehen zu können, muß man sich auf de­ren subjektive Wirklichkeiten konzentrieren. Filme lie­fern solche sub­jek­tiven Wirklichkeiten. Zu erkennen, wie andere mich sehen, anderen zu offenbaren, wie ich sie sehe, dazu muß Schule einen Beitrag liefern. Sie muß dafür aller­dings den Freiraum einer weitgehend herr­schafts­freien Kommunikation untereinander bieten und Kom­mu­ni­ka­tionsanlässe schaffen.

  • Medien – eine Möglichkeit zur „Positivbericht­er­stattung“ von und über Minderheiten

In den Medien erfahren wir etwas von den kulturellen Ereignissen unserer unmittelbaren und ferneren Umge­bung. Nur wer berichtet dort? Die Minderheiten? Gera­de die (lokale) aktive Medienarbeit kann dazu beitra­gen, Minderheiten zu Wort kommen zu lassen. Foto­ausstel­lungen können z. B. über die Herkunftsländer von Kin­dern informieren, ebenso Videofilme oder Zei­tungen und Collagen. Medien leisten so einen Beitrag zu gemeinsa­mem Handeln.

 

Wir leben in der einen Welt

Medien sind Fenster zur Welt, erweitern den Erfah­rungs­horizont. In ihrer Eigenschaft als Dolmetscher und Mittler zwischen verschiedenen Lebenswelten erweisen sich Medien als wertvolle Hilfe. Zugleich erweitern sie unseren Erfahrungshorizont. An die Stelle exotischer Vorstel­lun­gen treten optisch und akustisch vermittelte Eindrücke. „Fremdes“ wird nicht nur abstrakt aufge­nommen, son­dern „sinnlich“ erlebt. Dabei eröffnet das Filmbild die Möglichkeit, auch Nebensächlichkeiten, die vom Ge­wohn­ten abweichen, neu zu erkunden. Filme können also zum Entdecken einladen.

Wissen über und Einstellungen zu Menschen fremder Kulturen sind in besonderer Weise durch Medien ge­prägt bzw. werden durch Medien vermittelt. Nur eine Minder­heit in unserer Gesellschaft hat Gelegenheit zu unmittel­baren Begegnungen und Erfahrungen in und mit frem­den Kulturen, sieht man einmal von den „tou­risti­schen“ Begegnungen ab. Medienvermittelte Erfah­rungen kön­nen jedoch nicht mit unmittelbaren Erfah­rungen vergli­chen werden. Gerade deshalb ist eine Auseinander­setzung mit Medien und den von ihnen vermittelten Informationen und Interpretationen not­wendig. Die Schule muß dabei mit den Einflüssen au­ßerschulischer Instanzen (z. B. der Familie) leben, die die Einstellung von Kindern bereits in der frühen Sozialisa­tion beeinflussen.

Unterrichtsgegenstand im eigentlichen Sinne sind weni­ger die fremden Kulturen, Lebensformen und Probleme anderer Menschen für sich, sondern die eigenen Ein­stel­lungen und Beziehungen dazu. Sie müssen thema­tisiert werden. Vorhandene Vorurteile und Klischees lassen sich nicht durch noch so gut belegte Gegenbeispiele oder gar moralische oder sachliche Gegenrede ab­bau­en. Auch ihre Verdrängung aus dem unterrichtli­chen Alltag ändert nichts. Vorurteile müssen kommuni­zierbar gemacht wer­den: Nur etwas, worüber man reden kann, läßt sich lang­fristig abbauen. Moralischer Druck ist da­bei wenig hilf­reich. Das Fremd- und Anderssein darf nicht verborgen bleiben, es muß wahrgenommen und akzeptieren gelernt werden.

 

Die Perspektive der „Anderen“

Medien tragen dazu bei, Menschen aus anderen Kultu­ren die Möglichkeit zu geben, sich darzustellen. Dabei müs­sen wir Pädagoginnen und Pädagogen uns aller­dings vergegenwärtigen, daß sich ”Betroffene” häufig anders verhalten als wir erwarten. Von ”Fremden” vermit­telte mediale Bot­schaften zeigen auch eine uns ”frem­de” Perspektive, sie können Lebenswelten aus Ländern zei­gen, die wir nicht kennen, sie können aber auch das Leben von ”Fremden” bei uns zeigen, wie wir es selten oder nie wahrnehmen. Ein Asylbewerber z. B. wird seinen Alltag in einem Heim völlig anders darstel­len, als wir es aus den Nachrichten oder Reportagen gewohnt sind. Eine ausländische Mitbürgerin wird das Thema ”Fremdenhaß” z.B. filmisch ganz anders umset­zen als es bei uns sonst vielleicht üblich ist.

Wenn wir uns darauf einlassen, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, können uns die Medien nutzen, die Men­schen anderer Kulturen nicht nur als ”Opfer” oder ”Be­dro­­hung” zu betrachten, sondern sie auch als Schöpfer wahrzunehmen. Indem wir ”fremde” Bilder – z. B. von den kulturellen Leistungen anderer Menschen – wahr­neh­men können, haben wir die Möglichkeit, die vor­ge­prägten Denkmuster ”entwickelt – unterent­wickelt”, ”primitiv – zivilisiert”, ”rückständig – fortschrittlich” usw. in Frage zu stellen. Ausgangspunkt für diese Be­mühun­gen können Aspekte sein, die in allen Kulturen relevant sind, wie z. B. Umweltverhalten, Freizeitverhal­ten, Freund­­­schaften, Liebe, Kunst … Defizitvergleiche (”sie haben nicht …, dort gibt es keine …”) sollten ver­mieden werden.

 

Dokumentarfilm oder Spielfilm?

Der Dokumentarfilm gilt als ”klassisches” Medium der Informationsvermittlung. Er ist letztendlich jedoch nicht ”realistischer” als ein Spielfilm. Viele Pädagoginnen und Pädagogen erwarten von der Dokumentation immer noch Objektivität, Authentizität, also wahrheitsgemäße Darstellung als ein Abbild der Wirklichkeit. Es ist jedoch ein Trugschluß anzunehmen, daß die Filmerfahrung als solche authentisch im Sinne eines Abbildes der Realität ist. Film ist immer ein subjektiver Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Dies trifft auch für den um Objektivität bemühten Dokumentarfilm oder die nüchterne Fernseh­dokumentation zu. Authentisch im Sinne von ”echt” kann nur darauf bezogen sein, daß der Film seinem Sujet, seinem Gegenstand entsprechend ”stimmig” ist.

Auch wenn vom Spielfilm Objektivität und die wahr­heitsgemäße Abbildung der Wirklichkeit gar nicht erst erwartet werden, muß er trozdem ”stimmig” sein. Spiel­­filme erzählen Geschichten statt ”Tatsachendarstel­lun­gen” zu montieren. Gesellschaftliche Wirklichkeit begeg­net den Zuschauenden nicht über Ereignisse und Fakten, sondern über Personen mit Ängsten, Gefühlen und Wünschen. Überspitzt könnte man sagen: Spiel­filme ”erschlagen” nicht mit Tatsachen, sie bieten Mög­lich­keiten der emotionalen Auseinandersetzung und der Identifikation.

 

Die didaktische Qualität eines Films für die Bildungsar­beit liegt dann folgerichtig auch nicht in einer vorder­grün­di­gen, auf ”korrekte” Faktenschilderung orientier­ten Dar­stellung, sondern in der Tiefe und Komplexität, mit der die jeweilige Grundproble­ma­tik ausgeführt wird, statt nur als Aufhänger zu fungieren. Gerade Kinder müssen ”ein­geladen” werden zum ”Mit-sehen”, in einen aktiven Prozeß der Auseinandersetzung mit dem Medium einbe­zogen werden.

Indem ein Film Probleme indivi­dua­li­siert, an Menschen festmacht, wer­den sie konkret erfahrbar. Flücht­linge, Ausgestoßene bleiben keine statistische Größenord­nung: Sie be­kommen Gesichter. Die Zuschauenden werden ermutigt, Fragen zu stellen, Stellung zu bezie­hen: Was bedeutet das für mich? Wie stehe ich dazu? Was ist mir fremd? Was würde ich tun? Wie stehe ich dazu?

Filme ermöglichen so einen Zugang zu den spezifischen Problemen von Menschen, die unter anderen kulturel­len, politischen und sozioökonomischen Bedingungen leben, einen Zugang, den ihnen rational-verbalistische Analysen so nicht vermitteln können. Das Medium Film fungiert dann als Dra­ma­turgie der Annäherung. Durch seine Intensität kann es gerade Kindern zu erkennen geben, daß ihre Probleme, Wünsche usw. nicht nur indi­­viduelle oder private sind, sondern sie diese mit anderen – auch aus völlig anderen Kulturen – teilen.

Einen positiven Ansatz der Vermittlung dieser Erkennt­nis bietet die ZDF-Sendereihe ”Karfunkel”. Fast aus­schließ­lich Regisseure aus anderen Kulturkreisen versu­chen, Kindern durch Kurzspielfilme ihre Perspektive des Lebens von ”Fremden” – in erster Linie auch Kindern – in Deutsch­land zu näher zu bringen. Darin liegt zugleich auch das Neue des Sende-Konzeptes: Erfährt man ge­rade durch (Spiel-)Filme, die in anderen und durch an­dere Kulturkreise produziert werden, vieles über die Hei­mat der bei uns lebenden „Fremden“, so versucht Karfunkel, aus der Perspektive der Betroffenen deren Lebensalltag und Probleme in ihrer neuen Heimat zu zeigen. Humor, eine positive Einstellung, aber auch Phantasie und Emo­tionalität sollen Kindern einen Weg hin zum ”Frem­den” bereiten. So können sie erkennen, daß die Unter­schiede oft gar nicht so groß sind wie vielleicht vermutet. Dort, wo ihnen ”Fremdes” begeg­net, bieten die einzelnen Episoden Raum zur Auseinan­dersetzung, zur Identi­fi­ka­tion und damit zur Annähe­rung.

Organisation von Filmarbeit

Eine große Schwierigkeit liegt darin, (Spiel-)Filme zum interkulturellen Lernen für die Bildungsarbeit zugänglich zu machen. Häufig wird übersehen, daß solche Produk­tionen mit erheblichen Kosten verbunden sind. Vor allem Regisseure und Produzenten aus Ländern der sog. „Dritten Welt“ müssen meistens mit niedrigsten Bud­gets, häufig auch mit politischen Wider­ständen in ihren Hei­matländern leben, die die Arbeit erschweren. Hinzu kommt, daß nur wenige Spielfilme deutsche Ki­nos er­reichen, da sie für die „großen“ Verleiher in den selten­sten Fällen finan­zielle Gewinne einspielen.

Eine besonders wichtige Funktion bei der Erschließung dieser Filme für die Bil­dungs­arbeit spielen deshalb die nicht­gewerblichen Verleiher wie die Lan­des­bildstellen, die kommunalen Bild­stellen sowie kirchliche Medienzen­tra­len. Seit­dem interkulturelles Lernen im Begriff ist,  zu ei­nem festen Bestandteil schulischer und außerschuli­scher Bildungsarbeit zu werden, konnten zahlreiche Doku­men­tar- und Spielfilme zu diesem Thema zugäng­lich gemacht werden. Vor allem das FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht), Matthias Film (Evangelische Kirche) und das Katholische Filmwerk sowie das Kinder- und Jugendfilmzentrum und Atlas Film (um nur die wichtigsten zu nennen) erwerben die Rechte für diese Medien (was häufig zusätzlich mit hohen Synchro­nisa­tionskosten verbunden ist) und bieten sie den nichtge­werblichen Verleihstellen an.

Zahlreiche Produk­tionen entstehen in Kooperation mit dem Fern­sehen. Der Vorteil liegt dabei in der finan­ziellen Unter­stützung der – damit aufwendigeren – Pro­duk­tion. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, daß nach der Fernseh­aus­strahlung nur selten eine kommerzielle Kino­aus­wer­tung erfolgt, auf die Filmemacher/innen oder Pro­duzen­ten angewiesen sind. Die Übernahmekosten von Fernseh­produktionen durch nichtgewerbliche Ver­leiher sind darüber hinaus in der Regel sehr kosten­aufwendig. Um so positiver ist es zu werten, daß vom ZDF bereits zahl­reiche der bisher ausgestrahlten „Kar­funkel“-Folgen dem nichtgewerblichen Bereich zugäng­lich gemacht wurden.

Die Relevanz von AV-Medien für interkulturelles Lernen gerade bei Kindern kann gar nicht hoch genug einge­schätzt werden und wird in den kommenden Jahren weiter bestehen bzw. noch zunehmen.

Mit der Vorführung von kritischen AV-Medien, die sonst kaum ein Publikum finden, können einerseits wichtige interkulturelle Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die mit der gegebenen Nachrichtenproduktion eher vermin­dert werden.

Die entwicklungspolitische Medienpraxis kann durch die Schaffung von Lernorten personale Kommunikation er­mög­lichen und auf diese Weise gegen die international praktizierte Enteignung von Sprache vorgehen und protestieren.[6]

[1]Datta, Asit: Einführungsreferat auf dem Nord-Süd-Forum in Hannover im September 1992

[2]Wernstedt Rolf: Vorwort zu: Nord-Süd-Forum ”Leben und Lernen für die eine Welt”. Dokumentation, Hrsg. Nds. Kultusministerium, Hannover 1992

[3]Vgl. Jos Schnurer: Interkulturelles Lernen: eine Lernaufgabe für Schule und Lehrerfortbildung. In: Schulverwaltung 4/92, Ausgabe Niedersachsen

[4]Guido Schmitt: Mono- oder multikulturelle Gesellschaft. In: geographie heute, 107/93, S.35. Friedrich Verlag, Velber

[5]Winkler, Beate: Zukunftsangst Einwanderung, S.81. München 1992

[6]Willibald Geueke: Entwicklungspolitisches Lernen mit Spielfilmen. In: medien praktisch 3/88, S.7

Das könnte dich auch interessieren …