Medienpädagogik und Fachdidaktik – der Fall Geschichte
Irmgard Wilharm/Detlef Endeward (1997)
Bevor das Verhältnis von Medienpädagogik und Fachdidaktik näher beleuchtet werden kann, empfiehlt sich ein Blick auf das Selbstverständnis von Geschichtswissenschaft, weil nämlich die Ausdifferenzierung des Faches von der Fachdidaktik genutzt werden kann und auch wird. Seit der theoretischen Begründung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert durch Johann Gustav Droysen versteht sich das Fach in der deutschen Tradition einerseits als empirisch, in Droysens Formulierung: „Die Wissenschaft der Geschichte ist das Ergebnis empirischen Wahrnehmens und Forschens…“ (§ 4). „Das Gegebene für die historische Forschung sind nicht die Vergangenheiten, denn diese sind vergangen, sondern das von ihnen in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene, mögen es Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Überreste des Gewesenen und Geschehenen sein…“ (§ 5).[1]
Andererseits ist die Hegelsche Tradition und die damit begründete Dominanz des Staates in Droysens Denken und in der ihm folgenden deutschen Geschichtswissenschaft mindestens in der neuen Geschichte so stark ausgeprägt, das allein die Staaten Subjekte der Geschichte blieben und der Primat der Außenpolitik trotz aller Erschütterungen zwei Weltkriege überdauerte. Trotz des an sich weiten Quellenbegriffs bei Droysen und der Berufung auf die Empirie hatten Formen der Sozial- und Kulturgeschichte, wie sie in Frankreich oder England entstanden, lange nur Randpositionen im Fach. Das heißt, das in der neuen Geschichte Anschauung hinter der Abstraktion zurücktrat. Bevorzugte Quellen waren schriftliche Überlieferungen, also Texte im engeren Sinn.
Anders die alte und mittelalterliche Geschichte, die ohne Fixierung auf den erst in der frühen Neuzeit sich formierenden Staat offen für unterschiedliche Quellen waren, z. B. mit antiken Vasenbildern oder mittelalterlichen Miniaturen und Fresken arbeiteten. [2] Mit der Durchsetzung von Geschichte als historischer Sozialwissenschaft Anfang der 70er Jahre, festzumachen an der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ (H.-U. Wehler, J. Kocka u.a.), begann eine weitere Ausdifferenzierung der neuen Geschichte, zunächst beladen mit inzwischen weitgehend beigelegten Konflikten, Rivalitäten und Missverständnissen: Geschichtswerkstätten bemühten sich um eine „Geschichte zum Anfassen“, um „Geschichte von unten“; Sozialanthropologen griffen Fragen der Volkskunde auf, ein weiter Begriff von Kulturgeschichte [3] etablierte sich, die Oral History wurde aus den USA und aus den skandinavischen Ländern übernommen und weiterentwickelt; Fragen nach Mentalitäten, zuerst in Frankreich formuliert, lösten die harten Konturen der Sozialgeschichte, wie sie in Geschichte und Gesellschaft begonnen hatte, partiell ab. [4]
Welche Konsequenzen hat die Medienentwicklung für das Selbstverständnis des Faches?
Die fachwissenschaftliche Ausdifferenzierung hat über veränderte Fragestellung auch zu neuen Quellen geführt. Bild, Film und Ton werden genutzt, wenn es um Fragen nach kollektiven Einstellungen und Bewusstseinslagen geht. Die Vereinigung IAMHIST mit Sitz in Washington (International Association for Media and History) hat allerdings in der deutschen Geschichtswissenschaft noch geringe Resonanz, obwohl die großen Forschungsförderungen (VW-Stiftung und DFG) sich auf neue Fragestellungen, die Massenmedien als historische Quellen einbeziehen, einstellen. Hinderlich für historische Forschung sind allerdings die schwierigen Zugangsmöglichkeiten zu Archiven der großen Rundfunk- und Fernsehanstalten, obwohl sich auch dort Änderungen andeuten. Die technischen Möglichkeiten von Tonband und Video haben im Rahmen der Oral History zur Produktion neuer Quellen geführt, die im „Institut für Geschichte und Biographie“ an der Fernuniversität Hagen archiviert werden. Die so erarbeitete „Erfahrungsgeschichte“ wird in der Fachzeitschrift BIOS thematisiert.
Die Geschichtsdidaktik hat sich früher als die Fachwissenschaft auf die Funktion der Medien eingelassen. Wenn Geschichtsdidaktik im Sinn eines weiten Didaktikbegriffs sich als Theorie von der Rezeption jeder Form von Geschichte im Bewusstsein von Individuen und Gruppen versteht, geht kein Weg an den Bewusstsein mit formenden Massenmedien vorbei. Folgerichtig ist das Handbuch „Medien im Geschichtsunterricht“, herausgegeben von H.-J. Pandel und G. Schneider, bereits 1985 erschienen. Die Zeitschrift „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ greift inzwischen öfter Film, Fernsehen und Computernutzung als Themen auf, und „Geschichte lernen“ lädt zur Mitarbeit über Medien und Kommunikation ein.
Wie ist das Fach an der Medienentwicklung beteiligt?
Das Fach ist in mehrfacher Hinsicht und über verschiedene Institutionen an der Medienentwicklung beteiligt:
- Der Umgang mit seriellen Quellen wird durch computergestützte Forschung differenziert (z.B. Auswertung zu Haushaltsinventaren in der frühen Neuzeit).
- Das IWF (Institut für den wissenschaftlichen Film) in Göttingen ediert Filmdokumente (z.B. Wochenschauen zu thematischen Schwerpunkten wie Reeducation oder Währungsreform) und macht sie damit für Forschung und Unterricht nutzbar.
- Das FWU (München) produziert Filme, kauft auch Fremdproduktionen an, in denen historische Anschauung vermittelt werden soll – womit sich die theoretische Frage nach Realität im Film erhebt.
- Neuere historische Museen verwenden Bild und Ton, um den Erfahrungsbereich der Besucher/innen zu erweitern. Vorbild ist das amerikanische Modell vom Museum als Erlebnisraum, besonders ausgeprägt im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn.
- Einige Fernsehanstalten haben eigene Geschichtsredaktionen und bieten – neben vielfältigen Geschichtssendungen – Dokumentarreihen mit fachlicher Begleitung an.
- Seit einiger Zeit laufen Bemühungen, in Museen und Gedenkstätten über Computersimulation und Vernetzung verschiedener Medien nicht mehr sichtbare historische Zustände wieder wahrnehmbar zu machen. In Frankreich werden diese Möglichkeiten schon länger genutzt, ein gelungenes Beispiel ist die Computersimulation zur Baugeschichte von Kloster Cluny.
Inwieweit sind die traditionellen Gegenstände des Faches in den Medien präsent?
Historische Themen von der Vor- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart sind in Rundfunk und Fernsehen in offenbar noch zunehmendem Ausmaß präsent, mit Häufungen und Verschiebungen bei Gedenk- und Jubiläumsanlässen. Die Frage ist weniger, ob diese Themen präsent sind, als vielmehr, wie sie präsent sind. Weite Bereich der laufenden fachwissenschaftlichen Diskussion sind nicht bruchlos in Bild und Ton übertragbar, weil sie der diskursiven Differenzierung durch Sprache bedürfen, so z.B. die derzeit noch anhaltende öffentliche Diskussion um „Hitlers willige Vollstrecker“ (Goldhagen), also die NS-Täter und deren Motive und die Frage, ob die bisherige NS-Forschung das Thema vernachlässigt habe. Funk und Fernsehen haben dazu mehrere Podiumsdiskussionen übertragen, und Bilder aus dem Gedenkjahr 1995 zur Befreiung der Konzentrationslager sind vielleicht noch in den Köpfen. Das Problem liegt darin, das an der Auseinandersetzung ganz unterschiedliche Öffentlichkeiten beteiligt sind: verschiedene fachwissenschaftliche Richtungen sowie eine weitere Öffentlichkeit, deren Interessen von der Ablehnung einer Kollektivschuldthese bis zu Schuldgefühlen reichen, und bei den heute jungen Menschen zu der Frage, wie es denn „eigentlich“ möglich war. Zu dieser Heterogenität kommt, das jede These aus der Fachwissenschaft auf theoretischen Argumentationen aufbaut, die medial nicht hinreichend vermittelbar sind. Einen Weg zur Lösung des Problems geht der TV-Sender ARTE mit den Themenabenden, an denen unterschiedliche Sendeformen (Dokumentation, Feature, fachwissenschaftliche Diskussionen, Zeitzeugengespräche …) miteinander verknüpft werden. Damit wird deutlich, das die Form der Vermittlung selbst zum Gegenstand der Sendungen gehört, das Kommunikation das Thema beeinflußt. In der Zeitgeschichte ist dieser Zusammenhang evident, gilt aber auch für die älteren Abteilungen der Geschichtswissenschaft und wird in der Wissenschaftsgeschichte und -theorie thematisiert. Für das Verhältnis von Zeitgeschichte und Medien heißt das, die mediale Öffentlichkeit ist selbst ein Gegenstand der Zeitgeschichte, die audiovisuellen Quellen sind für die Zeitgeschichte nicht entbehrlich. Das Adolf-Grimme-Institut (Marl) hat auf diese Erkenntnis mit einem Forschungsprojekt über Geschichte und Medien in Bundesrepublik und DDR reagiert.[5]
Inwiefern führen die Medien zur Veränderung der traditionellen Gegenstandsbereiche?
Wenn klar ist, das Veränderungen von Kommunikation und Öffentlichkeit selbst historische Themen sind, müssen sie auch im Geschichtsunterricht auftauchen, d.h. fachdidaktische Fragestellungen bedürfen der Medienpädagogik. Fragen nach Veränderungen im kollektiven Bewusstsein einer Gesellschaft (z.B. Brüche im Fortschrittsdenken) sind ohne Analyse von Massenmedien als Quellen kaum zu bearbeiten. Zugleich ist deutlich, das und wie weit Massenmedien kollektives Bewusstsein mitprägen. Diese Wechselwirkung muss selbst Gegenstand von Unterricht werden, damit Medien bewusster genutzt werden können. Einige Richtlinien verweisen immerhin auf derartige Zusammenhänge, ohne sie aber auszuführen, was bei offenen Curricula aber auch nicht möglich ist, sondern nur Empfehlungscharakter haben kann.
In einem bestimmten Bereich ist deutlich sichtbar, das vor allem das Fernsehen traditionelle Gegenstandsbereiche und auch Methoden verändert hat: Die häufigen Zeitzeugensendungen haben zu einem Aufschwung der Oral History im Unterricht geführt, der über die Entwicklung in der Fachwissenschaft weit hinaus geht.
Wie kann die Doppelfunktion der Medien, Unterrichtsgegenstand oder -mittel zu sein, genutzt werden
Im Quellenbegriff fließt diese Doppelfunktion zusammen. Medien als Quellen verstanden, sind für Historiker immer beides zugleich: Mittel der Erkenntnisgewinnung und des Informationserwerbs ebenso wie Gegenstand der Analyse bzw. kritischer Bearbeitung. Im Selbstverständnis muss allerdings auch der Umkehrschluss gelten: Quellen als Medien zu verstehen.
Anknüpfend an die eingangs formulierten Überlegungen, den Kanon der Quellen vor allem für die Zeitgeschichte um diejenigen Quellen zu erweitern, die maßgeblich für Kommunikation und Öffentlichkeit in der modernen Informationsgesellschaft sind, lassen sich einige neue Chancen für den Geschichtsunterricht formulieren:
- Über Medien können neue Fragen und Perspektiven an traditionelle Themen des Geschichtsunterrichts gestellt werden. (Perspektivänderung)[6]
- Medien können dazu beitragen, geschichtliche Probleme auf eine Ebene zu bringen, in der sie kommunizierbar werden. (kommunikative Funktion)
- Über Medien können Perspektiven in den Unterricht eingebracht werden, die sonst nicht darstellbar wären. Um z. B. den eurozentristischen Blick auf die Geschichte zu überwinden und stärker als bisher auch die Geschichte andere Regionen und Kulturen dieser Welt thematisieren zu können, ist jede Lehrkraft im Geschichtsunterricht darauf angewiesen, Medien zu nutzen. (Perspektiverweiterung)
- Medien eröffnen Möglichkeiten für neue, z. B. spielerische, Zugänge zu Geschichte. (Motivationsfunktion)
- Medien bieten vielfältige Möglichkeiten, um selbst kreativ eigene historische Erkenntnisse zu präsentieren. Medien sind Mittel der Konstruktion von Geschichte. (Konstruktionsfunktion)
- Medien sind in besonderer Weise geeignet, über die vergleichende Auseinandersetzung den Konstruktionsprozess von Geschichte erfahrbar zu machen. (historischer Vergleich)
- Medien sind wesentliche Bestandteile der Kultur einer Gesellschaft, sie tragen damit auch bei zur Bildung (kollektiven) Bewusstseins. Diesen Prozess zu reflektieren, ist ohne die Nutzung von Medien nicht denkbar. (Reflexionsfunktion)
Quellen als Medien zu verstehen hat somit zur Folge, dass Kommunikation und Reflexion und weniger der Akt der Wissensvermittlung in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt werden. Allerdings sollten auch die Möglichkeiten einer bewussteren Nutzung der Medien gerade in diesem Zusammenhang gesehen werden:
- Datenbanken eröffnen neue Wege, um Informationen verfügbar zu machen;
- Medien bieten neuartige Verknüpfungsmöglichkeiten verschiedener Quellenarten, können über Vernetzung von Wirklichkeitssegmenten der Forderung nach Multiperspektivität neue Impulse geben;
- Medien bieten eine Vielzahl von Auswertungsverfahren/-möglichkeiten (statistische Berechnungen, grafische Umsetzung etc.);
- die Simulation historischer Prozesse bzw. die mediale Rekonstruktion historischer Überreste bietet neue Formen der Veranschaulichung.
Dies hätte allerdings zu Folge, das Inhalte und Methoden anderer Fächer Eingang finden müssen in den Geschichtsunterricht: z. B. Verfahren der Bildinterpretationen (Kunst) und Filmanalyse (Kunst, Deutsch), Analyse von Wort-Ton-Bild-Strukturen (Deutsch, Musik), wahrnehmungspsychologische Aspekte (Biologie) und informationstechnologische Fertigkeiten (Informatik).
Welche Standardaufgaben können auch, gar nicht oder besser auf Beispiele aus den Medien bezogen werden?
Mit dem zuletzt Gesagten ist zugleich auch eine der Standardaufgaben des Geschichtsunterrichts genannt. Wissensvermittlung wird zukünftig ohne bewusste Mediennutzung, ohne elektronische Publikationen, nicht mehr ausreichend realisierbar sein.
Für die Geschichtsdidaktik ist die Frage der Nutzung von Medien als Instrumente der Vermittlung von Wissen seit jeher Gegenstand der Beschäftigung gewesen. Die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien müssen in diese Beschäftigung Eingang finden und werden neue Antworten bewirken. Die Auseinandersetzung um Veranschaulichung, um das Verhältnis von medialer Präsentation und historischer Wirklichkeit ist dabei zentral. In diesem Zusammenhang wird auch die Diskussion um Veränderung schulischer Lernprozesse und der Rolle von Lehrkräften zu führen sein.
Ausgehend von einem Verständnis der Medien als Quellen für die Gewinnung historischer Erkenntnisse gilt es, Ansätze einer curricularen Einbindung in den Geschichtsunterricht zu entwickeln. Im wesentlichen müssten sich diese sich an drei inhaltlichen Perspektiven orientieren:
- Historische Schlüsselthemen wie „Mensch und Natur“, „Herrschaft und Partizipation“ und „Menschenbild und Weltdeutung“ können ohne „Medienperspektive“ nicht sinnvoll bearbeitet werden. Die Auseinandersetzung mit historischen Formen der Öffentlichkeit und ihrer Veränderung muss dabei ein wichtiger Gegenstand von Geschichte werden. Weltbilder sind Ausdruck der Wahrnehmung von Welt. Diese Wahrnehmung ist, unterschiedlich zwar, aber immer auch durch die jeweiligen Medien einer Zeit geprägt bzw. beeinflusst. Medienkultur einer Zeit und Weltbilder dieser Zeit bilden einen untrennbaren Zusammenhang. (Im übrigen findet sich hier eine direkte Entsprechung zwischen historischen Schlüsselthemen und zentralen medienpädagogischen Handlungsfeldern.)
- Zum Verständnis historischer Entwicklung muss die Bedeutung bzw. Funktion, die Medien in Teilbereichen gesellschaftlicher Wirklichkeit erfüllt haben, thematisiert werden. Medien sind immer gewesen als Ausdruck der Weltaneignung Bestandteil der Kultur einer Gesellschaft. Medien haben Bedeutung für die Entwicklung von Technik und Wirtschaft gehabt. Diese Bedeutung, z. B der Nachrichtentechnik für das römische Weltreich, der optischen Instrumente wie Fernrohre, Mikroskope, Kameras etc. für die Erkennung von Naturprozessen, der frühen Formen der Telekommunikation für den Prozess der Industrialisierung muss behandelt werden, um ein Verhältnis zu den gegenwärtigen Veränderungen entwickeln zu können. Die Dimensionen historischer Forschung und damit Grundbereiche des Geschichtsunterrichts, wie Politik-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, bedürfen der Erweiterung um die „Medienperspektive“.
- Wenn die Herausbildung von Geschichtsbewusstsein zentrales Anliegen des Geschichtsunterrichts sein soll, müssen die Medien als wesentliche Faktoren der Ausbildung von kollektivem (Geschichts)Bewußtsein in der Gesellschaft dabei einbezogen werden.
Die bewusste Nutzung medialer Möglichkeiten für Informationserwerb, -vermittlung und -präsentation ist bereits genannt worden.
Fächerübergreifender Arbeit und fächerverbindende Themen
Aus einer solchen Orientierung resultiert die Einsicht, dass jedes Fach überfordert ist, die Komplexität der Medienrealität zu bearbeiten, dass die verschiedenen Fachperspektiven andererseits aber notwendig eingehen müssen in die Bearbeitung dieser Realität. Da die einzelnen Fächer inhaltlich und methodisch an Grenzen stoßen, ist implizit damit auch auf übergreifende Zusammenhänge zwischen den Fächern verwiesen.
Ausgangspunkt für eine Vernetzung könnte die Diskussion im Bereich der Medienpädagogik sein. Medienpädagogik soll einen Beitrag zur Entwicklung von Medienkompetenz leisten. Medienkompetenz wird dabei als Teilbereich der allgemeinen kommunikativen Kompetenz verstanden[i] und der Medienbegriff selbst in erweiterter Form zu bestimmen versucht.
Dem Fach Geschichte kommt im Zusammenhang mit der Förderung von Medienkompetenz die Aufgabe zu, wesentlich für ein Verständnis der Medienwirklichkeit heute, die Veränderung von Kommunikation und Öffentlichkeit bewusst zu machen und auf den jeweiligen gesellschaftlich-historischen Hintergrund zu beziehen.
Da die Beschäftigung mit Kommunikation, mit Sprache und Texten, zentraler Gegenstand des Deutschunterrichts ist, gibt es fachliche Berührungspunkte, bei denen aus verschiedener Perspektive der gleiche Zusammenhang betrachtet wird. Am Beispiel Filmanalyse wird dies besonders deutlich. Wenn Film als „audiovisueller Text“ verstanden wird, beschäftigt sich der Deutschunterricht mit Story, Fabel, Thema, Dramaturgie, Figurenkonstellation, geschlossenen und offenen Formen sowie Erzählstrategien. Diese Fokussierung auf den „Text“ muss allerdings erweitert werden um eine Einbettung in das politisch-ökonomisch-gesellschaftliche System, weil sonst wesentliche, für das Verständnis von Film notwendige, Aspekte ausgeblendet werden.
„Filmanalyse von audiovisuellen Texten im Feld der Medienkommunikation“[7] im Deutschunterricht findet seine Entsprechung in der Quellenanalyse im gesellschaftlichen Kontext (historisch-konkrete Form von Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Kommunikation). So wird dann z. B. die Verfilmung des Bühnenstücks „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert, der Film LIEBE 47 (Wolfgang Liebeneiner, 1949) als audiovisueller Text Gegenstand des Deutschunterrichts und als Quelle – für z. B. kollektive Mentalitäten in der Nachkriegsgesellschaft – Gegenstand des Geschichtsunterrichts.
Vergleichbare Beziehungen ließen sich zum Kunstunterricht oder zu naturwissenschaftlichen Fächern aufzeigen. Die ästhetischen Ausdrucksformen in einer Gesellschaft sind Gegenstand des Kunstunterrichts, für den Geschichtsunterricht sind dies Formen der jeweils historisch-konkretenen Medienkultur. Naturwissenschaften beschäftigen sich mit Medien als Mittel der Wahrnehmung von Welt, was für den Geschichtsunterricht bedeutet, sich mit den u. a. daraus resultierenden Welt- und Geschichtsbildern einer Zeit zu beschäftigen.
Von daher ergeben sich aus einer erweiterten Medienperspektive eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten bzw. Themen, die aus der jeweiligen Fachperspektive behandelt werden können und müssen.
Da die Forderung nach fächerübergreifendem Unterricht zwar berechtigt ist, häufig aber an der Realität im Schulalltag scheitert, bestenfalls in Projekte „verbannt“ wird, müsste in allen Fächern in einer Art Spiralcurriculum „Kommunikation/Öffentlichkeit und Medienkultur“ immer wieder aus der jeweiligen Fachperspektive thematisiert werden, sodass sich die Überschneidungen zu den anderen Fächern aus der Parallelität der Beschäftigung „von selbst“ ergeben.[8] Für das Fach Geschichte könnte dies in einer ersten, noch sehr vorläufigen und an den Rahmenrichtlinien in Niedersachsen orientierten Weise wie folgt aussehen:
Anmerkungen
[1] Johann Gustav Droysen, Historik. Textausgabe von Peter Leyh, 1977. Hier: letzte Druckfassung von 1882, S. 421 und 422
[2] Zur Frage der Bilder in der Geschichtswissenschaft gibt einen einleitenden Überblick Irmgard Wilharm, Geschichte, Bilder und die Bilder im Kopf, in: dies. (Hrsg.), Geschichte in Bildern: von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle, Pfaffenweiler 1995
[3] Wolfgang Hardtwig und Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Kulturgeschichte heute, Göttingen 1996 (= Sonderheft 16 von Geschichte und Gesellschaft)
[4] Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.), Paradigmen deutscher Geschichtswissenschaft, Berlin 1994 (Ringvorlesung an der Humboldt-Universität)
5 Unsere Medien – unsere Republik. Ein Projekt des Adolf-Grimme-Institutes des Deutschen Volkshochschul-Verbandes e.V., Marl 1991-1994
6 So auch Bodo von Borries in einem Aufruf zur Mitarbeit an einer Ausgabe „Medien und Kommunikation“ der Zeitschrift „Geschichte lernen“. In: Geschichte lernen, Heft 51 (1996), S. 9
[7] Vgl. zum Stand der Diskussion um den Begriff „Medienkompetenz“: Medien praktisch, Heft 78 (Mai 1996), hier insbesondere die Beiträge von Dieter Baacke und Hans-Dieter Kübler
[8] So beschreibt Wolfgang Gast die Aufgabe in seinem Basisartikel „Filmanalyse“ zum gleichnamigen Heft von Praxis Deutsch, November 1996, Heft 140, S. 14-25
[9] Für das Fach Deutsch haben Wolfgang Gast und Gudrun Marci-Boehncke ein „spiralcurriculares Modell“ vorgestellt in: dies.: Medienpädagogik in der Schule. Plädoyer für ein fachspezifisches Curriculum – jetzt. In: Medien praktisch, Heft 3 (1996), 10. Jg., S. 47-51