Politische Aktionen gegen den Film „Im Westen nichts Neues“

Am 21. April 1930 fand die Premiere im Kinopalast des Fox-Carthey-Circle von Los Angeles statt. Die Kritiker lobten den Film, das Publikum war so begeistert wie erschüttert. Nach dem Massenstart lief der Film allein in New York 23 Wochen, dort auch in der „Kathedrale des Films“ im Roxy, mit seinen 6.200 Sitzen das größte Kino der Welt. Der Film wurde von namhaften Kritikern zu den besten Zehn der Welt gerechnet. 1930 bekam ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT den Oscar als bester Film des Jahres und Milestone den Regie-Oscar.

Am 4. Dezember 1930 fand die deutsche Premiere im Mozartsaal am Nollendorfplatz in Berlin statt. Nach den Premieren in Ägypten, Brasilien, England, Frankreich und Hongkong war der Film in das Land gekommen, dem er seine Geschichte verdankte. Die geistige Elite war erschienen und kritisierte den Film mit ähnlichen Bedenken, aber im Grunde positiv, wie zuvor schon den Roman. Siegfried Kracauer: „Denn immerhin: der Film macht den Krieg nicht schmackhaft. Weniger durch seine Schreckensbilder als durch den strikten Nachweis, dass das Heldentum draußen in den Schützengräben nicht standhält.“

Die kriegstreibenden Nazis gingen daraufhin sofort mit tumultuarischem Terror gegen den Film vor. Nachdem die deutsche Premiere am 4. Dezember 1930 noch ohne Störungen verlaufen war, mussten die zwei Abendvorstellungen des nächsten Tages abgesetzt werden. Für die 19-Uhr-Vorstellung des 5.12. hatten die Nationalsozialisten etwa 200 Karten gekauft und sie vor Beginn der Vorstellung an ihre Anhänger verteilt.

„Dr. Goebbels saß, von einigen anderen Mitgliedern seiner Fraktion umgeben … im ersten Rang. Der Film war kaum eine Viertelstunde gelaufen, und schon setzten die ersten Störungen ein. Die übrigen Theaterbesucher wurden von den Nationalsozialisten angepöbelt, sie brüllten ‚Juden raus‘ und ‚Hitler ist vor den Toren‘ und von den Rängen des Theaters wurden Ansprachen gehalten. Auch Rufe ‚Nieder mit der Hungerregierung, die solch einen Film gestattet!‘ wurden laut. Als dann das Licht im Saal eingeschaltet wurde, erhob sich auf dem Rang Dr. Goebbels zu einer Ansprache. Es kam zu einem ungeheuren Tumult und zu Schlägereien mit Fäusten und Stöcken, Stinkbomben flogen in den Saal und – als besondere Überraschung wurden von den Nationalsozialisten weiße Mäuse ausgesetzt. Die Vorstellung musste schließlich unterbrochen werden, und mit Hilfe eines herbeigerufenen Überfallkommandos wurden die Ruhestörer aus dem Theater entfernt. Ein großer Teil des zahlreich erschienen Publikums hatte schon vorher unter den fortwährenden Rufen der Nationalsozialisten den Saal verlassen. Der Tumult nötigte die Polizei, den ganzen Saal zu räumen. Auch vor dem Theater auf dem Nollendorfplatz hatten sich große Menschenmengen angesammelt, unter denen sich nationalsozialistische Sprechchöre betätigten. Hier setzten sich einige Zeit die Krawalle noch fort, bis die Polizei mit dem Gummiknüppel den Nollendorfplatz räumte. In dem allgemeinen Trubel hatte man auch versucht, die Kinokasse zu plündern, die jedoch rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden war.“

(Frankfurter Zeitung vom 7.12.1930, Reichsausgabe)

Goebbels notierte am nächsten Tag in seinem Tagebuch:

„Schon nach 10 Minuten gleicht das Kino einem Tollhaus. Die Polizei ist machtlos … sympathisiert mit uns. (…) Draußen Sturm auf die Kassen. Fensterscheiben klirren. Tausende von Menschen genießen mit Behagen dieses Schauspiel. Die Vorstellung ist abgesetzt, auch die nächste. Wir haben gewonnen.“

Noch war der Sieg nicht vollkommen, noch einige Tage besetzten die Nationalsozialisten das nächtliche Berlin mit Demonstrationen. Aber der Sieg war zum Greifen nahe. Die Reichsregierung hatte schon kleinmütig bekanntgegeben, dass es gegen den Film keine Handhabe gebe, so lange keine Länderregierung die Oberprüfstelle anrufe. Als für den 10.12. ein Demonstrationsverbot für ganz Berlin ausgesprochen wurde, fügte sich auch Goebbels dieser Anordnung und drohte, die Unruhen noch weiter zu eskalieren, falls der Film nicht am nächsten Tag verboten werde.

Der nationalsozialistische „Völkische Beobachter“ erregte sich darüber, dass nicht der Film, sondern das Demonstrieren dagegen verboten sei. Die Sozialdemokraten und ehemaligen Frontkämpfer setzten sich für den Film ein, doch er wurde abgesetzt und erneut der Filmoberprüfstelle vorgelegt. Alle Filme waren laut Artikel 118 Absatz 2 der Weimarer Verfassung seit 1920 der staatlichen Zensur unterworfen. So konnte ein Film erst dann gezeigt werden, wenn eine der staatlichen Prüfstellen in Berlin oder München, als zweite Instanz die Filmoberprüfstelle Berlin, die Zulassung beschlossen hatte. Diese gab nun dem „Druck der Straße“ nach, also den Nationalsozialisten, und verurteilte hastig einen Film, den sie schon freigegeben hatte.

Im Widerruf der Zulassung vom 11. Dezember 1930 heißt es im Protokoll der Filmoberprüfstelle, dass der Film eine „ungehemmte pazifistische Tendenz“ habe und „wenn eine derartige Darstellung auf die Menschen treffe, könne bei der heutigen seelischen Not nicht ausbleiben, dass Explosionen entstünden“. Doch das Kernargument kam vom Reichswehrministerium: „Der Film setzt das Ansehen der Wehrmacht herab, und darin liegt eine Schädigung des gesamten deutschen Ansehens im Ausland.“ Es wurde flankiert vom Reichsministerium des Innern: „Mit der Würde eines Volkes wäre es nicht vereinbar, wenn es seine Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellungsfirma, sich vorspielen ließe. Es würde im Ausland nicht verstanden und als Billigung der bösartigen Originalfassung dieses amerikanischen Filmwerks angesehen werden, wenn dieser Bildstreifen, für den deutschen Gebrauch zurechtgestutzt, über die Leinwand deutscher Lichtspielhäuser laufen würde.“

Der Film wurde in Deutschland am 11. Dezember 1930 verboten. Der „Völkische Beobachter“ begrüßte das Verbot mit antisemitischer Häme gegenüber dem „Filmjuden Laemmle“. Gleichwohl wurden Busfahrten in die benachbarten Länder organisiert, damit das interessierte deutsche Publikum den Film sehen konnte. Aber auch in Wien wurde der Film Anfang 1931 verboten. In Deutschland kam er zugleich vor die höchste Instanz, den Reichstag. Am 24.März 1931 beschloß der Reichstag mit den Stimmen der SPD, der Volkspartei, der Staatspartei und des Zentrums, dass verbotene Filme für geschlossene Veranstaltungen freigegeben werden können. Mit dem „Lex Remarque“ war die Meinungs- und Redefreiheit in geschlossene Veranstaltungen verbannt, das Grundrecht galt nur noch für eingetragene Vereinsmitglieder. Ab 8.Juni 1931 wurde der Film dann nach Kürzungen nur für geschlossene Veranstaltungen freigegeben. Ab dem 2. September 1931 war IM WESTEN zunächst wieder freigegeben, um dann 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, gänzlich verboten zu bleiben, sogar noch über deren Drittes Reich nach 1945 hinaus, diesmal von den Alliierten.

Es dauerte in Deutschland bis 1952, als am 25. April im Berliner „Capitol“ eine neu synchronisierte, aber auch gekürzte Fassung lief, für die dann mit dem früheren Verbot Reklame gemacht wurde. Und die Wiederaufführung des Originals sollte bis zum 18. November 1984 dauern, als das ZDF zum Volkstrauertag die „Urfassung“ zeigte, rekonstruiert und restauriert von dem Redakteur Jürgen Labenski, mit neuer Vertonung und deutscher Synchronisation.

nach: Hans Beller: Gegen den Krieg – Im Westen nichts Neues; Werner Sudendorf: Zensurkämpfe sind Machtkämpfe im Begleitheft zum Medienpaket

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