Unterrichtsvorschläge zur Arbeit mit „Im Westen nichts Neues“

Unterrichtsvorschlag 1

Der Film als indirekte Quelle für die Endphase der Weimarer Republik

Eine Möglichkeit besteht darin, den Film in seiner „indirekten“ Quellenfunktion für die Endphase der Weimarer Republik zu nutzen :1 Die Auseinandersetzung um den Film, die Zensurmaßnahmen und politischen Ausschreitungen verweisen dann auf das „gesellschaftliche Klima“ jener Jahre.2 Die Argumentationsmuster für und gegen den Film erlauben Einblicke in das Demokratieverständnis und die politischen Wertvorstellungen vor allem der Menschen, die in Militär und Zensurbehörden, aber auch in den Parteien maßgeblich gewesen sind. Das praktische Handeln von Justiz und Politik, die Erfolge bzw. Misserfolge der Kritiker bzw. Verteidiger des Films, legen politische Kräfteverhältnisse in der Endphase der Weimarer Republik offen.

Bei dieser Auseinandersetzung mit dem Film sind generell folgende verschiedene Ebenen der Untersuchung zu beachten:

  • die (professionelle) Filmkritik.
  • die politisch motivierten Krawalle und ihre Behandlung durch die Behörden.
  • die staatlichen Zensurmaßnahmen selbst, ihre Begründungen und praktische Umsetzung

Heiko Hartleifs Vorschläge für eine solche Arbeit sind für den Unterricht im Sekundarbereich II gedacht. Er konzentriert sich auf die zweite Untersuchungsebene: „An dem Konflikt um die Aufführung der Romanverfilmung ‚Im Westen nichts Neues‘ kann exemplarisch die sich in der Praxis gegenüber dem antidemokratischen Verhalten ausdrückende Selbstdistanzierung der politischen Führung vom System der Weimarer Verfassung gezeigt werden.“3 Er entwickelt eine Unterrichtssequenz von drei Stunden im Rahmen einer Unterrichtsreihe „Die Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus – Der Weg in die Katastrophe“. Dabei will er die Arbeit auf eine Auseinandersetzung mit der „nationalsozialistische(n) Perspektive und [der] Position der Reichsregierung“ beschränken, weil „zum einen die Initiatoren der Krawalle und Proteste erfasst werden und zum anderen mit der Reichsregierung die einflussreichsten politischen Entscheidungsträger und ihre Beurteilung zur Lage Berücksichtigung finden.“ 4

1. Stunde:
„Der Kampf um den Remarque-Film“ – allgemeiner politischer Hintergrund und rechtliche Grundlagen der Filmzensur

2./3. Stunde:
Die Absetzung des Films – Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung oder politischer Erfolg der Nationalsozialisten?

Hellmut Frieds Unterrichtsvorschlag ist sowohl für den Sekundarbereich I als auch II gedacht. Seine Überlegungen sind etwas weiter gefasst, zielen auf alle drei Untersuchungsebenen. Sie lassen sich in folgender Skizze zusammenfassen:

1. Stunde
Vorbereitung auf die Filmsichtung

2. bis 4. Stunde (als Block)
Anschauen des Films, Austausch und Reflexion der Eindrücke

5. und 6. Stunde
Exemplarische Analyse der Filmrezeption Ende der Weimarer Republik

7. Stunde
Problematisierung: Zensur als Mittel der Politik und Reflexion der Wirkungsmöglichkeiten von Filmen

Für den Sekundarbereich II empfiehlt er „in Verbindung mit dem Fach Deutsch und/oder als Referat ein(en) Vergleich der Schilderung der Kriegsursachen in anderen Romanen und Filmen erarbeiten zu lassen.“

Es ist offensichtlich, dass bei einer derartigen Arbeit der Film nicht im Mittelpunkt der Arbeit steht (der Vorschlag von Hartleif sieht nicht einmal das vollständige Anschauen des Films vor), sondern Anlass bzw. Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem historischen Kontext ist. Eine Auseinandersetzung mit ihm folgt nur in bezug auf die eingangs formulierten Untersuchungsperspektiven.

Dieser Ansatz der Arbeit läßt sich über einen Vergleich der verschiedenen Filmfassungen fortführen. Zu fragen ist dann, in wie weit die verschiedenen Filmfassungen Ausdruck von immanenten Selbstbeschränkungen der Filmemacher bzw. Produzenten/Verleihe sind, die mit den Schnittänderungen auf die Kritik am Roman und Film reagierten. Zu fragen ist auch, in welcher Weise die verschiedenen Fassungen – z. B. der Verzicht auf zentrale Filmsequenzen, wie die sogenannte „Trichtersequenz“ oder die Änderung der Schlussmusik – auf den jeweils aktuellen politischen Kontext verweisen. Es müssen dann die gravierenden Veränderungen in den einzelnen Fassungen herausgearbeitet und interpretiert werden. Das Medienpaket, in dem die deutsch synchronisierten Filmfassungen von 1953 und 1984 enthalten sind, ermöglicht eine solche, allerdings sehr zeitaufwendige, Analyse.5


Anmerkungen

1. In dieser Weise nutzen auch Heilmut Fried und Heiko Hartleif den Film für ihre Vorschläge für die unterrichtliche Arbeit : Hellmut Fried: Wer die Macht hat, verlangt nach Zensur. Zur Rezeption des Films „Im Westen nichts Neues“, in: Praxis Geschichte, Heft 6, November 1992, S. 37-41 (Dieses Heft ist im Medienpaket enthalten- Baustein X) Heiko Hartleif-. Das Verbot des Remarque-Films „Im Westen nichts Neues“. Anmerkungen zu einer Unterrichtssequenz in der Sekundarstufe 11, in: GWU 5/1993
2. Ausführlich dokumentiert ist dieser Zensurfall bei:Bärbel Schrader (Hrsg.): Der Fall Remarque. „Im Westen nichts Neues“ – eine Dokumentation. Leipzig 1992. (im Medienpaket enthalten) Hintergrundinformationen über die Auseinandersetzungen um den Film in der Weimarer Republik liefert auch das Kapitel Kritik und Zensur. Zur Filmzensur generell vgl.: Weimarer Republik. Hrsg. vom Kunstamt Kreuzberg, Berlin, und dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Köln, Berlin 1977, S. 448ff und Martin Loiperdinger: Filmzensur und Selbstkontrolle, in: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler (Hrsg.)- Geschichte des deutschen Films, Stuttgart 1993, S. 479-498. Das Lichtspielgesetz vom 12. Mai 1920 ist im Anhang des Beihefts zum Medienpaket abgedruckt.
3. Heiko Hartleif: a.a.0.
4. ebd.
5. Umfassende Hinweise zu den jeweiligen Veränderungen und die für die Arbeit notwendigen entsprechenden Sequenz- und Einstellungsprotokolle sind im Kapitel Ein Film und seine Fassungen zu finden.

Unterrichtsvorschlag 2

Vergleich mit anderen Filmen

Eine andere, ebenfalls zeitaufwendige – und in erster Linie für die Arbeit im Sekundarbereich II und in der außerschulischen historisch-politischen Bildung geeignete – Möglichkeit der historischen Arbeit liegt darin, Roman und Film als Quelle selbst ernst zu nehmen, sie daraufhin zu befragen, was sie über die Verarbeitung der Kriegserfahrung der Menschen aussagen. Dazu bedarf es einer vergleichenden Untersuchung mit anderen Filmen und/oder schriftlichen und bildlichen Formen der Verarbeitung von Kriegserfahrungen. Die zentralen Geschehensmotive in den Filmen verweisen dabei auf psychische Dispositionen der Menschen, die wiederum Relevanz hatten für ihr gesellschaftliches Handeln in den Krisenjahren.1 In diesem Zusammenhang sollten auch die Motive zur Filmproduktion und die Arbeit der verschiedenen Beteiligten thematisiert werden. Hintergrundinformationen hierzu liefert – auch als Grundlage für ein Referat nutzbar – das Kapitel Der Film: Inhalt und Entstehung.


Vergleich mit zeitgenössischen Kriegsfilmen

IM WESTEN NICHTS NEUES sollte mit einem zweiten, etwa zur gleichen Zeit in Deutschland entstandenen Film, der sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzt verglichen werden. Folgende Filme sind dafür besonders geeignet.

Einerseits Filme, die sich als Anti-Kriegsfilme verstehen:

  • WESTFRONT 1918, Regie: Georg Wilhelm Pabst, D 1931
  • DIE ANDERE SEITE, Regie: Heinz Paul, D 1931
  • NIEMANDSLAND, Regie: Georg Wilhelm Pabst, D 1931

Andererseits Filme, die den Opfermut, das Heldentum der Soldaten und die Pflicht zum Kampf für das Vaterland hervorheben:

  • BERGE IN FLAMMEN, Regie: Luis Trenker / Karl Hartl, D 1931
  • MORGENROT, Regie: Gustav Ucicky, D 1933

Als praktische Beispiele sei auf unsere Lehrplanvorschläge Der Erste Weltkrieg im frühen Tonfilm und Erzwungene Trennung: Ehe und Liebe im Ersten Weltkrieg hingewiesen, in deren Rahmen IM WESTEN NICHTS NEUES neben anderen Weltkriegs-Spielfilmen zu verschiedenen Fragestellungen eingesetzt werden kann.

Vergleich mit den „Preußen-Filmen“

Eine weitere Möglichkeit, die genereller eine „Auseinandersetzung mit soldatischen Tugenden“ wie Pflichterfüllung und Gehorsam, und der Legitimität der Forderungen nach „Verteidigung von Volk und Vaterland“ beinhaltete, bestünde darin, die sogenannten „Preußen-Filme “ und deren zentralen Motive und Aussagen zum Vergleich heranzuziehen.

Ablauf der Unterrichtseinheit

Eine auf einem solchen Filmvergleich aufbauende Unterrichtseinheit muss mindestens 12 bis 14 Stunden umfassen. Kurz skizziert könnte sie beispielsweise wie folgt aussehen:

Rezeptionsphase

1.-3. Stunde:
Sichtung des Films IM WESTEN NICHTS NEUES

4. Stunde:
Festhalten von Ersteindrücken und Austausch im Gespräch

5./6. Stunde:
Sichtung des Vergleichsfilms

7. Stunde:
Festhalten von Ersteindrücken und Austausch im Gespräch

Untersuchungsphase

8./9. Stunde:
Vergleichende Untersuchung der zentralen Motive der Filme

10./11. Stunde:
Materialien: Sequenzprotokolle, Szenenfotos, Filmausschnitte

Auswertungsphase

12./13. Stunde:
Auswertung, abschließende Beurteilung und Weiterführung

In diese vergleichende Arbeit können außerdem die im Medienpaket enthaltenen bildlichen Kriegsdarstellungen, v.a. die Bilder und Grafiken von Otto Dix, einbezogen werden, die auf ihre Weise den Tod und das Leiden der Menschen thematisieren.

Erkenntnisleitende Fragen für die Vergleiche können sein:

  • Wie wird der Krieg dargestellt: was wird als bedeutsam herausgestellt und welche Worte und Bilder werden dabei benutzt? Wie wird die gegnerische Seite („der Feind“) dargestellt? Gibt es Bewertungen des Verhaltens von „deutschen“ und „feindlichen“ Soldaten?
  • In wie weit gibt es Entsprechungen zwischen den bildlichen Darstellungen aus der Kunst und flämischen Darstellungsformen? Was beschäftigt Dix, Remarque bzw. die Filmautoren bei ihren Darstellungen des Krieges? Korrespondieren diese Anschauungen mit denen der Rezipienten/Kritiker? Werden Ursachen/Bedingungen des Krieges reflektiert? Wenn ja, wie?
  • Welche Motive und Werte sind für die handelnden Personen im Film bestimmend? Wie bewerten sie Ihr Handeln, die Situation, in der Sie leben?
  • Wie gehen die Menschen miteinander um, vor allem in Konflikt- und Gefahrensituationen?
  • Welche Perspektiven äußern sie? Welche Perspektiven vermittelt der Film?

Bei dieser Art der quellenkritischen Arbeit kann der Film seine Qualität, Gegenstand für Reflexionsprozesse zu sein, in besonderer Weise entfalten.


Anmerkungen

1. Dieser Fragestellung liegt ein Ansatz von Siegfried Kracauer zugrunde.

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