Literarische Vorlage und Film

Der Autor und sein Bestseller

Über den legendären Erfolg von Remarques Roman und seine Geschichte ist schon viel geschrieben worden, so dass hier einige Daten genügen. Der deutsch-amerikanische Schriftsteller wurde am 22. Juni 1898 in Osnabrück als Erich Paul Remark geboren und 1916 von der Schule weg als Rekrut eingezogen. Er kam im Juni 1917 an die Westfront, wurde einen Monat später in Flandern durch Granatsplitter an Arm und Bein und durch einen Halsschuss verwundet. Danach Hospitalaufenthalt und nach der Genesung Einsatz in Schreibstuben. Ab dem Waffenstillstand vom 11.November 1918 Gelegenheitsarbeiten, Schreibversuche, Werbetexter und Journalist. Änderung des Namens ab 1921 in Erich Maria (nach dem Vornamen der Mutter) Remarque (nach dem Familiennamen des Urgroßvaters).

Remarque schrieb 1928 das Buch „Im Westen nichts Neues“ in kurzer Zeit, aber nach jahrelangen, unterbrochenen Vorbereitungen und Recherchen und aus einem Drang heraus, seine Depressionen und sein eigenes Kriegstrauma zu überwinden. Am 29. August 1928 wurde der Vertrag Remarques mit dem Ullstein Verlag unterzeichnet. Das Buch hat schon auf seinem Weg vom Manuskript zum Typoskript, vom Vorabdruck in der Vossischen Zeitung (Nov.-Dez. 1928) bis zur Erstauflage des Buches (29. Januar 1929 mit 50 000 Exemplaren) und seinen Übersetzungen in über vierzig Sprachen einiges an Veränderungen, Kürzungen und Entstellungen über sich ergehen lassen müssen. Und genauso wie später der Film hat das Buch die Leser in Gegner und Freunde entzweit wie kaum ein anderes Werk. „Allein aus dem Erscheinungsjahr 1929 hat die Erich-Maria-Remarque-Dokumentationsstelle bisher über 200 deutschsprachige Beiträge zu ‚Im Westen nichts Neues‘ gesammelt, die die erbitterte zeitgenössische Debatte, die sich an dem Roman entzündete, wiedergeben.“ Die Kritik von links wirft Remarque fehlende polit-ökonomische Erklärung der Kriegsursachen vor sowie sein Schweigen während der Debatte. Die Kritik von rechts stellt mangelnde Kriegserfahrung fest, eine „Latrinenperspektive“ und dass er „die Geschichte des Krieges fälscht, fälscht und noch einmal fälscht!“ . Doch der Erfolg des Romans war unaufhaltsam. Bis heute wurde er in einer geschätzten Gesamtauflage von 10 bis 12 Millionen Exemplaren verbreitet.


Roman und Film: Ein Vergleich

Vergleich des Roman- und des Filmanfangs

Gerade der Anfang der beiden Werke eignet sich besonders gut, um die Eigenart dieser Medien zu verdeutlichen: Der Roman beginnt an der Front, mit einer Standardsituation des Soldaten, dem Organisieren von ausreichender und guter Verpflegung. Z.T. in Rückblicken auf die letzten Wochen beschreibt Remarque aus der Sicht des Ich-Erzählers Paul Bäumer verschiedene Situationen der Essensausgabe und das eher kameradschaftliche Gerangel um eine möglichst reichhaltige Portion nach der Rückkehr von der Front. Auch im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels geht es um die Grundfunktionen menschlichen Lebens, auf welche die Soldaten im Krieg zurückgeworfen sind, nämlich um die Verdauung. Erst im dritten Abschnitt erinnert sich Bäumer an die Schule und die Agitation der Lehrer, welche im Filmanfang eine wichtige Bedeutung erhält. Der Film beginnt mit kurzen Einstellungen auf Kriegsgefangene und den Briefträger Himmelstoß im Zivilberuf. Danach werden die im Buch sehr knapp gehaltenen Gedanken Bäumers an die Schule aufgenommen und ausgeweitet zu einer großen Rede des Klassenlehrers vor der Klasse mit dem flammenden Appell, sich freiwillig an die Front zu melden.

Vergleich der Struktur von Roman und Film

Roman und Film zeichnen sich durch eine unterschiedliche Dramaturgie aus. Die Struktur des Romans lässt sich folgendermaßen beschreiben:

  • lockere Episodenstruktur ohne eigentliche Haupthandlung
  • wiederkehrende Kriegsalltagsmotive
  • abwechselnde Front- und Ruheszenen
  • Rückblicke in die Jugend, Schulzeit, Grundausbildung usw.
  • stärker werdende Zeitraffung gegen Ende

Der Film dagegen zeigt einen anderen Aufbau und eine stärkere dramaturgische Zuspitzung:

  • lineare Handlung ohne größere Rückblicke von der Schulzeit bis zum Tod
  • keine abwechselnde Front- und Ruheszenen
  • die Kampf- und Schlachtbeschreibungen kulminieren in der Trichterszene, in der Bäumer einen Franzosen ersticht
  • in dem anschließenden Lazarettaufenthalt spitzt sich die Handlung nochmals zu, da Bäumer selbst und nicht sein Kamerad Peter (wie im Roman) ins Sterbezimmer verlegt wird
  • während des folgenden Genesungsurlaubs in der Heimat tritt Bäumer vor der Klasse seines ehemaligen Klassenlehrers auf und berichtet ernüchtert von dem schrecklichen Leben an der Front. Damit entlarvt er den Hurra-Patriotismus seines Lehrers am Beginn des Films. Dieser Genesungsurlaub erfolgt im Roman noch vor der Ermordung des Franzosen durch den Ich-Erzähler, der Auftritt vor der Klasse taucht gar nicht auf.

Roman und Film arbeiten mit zwei unterschiedlichen dramaturgischen Konzepten: Das Nachdenken über ein Leben an der Grenze des Todes, die Hoffnungslosigkeit und das Massensterben nehmen im Verlauf des Romans einen immer größeren Raum ein. Zuletzt stirbt Bäumers Freund Kat nach einer schweren Verletzung auf dessen Schultern. Die Zeitraffung verstärkt diesen Todeszug, der sich durch die letzten Abschnitte des Romans zieht.
Der Film arbeitet mit einem klaren Spannungsbogen. Nach der Trichterszene, in der Bäumer einen Franzosen ersticht, droht Bäumer der Tod im Lazarett. Wie zur Bekräftigung der grausigen Ereignisse schildert Bäumer dann in seiner ehemaligen Schule seine Eindrücke vom Krieg – und erntet Unverständnis und Misstrauen.

Der Film erzählt insgesamt eher die Geschichte Paul Bäumers, der Roman erzählt Kriegserlebnisse, wobei Bäumer eine wichtige Rolle spielt. Die Gründe für diese Unterschiedlichkeit sind sicherlich auch mit den unterschiedlichen Bedingungen der beiden Medien zu erklären.

aus: Frank Hellberg: Wörter und Bilder gegen den Krieg im Begleitheft zum Medienpaket

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