Zeitgenössische Filmkritiken zu „Im Westen nichts Neues“


Wohlwollende Kritik


Der Friedensfilm IM WESTEN NICHTS NEUES
Eine Zuschrift von Arthur Fraenckel, Direktor der Deutschen Universal-Film-AG

Ein in der Geschichte der Weltfilmindustrie noch nie dagewesener Kampf ist zugunsten des Herstellers entschieden worden, ein Kampf der mit völlig ungleichen Mitteln geführt werden musste und dessen Ausgang daher nicht zweifelhaft sein konnte. Eine international anerkannte Höchstleistung der Filmproduktion wird gewaltsam dem Publikum, welches dieselbe in erster Linie anging, vorenthalten bleiben, weil politische Gegensätze von unerhörter Schärfe eine ruhige und gerechte Beurteilung dieses Kunstwerkes nicht aufkommen lassen konnten. Es ist der willkommene Anlass zu einer politischen Hetze geworden und musste dabei unterliegen. Dieser Film, der in unantastbarer, lauterster Absicht hergestellt worden ist, ist von einer kritiklosen Menge, die ihn nicht kannte und nie kennen lernen wird, niedergeschrieen worden; die wenigen, die ihn gesehen haben, waren aufs tiefste erschüttert, sie haben keinen Widerspruch erhoben, sondern ihn ebenso wie die vernünftig denkenden Menschen aller Kulturländer der Erde als ein aufwühlendes, wahrheitsgemäßes Dokument der grausamsten Erlebnisse der Menschheitsgeschichte entgegengenommen. Millionen außerhalb Deutschlands haben diesen Film bewundert, weitere Millionen werden ihm gerechte Anerkennung zuteil werden lassen, und es wird hoffentlich die Zeit kommen, wo er auch in Deutschland verstanden und gewürdigt wird.

Film-Kurier, Nr. 294, 13.12.1930


Sinclair Lewis zum Remarquefilm: „Ich bin erschüttert“
Der Film wirbt für Deutschland / Ein gellender Schrei gegen den Krieg

Der amerikanische Schriftsteller Sinclair Lewis, der auf der Rückreise von Stockholm, wo er den Literatur-Nobelpreis in Empfang nahm, sich gegenwärtig in Berlin aufhält, bekam vor einigen Tagen die deutsche Fassung des Films „Im Westen nichts Neues“ vorgeführt. Er äußerte sich folgendermaßen über seine Eindrücke: „Der Film war ein seelisches Erlebnis. Die wahrheitsgetreuen Szenen haben mich so furchtbar erschüttert, dass ich noch lange nach der Vorstellung im Banne dieses Films stand. Er ist ein gellender Schrei gegen das Ungeheuer des Krieges, dass man bisher noch nie bildlich so dargestellt hat. Dass man einen solchen Film in Amerika und gerade in Hollywood machen konnte, ist für mich eine ganz besonders erfreuliche Überraschung gewesen. Ich, der Hollywood und die amerikanische Filmtätigkeit so oft kritisierte, habe neuen Respekt und Achtung vor den Herstellern dieses Films gewonnen. Was die Unparteilichkeit dieses Films anbetrifft, so kann ich nur sagen, dass die in ihm enthaltene Schilderung des deutschen Soldaten, seiner Moral und seines Kameradschaftsgefühls ganz überwältigend wirkt. Die ungerechten Vorstellungen, die man vom deutschen Soldaten während des Krieges in Amerika hatte, sind durch diesen Film völlig umgestoßen worden. Es ist ein ergreifendes Werk gewesen.“ Zu dem Verbot dieses Films in Deutschland äußerte sich Sinclair Lewis folgendermaßen: „Jeder, der meine Bücher kennt, weiß, welch große Liebe und Verehrung ich für Deutschland empfinde. Ich hoffe infolgedessen, dass eine Erklärung, die ich über den Film „Im Westen nichts Neues“ abgebe, keinesfalls als eine unerwünschte Einmischung in deutsche Verhältnisse und Gefühle gedeutet werden kann. Ich kann nur feststellen, dass ich den Film vor kurzem gesehen habe, und dass er mir alles mehr als ein Angriff auf Deutschlands Moral, vielmehr als Sympathiekundgebung für Deutschland erschien. Hätte ich nicht den Vorteil gehabt, Deutschland persönlich gründlich zu kennen, wie ich es wirklich kenne und liebe, so hätte ich von diesem großen epischen Film nur ein Gefühl der Liebe, Verehrung und Hochachtung für das deutsche Vaterland gewonnen.“

Hamburger Echo, Nr. 361, 31.12.1930


Remarque-Film-Kundgebung der Liga für Menschenrechte

Unter dem Motto „Remarquefilm und die Wirklichkeit“ hat gestern die Kundgebung der Liga für Menschenrechte gegen das Verbot des Remarquefilms stattgefunden. Heinrich Mann betonte, dass ein Verbot des Films Deutschlands Ehre in Gefahr bringe, Carl Zuckmayer und Edleff Köppen berichteten von ihren Kriegseindrücken, die sich mit den Vorgängen des Films gedeckt hätten. Ebenfalls von seinen Erlebnissen von der Front her setzte sich der ehemalige Frontoffizier Schützinger für den Film ein, es sprach ferner ein Frontarzt, Dr. Kurt Fleischner, Marie Juchacz ergriff das Wort für die Kriegsmütter neben Adele Schreiber-Krieger und noch ein anderer Redner äußerte sich in ähnlichem Sinne. Eine Reihe von schriftlichen Erklärungen gegen das Verbot wurden verlesen, darunter eine Erklärung von Professor Einstein. Und Remarque selbst hat seine Stellung in einer schriftlichen Erklärung formuliert und darin erklärt, dass er niemals die Leistungen der deutschen Soldaten habe herabsetzen wollen: dass er aber mit Entschiedenheit sich dagegen gewehrt habe, den Krieg verherrlichen zu lassen – das Vermächtnis der Gefallenen heiße nicht Rache, sondern „Nie wieder Krieg“.

Film-Kurier, Nr. 28, 3.2.1931


Laemmle fährt zurück.

Carl Laemmle hat Deutschland nicht besucht. Er ist heute über Paris nach Amerika zurückgekehrt. Er absolvierte nur die vom Arzt unbedingt verordnete Kur in Europa. Zwei Tatsachen sind für uns bemerkenswert, einmal, dass er wiederum zustimmte, in Deutschland zu produzieren. Damit vermittelte er deutschen Künstlern und deutschen Arbeitern, deutschen Ateliers und deutschen Theatern: Arbeit und die Möglichkeit der Auswertung dieser Arbeit. Darin zeigt er sich als Patriot, die Arbeits-Zuweisung für die deutschen Werkstätten muß ihm gedankt werden. Er ging auch nicht an den „Remarque“-Ereignissen vorbei. Man liest in einem Interview folgendes: „In erster Linie lasse ich mir die Liebe zu meinem Vaterland von niemandem streitig machen. Die Tatsache, dass ich nur ein kleiner Junge war, als ich nach Amerika kam und hier mein Glück machte, hat niemals auch nur für einen Augenblick meine Liebe zu dem Lande meiner Geburt erlöschen lassen. Als ich Remarques prachtvolles Buch gelesen hatte und bemerkte, welch ein wunderbares Gefühl des Verständnisses für Deutschland dieses Buch in den Herzen der Amerikaner und anderer Nationen auslöste, entschloss ich mich, einen Film daraus zu machen. Das Buch ist von einem echten Deutschen geschrieben worden. Es wurde als Film von einem in Deutschland geborenen Amerikaner hergestellt, viele Deutsche wirkten in dem Film mit. Deutsche, die eine Liebe für ihr Vaterland haben, wie sie die im Reich nicht größer besitzen.“ Er ist diesmal am Vaterland seiner Kindheit vorbeigefahren. Aber wir wollen ihn nicht zurückkehren lassen, ohne ihm „Auf Wiedersehen“ von Herzen zu wünschen.

Film-Kurier, Nr. 152. 18.8.1931


Remarquefilm jetzt freigegeben
Keine amtlichen Bedenken mehr / Heute Zimmermann-Entscheid

Uns wird mitgeteilt: Die Filmprüfstelle Berlin hat heute unter dem Vorsitz des Regierungsrats Zimmermann den Universal-Film „Im Westen nichts Neues“ nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque, zur öffentlichen Vorführung ohne Ausschnitte freigegeben, nachdem das Auswärtige Amt und das Reichswehrministerium als Sachverständige ihre bisherigen Bedenken gegen die Vorführung des Films fallen gelassen haben. Die Vertretung der Universal lag in den Händen von Herrn Walter Bruck. Ein sensationeller Entscheid… man kann auch sagen, die Vernunft fängt in Deutschland zwar spät, aber doch an zu sprechen. Es wird interessieren zu erfahren, dass der Remarquefilm, der ja nun nach Fortfall der Ausnahmebestimmungen für die Kinos zu normalen Bedingungen zu haben sein dürfte, auch in seiner „verbotenen“ Form Millionen von Besuchern erfassen konnte. Allein durch den A.D.G.B. wurden zwei Millionen organisierte Besucher in Deutschland zu diesem Film geführt.

Film-Kurier, Nr. 205, 2.9.1931


Neutrale Kritik


Der Kampf um den Remarque-Film.  Vorführung gewaltsam verhindert!

Während am Donnerstag, wie der „Film-Kurier“ berichtete, der Remarque-Film „Im Westen nichts Neues“ ohne Störung und ohne jede Opposition mit stärksten Eindrücken abrollte, kam es gestern zu heute in der gesamten Morgenpresse wiedergegebenen Protesten und Skandalen – eine Art praktischer Demonstrierung zu der Kritik am Remarque-Film, die sich vor diesem Werk in zwei Fronten geteilt hat. Wir nennen die „Germania“, die „Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Berliner Börsen-Zeitung“, die neben den Scherl-Blättern – von der nationalsozialistischen Presse ganz abgesehen – in schärfster Form gegen den Film protestieren, mit den gleichen Argumenten, die die Kleine Anfrage der Deutschnationalen Volkspartei charakterisieren. Zu der Darstellung der Vorgänge wird nach den polizeilichen Ermittlungen mitgeteilt, dass die Anzahl der Demonstranten in Wirklichkeit nur 40 bis 60 betragen habe. Nun, das mögen Nuancen der Kriegsberichterstattung sein – der ungeheure Protest und die Störung der Vorführungen mit riesigem Polizeiaufgebot bleiben ebenso bestehen wie die außerordentlich heftigen Proteste der genannten Presse. Die gestrigen Zwischenfälle haben begreiflicherweise nicht nur die Deutsche Universal und den Mozartsaal, sondern darüber hinaus Polizeipräsidium, Preußisches Ministerium und Reichsinnenministerium beschäftigt. Der Polizeipräsident hat in den Vorgängen keinerlei Anlass gefunden, die Vorführung zu verhindern. Im Gegenteil. Am heutigen Sonnabend nehmen die Vorführungen im Mozartsaal unter stärkstem Polizeischutz ihren Fortgang. Wir erfahren noch, dass beabsichtigt ist, am Dienstag in Berlin sowohl die englische wie die französische Fassung des Films der Presse vorzuführen. Dieser Beschluss ist begrüßenswert. Die Auswirkung der planmäßigen, mit langer Hand vorbereiteten politischen Aktion gegen den Remarque-Film ist naturgemäß nicht abzusehen, da nicht feststeht, ob und in welchem Umfange sich Demonstrationen im Kino wiederholen. Die gestrige Nachmittagsvorführung vor den Theaterbesitzern hinterließ, wie uns berichtet, wieder starke Eindrücke.

Der Verlauf der Zwischenfälle: Der Film „Im Westen nichts Neues“, gegen den schon vor der Premiere in einem großen Teil der Rechtspresse protestiert worden ist, gab am Freitag Anlass zu wüsten Tumulten im Berliner Mozartsaal. Von nationalsozialistischer Seite waren im Vorverkauf einige hundert Eintrittskarten erworben worden. Bald nach Beginn der Vorführung begann dann die gut vorbereitete Aktion gegen den Film. Es begann mit nationalistischen und antisemitischen Zwischenrufen, es wurden Stinkbomben geworfen und weiße Mäuse ausgesetzt. Es waren mehrere nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete anwesend, so Dr. Goebbels und Pfarrer Münchmeyer, die ihre Anhänger durch Zurufe aufmunterten und den Skandal dirigierten. Die Vorführung musste schließlich unterbrochen werden. Es kam zu Schlägereien mit Besuchern, die sich gegen den Terror wandten. Die inzwischen herbeigerufene Polizei musste den Saal gewaltsam räumen. Die Demonstranten hatten dann noch die Unverfrorenheit, ihr Eintrittsgeld wegen Abbruch der Vorstellung zurückzufordern, sie zerschlugen eine Scheibe der Kasse und bedrohten die Kassiererin. Auf dem Nollendorfplatz nahmen die Demonstrationen ihren Fortgang. Die Direktion des Mozartsaals sah sich genötigt, die 9-Uhr-Vorstellung ausfallen zu lassen.

Wie die TU. erfährt, beabsichtigt die Reichsregierung, einen Gesetzentwurf einzubringen, der die Filmprüfstelle verpflichtet, in Zukunft bei der Beurteilung ausländischer Filme nicht nur die vorliegende, für Deutschland bestimmte Fassung zu berücksichtigen, sondern auch die Fassungen, die im Ausland gezeigt werden. Dieses Gesetz soll der Filmprüfstelle eine ihr bisher fehlende gesetzliche Handhabe gegen solche Filme bieten, die im Ausland in hetzerischer, in Deutschland aber nur in harmloser, aller anstößigen Stellen entkleideter Fassung gezeigt werden.

Film-Kurier, Nr. 288, 6.12.1930


Im Westen doch was Neues

Bewohner der an den südlichen Zipfel von Holland, die Provinz Limburg, angrenzenden deutschen Gebiete werden eingeladen über die Grenze nach Venloo zu kommen, wo die niederländische Premiere des für das Ansehen Deutschlands im Auslande so gefährlichen Remarque-Film stattfinden soll. Sonst reisen Bewohner der holländischen Grenzprovinz gern in Extra-Omnibussen nach Deutschland hinüber, um hier Filme zu sehen, die ihnen ihre katholische Sonderzensur verbietet. Jetzt können umgekehrt deutsche Kinos in Grenzorten einmal einige ihrer Kunden an die Holländer abgeben. Die sozialdemokratische Partei ist hier auf einen originellen Einfall gekommen: sie veranstaltet am kommenden Sonntag Sonderfahrten mit Omnibussen nach Straßburg, wo die Fahrtteilnehmer den in Deutschland verbotenen Remarque-Film „Im Westen nichts Neues“ besichtigen. Die Rückfahrt erfolgt noch am selben Abend. Auch aus der Schweiz wird ein Riesenandrang von Reichsdeutschen durch die Kinos gemeldet, die den Remarque-Film spielen.

Film-Kurier, Nr. 6, 8.1.1931


Reichstagsdebatte um Remarque.
S.P.D.-Antrag auf Aufhebung des Verbotes.

Der starke Protest, auch in den eigenen Reihen, wegen der Ablehnung des kommunistischen Remarque-Antrags im Haushaltsausschuss hat die S.P.D. veranlasst, einen offensichtlichen Fehler, der schwere psychologische Folgen haben würde, zu korrigieren. Die sozialdemokratische Fraktion hat im Reichstag nunmehr folgenden Antrag eingebracht, der die Aufhebung des Remarque-Verbotes zum Ziele hat. „Der Reichstag hält das Verbot des Films ‚Im Westen nichts Neues‘ sachlich für nicht begründet. Er erwartet von der Reichsregierung, dass diese alle Vorbereitungen trifft, um die Prüfung des Bildstreifens zu beschleunigen, wenn dieser durch den Hersteller erneut vorgelegt wird. Ferner: der § 2 des Lichtspielgesetzes erhält folgende Fassung: Bildstreifen gegen deren unbeschränkte Vorführung Versagungsgründe aus § 1 vorliegen, sind zur Vorführung vor bestimmten Personenkreisen oder unter beschränkenden Vorführungsbedingungen zuzulassen.“

Im Reichstagsplenum gab es gestern bei der Kulturdebatte auch einen heftigen Kampf um das Für und Wider des Remarque-Verbotes. Der sozialdemokratische Abgeordnete Schreck-Bielefeld führte folgendes aus: „Auf das schärfste verurteilen wir auch das Verbot des Films ‚Im Westen nichts Neues‘. Wir können uns des Verdachtes nicht erwehren, dass diese Kammer der Oberprüfstelle nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt war. Die Presse hat man nicht zugelassen, weil sie angeblich über die Verhandlung vor der ersten Kammer nicht objektiv berichtet habe! In Wahrheit ist das Verbot eine Verbeugung vor dem Gassenterror, gegen den die Staatsgewalt sich nicht durchgesetzt hat. Man behauptet, dass der Film das deutsche Ansehen schädige, aber wohl niemals ist durch einen Film das deutsche Ansehen so geschädigt worden, wie durch dieses Verbot. (Sehr wahr!) Himmelsstöße hat es in allen Armeen gegeben, nicht nur in der deutschen. In seiner großzügigen Anlage und seiner nackten Wahrhaftigkeit kann aber dieser Film nur Sympathien für die deutschen Weltkriegssoldaten im Auslande werben. Man hat daran Anstoß genommen, dass junge Soldaten die Nerven verlieren, zu weinen anfangen und nach der Mutter rufen. Wer sich darüber entrüstet, der weiß entweder nicht, dass solche Äußerungen der Angst und des Schreckens auch im bürgerlichen Leben vorkommen, oder er ist ein Heuchler. (Sehr gut! links.) Der Reichsinnenminister sollte dahin wirken, dass wahrheitsgemäße Gutachten vorgelegt werden, die zu einer Aufhebung des Verbotes führen: er kann das um so mehr tun, als die Zentrumspresse von dem Verbot stark abgerückt ist. Zehntausende Deutsche, die an den Grenzen wohnen, fahren ins Ausland, um diesen Film zu sehen und lassen deutsches Geld dort. Gerade dieser Film und ähnliche, die ihm vielleicht folgen, müssten der deutschen Jugend vorgeführt werden, damit sie das fürchterliche Elend des Krieges auf diese unblutige Weise kennenlernt.“ Abg. Petzold (Wirtschaftspartei) betonte, dass er am Remarque-Film nichts gefunden habe, was das Verbot verlangt. Aber die Staatsautorität fordere, ein einmal ausgesprochenes Verbot auch anzuerkennen. Abg. von Kardorff (Volkspartei) weist zum Verbot des Films „Im Westen nichts Neues“ darauf hin, dass wir ein seelisch wundgeriebenes Volk seien und dass wir dieser Tatsache Rechnung tragen müssen. Der Film habe unzweifelhaft eine pazifistische Tendenz. Ein zu weitgehender Pazifismus sei aber geeignet, auch die letzten Reste unseres Wehrwillens zu ertöten. Deshalb werde man die Entscheidung des Ministers in der Verbotsfrage begrüßen können. Ruhe und Ordnung sei mehr wert, als dass dieser oder jener Film laufe. (Zuruf links: Also doch Verbeugung vor der Straße!) Abg. Mumm (Chr. Soz.) verlangt, dass ausländische Filme, die das deutsche Ansehen schädigen, auch nach Ausmerzung dieser Stellen nicht in Deutschland zugelassen werden. Abg. Külz (Staatspartei) erklärt, ihm scheine das Verbot nicht berechtigt, da der Film nicht als eine Verunglimpfung der deutschen Armee aufgefasst werden könne. Es befremde aber, dass der Dichter die ihn so beherrschenden Erlebnisse der Verfilmung preisgegeben (?) habe. Wenn aber die Gasse Zensur ausüben könne, dann sei es aus mit Deutschland als Kulturstaat. Bemerkenswert ist, dass der Zentrums-Redner Dr. Schreiber mit keinem Wort auf die Remarque-Angelegenheit, die von sämtlichen anderen Rednern behandelt wurde, eingegangen ist.

Film-Kurier, Nr. 52, 3.3.1931


Ablehnende Kritik


Front-Erlebnis

„Im Westen nichts Neues“ ist angelaufen. In seinen Kernteilen bringt der Film den Sturm auf Grabenstücke der Gegner (was im Westen nichts Neues war). Das „Front-Erlebnis“, jenen in der Restaurationszeit seit 1919 gewachsene neue Begriff, für den die nationale Bewegung des jüngsten politischen Deutschland sich einsetzt. Die Schlacht-Entfesselung, die unentrinnbare Stunde des Frontkampfes, ist im Tonfilm wiedererstanden. Ein Ernst Jünger hat es in seinem „Antlitz des Weltkrieges“ nicht anders gesehen. Gegen diesen Front-Geist kontrastiert in Laemmles Werk die Remarque-Mentalität. Das ist der Widerspruch in diesem Film, vielleicht könnten ihn aber darum gerade in Deutschland beide Fronten unseres Volkes nebeneinander hören und sehen. (Anm.: So schrieb ich gestern abend vor den Ereignissen im Berliner Mozartsaal. Ich sehe keine Veranlassung, diese Anschauung nach den Ereignissen zu retuschieren.) Mit Recht wurde (z.B. durch H. Sinsheimer) darauf aufmerksam gemacht, dass diese Art Filme an sich heute dem Friedensgedanken nicht dienen. Heute ein rückwärts gewandter Pazifist zu sein, heute sein Gefühl und seine Tat von 1914, 1915, 1917, 1918 zu rationalisieren, zu analysieren und kritisieren – ist verlogen; und auch Flucht vor der Gegenwart. Ein Kriegsfilm, der heute zu drehen wäre, zeige das Grauen eines kommenden Jahrzehnts voraus, zeichne vor, wie nach diesem Krieg, der in seinen Anfängen ein Zögling des 19. Jahrhunderts war und in zwei, drei Jahren sich auf die grausige Höhe der Zerstörungstechnik neuester Forschungsergebnisse erhob, ein Krieg der gesteigerten Technik mit Gaswaffen, Ferngeschützen, Fliegerheeren, die schutzlose Weltstädte anfallen werde. Wenn er nicht (auch mit Hilfe solcher „Friedens“-Propaganda des Films) verhindert wird.

Film-Kurier, Nr. 288, 6.12.1930


Kommentar der Zeitschrift „Germania“ (Organ der Zentrumspartei)

[…] Das Bild aber, dass der Film vom deutschen Soldaten an der Front zeichnet, ist eine Beleidigung nicht nur der Millionen Toten, die ihre Treue und selbstlose Hingabe an das Vaterland mit dem Tode besiegelt haben, sondern überhaupt aller derer, die aus einer tief ethischen Grundhaltung heraus den schweren, tragischen Dienst mit der Waffe auf sich genommen haben. Wir behaupteten beim Erscheinen von Remarques Kriegsbuch, dass so, wie er den deutschen Soldaten schildert, die große Mehrzahl von ihnen nicht gewesen ist. Die Menschen bei Remarque – und in diesem Film wirkt das noch krasser, sind keine Menschen mehr mit Leib und Seele, sondern seelenlose Schemen, einzig und allein auf ihres Leibes Notdurft, auf Fraß und Suff bedachte Wüstlinge, die an allen Gliedern schlottern. Sobald sie im Graben liegen oder das Granatfeuer über sich ergehen lassen müssen. So hat der deutsche Soldat auch im Herbst 1918 nicht ausgesehen, als die Zermürbung rapide vorgeschritten war.

Germania, 5.12.1930


Kommentar der „Berliner Börsenzeitung“

[…] Aber haben wir es überhaupt nötig, Kriegsfilme, in deren Mittelpunkt deutsches Weltkriegsgeschehen steht, aus Amerika zu beziehen, von einem Amerikaner, der vermutlich niemals Deutschland, geschweige denn den Weltkrieg gesehen hat, inszeniert und von den amerikanischen Schauspielern und Komparsen dargestellt, – haben wir das wirklich nötig? Denn das ist doch von vornherein klar, dass die Amerikaner, selbst wenn die Verfilmung in unserem Sinne erfolgt wäre, uns auf diesem Gebiet niemals Letztes geben können, weil sie die Besonderheit der deutschen Seele, wie sie im Weltkriegsgeschehen ihren Ausdruck fand, unmöglich wiederverkörpern können… Aber von alledem weiß ein Film wie dieser nichts, und davon in diesem Zusammenhang sprechen, bedeutet soviel, wie einem Blinden von der Farbe zu erzählen. Es sind eben zwei verschiedene Welten. Die hier in tendenziös übersteigerter Einseitigkeit wiedergegebene lehnen wir ab. Es gibt heute noch ein Deutschland, dem das Weltkriegsgeschehen mit all seinen Schrecknissen als schwerste Prüfung und Läuterung eines Volkes heilig ist und das an das so oft missbrauchte Wort von der großen Zeit glaubt; Frontsoldaten, denen das Kriegserlebnis zu den heiligsten Erinnerungen gehört. Für alle diese ist solch ein Film eine unerhörte Beleidigung, die wir uns nicht bieten lassen sollten.

Berliner Börsenzeitung, 5.12.1930

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