Auszüge aus der Begründung des Verbots durch die Berliner Filmprüfstelle am 9. April 1932

Anwesende Personen:

  • Vorsitzender der Filmprüfstelle Ministerialrat Dr. Seeger,
  • die Beisitzer Kommerzienrat Scheer (München), Professor Langhammer (Berlin), Hauptlehrer Heerde (München), Stadtrat Asta Rötger (Berlin),
  • Ministerialrat im Reichsministerium des Inneren Dr. Haentzschel,
  • Graf Kessler,
  • die Rechtsanwälte der Produktionsfirma Dr. Dienstag und Otto Landsberg,
  • die Hersteller des Films Bertolt Brecht, Ernst Ottwalt, Slatan Dudow,
  • die Vertreter der Praesens-Film GmbH Hamburger und Franke.

„Die Prüfstelle hatte über die Frage, ob der Bildstreifen geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit oder lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden, Beweis erhoben durch Vernehmung des Oberregierungsrats Erbe vom Reichsministerium des Innern als Sachverständigen. Der Sachverständige hat sich hierzu wie folgt geäußert:

Der Bildstreifen enthalte einen scharfen Angriff auf die sozialdemokratische Partei und ihre Politik. Im ersten Teil solle der sozialdemokratische Arbeiter, ein alter, ruhiger Mann, dargestellt werden, der an sich mit den wirtschaftlichen Zuständen durchaus unzufrieden sei, sich aber doch letzten Endes mit ihnen abfinde oder, wie man sage, diese Zustände toleriere. Als er ausziehe in die Kolonie Kuhle Wampe finde er hinreichend Freude beim Essen und Trinken, erfreue sich an den seichten Darbietungen des Rundfunks, die in der Wiedergabe von Märschen bestehen. Er erquicke sich geistig an der Lektüre schlüpfriger Zeitungsberichte, er werde auch durch den Selbstmord seines Sohnes nicht weiter betroffen und finde sich mit allem ab.

Im zweiten Teil des Bildstreifens sehe man denjenigen Teil der Bevölkerung, der dem Kommunismus nahestehe, der nicht durch Tolerierung, sondern durch Gewaltsamkeit Aenderung der bestehenden Zustände erreichen wolle. Man sehe junge Leute sich im Sport stählen, der nicht Selbstzweck sei, sondern dazu dienen solle, die jungen Leute, die der kommunistischen Partei angehören oder durch diesen Bildstreifen gewonnen werden sollen, körperlich und seelisch für den Kampf um eine Neuordnung des Staatswesens reif zu machen, eine Neuordnung, die sich nur im Wege der Gewalt vollziehen könne und solle. Wenn man auf den Bildstreifen eingehe und Einzelheiten betrachte, finde man, dass der Sohn des Arbeiters, der aufgeregt nach Arbeit suche, nach Hause komme. Vorher habe die Mutter den Vater aufgefordert, ihm nichts von der neuen Notverordnung zu sagen. Es entstehe eine Debatte, in der der Vater sich doch zu der Bemerkung hinreissen lasse, er wisse wohl, dass jener keine Unterstützung mehr bekomme. Die Folge sei, dass der Sohn sich aus dem Fenster stürze und sich das Leben nehme. Diese Stelle könne nicht anders verstanden werden, als dass die Notverordnungen des Reichspräsidenten dazu geeignet seien, junge Leute zu veranlassen, sich das Leben zu nehmen. Das werde als typischer Fall dargestellt. Die Darstellung enthalte den denkbar schwersten Angriff auf die Regierung dahin, dass sie durch ihre Verordnungen jugendliche Erwerbslose in den Tod treibe. Der Familie werde die Wohnung gekündigt und die Tochter bemühe sich, Hilfe zu erlangen. Man sehe die Scene vor Gericht, wo der Richter Urteile der Räumungsklage in monotoner weise [i.O.] verlese. Wenn Zivilurteile auch zumeist nur im Tenor, nicht in den Gründen verlesen würden, so werde hier angegeben, dass die Verurteilten selbst Schuld daran seien, dass sie die Miete nicht aufbringen konnten. Der Vertreter der Justiz werde hier als Behörde dargestellt, die unbekümmert um die Notlage Urteile fälle, die dem gesunden Empfinden des Volkes ins Gesicht schlügen. Damit werde die Justiz angegriffen. Bei der Verlobungsfeier werde in eckelhafter [i.O.] Art dargestellt, wie die Leute aus dem Volke sich mit Essen und Trinken vergnügten. Die Beziehungen zwischen der Tochter und dem Arbeiter seien nicht ohne Folgen geblieben und man unterhalte sich darüber, wie das Mädchen die Folgen beseitigen könne. Es stelle sich dabei heraus, dass mit einem Betrag von 90 Mark die Abtreibung möglich sei. Nachdem Anni in den Sportverein eingetreten sei, erkläre ihr ihre Freundin, dass ihr aus Solidarität das Geld verschafft werde. Das erwecke den Eindruck, dass die Solidarität soweit gehe, eine Abtreibung sogar zu ermöglichen.

Bei der Scene, in der die jungen Mädchen und Männer nackt baden, höre man im Hintergrund Kirchenglocken läuten und sehe den Kirchturm. Damit solle die kommunistische Nacktkultur in scharfen Gegensatz gestellt werden zur christlichen Kultur, auf der das deutsche Staatswesen beruhe. – Bei der Vorführung des Sprechchores komme ein Lied vor mit den Worten: Man soll miteinander sympatisieren [i.O.]. Wenn einem Genossen die Wohnung gekündigt werde, stünden die Nachbarn wie ein einziger Mann auf. „Wirt, Gerichtsvollzieher, Polizei geben unter Druck die Bude frei“. Die Leute würden damit aufgefordert, durch Zusammenschluss Widerstand zu leisten.

Die Tendenz des Bildstreifens erhelle [sich] besonders deutlich aus dem Schluss, der zeige, dass die bestehenden wirtschaftlichen Zustände für die arbeitenden Kreise nur auf dem Wege der Gewalt geändert werden könnten. Die Gesamtdarstellung des Bildstreifens sei gefährlich, sodass er namens des Reichsministers des Inneren aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und lebenswichtiger Interessen des Staates nachdrücklich ein Verbot des Bildstreifens fordern müsse.

Auf Grund dieses Gutachtens hat die Filmprüfstelle die Vorführung des Bildstreifens verboten mit folgender Begründung:

Der Bildstreifen sei nach seinem Gesamteindruck und seiner Gesamtwirkung bei der notwendigen besonderen Berücksichtigung der gegenwärtigen Zeitumstände geeignet, die öffentliche Sicherheit und Ordnungund [i.O.] lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden. Ausschlaggebend für die Entscheidung der Kammer sei die Frage, ob die in dem ersten Teil des Bildstreifens geschilderten Schicksale der Familie Böhnicke [Bönike, Anmerkung FuG] als künstlerische Gestaltung eines Einzelschicksals aufzufassen seien oder ob sie typisch für die gesamte gegenwärtige Lage wirken sollten. Durch gewisse Einzelheiten der Spielhandlung einerseits, durch die betont propagandistische Zuspitzung und Steigerung des letzten Teiles andererseits, sei die Kammer zu dem Eindruck gekommen, dass die Typisierung dieser Einzelschicksale Absicht sei und auf den Durchschnittszuschauer als typisch wirke. […] Endlich komme in dem Eisenbahngespräch im letzten Akt des Bildstreifens deutlich die Neigung zum Ausdruck, dass von dem gegenwärtigen Staat und seinen Vertretern keine wirkungsvolle Hilfe gegen Not und Elend zu erwarten sei, dass eine Abhilfe nur dann zu erwarten sei, wenn die Welt geändert werde von denen, „denen sie nicht gefällt“. Damit werde in den Beschauern eindeutig der Eindruck hervorgerufen, dass der Staat in seiner heutigen Form unwillig und unfähig sei, der Not und dem Elend grosser Massen des Volkes zu steuern [i.O.] und dass eine Besserung nur von der Selbsthilfe des Volkes und von der Beseitigung des jetzigen Staates im Sinne einer kommunistischen Weltrevolution zu erwarten sei. Ein Bildstreifen, der in so wirksamer Form den Beschauern jedes Vertrauen in den Hilfswillen des Staates im Kampf gegenüber Not und Elend untergrabe, erschüttere die Grundlagen des Staates, der sich auf einer republikanisch-demokratischen Verfassung aufbaue[,] und sei deshalb zu verbieten. […]

Die öffentliche Ordnung und Sicherheit werden durch den Bildstreifen gefährdet, indem er, wie der Sachverständige des Reichsministeriums des Innern mit zutreffender Begründung festgestellt hat, die Aufforderung enthält,

1. zum Widerstand gegen die bestehende Staatsgewalt,

2. zum Ungehorsam gegen geltende Gesetze.

Zu 1. Was bedeutet es anderes als offenen Widerstand gegen die Staatsgewalt, wenn im siebenten Akt des Bildstreifens, der die Mietverhältnisse „in der Kösliner Strasse, Wedding Hinterhaus“ besingende Sprechchor dem ausgesteuerten und nur deshalb exmittierten Mieter rät, Geduld zu üben[,] bis „Proleten und Nachbarn einen Ring bilden“, bis auch der Möbelträger „sympathisiert“ und dann mit den Worten schliesst:

„Die Nachbarn stehen wie ein einziger Mann,

drum prallen auch die Herrn, kommt keener ran!

Der Wirt, Gerichtsvollzieher, Polizei,

die geben  u n t e r  D r u c k  die Bude frei“.?

Das ist so eindeutig, dass auch die Gegenüberstellung mit § 130 des Strafgesetzbuchs den Tatbestand der Aufforderung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht auszulöschen vermag.

Zu 2. Und was bedeutet es anderes als die Aufforderung zum Ungehorsam gegen den § 218 desselben Strafgesetzbuches, wenn hier die Abtreibung als etwas Selbstverständliches, als Alleinmittel dafür hingestellt wird, den unlustigen Bräutigam (Akt IV: Fritz: „Quatsch, ich will meine Freiheit behalten“, „Heiraten kommt garnicht in Frage; ich versau mir mein Leben nicht“ und Akt V derselbe: „weil ich reingefallen bin“) zur Heirat zu bewegen. Damit kommt die Andeutung, dass die „Solidarität“ des Sportvereins (Akt VI: „Wir haben ihr etwas Geld geborgt und jetzt ist alles in Ordnung“) auch die Kosten der Abtreibung (Akt IV „Neunzig Mark“) tragen hilft. Das ist keine – an sich erlaubte – Propaganda für die Abschaffung des im Bildstreifen wörtlich zitierten Abtreibungsparagraphen, das ist vielmehr Bagatellisierung einer geltenden Rechtsnorm und Aufforderung zu ihrer Nichtbeachtung.

Lebenswichtige Interessen des Staates gefährden die Darstellungen

1. des Selbstmordes eines jungen Arbeiters (Akt II),

2. die Verlesung von Exmissionsurteilen (Akt III).

Zu 1. Hier wird ein Einzelschicksal typisiert zu bewusster und nach Wirkung des Bildstreifens zielgerecht erreichter Hetze gegen die wirtschafts-politischen Notverordnungen der Reichsregierung, der damit vorgeworfen wird, dass sie durch ihre gesetzgeberischen Massnahmen jugendliche Erwerbslose in den Freitod treibe. Das kennzeichnet sich als verwerflicher Angriff auf die Leitung des Staates. […] Zu 2. Die Gegenüberstellung des eifrigen Bemühens Anni’s, durch Vorsprache beim Amtsgericht, Wohlfahrtsamt, Hauswirt und Gerichtsvollzieher die ihrer Familie drohende Exmission abzuwenden, mit der gegen die Familie Böhnicke gerichteten formularmässigen Feststellung durch den auf Räumung erkennenden Richter, dass „die Eheleute Böhnicke bei einigem guten Willen doch in der Lage gewesen seien, die fällige Miete zu bezahlen und ihre jetzige Notlage daher als  s e l b s t v e r s c h u l d e t  angesehen werden müsse“ (Akt III)[,] enthält den Vorwurf der Voreingenommenheit und Leichtfertigkeit. Es muss das Vertrauen des Volkes in die Rechtspflege erschüttern, wenn hier der Eindruck erweckt wird, dass die Justiz bei Proletariern den „selbstverschuldeten Notstand“ ohne nähere Prüfung und rein formularmässig feststellt. Die Justiz gehört zu den lebenswichtigen Einrichtungen des Staates, auf die nicht verzichtet werden kann, wenn der Staat sich nicht selbst aufgeben will […].

Entsittlichend wirken

1. die Darstellung der Verlobung (Akt IV),

2. die Badescene (Akt VI).

Zu 1. […] Eine solche Auffassung der Ehe (Akt IV: „Ob du Alimente zahlst und Ledigensteuer – dann heirat doch lieber“ und die oben zitierten Aussprüche Fritzens im IV. und V. Akte) ist geeignet, die Ehe als durch den gesetzlichen Verbotsgrund der entsittlichenden Wirkung geschütztes Rechtsgut […] und damit das sittliche Empfinden des Beschauers herabzuwürdigen und zu schädigen.

Zu 2: Solange öffentliches gemeinsames Nacktbaden der Geschlechter in Deutschland polizeilich nicht gestattet ist, würden derartige Darstellungen, wenn sie in öffentlichen Lichtspieltheatern gezeigt werden, auf grosse Teile des Volkes schamverletzend und damit entsittlichend wirken […].

Dem Vorschlag des Sachverständigen zweiter Instanz, […] auf Teilverbote zu erkennen, konnte die Oberprüfstelle nicht beitreten, weil über diese Bildfolgen hinaus die Gesamthaltung des Bildstreifens staatsgefährlich ist. Vom ersten bis zum letzten Akt wird in steigendem Masse zum Ausdruck gebracht – und im Bahngespräch am Schluss des Bildstreifens offen ausgesprochen – , dass der gegenwärtige Staat unfähig und nicht in der Lage ist, der Not und dem Elend der Massen zu steuern. […] Hiernach ist die Gesamtdarstellung des Bildstreifens geeignet, an den Grundfesten des Staates zu rütteln und mit der unmissverständlichen Aufforderung zu Umsturz und Gewalt den Bestand des Staates zu erschüttern, somit lebenswichtige Interessen im Sinne der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten vom 6. Oktober 1931 zu gefährden […].

Damit rechtfertigt sich das vom Sachverständigen erster Instanz geforderte und von der Prüfstelle ohne Rechtsirrtum ausgesprochene[,] von der Oberprüfstelle hiermit bestätigte Vollverbot des Bildstreifens […].“

 

Der vollständige Wortlaut des Sitzungsprotokolls kann auf der Seite des Deutschen Filminstituts abgerufen werden (hier zitiert: S. 7-11, 12-13, 23-28).


Auszüge aus der Mitteilung der Berliner Filmprüfstelle an die Regierungen der Länder vom 26. April 1932:

Der von der Filmoberprüfstelle durch Entscheidung vom 9. April 1932-Nr. 4634 – verbotene Bildstreifen „Kuhle Wampe“ ist nach Umarbeitung durch die herstellende Firma auf Grund von § 7 des Lichtspielgesetzes vom 12. Mai 1920 nunmehr zur öffentlichen Vorführung im Deutschen Reich, ausgenommen vor Jugendlichen, zugelassen worden. […]

Folgende Teile sind von der herstellenden Firma aus dem Bildstreifen entfernt worden:

1) Im II. Akt der Sprechtitel: „Halt ihm aber nicht gleich wieder die Notverordnung unter die Nase“.

2) Im III. Akt: ein Richter in Grossaufnahme verliest Exmissionsurteile gegen die Beklagten Dickmann und Linde.

3) Im IV. Akt der Titel: „Strafgesetzbuch § 218 Abs.1“ und der Sprechtitel: „Eine Frau, die ihre Frucht im Mutterleib tötet, oder die Tötung durch andere zulässt, wird mit Gefängnis bestraft“.

4) Im VI. Akt die Titel: „Im Leben Kuhle Wampes spielen kleinbürgerliche Probleme noch eine grosse Rolle“. „Ganz andere Probleme beschäftigen die Massen der Arbeitersportler am Wochenende.“

5) Im VI: Akt der Sprechtitel: „Wir haben ihr etwas Geld geborgt und jetzt ist alles in Ordnung“.

6) Im VII. Akt der Sprechtitel: „Die Nachbarn stehen wie ein einziger Mann, drum prallen auch die Herrn – kommt keener ran; der Wirt, Gerichtsvollzieher, Polizei, die geben unter Druck die Bude frei!“

7) Im VII. Akt das Ausrufen von Zeitungen durch den Zeitungshändler.

Darüber hinaus sind von der Filmprüfstelle die nachstehend aufgeführten Teile verboten worden:

1) Im II. Akt der Sprechtitel: „Vielleichst siehst du dir auch mal die neue Verordnung über den Abbau der Arbeitslosenunterstützung an. Dreissig Mark weniger im Monat.“

2) Im IV. Akt die Sprechtitel: „Ja, bei beiden Adressen, aber das wird nicht gehen.“ „Warum nicht?“ „Neunzig Mark.“ „Und das billigere?“

3) Im IV. Akt die Bildfolge, in der ein Auto mit der Aufschrift „Fromm’s Akt“ erscheint.

4) Im VI. Akt sämtliche Bildfolgen der Nacktbadescene.


Der vollständige Wortlaut des Beschlusses kann auf der Seite des Deutschen Filminstituts abgerufen werden.

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