Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? (1932)
Der 1932 von Slatan Dudow inszenierte Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?, dessen Drehbuch Bertolt Brecht und Ernst Ottwald verfassten, gehört neben Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929, Regie: Phil Jutzi) und anderen Produktionen der Prometheus-Film GmbH zu den wenigen proletarischen Spielfilmen der Weimarer Republik. Bei seiner Fertigstellung verboten, mit Kürzungen schließlich freigegeben und 1933-1945 erneut verboten, stellt Kuhle Wampe heute ein bemerkenswertes Dokument aus der Spätphase der Weimarer Republik dar, das sich durch die Anprangerung der sozialen Mißstände und klare politische Positionierung zugunsten der KPD von den eskapistischen Unterhaltungsfilmen abhebt, die das Bild der frühen Tonfilmepoche prägten (Die Drei von der Tankstelle, Der Kongreß tanzt u.a.).
Inhalt
Im Mittelpunkt des episodenhaft inszenierten Films steht die junge, aus einer Arbeiterfamilie stammende Anni Bönike. Nachdem ihr arbeitsloser Bruder Selbstmord begangen hat und die Bönikes die Miete für ihre Wohnung nicht mehr aufbringen können, zieht Anni mit ihren Eltern in die Arbeitslosenkolonie Kuhle Wampe – ein Zelt- und Barackenlager am Müggelsee vor den Toren Berlins. Auf Druck ihrer Eltern verlobt sich Anni dort mit ihrem Freund Fritz, von dem sie schwanger ist, dessen Kind sie aber mangels finanzieller Mittel nicht abtreiben kann. Da beide die Verbindung innerlich ablehnen, entschließt sich Anni noch in der Nacht ihrer Verlobung, Fritz, den Eltern und der Kuhlen Wampe den Rücken zu kehren und zu ihrer Freundin zu ziehen, der im Arbeitersportverein „Fichte“ engagierten Gerda. Gerda, ihr Freund Kurt und die Gemeinschaft der jungen Arbeitersportler nehmen Anni bei sich auf. Fritz, der im Heim der Arbeitersportler nach ihr Ausschau hält, wird von Gerda und Kurt auf die anstehenden Wettkämpfe hingewiesen, die die jungen Arbeiter in freier Natur austragen. Das Sportfest bildet den Schlussteil des Films. Anni und Fritz scheinen sich wieder näherzukommen. Auf der Heimfahrt mittels Straßenbahn verstricken sich die Arbeitersportler mit den bürgerlichen Fahrgästen in eine politische Diskussion, die die gesellschaftlichen Gegensätze deutlich hervortreten lässt.
Produktion: | Prometheus Film-Verleih und Vertrieb GmbH Berlin, Praesens-Film GmbH Berlin |
Drehzeit: | August 1931 – Februar 1932 |
Erstverleih: | Praesens-Film GmbH Berlin |
Regie: | Slatan Dudow |
Buch: | Bertolt Brecht, Ernst Ottwald, Slatan Dudow |
Produzent: | Willi Münzenberg, Lazar Wechsler |
Produktionsleitung: | Georg M. Höllering, Robert Scharfenberg |
Aufnahmeleitung: | Karl Ehrlich |
Kamera: | Günther Krampf |
Musik: | Hanns Eisler (Liedtexte: Bertolt Brecht, Ernst Busch) |
Ton: | Carl-Erich Kroschke, Fritz Michelis |
Schnitt: | Peter Meyrowitz |
Bauten: | Robert Scharfenberg, Carl Haacker |
Uraufführung: | 14.05.1932, Moskau |
Darsteller: | |
Hertha Thiele | Anni Bönike |
Ernst Busch | Fritz |
Adolf Fischer | Kurt |
Lilli Schoenborn | Mutter Bönike |
Martha Wolter | Gerda |
Gerhard Bienert | Zeitungsleser in der S-Bahn |
Erwin Geschonneck | Arbeitersportler |
Alfred Schäfer | Otto |
Martha Burchardi | |
Carlheinz Carell | |
Carl Dahmen | |
Fritz Erpenbeck |
Verleihinformation
Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? kann für die nichtkommerzielle Ausleihe bei der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und dem Deutschen Filminstitut (DIF) bezogen werden. Auf DVD wird der Film von Absolut Medien vertrieben. Diese im Jahr 2008 veröffentlichte Edition beinhaltet auch ein umfangreiches Booklet, den Kurzfilm Zeitprobleme: Wie der Berliner Arbeiter wohnt (1930, Slatan Dudow) und die Produktion des DDR-Fernsehens Feigenblatt für Kuhle Wampe (1975), in der die verschollenen Szenen und der Zensurprozess durch die Berliner Filmprüfstelle im Jahr 1932 nachinszeniert wurden.
In der Endphase der Weimarer Republik konnte mit „Kuhle Wampe“ noch einmal einFilm hergestellt werden, der nicht nur wegen der Klarheit seiner politischen Assage sondern auch wegen der Umstände seiner Her- und Fertigstellung und der politischen Auseinandersetzungen um das Filmverbot von besonderer Bedeitung war und ist.
Ein besonderes Element der Filmproduktion war die kollektive Arbeitsweise. Daher können auch die Anteile, die etwa Dudow, Brecht oder Ottwald an dem endgültigen Produkt hatten nicht klar voneinander abgegrenzt werden.
Im Sommer 1931 begannen die Vorarbeiten zum Film, der dann in einem monatelangen Arbeitsprozessfertig gestellt wurde. Kurz vor Abschluss der Dreharbeiten für Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? ging die Prometheus Film in Konkurs. Ein schweizer Filmfirma, die „Praesenz GmbH“ konnte darufhin für das Prohjekt gewonnen werden. Soe übernahm die finaziellen Verpflichtungen gegenüber der „Tobis“ (Tonlizenzen) und steuerte selbst noch 35.000 Mark für die Endfertigung bei. Insgesamt kostete der Film zwischen 230.000 und 250.000 Mark, eine Summe, die nur wegen derunendgedlichen Arbeit vieler Mitwirkender so niedrig gehalten werden konnte.
Kaum war der Film fertig, wurde er sofort verboten.
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit im Film |
1 |
Vorspann. |
0.43 |
0.00 – 0.43 |
2 |
Zwischentitel: „I. Ein Arbeitsloser weniger“ Berliner Arbeiterquartiere, Höfe und Straßenschluchten. Verschiedene Zeitungsschlagzeilen künden vom Anstieg der Arbeitslosen auf über 5 Millionen. |
1.14 |
0.43 – 1.57 |
3 |
Junge Männer erwarten das Eintreffen frisch gedruckter Zeitungen, um daraus die neuesten Stellenanzeigen zu erfahren. Eine Gruppe zieht auf Fahrrädern los und klappert auf der erfolglosen Suche nach Arbeit verschiedene Fabriken ab. |
5.38 |
1.57 – 6.35 |
4 |
Ein arbeitsloser junger Mann, der Sohn der Familie Bönike, kommt nach Hause. Beim Abendessen werfen die Eltern ihm Tatenlosigkeit und mangelnden Einsatz vor. Schwester Anni nimmt ihn in Schutz. Als der Sohn allein in der Stube verbleibt, tritt er ans Fenster, nimmt seine Armbanduhr ab und stürzt sich in die Tiefe. Im Innenhof scharen sich die Hausbewohner um den Toten. Ausschnitte aus ihren Gesprächen werden gezeigt. Der Leichenwagen fährt ab. |
5.49 |
6.35 – 12.24 |
5 |
Zwischentitel: „II. Das schönste Leben eines jungen Menschen“ Naturaufnahmen: Wald und Wiesen, Gräser, das Ufer eines Sees. |
0.51 |
12.24 – 13.15 |
6 |
Das Amtsgericht, Abt. Mietssachen, verfügt, dass die zahlungssäumige Familie Bönike ihre Wohnung verlassen muss. Um die Räumung zu verhindern, sucht Anni Bönike das Wohlfahrtsamt, den Hauswirt und den Gerichtsvollzieher auf. Von einer Telefonzelle aus hält sie Rücksprache mit ihrem Freund Fritz, der sie auffordert, mitsamt ihrer Familie nach „Kuhle Wampe“ überzusiedeln. |
6.35 |
13.15 – 19.50 |
7 |
Fritz und Anni transportieren die Habseligkeiten der Bönikes nach „Kuhle Wampe“. Impressionen aus der Zeltkolonie. Die Familie richtet sich ein, während im Off Marschmusik aus dem Rundfunkempfänger klingt. |
3.55 |
19.50 – 22.45 |
8 |
Anni und Fritz gehen spazieren. Es folgt eine Montage aus Landschaftsimpressionen, zu denen Helene Weigel im Off „Das Spiel der Geschlechter“ singt. |
3.01 |
22.45 – 25.46 |
9 |
Vater Bönike liest eine Kolportage über Mata Hari vor, während die Mutter ihr Haushaltsbuch schreibt. Anni kommt dazu. |
2.44 |
25.46 – 28.30 |
10 |
Anni und Fritz wechseln dürre Worte, aus denen hervorgeht, dass Anni schwanger ist und bei den von Fritz empfohlenen Adressen keine Abtreibung vornehmen lassen kann. Der Vater droht Anni, sie totzuschlagen, „wenn was passiert“. Weibliche Fließbandarbeit in einer Fabrik. Anni wechselt einige Worte mit ihrer Kollegin Gerda. Ein Kollege rät Fritz zur Heirat. |
3.11 |
28.30 – 31.41 |
11 |
Fritz und Anni verlassen gemeinsam die Baracke und begegnen beim Spaziergang einer Gruppe Kinder. Es folgt eine Montage, die Annis seelische Zerrissenheit über die Frage ihrer Mutterschaft verdeutlicht. |
2.27 |
31.41 – 34.08 |
12 |
Im Gespräch mit einem Kollegen, der ihn ins Kino begleitet, erklärt Fritz, Anni nicht heiraten zu wollen. Im Gespräch mit Annis Vater erklärt sich Fritz zur Heirat mit Anni bereit, da ihm nichts anderes übrig bliebe. |
1.01 |
34.08 – 35.09 |
13 |
Die Verlobungsfeier. Zu Marschmusik wird getrunken und gezecht. Zu fortgeschrittener Stunde kommt es zu einem schroffen Wortwechsel zwischen dem Brautpaar. Während das Besäufnis exzessive Formen annimmt, macht sich Anni mit ihrer Freundin Gerda auf den Fußweg in die Stadt und lässt sich auch von ihren Eltern nicht zurückhalten. |
9.01 |
35.09 – 44.10 |
14 |
Gerda und Anni erreichen Annis Wohnung. Es folgt eine Montage mit Industrieaufnahmen. |
1.44 |
44.10 – 45.54 |
15 |
Im Heim der Arbeitersportler werden Flugblätter vervielfältigt und Plakate vorbereitet. Gerda und Kurt unterhalten sich über Anni. Fritz stattet den Arbeitersportlern einen Besuch ab, um Erkundigungen über Anni einzuziehen. Gerda und Kurt fordern Fritz auf, die Arbeiterwettspiele zu besuchen, wenn er Anni treffen möchte. |
3.13 |
45.54 – 49.07 |
16 |
Kurt und Genossen starten auf ihren Motorrädern. Abteilungen der Arbeiterjugend marschieren durch die Straßen Berlins und auch durch „Kuhle Wampe“. Impressionen vom Frauenrudern, Wettschwimmen und Motorradrennen. |
3.13 |
49.07 – 52.20 |
17 |
Nach Ende der Wettkämpfe tritt eine Agitprop-Gruppe vor den versammelten Jugendlichen auf. Gemeinsam wird das Solidaritätslied gesungen. |
4.04 |
52.20 – 56.24 |
18 |
Zeltlagergemütlichkeit. Gerda und Kurt fragen sich, ob Anni und Fritz doch noch heiraten werden. Die Wassersportler rudern auf den See hinaus. Andere Jugendliche fahren auf Motor- und Fahrrädern in die Stadt zurück. |
2.53 |
56.24 – 59.17 |
19 |
Rückfahrt in der Straßenbahn. Fritz sitzt neben Anni und streichelt ihr Haar. Ein zeitunglesender Fahrgast gibt bekannt, dass in Brasilien die überschüssige Kaffeeproduktion des Landes vernichtet würde. Unter den Fahrgästen entspinnt sich eine Diskussion, die in Gerdas Feststellung gipfelt, dass diejenigen die Welt ändern würden, denen sie nicht gefällt. Das Schlussbild zeigt die jungen Arbeiter, die durch einen U-Bahntunnel dem Ausgang entgegen strömen. |
9.18 |
59.17 – 68.35 |
Zentrale Bedeutung für die agitatorische Absicht des Films bildet die hitzige Diskussion zwischen den Fahrgästen in der abschließenden Straßenbahn-Szene (Sequenz 19), deren Dialoge an dieser Stelle wiedergegeben sind. Gerhard Bienert spielt den Zeitungslesenden Fahrgast, der den Mitfahrenden eine Meldung kundtut, nach der die brasilianische Regierung ihre überschüssige Kaffeeproduktion vernichten lässt, um den Marktwert stabil zu halten. An dieser Meldung entzündet sich eine weltanschauliche Diskussion zwischen den jungen Arbeitern und einem reaktionär-bürgerlichen Wortführer. Im Film sprechen die Darsteller mit Berliner Akzent, der nicht in die Transkription übernommen wurde.
Diskussion
Zeitunglesender Fahrgast: „In Brasilien haben Sie 24 Millionen Pfund Kaffee verbrannt.“
Zufälliger Zuhörer: „Was haben die mit dem Kaffee gemacht?“
Zeitunglesender Fahrgast: „Verbrannt. Einfach verbrannt.“
Fahrgast #2: „24 Millionen Pfund Kaffee verbrannt? Das halt ich glattweg für ‘ne Verhetzung.“
Älterer Fahrgast: „Das hab ich auch gelesen. Aber das kann ich nicht glauben.“
Fahrgast #3: (überheblich) „Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand, dass sowas gar nicht möglich sein kann.“
Zeitunglesender Fahrgast: (liest vor) „Verbrannter Kaffee. Irrsinn der Weltwirtschaft. Hier – bitteschön. In St. Cruz, dem größten Kaffeehafen der Welt, lagert mehr Kaffee als die Welt fähig ist zu kaufen. Alles zusammen 12 bis 15 Millionen Sack – mehr als eine volle Jahresproduktion Brasiliens. Und da immer mehr Kaffee zu diesem Kaffee hinzukommt, lässt die Regierung den Überschuss verbrennen.“
Fahrgast #2: „Brauchen Sie gar nicht mehr vorzulesen! Den Käse kennen wir.“
Zeitunglesender Fahrgast (?): „Wir haben teuren Weizen und arbeitslose Industriearbeiter, während Argentinien teure Industriewaren hat und arbeitslose Landarbeiter – und das ganze heißt Weltwirtschaft und ist eine Affenschande.“
Arbeiter #1: „24 Millionen Pfund Kaffee verbrannt – das ist aber wirklich ‘ne Affenschande.“
Arbeiter #2: „Mit uns können sie‘s ja machen.“
Fahrgast #3: „Sehr richtig.“
Älterer Fahrgast: „Ich verstehe das Ganze nicht. Kaffee verbrennen, was soll denn das eigentlich für einen Zweck haben?“
Anni: „Das ist doch die reine Bosheit von den Leuten.“
Fritz: „Bosheit? Die sind nicht mal bösartig, wenn sie nicht hier-“ (Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander.)
Arbeiter #4: „Sie wollen die Herren wohl noch in Schutz nehmen, was? Sie finden das ganz in Ordnung, dass die den schönen Kaffee verbrennen?“
Fahrgast #3: „Erlauben Sie mal, das hat ja der Herr gar nicht gesagt. Der Herr hat ja ganz klipp und klar gesagt – was haben Sie noch gleich gesagt, Herr Nachbar?“
Hausfrau #1: „Wissen Sie, Kaffee darf nie kochen. Kaffee darf nie kochen. Wenn der Kaffee erst gekocht hat, isses aus mit dem Kaffee.“
Hausfrau #2: „Und dann, den Kaffee niemals in der Blechkanne ausschenken – geht das ganze Aroma flöten.“
Zeitunglesender Fahrgast: „Steht ja alles hier drin. Darum haben sie das gemacht, weil sie den Kaffeepreis hochhalten wollen.“
Fahrgast #2: „Seh’n Sie!“
Zeitunglesender Fahrgast: (äfft ihn nach) „Seh’n Sie … Wir müssen die hohen Preise doch bezahlen.“
Fahrgast #2: „Und warum zahlen wir die hohen Preise? – Weil uns die Hände gebunden sind. Weltpolitisch…“
Fahrgast #3: „Sehr richtig.“
Fahrgast #2: „Wenn wir ‘ne Flotte hätten, dann hätten wir auch Kolonien. Wenn wir Kolonien hätten, dann hätten wir auch Kaffee. Und wenn wir Kaffee hätten –“
Zeitunglesender Fahrgast: „Na was wäre denn Ihrer Meinung nach? Sprechen Sie sich ruhig aus. Dann geh’n die Preise wohl runter, oder was?“
Fahrgast #2: „Das soll’n sie ja gar nicht. Aber dann machen wir doch das Geschäft…“
Kurt: „Ich höre immer wir. Wer is’n das – wir? Sie und ich? Und der Herr da – und die Dame da – und der alte Mann da? Also wir machen das Geschäft? Mensch – das glauben Sie doch selber nicht.“
Rechnender Fahrgast: „24 Millionen Pfund, 36 mal 24 … ne Null dran .. noch ne Null dran… Da haben sie 86 Millionen weggeschmissen?! Und das soll ein Geschäft sein?“ (rechnet erneut) „Wenn das Pfund drei Mark sechzig kostet…“
Sitznachbarin: „Was denn, drei sechzig?! Mann, da müssen Sie aber ‘ne noble Marke gewohnt sein.“
Fahrgast #2: „Herrschaften! Ich sag’s ja immer wieder: Bevor in unserem Volk nicht wieder mit Pfennigen gerechnet wird, solange wird unser Volk auf keinen grünen Zweig kommen.“
Fahrgast #3:„Sehr richtig.“
Kurt: „Na Sie sehen gerade so aus, als ob Sie mit Pfennigen rechnen.“
Rechnender Fahrgast: „Also – ein Pfund drei Mark sechzig…“
Sitznachbarin: „Aber wieso denn drei sechzig? Für zwei Mark vierzig kriegen Sie schon ‘n ganz guten Kaffee…“
Sitznachbarin #2: „Ich habe welchen schon für zwei Mark gekauft.“
Rechnender Fahrgast: „So? Sagen wir drei Mark. Kommt ja gar nicht darauf an.“
Sitznachbarin: „Also nun hören Sie sich sowas an. Ich sage zwei fuffzig und er sagt drei Mark – und da soll kein Unterschied sein?“
Rechnender Fahrgast: „24 Millionen mal dreihundert…“
Fritz: „Die verdienen doch nicht an dem, was sie wegschmeißen. Sondern an dem, was sie behalten und uns teuer verkaufen.“
Arbeiter #2: „Es muss immer weniger Ware da sein als gebraucht wird – sonst gibt‘s doch kein Geschäft.“
Gerda: „Geschäfte kann man doch bloß machen, wenn’s immer noch Leute gibt, die was brauchen und nichts kriegen.“
Hausfrau #1: „Krisenunterstützung beziehen sie, aber Kaffee saufen sie pfundweise, dass man’s im ganzen Treppenhaus riecht. Ich will ja nichts sagen, aber ich hab‘ grad zu meinem Mann gesagt, [unverständlich] das geht da nicht mit rechten Dingen zu.“
Fahrgast #3: „Kaffee ist überhaupt Luxus. Früher haben die Leute auch keinen Kaffee getrunken.“
Kurt: „Früher sind die Leute ja auch in der Postkutsche gefahren.“
Fahrgast #2: „Ich verbitte mir die parteipolitische Verhetzung.“
Kurt: „Wieso Hetze? Was Sie treiben, ist Hetze!“
Fahrgast #2: „Nun mal immer ruhig Blut, junger Mann.“
Kurt: „Ich bin nicht Ihr junger Mann!“
Fahrgast #2: „Bei Ihnen merkt man auch, dass Sie nicht mehr beim Kommiss gewesen sind.“
Kurt: „Na und Sie – Sie sind wohl Unteroffizier gewesen, was?“
(Fahrgast #2 und die jungen Arbeiter geraten lautstark aneinander.)
Fahrgast #2: (droht mit dem Finger) „Sie!“
Kurt: „Machen Sie’s Maul zu, sonst fallen Ihnen die Sägespäne aus’m Kopf.“
Fahrgast #2: „Ich warne Sie! Jede Beleidigung kostet vierzig M!“
Kurt: „Pluster dich nicht auf.“
Fahrgast #2: „Seit wann duzen wir uns denn! Wir sind doch nicht zusammen auf’m Misthaufen gelegen.“
Fahrgast #3: „Sehr richtig.“
Arbeiter #1: „Wo andere Leute n Kopf haben, da haben Sie’n Pickel!“
Älterer Fahrgast: (erhebt sich) „Aber meine Herren, ich muß doch endlich um Ruhe bitten. Sie sind doch nicht alleine im Coupé. Jetzt reden Sie hier dauernd vom Kaffee in Brasilien. Tja, meine Herren, ich frage Sie, was geht Sie der Kaffee in Brasilien an?“
Fahrgast #3:„Sehr richtig. – Und überhaupt ist heute Sonntag.“
Kurt: „Na wenn Sie von Kaffee nichts hören wollen, dann will ich Sie mal was fragen: Brot essen Sie doch wohl, Herr Nachbar, was? Was sagen Sie denn dann zu dem Weizen, den sie in Amerika [unverständlich] verfeuern?“
Gerda: „Ja, und die Baumwolle!“
Angetrunkener Fahrgast: (redet auf seinen kahlköpfigen Sitznachbar ein] „Seh’n Sie, wir brauchen ja gar nicht so viel Kaffee. Wir sind ein sparsames Volk. Die Hauptsache ist, wir machen uns vom Ausland unabhängig. Wenn wir in Deutschland unseren Kaffee selbst anbauen würden. Da wird im Rheinland so viel Wein angebaut – dafür müsste man Kaffee anbauen. Seh’n Sie, den Wein könnten wir auch in Frankreich kaufen. Und da wär gleich [unverständlich] in Europa.“
Der Kahlkopf: „Tja, wir beiden, wir werden die Welt auch nicht ändern.“
Kurt: „Richtig – Sie werden die Welt nicht ändern. Und die Dame da“ (er blickt zu Hausfrau #1) „wird sie auch nicht ändern. Und der Herr auch nicht. Und ‘n Unparteiischer wie Sie“ (er blickt zu Fahrgast #3) „schon lange nicht. Und dieser Herr hier“ (er blickt zu Fahrgast #2) „der wird die Welt auch nicht ändern. Dem gefällt sie ja so wie sie ist.“
Fahrgast #2: (höhnisch) „Und wer wird sie ändern?“
Gerda: „Die, denen sie nicht gefällt.“
Hanns Eisler und die Musik in „Kuhle Wampe“. In: Wem gehört die Welt – Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik. Berlin 1977, S. 543-545.
Thomas Adank
Eislers Engagement für Filmmusik ist nicht zufällig, geht nicht auf im Motiv des Broterwerbs. Im Gegenteil, ihm ist Filmmusik die Musik mit Perspektive: „Verbindet sich Musik mit anderen Künsten: Poesie, Theater, Tanz, wird sie zur angewandten Musik, dann bekommt selbst Abgenütztes einen neuen Sinn und damit eine neue Nützlichkeit… Durch die Entwicklung der mechanisierten Reproduktionsmittel wie Radio, Film, Fernsehen, ist bekanntlich der Sektor der angewandten Kunst außerordentlich groß geworden … Ein neuer musikalischer Stil wird aber am ehesten durch die angewandte Musik, die breiten Massen er fassen, denn er gibt der Musik das heute so notwendige Rückgrat und ermöglicht ihr, sich vom Privaten zum Allgemeinem, zum Gesellschaftlichen zu erheben.“ [1]
Daraus wird ersichtlich, daß Eisler zwar nicht der Konzertmusik, aber der esoterischen „autonomen“ Musik eine Abfuhr erteilt, daß er Massenwirksamkeit als politisch und musikalisch wichtige Komponente begreift. Massenwirksamkeit hat Eislers Musik in „Kuhle Wampe“ zweifelsohne gefunden (man denke nur an das Inserat des Atriumtheaters: „In der ersten Woche über 14000 Besucher!“). [2] Massenwirksamkeit ist für Eisler nicht identisch mit „Opium für das Volk“, sie ist vielmehr Resultat der fortschrittlichen Inanspruchnahme der technischen Möglichkeiten. Daß Massenwirkungen allerdings auch volksfeindlich sein können, zeigt die Geschichte: „Die materiellen Ursachen dieses eigentümlichen Verfalls der Musikkultur im Kapitalismus sind die neuen technischen Erfindungen wie Schallplatte, Radio und Tonfilm. Erst diese technischen Erfindungen ermöglichten die ungeheure Ausbreitung der leichten Musik … Technisch gesehen ist diese vorher nie geahnte Demokratisierung des Musikgenusses etwas Großartiges. Aber die auf diese Weise so leicht und billig zu erlangende Musik spiegelt größtenteils in einer abscheulichen Weise die schmutzige Erotik, die verlogene Moral der verfaulenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung wider, die eine neue Art ‚Opium für das Volk‘ ist.“ [3]
Eislers Ziel war, sich von dieser „verlogenen“ Praxis abzusetzen, und die Richtung zu finden, die eine fortschrittliche Filmmusik einschlagen kann. Diese Abgrenzung schlug sich nieder in Eislers Distanzierung von der bisher üblichen Bild-Ton-Beziehung: der Illustration: „Er stellt sich bewußt abseits der üblichen Illustrationsmethode. Seine Musik will nicht bestimmte Vorgänge oder Bildmotive ‚untermalen‘, impressionistisch, wie es die Filmillustration im Grunde immer getan hat. Seine Musik ist aktiv, verlangt eine gewisse geistige Mitarbeit des Publikums, weil sie nicht nur klingt, sondern ganz bewußt Stellung nimmt.“ [4]
Daß Eisler schwergewichtig die Kontrapunktierung als Beziehung von Musik und Bild wählt, liegt wesentlich auch in diesem Abgrenzungsbedürfnis, in seiner Einschätzung der bisherigen Filmmusik als Komponente der Ware Film: „Kontrapunktierende Musik dagegen kehrt sich gegen jeglichen Illusionismus. Sie schafft eine Rezeptionssituation, die dem Betrachter das Behagen raubt: die Bilder behaupten etwas, die Töne behaupten das Gegenteil; hält er sich an die Bilder, so stören ihn die Töne; hält er sich an die Töne, so kommt er mit den Bildern nicht zurecht … er wird auf Distanz gerückt.“ [5]
Die Musik im Film
Die Musik in „Kuhle Wampe“ ist nicht ausschließlich von Hanns Eisler komponiert. Im Kontrast, der erst die Potenz von Eisler erkennen läßt, stehen Märsche – der „Schwarzenbergmarsch“, „Deutsche Kaiserklänge“ – im weiteren das Polka-Potpourri „In Rixdorf ist Musike“. In bezeichnendem Zusammenhang kommen Schlager wie „Schöner Gigolo, armer Gigolo …“ dazu. Bei feucht-fröhlicher Atmosphäre noch der „Gesang“ „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit“ wird der „Schöne Gigolo“ als Grammophon-Musik abgespielt, unter chaotischem Mitsingen der betrunkenen Hörerschaft, die sich zudem in Schunkeln ergeht. Ihren Platz bekommen diese Stücke durch den Maßstab der Musik Eislers zugewiesen.
Diese arbeitet mit verschiedenen Techniken. Einerseits sind Szenen zu finden, in denen die Musik direkt durch das Bild evident wird, wenn etwa die Agitpropgruppe auftritt, wenn Arbeiter durch die Straßen ziehen und das Solidaritätslied singen. Andererseits wird Musik „off“ gespielt, bei der Interpretation des Frühjahrsliedes, des Sportliedes und der Schlußmusik, dem Solidaritätslied mit Ernst Busch. Strukturell wichtig sind die Orchesterstücke, die den Film gliedern. Zu Beginn des Films als Vorspann: „Traurig verfallene Vorstadthäuser, Slumdistrikt in all seinem Elend und Schmutz. Die ‚Stimmung‘ des Bildes ist passiv, deprimierend: sie lädt zum Trübsinn ein. Dagegen ist rasche, scharfe Musik gesetzt, ein polyphones Präludium, Marcato-Charakter. Der Kontrast der Musik – , der strengen Form sowohl wie des Tanz – zu den bloß montierten Bildern bewirkt eine Art Schock, der, der Intention nach, mehr Widerstand hervorruft als einfühlende Sentimentalität.“ [6]
Neben Bläsern sind Klavier und Pauken eingesetzt, die beiden letzteren durchgehend schnell rhythmisierend. Eisler und Adorno bezeichnen diese Art der Beziehung von Ton zu Bild als „Dramaturgischen Kontrapunkt“, der zeigt wie „… Musik, anstatt sich in der Konvention der Nachahmung des Bildvorgangs oder seiner Stimmung zu erschöpfen, den Sinn der Szene hervortreten läßt, indem sie sich in Gegensatz zum Oberflächengeschehnis stellt.“[7]
In diesem ersten Orchesterstück ist Bewegung gegen Ruhe gesetzt. Einen zweiten Einschnitt ergibt das Orchesterstück zu Beginn des II. Teils „Das schönste Leben eines jungen Menschen“. Im Bild zu sehen: „Waldwege, Wald im Sonnenschein, sich im Winde bewegende Gräser und Baumkronen. Der Wind nimmt an Stärke zu, schüttelt das Schilf und schleudert das Wasser des Sees in starkem Wellengang gegen das Ufer.“ [8]
Die Musik steht im gleichen Rhythmus wie das Bild, sie steigert sich von ruhig fallenden Motiven und Sequenzen zu sehr raschen und dramatischen Baßformeln, die mit dem letzten Bild, zwei Bäumen vor dem bewegten Wasser, in ebenfalls zwei kirchentonalen Schlußkadenzen aufgefangen werden. Die Bild-Ton-Beziehung ist hier eine gegenseitig unterstützende: Die Natur bewegt die Musik, wie die Musik die Bewegung der Natur dramatisiert, die eine ist die Paraphrase der anderen. Die beiden aufgeführten Orchesterstücke bezeichnen zwei Möglichkeiten der Verbindung von Musik und Bild; gemeinsam ist ihnen auf der Ebene des Bildes die Montage, in der Musik die geschlossene Form. Der III. Teil, „Wem gehört die Welt“, wird ebenfalls mit einem Orchesterstück eröffnet. Zu einer Montage mit Kränen, Kohlenhalden und Silos, großindustriellen Symbolen, wird erstmalig die Thematik des „Solidaritätsliedes“ verwendet und exponiert, des Liedes, das den ganzen dritten Teil, sowohl inhaltlich wie vom musikalischen Material her, bestimmt.
Solidaritätslied
Wie erwähnt beherrscht seine Thematik den ganzen letzten Teil des Films. Anschließend an die Orchestermontage erklingt dieses Kernstück der Eisler-Kampflieder im Chor der marschierenden Arbeiter, gesungen, gepfiffen, als Massenchor zusammen mit 4000 Fichte-Sportlern und mehreren Chören – so wahrscheinlich den Arbeitersängern Groß-Berlins – als Hintergrundgesang und als letztes Stück des Films, zusammen mit Orchester. Die Fassung in „Kuhle Wampe“ folgt nach der Urfassung, dem „Sonntagslied der freien Jugend“, von dem Brecht die 3. und 6. Strophe verwendete. (Erst in späteren Ausgaben ist der heute bekannte Text zu finden.)
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Erstens sind hier nicht wir alle
Zweitens ist es nur ein Tag
Wo die Arbeit einer Woche
Uns noch in den Knochen lag.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Erstens sind es nicht wir alle
Zweitens ist es nur ein Tag
Und zwar liegt nur auf der Wiese
Was sonst auf der Straße lag.
Vorwärts und nicht vergessen
Unsre Straße und unser Feld
Vorwärts und nicht vergessen
Wessen Straße ist die Straße
Wessen Welt ist die Welt?
[1] H. Eisler, Materialien zu einer Dialektik der Musik, Leipzig 1973, S. 218-220.
[2] Abgebildet in: W. Gersch und W. Hecht, Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt, Leipzig 1971, S. 194.
[3] H. Eisler, a.a.O., S. 120 f.
[4] K. London, in: W. Gersch und W. Hecht, a.a.O., S. 192.
[5] H. Pauli, Filmmusik: Ein historisch-kritischer Abriß, in: H. C. Schmidt(Hrsg.): Musik in den Massenmedien rundfunk und Fernsehen, Mainz 1976, S. 105.
[6] T. W. Adorno und H. Eisler, Komposition für den Film, Adorno GS 15, Ffm 1976, S. 35.
[7] a.a.O.
[8] W. Gersch und W. Hecht, a.a.O., S. 24.