Bewertung des Films „Niedersachsen im Aufbau“ aus dem Jahr 1991

NIEDERSACHSEN IM AUFBAU  ist eine Leistungsschau zu Beginn des sogenannten WIirtschaftswunders, die heute fast 40 Jahre später, in mancher Weise befremdlich anmutet: die unmittelbare Nachkriegszeit, deren Nöte und Probleme, aber auch Wünsche und Ziele unterscheiden sich in vieler Hinsicht von der Situation der 80er Jahre. Infolge der zeitlichen und gesellschaftlichen Distanz lässt sich NIEDERSACHSEN IM AUFBAU als aussagekräftige Dokument der Nachkriegszeit lesen.

Die Bezugnahme auf das Land Niedersachsen, die aus heutiger SIcht nicht ungewöhnlich erscheint, ist historisch bemerkenswert:NIEDERSACHSEN IM AUFBAU ist nach unserem Kenntnisstand der erste Film, der sich thematisch ausschließlich mit Niedersachsen beschäftigt. Das Bundesland war knapp vier Jahre zuvor geründet worden. In diesem Zusammenhang ist der Film bemüht, Identifikation mit dem jungen Bundesland hervorzurufen.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass der Film den im Titel formulierten Aufbau, neben einigen sozialen Leistungen, in rein ökonomischer Hinsicht darstellt: politischer und gesellschaftlicher Aufbau, die Ausformung der parlamentarischen Demokratie, Parteien, Verbände, Gewerkschaften usw. kommen nicht vor. Dies unterstützt die Annahme, dass sich die Interessen vieler Menschen nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Krieges von Politik und gesellschaftlichem Engagement abwandten, dass sich die Energien in erster Linie auf den wirtschaftlichen (Wieder-)Aufbau richteten.

Was die zeitgenössische Einschätzung des wirtschaftlichen Fortschritts und (Wieder-)Aufbaus betrifft, so dokumentiert der Film aber auch, vor allem zu Beginn, eine gewisse Skepsis. Ausgangspunkt der Rückschau sind wehmütige Erinnerungen, dann Bilder der Zerstörung und materielle Not. In den Gesprächen der Rahmenhandlung werden Bedenken formuliert, ob nicht viel zu wenig erreicht sei. Die Bedenken werden stets von einem Mann namens August (dummer August?) vorgetragen. Im Verlauf des Films tritt diese Skepsis, die als mehr oder weniger unqualifizierte Nörgelei dargestell ist (“ es hätte doch viel mehr geschaffen werden müssen, wo bleibt denn nur das ganze Geld?“), allmählich zurück, bis sie ganz aufhört; NIEDERSACHSEN IM AUFBAU ist bemüht, Skepsis auszuräumen. Nicht zuletzt die vielen Grafiken und Schautafeln sollen das Vorwärtskommen anschaulich machen, mehr als dies Zahlen allein vermöchten. Ein neues Selbstbewusstsein, der Stolz auf das Erreichte dominieren die Darstellung. Die rückschauende Perspektive, die von den Zerstörungen am Ende des Krieges ausgeht, um dann die Aufbauleistungen zu vergegenwärtigen, ist typisch für die 50er Jahre. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die für die im Film angesprochenen Zerstörungen und Probleme letztlich verantwortlich war, wird in den Rückblick nicht mit einbezogen.

Der wirtschaftlichen Struktur des Landes entsprechend wird den Leistungssteigerungen in der Landwirtschaft am meisten Platz eingeräumt. Die Berichterstattung in diesem Bereich lässt die historisch-gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte besonders deutlich werden: Vor dem Hintergrund einer landwirtschaftlichen Überproduktion in der europäischen Gemeinschaft von vielen Millionen Tonnen erscheinen die damaligen Bemühungen, die Produktion im jeden Preis zu steigern doch weit entfernt. Als aus heutiger Sicht unverantwortlich muten die im Zusammenhang mit der Extensivierung der Landwirtschaft vorgenommmenen Eingriffe in das Öko-System an. Der Not der damaligen Zeit gehorchend, wurden die Weideflächen für Milchvieh durch Trockenlegung von Mooren beträchtlich ausgedehnt: in dem betrachteten Zeitraum allein im Emsland um 24.000 Morgen Land. Wirtschaftliche Not und fehlendes ökologisches Bewusstsein gingen dabei Hand in Hand – „und wir könnten noch mehr liefern, wenn alle Moore und Ödländereien kultiviert würden“, heißt es im Kommentar.


aus: Detlef Endeward/Marianne Leon/Petra Schepers/ Peter Stettner/Irmgard Wilharm: Niedersachsen im Aufbau. Filme zur politischen Bildung 6.2. Beschreibung und Begleitmaterial. Hrsg. von der Niedersächsischen LAndeszentrale für poltische Bildung, Hannover 1991, S. 2-4

Niedersachsen im Aufbau

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