Niedersachsen im Aufbau (1951)

Inhalt
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Geburtstagsrunde

Thema des Films sind die wirtschaftlichen und sozialen Aufbauleistungen des Landes Niedersachsen von 1946 – 1950. Diese werden in erster Linie durch kommentierte Dokumentaraufnahmen und Grafiken veranschaulicht, wobei die Berichte eingebettet sind in eine Rahmenhandlung, die den Rückblick einleitet und strukturiert: Anläßlich eines Geburtstages trifft sich ein kleiner Kreis von Honoratioren, ein Bildband über das alte Hannover wird überreicht, Erinnerungen werden wach. Die anschließenden Bilder des durch den Krieg zerstörten Hannovers sind dann Anlaß, die Aufbauleistungen der letzten Jahre Revue passieren zu lassen.

Im einzelnen werden folgende Aspekte behandelt:

  • der Wohnungs- und Straßenbau sowie die Verkehrsentwicklung;
  • die niedersächsische Wirtschaftskraft im nordeutschen Vergleich;
  • das Problem der Aufnahme und Eingliederung von Flüchtlingen, heimatlosen Jugendlichen und Heimkehrern;
  • Hilfen für Kriegsversehrte und allgemeine Gesundheitsfürsorge;
  • Aufbauleistungen in der Landwirtschaft durch Rationalisierung und Extensivierung der Nutzflächen (z.B Moortrockenlegung);
  • Ausbau des Küstenschutzes;
  • Aufforstung der Wälder;
  • Erfolge im Jugend- und Bildungsbereich sowie der Forschung;
  • Fortschritte in der Industrieproduktion;
  • Steigerung in der Stromerzeugung, Eisenerzproduktion und in der Bauwirtschaft.

So wird schließlich aus dem privaten Geburtstagsglückwunsch eine Feier „auf des Landes Wohlfahrt“.


Filmansicht im Analyse-Tool „Lichtblick“
Filmansicht „Niedersachsen im Aufbau“


Gestaltung: Willi Mohaupt
Kamera: Karl Schröder
Musik: Horst Dempwolff
Ton: Heinz Martin
Trick: Friedrich Wollangk
Produktion: Filmaufbau GmbH Göttingen
Produktionsland BR Deutschland
Produktionsjahr: 1951
Erstaufführung: März 1951
Laufzeit: 18 min.
Format: Schwarz/weiß, Lichtton

Darsteller: Eugen Dumont, Tilo von Berlepsch, Günter Kind, Eugen Bergen

Nr. Inhalt Länge Zeit im Film
0 Vorspann, Titeleinblendung   00:00-00:07
1 Rahmenhandlung: Anstoßen in gemütlicher Runde, Durchbläätern eines Fotobandes vom“schönen alten Hannover“ -sentimentale Erinnerung: dann:   00:07-01:10
2 Bilder der Zerstörung: Ruinen und umherrirrende Menschen   01:10-01:25
3 Rahmenhandlung: „In Hannover sieht es immer noch böse aus.“   01:25-01:33
4 Widerspruch des „Schulmeisters“:
Bilder der Trümmerbeseitigung und des Neubaus von Wohnhäusern (70.000 Wohnung durch den sozialen Wohnungsbau, 51.000 Bauarbeiter beschäftigt) in den Städten des Landes; Wideraufbau der „altbekannten Wahrzeichen, Hildeheimer Dom, Oper in Hannover, lebhafte Verkher auf den Straßen
  01:33-02.45
5

Rahmenhandlung: Entgegnung des Skeptikers: „Das ist ein Anfang. Aber es hätte noch viel mehr geschafft werden können. Wo bleibt denn nur das ganze Geld? Ooanders wird doch viel mehr gebaut als bei uns: in Hamburg, in Bremen…

Entgegnung des „Geburtstagskindes“: Niedersachsen ist doch ein armes Land:

„Beleg“ durchstatistische Zahlen: niedersächsische Wirtschaftskraft im norddeutschen Vergleich.

„Gar kein Wunder. In Hamburg und Bremen sitzen ja auch die dicken Firmen. Aber trotzdem. Bei etwas guten Willen hätte auch in Niedersachsen mehr entstehen können“

Kritik des „Schulmeisters“ am „Klugschieter“

„Zu wenig Geld, zu wenig Land. Und es werden täglich mehr, die wir Bauern ernähren müssen.

  02:45-03:40
6

Bilder von Flüchtlingen, Wohnungen für flüchtlinge (mehr als 50%Lebensgrundlage auf dem Lande,

Wohnheime für heimatlose Jugendliche, Maßnahmen für Heimkehrer, Versehrte, soziale Arbeit und Gesundheitsfürsorge

  03:40-07:25
7

Ironischer Einwurf: Das bedeutet natürlich, dass wir mehr arbeiten müssen.Eine gute Gelegenheit für die Bauer, sich anzustrengen“

Konkurrenz aus dem Ausland: WIr rationalisieren

  07:25-07:44
8 Grafische Darstellungen zu den Aufbauleistungen in der Landwirtschaft durch Rationalisierung und Extensivierung der Nutzflächen (z.B   07:44-09:24
  Zwischenspiel: Pferdeaufnahmen   09:24-09:49
9 Landwirtschaftliche Exporte in andere Bundesländer: Moorkultuvierung   09:40-10:34
10 Küstenschutz   10:34-11:11
11 Seefahrt und Fischfang   11:11-11:27
12 Wiederaufforstung   11:27-12:10
13

Erfolge im Jugend- und Bildungsbereich sowie in der Forschung

Statt herumlungernde wieder wandernde Jugend

  12:10-13:26
14

Förderung der industriellen Produktion

(langee unkommentierte Einstellungen von sich bewegenden Maschinen werden überblendet in Eingung zu Messe 1949

  13:36-14:48
15 Grafische Darstellungen Stromerzeugung, Eisenrzproduktion, Bauwirtschaft   14:48-15:58
       
16 Rahmenhandlung: „Auf des Landes Wohlfahrt“   15:58-16:08
17 Stimmungsbilder aus dem Land, von Musik untermalt   16:08-16:54

Den Ausführungen aus dem Jahre 1991 kann im Wesentlichen auch heute noch zugestimmt werden. Mehr Aufmerksamkeit muss man aber der filmischen Umsetzung und hier besonders auchder Rahmenhandlung widmen.

Die Kommentierung erfolgt durch verschiedenen Personen aus der Rahmenhandlung, die dadurch die Rolle von „Experten“ zugewiesen bekommen.

Die Dokumentarbilder sind fast durchgehend unterlegt mit getragener Musik, die lange Sequenz zur Industrieproduktion ist ohne Kommentierung

 

Die Rahmenhandlung

Die Rahmenhandlung gibt dem Film eine besondere Note, weil sie den Zeitgenossen einen authentischen Kontext liefert, durch die die filmische Darstellung der Entwicklung seit 1945 eingeordnet und bewertet wird.

Die Geburtstagsrunde:

  • „Geburtstagskind“, ein älterer Mann, der seit 40 Jahren in Hannover lebt
  • Skeptiker „August“
  • Lehrer (und Flüchtling)
  • Bauer
  • Kapitän
  • 2 weitere männliche Personen
  • 2 Frauen, zu denen es keine Erwähnung gibt und die auch nicht zu Wort kommen

Bedeutsam ist, das es die konservativen „Stützen der Gesellschaft“ sind, die diese Einordnung und Bewertung vornehmen. Die von einem jüngeren Mann vorgetragenen skeptischen Einwände, werden von unterschiedlichen „Experten“ als Nörgelei wiederlegt: Kritik ist im Interesse des „Landes Wohlfahrt“ nicht angebracht. Und Frauen haben in dieser Gesellschaft schon gar nichts zu sagen. So vermittelt diese Gesellschaft zugleich einen Fortschrittsoptimismus und eine rückwärtsgewandte Gesinnung: ein „Neu“anfang im alten Geist.

 

 

NIEDERSACHSEN IM AUFBAU  ist eine Leistungsschau zu Beginn des sogenannten WIirtschaftswunders, die heute fast 40 Jahre später, in mancher Weise befremdlich anmutet: die unmittelbare Nachkriegszeit, deren Nöte und Probleme, aber auch Wünsche und Ziele unterscheiden sich in vieler Hinsicht von der Situation der 80er Jahre. Infolge der zeitlichen und gesellschaftlichen Distanz lässt sich NIEDERSACHSEN IM AUFBAU als aussagekräftige Dokument der Nachkriegszeit lesen.

Die Bezugnahme auf das Land Niedersachsen, die aus heutiger SIcht nicht ungewöhnlich erscheint, ist historisch bemerkenswert: NIEDERSACHSEN IM AUFBAU ist nach unserem Kenntnisstand der erste Film, der sich thematisch ausschließlich mit Niedersachsen beschäftigt. Das Bundesland war knapp vier Jahre zuvor geründet worden. In diesem Zusammenhang ist der Film bemüht, Identifikation mit dem jungen Bundesland hervorzurufen.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass der Film den im Titel formulierten Aufbau, neben einigen sozialen Leistungen, in rein ökonomischer Hinsicht darstellt: politischer und gesellschaftlicher Aufbau, die Ausformung der parlamentarischen Demokratie, Parteien, Verbände, Gewerkschaften usw. kommen nicht vor. Dies unterstützt die Annahme, dass sich die Interessen vieler Menschen nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Krieges von Politik und gesellschaftlichem Engagement abwandten, dass sich die Energien in erster Linie auf den wirtschaftlichen (Wieder-)Aufbau richteten.

Was die zeitgenössische Einschätzung des wirtschaftlichen Fortschritts und (Wieder-)Aufbaus betrifft, so dokumentiert der Film aber auch, vor allem zu Beginn, eine gewisse Skepsis. Ausgangspunkt der Rückschau sind wehmütige Erinnerungen, dann Bilder der Zerstörung und materielle Not. In den Gesprächen der Rahmenhandlung werden Bedenken formuliert, ob nicht viel zu wenig erreicht sei. Die Bedenken werden stets von einem Mann namens August (dummer August?) vorgetragen. Im Verlauf des Films tritt diese Skepsis, die als mehr oder weniger unqualifizierte Nörgelei dargestell ist (“ es hätte doch viel mehr geschaffen werden müssen, wo bleibt denn nur das ganze Geld?“), allmählich zurück, bis sie ganz aufhört; NIEDERSACHSEN IM AUFBAU ist bemüht, Skepsis auszuräumen. Nicht zuletzt die vielen Grafiken und Schautafeln sollen das Vorwärtskommen anschaulich machen, mehr als dies Zahlen allein vermöchten. Ein neues Selbstbewusstsein, der Stolz auf das Erreichte dominieren die Darstellung. Die rückschauende Perspektive, die von den Zerstörungen am Ende des Krieges ausgeht, um dann die Aufbauleistungen zu vergegenwärtigen, ist typisch für die 50er Jahre. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die für die im Film angesprochenen Zerstörungen und Probleme letztlich verantwortlich war, wird in den Rückblick nicht mit einbezogen.

Der wirtschaftlichen Struktur des Landes entsprechend wird den Leistungssteigerungen in der Landwirtschaft am meisten Platz eingeräumt. Die Berichterstattung in diesem Bereich lässt die historisch-gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte besonders deutlich werden: Vor dem Hintergrund einer landwirtschaftlichen Überproduktion in der europäischen Gemeinschaft von vielen Millionen Tonnen erscheinen die damaligen Bemühungen, die Produktion im jeden Preis zu steigern doch weit entfernt. Als aus heutiger Sicht unverantwortlich muten die im Zusammenhang mit der Extensivierung der Landwirtschaft vorgenommmenen Eingriffe in das Öko-System an. Der Not der damaligen Zeit gehorchend, wurden die Weideflächen für Milchvieh durch Trockenlegung von Mooren beträchtlich ausgedehnt: in dem betrachteten Zeitraum allein im Emsland um 24.000 Morgen Land. Wirtschaftliche Not und fehlendes ökologisches Bewusstsein gingen dabei Hand in Hand – „und wir könnten noch mehr liefern, wenn alle Moore und Ödländereien kultiviert würden“, heißt es im Kommentar.

NIEDERSACHSEN IM AUFBAU – im Film wird überall gearbeitet bzw. Arbeitsergebnisse werden repräsentiert: Trümemrbeseitigung und Wohnungsbau, Arbeit als Hilfe und Therapie für Heimkehrer und Kriegsversehrte, ähnlich wie Sport und Spiel, deren Bedeutung hier in der Rehabilitation und gesellschaftlichen Eingliederun liegen; Arbeit in der Landwirtschaft, mitunter mythisch überhöht (Männer schlagen in einer Gegenlichaufnahme im Takt Pfähle in den Boden, ein Bauer pflügt mit entblößtem Overkörper seine Scholle); in der industriellen Produktion das Zusammenspiel von mensch und Machine: rhythmisch-dynamisch schwingen, hämmern und kreisen die Maschinenteile, alles funktioniert wie geölt.

Arbeit erscheint auch als vorzeigbares Ergebnis oder als Zeichen ökonomischen wachstums – Bilder fertiger Häuser, Grafiken, die Produktionssteigerungen veranschaulichen usw. Auf dieses weise wird der Fortschritt am deutlichsten symbolisiert – etwa in der Bauwirtschaft: schematisierte kleine Häuschen. ordentlich aufgereiht, die immer zahlreicher werden.

Was der Film in diesem <zusammenhang nicht zeigt, sind Strukturen und Hierarchien gesellschaftlich organisierter Arbeit. Und was noch fehlt, ist ein Hinweis auf die seinerzeit noch sehr hohe Arbeitslosigkeit.

Aus den Bildern des dargestellten Arbeitslebens, aber auch aus denjenigen über die Erfolge im Jugend- und Bildungsbereich – etwa wenn „statt der herumlungernden wieder eine wandernde Jugend“ präsentiert wird – spricht deutlich die Mentalität der frühen 50er Jahre.

Um die im Film beabsichtigten wirkungen – negativ: Zerstörung, Chaos, unmoral; positiv: Ordnung, AUfbau, Fortschritt – zu erreichen, werden die Gestaltungsmittel oft überdeutlich eingesetzt: der „herumlungernde“ Junge, eine betont „unheimlich“ inszenierte Gestalt, die sich im Dunkeln eine <zigarette anzündet: dann helle und saubere Bilder der wandernden Jugend. Und die den Bildern unterlegte Musik erzeugt entsprechend „STimmung<„: düster und schwermütig im Rückblick auf >Not und Zerstörung, lebhafter, hossfnungsvoller und aufbauender bei den referierten Fortschritten. Diese Art der Emotionalisierung, der Verzicht audf differenzierte Töne, die Überfrchtung nmit bedeutungsaufgeladenen Motiven und Formen ist freilich auch typisch für zahlreiche (Spiel-) Filme der 50er Jahre.


aus: Detlef Endeward/Marianne Leon/Petra Schepers/ Peter Stettner/Irmgard Wilharm: Niedersachsen im Aufbau. Filme zur politischen Bildung 6.2. Beschreibung und Begleitmaterial. Hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für poltische Bildung, Hannover 1991, S. 2-4

Aufgrund seiner Länge, der klaren Gliederung und der durch die Rahmenhandlung filmischen Kommentierung des in den Dokumentaraufnahmen anschaulich gezeigten ist der Film in der Sekunadrstufe I gut verwendbar.

Den Film als „Selbstläufer“ einzusetzen, hieße schlicht Zeit zu vergeuden. Den Film ledigklich als Illustration zu nutzen, würde dem Film nicht gerecht zu werden.

Seine Bedeutung hat er als Zeitdokument der frühen 50er Jahre für eine spezifische Sicht auf das gewählte Thema „Niedersachsen im Aufbau“. (siehe dazu als Hintergrund die Filmbewertung 1991 und die Filmkritik sowie die vorgestellten Vergleichsfilme)

Im einzelenen bieten sich folgende inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte an:

  • Die Art der Rückschau und der spezifische Themenzuschnitt (Filmrealität)
  • Probleme des wirtschaftlichen Wiederaufbaus aus damaliger und heutiger Sicht (Bezugsrealität)
  • Zeitgenössische Wert- und Moralvorstellungen (Bedingungs-/Bezugsrealität)

Ausgehend von einer vorherige Bearbeitung des Films NIEDERSACHSEN 1945, der, aus Dokumentaraufnahmen alliierter Kameraleute zusammengestellt, die militärische und zivile Lage im späteren Niedersachsen im Frühjahr/Sommer 1945 behandelt, kann die Ausgangssituation für den Wieder/Neu-Aufbau gut thematisiert werden. Der Vergleich ermöglicht, festzuhalten, was in der sechs Jahre späteren Rückschau aus dem Blick verloren wurde: die Verberechen im Faschismus, die Opfer des Terrors, die Suche nach und Verirteilung von Schuldigen und die Übernahme der politisch-administrativen Macht durch die alliierte Besatzungsmacht sowie die schrittweise Abtretung dann an deutsche Vertreter.


Mit NIEDERSACHSEN – JAHRE DES AUFBAUS kann eine andere Form der Rückschau auf die frühen Nachkriegsjahre vergleichen herangezogen werden. Anders als in NIEDERSACHSEN IM AUFBAU, bei dem ohne inhaltliche und zeitliche Distanz der Stolz auf den geleisteten ökonomischen Aufbau die Darstellung bestimmt, wird hier ein distanziertes und umfassenderes Bild aus dem zeitlichen Abstand von fast 40 Jahren gezeichnet, das sich in seiner Konzeption und formalen Gestaltung erheblich von der frühen Leistungsschau unterscheidet. 

Durch diesen Vergleich düfte es nicht schwer sein, die Intentionen zu erschließen, die die Filmemacher bei der Gestaltung von NIEDERSACHSEN IM AUFBAU verfolgten: den damaligen Betrachter von den (wirtschaftlichen) Aufbauleistungen in den ersten Nachkriegsjahren in Niedersachsen zu überzeugen und aus dem Stolz auf das Geleistete Mut und Zuversicht für die Zukunft abzuleiten. Auch eine Art politisches Statement.

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