Unser täglich Brot (1949)

Annotation

Nach dem Krieg kämpfen die Mitglieder einer zerrütteten Familie ums Überleben. Während einige im Schwarzmarkt und in der Prostitution landen, setzen andere auf Wiederaufbau und sozialistische Zukunft. Ein DEFA-Film (Regie: Slatan Dudow) über Hoffnung, Zerfall und gesellschaftlichen Wandel.

Autoren/Innen

Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert und ergänzt: Detlef Endeward (2022ff)

Produktion: DEFA, Berlin
Produktionsleitung: Fritz Klotzsch
Erstverleih: DEFA-Filmvertrieb (Ost-Berlin/DDR)
Buch: Slatan Dudow, Ludwig Turek, Hans Joachim Beyer
Regie: Slatan Dudow
Produktionsleitung: Helmut Beck
Kamera: Robert Baberske
Bauten: Wilhelm Vorweg, Alfred Schulz
Schnitt: Margarete Steinborn
Ton: Erwin Kropf
Musik: Hanns Eisler
Länge: 2856 Meter (= 104 Minuten)
Uraufführung: 9. 11. 1949 (Ost-Berlin)

DarstellerInnen:  
Paul Bildt Karl Webers
Inge Landgut Inge Webers
Harry Hindemith Ernst Webers
Paul Edwin Roth Harry Webers
Viktoria von Ballasko Martha Webers
Siegmar Schneider Peter Struwe
Ina Halley Nicki
Alfred Barthoff Bergstetter
Irene Korb Ernsts Frau
Dolores Holve Mary
Angelika Hurwicz Ilse, die Trümmerfrau
Walter Groß Arbeiter
Herbert Weißbach Arbeiter
Gert Schäfer junger Arbeiter
Gitta und Dorit Günther Die Zwillinge
Eduard Wandrey Fürbringer
Erna Sellmert Bäckersfrau
Friedrich Gnaß
Frank Arlett
Fabrikarbeiter
Hellmuth Helsig
Gerhard Haselbach
Ingenieure
Hans Emons Geschäftsmann
Albert Venohr Personalchef
Fredy Barten Reisender Bölke
Hellmuth Bautzmann
Walter Bechmann
Erich Brauer
Peter Federmann
Arbeiter
Erich Dunskus Wirt „Zur Klause“
Horst Gentzen Lehrjunge
Hannelore Minkus Freundin von Mary
Karl Haas Zigarrenschieber
Karl Hannemann Gast
Friedrich Honna Schaumspeise- Budenbesitzer
u. a.  

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben in der Wohnung des ehemaligen Kassenverwalters Karl Webers und seiner zweiten Frau Martha die überlebenden Verwandten Zuflucht gefunden. Die Not hat sie zusammengetrieben, und die Not treibt sie wieder auseinander, denn jeder kämpft auf seine eigene Weise um das tägliche Brot:
Eine Nichte sinkt vom „Ami-Liebchen“ zur Prostituierten ab („der Captain war mein Erster“). Ilse, eine arme Verwandte, Umsiedlerin und Trümmerfrau wird unter dem gemeinsamen Dach nur widerwillig geduldet, und der jüngste Sohn Harry verdingt sich als Schieber auf dem Schwarzmarkt. Nur der ältere Sohn Ernst setzt seine Kraft für den mühsamen Wiederaufbau der zerstörten Fabrik ein, in der einst sein Vater tätig war: Sie soll zu einem sozialistischen, volkseigenen Betrieb umgestaltet werden. Inge, Ernsts Schwester, folgt ihm, nachdem sie als Verkäuferin mehrmals entlassen worden ist.

Verständnislos, ja sogar feindlich steht der Vater dieser Entwicklung gegenüber und überwirft sich mit seinem Sohn. Nach und nach verlassen die Kinder das Haus. Nachdem Karl Webers für sich keine individuelle Lösung hat finden können und sein Lieblingssohn Harry in tragischer Verzweiflung seinen eigenen Vater überfallen und anschließend Selbstmord begangen hat, erkennt auch der alte Webers, dass er nur im volkseigenen Betrieb eine Chance hat.


Ursprünglich wollte Dudow den kleinbürgerlichen Vater von dessen abgleitenden Lieblingssohn Harry erschlagen lassen. ABer im Sinne der Bündnispolitik wünschten die sowjetischen Kulturoffiziere, die bei der Defa als Berater tätig waren, eine einsichtsvolle Integration des Kleinbürgers in die kommende Gesellschaftsform, die dann auch den tatsächlichen Schluss des Films ausmacht.

Nr.
Inhalt
Länge
Zeit im Film

0

Vorspann, Credits, Titel: „1946“.

1.33

0.00 – 1.33

1

In Berlin trifft ein überfüllter Zug ein, Menschen schleppen Säcke in die Straßen, unter ihnen das Mädchen Nicki.

1.16

1.34 – 2.50

2

Die Wohnung der Webers‘ am Morgen: die Familienmitglieder Ernst, Inge, Harry sowie Ernsts Frau Käthe kommen nacheinander in die Küche, schauen in den Brotkorb; Nicki trifft ein, bringt Brot vom Land mit, die verwandte Flüchtlingsfrau geht mit einer Schaufel aus dem Haus.

5.39

2.51 – 8.30

3

Auf der Straße: Menschen tauchen in die Menge ein, Inge erkämpft sich einen Platz in der Tür eines Zuges, streitet dabei mit einem jungen Mann.

1.06

8.31 – 9.37

4

In der Wohnung der Webers‘: Harry und Mary sind noch zu Hause im Bademantel, Harry vermisst ein richtiges Frühstück und beschwert sich über die „Logiergäste“.

2.38

9.38 – 12.16

5

Karl Webers sitzt in einer Gaststätte, ordnet Unterlagen und hängt alten Erinnerungen nach, als er noch Kassenverwalter bei Renner & Co. war.

0.36

12.17 – 12.53

6

Im volkseigenen Maschinenbaubetrieb, der ehemaligen Fabrik Renner & Co.: Ernst und der Betriebsleiter Peter Struwe diskutieren mit Arbeitern; die meisten beschließen, dass trotz des fehlenden Geldes weitergemacht werden soll.

2.20

12.54 – 15.14

7

In der Wohnung am Abend: die Kinder kommen zurück, sitzen mit den Eltern am Tisch; zwischen Karl Webers und Ernst erwächst ein Streitgespräch über den Sinn des Neuaufbaus der Maschinenfabrik als volkseigener Betrieb.

5.35

15.15 – 20.50

8

Am nächsten Morgen ist Inge wieder auf dem Weg zum Zug. Sie trifft den jungen Mann wieder – es ist Peter Struwe, der neue Werksleiter der Fabrik, der sich jetzt bei ihr entschuldigt.

0.49

20.51 – 21.40

9

In der Küche der Webers‘: Harry beschwert sich bei seiner Mutter, dass er nicht gut genug versorgt wird.

1.47

21.41 – 23.28

10

In einer Gaststätte lässt sich Harry von dem Schwarzmarktschieber Fürbringer anheuern.

1.16

23.29 – 24.45

11

In der elterlichen Wohnung: Harry zieht aus, um „endlich auf eigenen Füßen“ zu stehen.

2.21

24.46 – 27.07

12

Inge auf ihrer alten Arbeitsstelle: sie verlangt, dass ihr, wie versprochen, mehr Geld gezahlt werde, doch der Chef legt ihr nahe, „die Papiere zu nehmen“.

0.38

27.08 – 27.46

13

In einer Verkaufsbude: Inge versucht sich als Verkäuferin von „Schaumspeise“, wird jedoch auch hier, nachdem sie einem unzufriedenen Kunden Geld zurückgegeben hat, entlassen.

1.33

27.47 – 29.20

14

Inge geht die Straßen entlang, Trümmerfrauen bearbeiten Steine, Menschen bauen Straßen.

1.03

29.21 – 30.24

15

In der elterlichen Wohnung: Ernst und Inge im Gespräch mit dem Vater; dieser befürchtet, dass Inge jetzt auch Trümmerfrau werde; Ernst macht Inge ein Angebot, in dem volkseigenen Betrieb zu arbeiten; Karl Webers und Ernst streiten sich wieder über die Möglichkeit eines sozialistischen Neuaufbaus.

2.49

30.25 – 33.14

16

In der Maschinenbaufabrik: Peter Struwe bespricht mit den Ingenieuren, wann das neue Stoßwerk endlich fertig sein kann; Inge stellt sich in der Fabrik vor, erkennt in Peter Struwe den jungen Mann aus dem Zug; die Ingenieure klagen über die schlechten Arbeitsbedingungen, berichten von Kollegen, die es „drüben“ einfacher haben.

3.29

33.15 – 36.44

17

In der elterlichen Wohnung: Karl Webers und Inge streiten über Inges neue Arbeit in der Fabrik; der Vater will so etwas nicht unterstützen, Inge zieht aus.

1.43

36.45 – 38.28

18

Karl Webers besucht die Villa der ehemaligen Fabrikbesitzer Renner, findet aber nur ein verlassenes und zum Teil zerstörtes Haus vor.

1.35

38.29 – 40.04

19

In der Fabrik überreichen die Arbeiter Ernst einen Kinderwagen, den sie heimlich für sein in Kürze zur Welt kommendes Kind gebaut haben.

1.16

40.05 – 41.21

20

In der elterlichen Wohnung: Ernst bringt Käthe den Kinderwagen; Käthe vermisst einige Milchkarten; als Ernst nach diesen sucht, entspinnt sich wiederum ein Streit mit seinem Vater, der diesmal mit dem Hinauswurf von Ernst endet; auch die Flüchtlingsfrau verlässt nach einem verletzenden Wort des Vaters das Haus.

4.42

41.22 – 46.04

21

Zeit ist vergangen: Ernst flickt notdürftig ein kleines Haus, in dem er, Käthe und das inzwischen geborene Kind wohnen.

0.43

46.05 – 46.48

22

Der Ingenieur Bergstetter wird bei den Webers eingewiesen, nimmt Ernsts altes Zimmer.

0.51

46.49 – 47.40

23

In einer Gaststätte: bei einem luxuriösen Essen besprechen Fürbringer und ein weiterer Schwarzmarkthändler, wie möglichst viel Profit aus der Not gemacht werden könnte; als Hilfskraft Fürbringers ist Harry dabei.

0.39

47.41 – 48.20

24

In der Maschinenfabrik gibt es Auseinandersetzungen über fehlendes Geld und Essen; auf einer Betriebsversammlung gelingt es Ernst und Peter, die Arbeiter zum Weitermachen zu bewegen; die Ingenieure tendieren unterdessen dazu, sich bald nach Westen abzusetzen.

3.50

48.21 – 52.11

25

Peter Struwe und Inge im Büro, sie kommen sich ein wenig näher.

1.34

52.12 – 53.46

26

Peter Struwe versucht vergeblich, Karl Webers als Kassenverwalter für die Fabrik zu gewinnen.

3.25

53.47 – 57.12

27

Nicki besucht Inge; die beiden unterhalten sich über Peter Struwe, von dem Inge sich fragt, ob er sie wohl liebe.

1.14

57.13 – 58.27

28

In der elterlichen Wohnung: die Mutter streitet mit Mary wegen deren Männerbesuchen und weist ihr die Tür. Mary zieht aus.

1.39

58.28 – 1.00.07

29

Sitzung eines übergeordneten Gewerkschaftsgremiums: es wird beschlossen, der Fabrik zu helfen.

0.47

1.00.08 – 1.00.55

30

In der Fabrik geht es allmählich voran: die Maschinen arbeiten, wenngleich zunächst nur Kochtöpfe und Blechnäpfe hergestellt werden.

1.17

1.00.56 – 1.02.13

31

In der elterlichen Wohnung: Karl Webers macht einen zunehmend nervösen und heruntergekommenen Eindruck. Er geht in eine Gaststätte und bestellt ein Bier.

1.05

1.02.14 – 1.03.20

32

Mutter Webers besucht Harry, erkundigt sich nach seinem Befinden und erinnert an den Geburtstag ihres Mannes; Fürbringer kommt hinzu, die Mutter verlässt die Wohnung; Fürbringer sagt, dass der Schwarzhändler Achterberg verhaftet sei und weist Ansprüche Harrys zurück.

3.47

1.03.21 – 1.07.08

33

In der Fabrik gibt es jetzt für alle ein warmes und markenfreies Essen; Inge hat für sich und Peter Struwe im Büro den Tisch gedeckt, Ernst kommt hinzu und verkündet, dass die Ingenieure weg seien.

2.46

1.07.09 – 1.09.55

34

Karl Webers feiert seinen Geburtstag; Harry, Ernst und Inge kommen zu Besuch; Ernst verlässt nach einem neuerlichen Streit mit seinem Vater die Wohnung.

4.58

1.09.56 – 1.14.54

35

Nachdem auch Harry gegangen ist, kommt der einquartierte Bergstetter hinzu und erzählt, dass auch für seine letzte Verwandte, seine Tochter, nun keine Hoffnung mehr bestünde, dass sie am Leben sei.

3.46

1.14.55 – 1.18.41

36

Inge begleitet Bergstetter nach draußen. Als sie erfährt, dass er Ingenieur ist, versucht sie, ihn für die Fabrik zu werben.

0.55

1.18.42 – 1.19.37

37

Mary und andere Prostituierte auf einer Straße.

0.23

1.19.38 – 1.20.01

38

Vater Webers vor der leeren Geburtstagstafel.

0.28

1.20.02 – 1.20.30

39

Bergstetter besucht Peter Struwe im Betrieb und nimmt die Stelle an.

0.51

1.20.31 – 1.21.22

40

Hinter der weberschen Wohnung spielt ein Leierkastenmann, der von fröhlichen Kindern umringt wird; Karl Webers schließt das Fenster, klagt über seine erfolglosen Bewerbungen.

2.14

1.21.23 – 1.23.37

41

Harry verhandelt erfolglos auf dem Schwarzmarkt.

0.26

1.23.38 – 1.24.04

42

Karl Webers geht zu Harry: die Zimmerwirtin teilt ihm mit, dass dieser, ohne die Miete zu zahlen, verschwunden sei.

0.45

1.24.05 – 1.24.50

43

Harry geht in die elterliche leere Wohnung, ißt gierig ein Stück Brot, trifft im Treppenhaus seine Mutter, die ihn bittet, wenn es möglich sei, ein Brot zu besorgen.

1.49

1.24.51 – 1.26.40

44

Karl Webers beobachtet über eine Mauer die Maschinenfabrik, schleicht am Tor vorbei.

0.41

1.26.41-1.27.22

45

Betriebsversammlung in der Fabrik: mit den neuen Krediten der Gewerkschaft geht es weiter voran.

0.18

1.27.23 – 1.27.41

46

Harry geht im Dunkeln auf der Straße, versucht jemandem ein Brot zu stehlen. Vor einer Bäckerei: Karl Webers bekommt von der Bäckersfrau, bei der Nicki eine Anstellung gefunden hat, ein Weißbrot geschenkt. Harry überfällt seinen eigenen Vater, ohne ihn zu erkennen und stiehlt ihm das Brot.

2.06

1.27.42 – 1.29.48

47

Mary in einer Spelunke: während eine Freundin wieder „normal“ arbeiten will, geht Mary weiterhin ihrem Gewerbe nach und gerät dabei an einen Freier übelster Sorte.

1.10

1.29.49 – 1.30.59

48

In der elterlichen Wohnung: Harry kommt mit dem Brot; kurze Zeit später bringen ein Polizist und zwei Helfer den verletzten Karl Webers; dieser erkennt, dass sein Sohn ihn überfallen hat. Ohne ihn zu denunzieren, weist er ihn doch ab.

3.25

1.31.00 – 1.34.25

49

Harry verlässt die Wohnung, geht zum Bahndamm und auf einen entgegenkommenden Zug zu.

0.32

1.34.26 – 1.34.58

50

Straßenszenen mit Markthalle – das Leben ist heller und freundlicher geworden.

0.33

1.34.59 – 1.35.32

51

Karl Webers ist in die Fabrik gegangen, um sich zu bewerben. Im Büro erfährt er, dass der Posten des Kassenverwalters schon besetzt ist und lässt sich als Buchhalter einstellen.

1.34

1.35.33 – 1.37.07

52

In der elterlichen Wohnung: Ernst, inzwischen Betriebsleiter, bereitet sich auf eine große Betriebsfeier vor. Sein Vater rät ihm, eine schwarze Schleife anzulegen, wie dies früher immer üblich gewesen sei.

0.28

1.37.08 – 1.37.36

53

Inge und Peter vor der Feier im Büro, sie küssen sich.

0.28

1.37.37 – 1.38.05

54

Vor dem Werk: Arbeiter werfen einen Traktor an; durch die Beifall klatschende Menge der Arbeiter fahren nacheinander immer neue Traktoren.

Einblendung: „Ende“

1.15

1.38.06 – 1.39.21

In den beiden Anfangssequenzen werden in 33, meist sehr kurzen,  Einstellungen die Handlungszeit, der Handlungsrahmen, die Handlungsorte und die Hauptpersonen eingeführt.

Einstellungsprotokoll des Filmanfangs (pdf)

Um das tägliche Brot.
Slatan Dudow zu seinem Film (1949)

Seit dem der Mensch ein Mensch wurde, kämpfte er bewußt um die tägliche Nahrung, um das tägliche Brot. (…)

Der Kampf um das tägliche Brot ist ein aktives Element, das ständig vorwärts drängt und jeden Tag ein neues beginnen erzwingt. Doch die Formen, unter denen sich dieser Kampf vollzieht, sind stationär, d. h., sie werden von den jeweils bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen (Sitten und Gebräuche, später Moral und Gesetze genannt) bestimmt. Sobald aber die Funktuion dieser Formen erfüllt ist, erweisen sie sich als unzulänglich, weil durch sie das tägliche Brot eines sehr großen Teils der Menschen nicht mehr gesichert werden kann, und sie müssen durch neue Formen abgelöst werden.

So erleben wir auch, daß die bürgerliche Gesellschaft, selbst ein Kind des Fortschritts, sich wie ein störrischer Esel gegen die nächste Phase der gesellschaftlichen entwicklung sträubt. Denn diese Phase hat zum Ziel die ereschließung des Wohlstandes für jene Gesellschaftsschichten, die bisher darin nicht einbezogen waren. (…)

In einer Zeit der gesellschaftlichen Umwälzung leben wir auch heute. Es handelt sich auch jetzt um die Ausweitung der Unterhaltsquellen, anders gesagt, um die Sicherstellung des täglichen Brotes für den produktivsten Teil unseres Volkes, nämlich die werktätigen Menschen. Die bisherigen Gesellschaftsformen, die die Existenz nur einem kleinen Kreis von Menschen sicherten, sind überholt und müssen durch neue ersetzt werden, wenn nicht durch Arbeitslosigkeit und Krisen das Schicksal von Millionen gefährdet werden soll. Diese Veränderung erfordert aber eine weitgehende Loslösung von alten Vorstellungen und Begriffen, die für manche gewiß Vorteile mit sich brachten.  Sie rufen Auseinadersetzungen und Konflikte hervor, die tief bis in das Familienleben reichen. In eine solche Familie führt der Film UNSER TÄGLICH BROT. Auch hier beginnt, verschärft durch die Not der Gegenwart, der Kampf ums tägliche Brot jeden Tag von neuem. Auch hier ringen die fortschrittlichen Menschen um neue gesellschaftliche Formen, auch hier sträuben sich selbst die gutwilligen Vertreter der alten Welt gegen deren entstehen.  Sie verwechseln das Ende einer überholten Epoch mit ihrem eigenen Untergang, und es ist eine schwere Aufgabe, solche Menschen von ihrem Irrtum zu befreien. Der Film versucht gerade diesen Menschen ihr eigenes Schicksal vor Augen zu führen. Er hält sich bewußt an die realitäten der letzten Jahre und will nichts beschönigen, aber auch nichts verschweigen, wie hart die Konsequenzen, die für manche daraus erwachsen, auch sein mögen.

Wie leicht wäre es, zu erkennen, was richtig und was falsch ist, wenn man etwa 100 Jahre später leben und dann einen Rückblick auf unsere Gegenwart werfen würde. Die Entscheidungen fallen aber heute, im großen wie im kleinen, täglich und stündlich, mit jedem Gang ins Büro, bei jedem Griff nach dem Suppenlöffel, und es gilt daher das Richtige nicht morgen, sondern heute zu erkennen.

Dramaturgie

„Unser täglich Brot“ ist ein exakt kalkuliertes und konstruiertes Stück filmische Realität, welches seinen Charakter als Film nirgends leugnet und auf Überzeugung und Einsicht setzt. Hier wird ein Modell im brechtschen Sinne vorgestellt, das auf Methode der Darstellung im Lehrstück und im epischen Theater zurückgreift. Dudow bedient sich dabei eines sachlich-dokumentarischen Stils in der filmischen Realisierung. Sein Kino-Lehrstück stellt innerhalb der Nachkriegsproduktion eine Ausnahme dar. Es ist eine bewusste Anknüpfung an Traditionen, die im sogenannten proletarischen Kino am Ende der Weimarer Republik entwickelt wurden und die durch den Nationalsozialismus zerschlagen worden waren. Dudow selbst hatte 1931 mit „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt“ zusammen mit Bertolt Brecht einen entscheidenden Beitrag zu diesem in Deutschland raren Genre geleistet. „Unser täglich Brot“ nun ist Ausdruck für ein politisch-intentionales Handeln und Wollen. Folglich ist der Film auch konsequent parteilich, und Dudow leugnet diese Parteilichkeit an keiner Stelle. Mit seinem Werk bzw. seiner Stellungnahme zur gesellschaftspolitischen Situation in Deutschland nach 1945 will er Entscheidungshilfen geben und stellt „dem Falschen“ „das Richtige“ gegenüber. Auf den ersten Blick mag der Film daher aufdringlich und gewollt, plakativ und pathetisch, allzu sehr in den Dienst der guten Sache gestellt wirken. Erst beim zweiten Sehen ist zu erkennen, dass eine genau kalkulierte filmische Form Künstlichkeit, d. h. in diesem Fall ein Modell, bewusst ausstellt; hier wird nicht zur Einfühlung und Anteilnahme eingeladen, sondern es wird exemplarisch vorgeführt und didaktisch aufgezeigt.

Die Geschichte in „Unser täglich Brot“ folgt einer einfachen, leicht nachvollziehbaren Chronologie: Ausgehend vom Anfangsdatum 1946 zeichnet sie den Zerfallsprozess einer Familie und den Verfallsprozess des Familienoberhauptes Karl Webers nach . Diese Person des typischen Kleinbürgers steht dabei zwar im Mittelpunkt, ist aber nicht der Star des Films. Um ihn herum wird die Handlung fokussiert, wobei die Beziehungen der Personen untereinander wichtig sind. Auf diese Weise ist es Dudow möglich, die daraus resultierenden Konflikte als gesellschaftliche Konflikte zum Ausdruck zu bringen. Dabei wird zugleich deutlich: Hier soll nicht Realität – die der späten vierziger Jahre im Nachkriegsdeutschland – einfach abgebildet werden, hier wird eine filmische Realität konstruiert, die mit der historischen Situation der deutschen Nachkriegsgesellschaft korrespondiert und einen Blick auf sie zulässt.

Was der Film will, verbirgt er nicht: Er propagiert anhand des Aufbaus eines volkseigenen Betriebes die politische Botschaft des Sozialismus. Diese Botschaft wird noch betont durch die formale Gestaltung, sowohl generell in seiner Ästhetik, die – wie bereits erwähnt – an die proletarischen Filme der Weimarer Zeit erinnert, als auch anhand des Modells der Entwicklung einer Familie im Nachkriegsdeutschland. Dieser Botschaft mag man zustimmen oder nicht – dass der Film offen bewertet und Partei ergreift, zeichnet ihn aus und macht ihn zugleich kritisierbar. Diese Kritik ist jedoch eine politische – und keine Kritik am Film, um die es hier aber gehen soll.

Zweifelsohne stehen die Haltungen des alten Webers und seiner beiden Söhne Ernst und Harry im Zentrum des Films. Der Vater ist der Schnittpunkt von Dudows filmischem Gesellschaftsmodell. In seiner durch die persönliche Lebenserfahrung verinnerlichten kleinbürgerlichen Haltung, dem festen Glauben an die absolute und unbedingte Richtigkeit seiner Welt und seiner Lebensauffassung, bewertet Webers das Verhalten und die Aktivitäten der anderen, vor allem seiner beiden Söhne, deren Differenzen, d. h. gesellschaftspolitische Unterschiede nicht in einer expliziten Konfrontation zwischen ihnen ausgetragen werden, sondern sich am Vater brechen.

Mit seinem übertriebenen Ordnungssinn, seiner pedantischen Korrektheit und seinem sturen Festhalten an alten Lebensprinzipien verkörpert der Vater das exemplarische Bild, die Inkarnation des Kleinbürgers. Ernst, der ungeachtet aller Schwierigkeiten die alte, zerstörte Renner-Fabrik, in der sein Vater als Kassenverwalter tätig war, in einen volkseigenen Betrieb umzugestalten hilft, steht für den progressiven gesellschaftlichen Fortschritt bzw. den Sozialismus. Harry, der die Maxime „jeder ist sich selbst der nächste“ vertritt und sein Glück vergeblich auf dem Schwarzmarkt, also im kapitalistischen System sucht, verkörpert den gesellschaftlichen Rückschritt, die „Reaktion“.

In einer Parallelität von Geschichten, Episoden und Beobachtungen auch der anderen Personen werden diese drei Hauptlinien des Films variiert, erweitert und modifiziert. So verkörpert die Mutter die moralische Instanz der (bürgerlichen) Familie. Dies zeigt sich z. B. daran, dass sie Mary aufgrund ihrer wechselnden Herrenbekanntschaften des Hauses verweist; Inges Fleiß und Rechtschaffenheit sind es, die sie in die sozialistische Gesellschaft und die Arme von Peter Struwe, der den Aufbau des Werkes leitet, führen; Nicki als junge, tatkräftige Frau meistert auch in schwierigen Situationen ihr Leben mit Geschick – im Gegensatz zu Mary, die den Verlockungen materiellen Besitzes erliegt und dafür ein Leben als Prostituierte in Kauf nimmt. Im Verlauf des Films kommen zwei weitere Personen hinzu: Der Werksleiter Peter Struwe und der Ingenieur Bergstetter, die beide ihre Bildung und ihr Fachwissen ebenfalls in den Dienst des sozialistischen Aufbaus stellen. Peter Struwe versucht in der gesellschaftlichen Umbruchssituation der Nachkriegszeit seine sozialistischen Ideale zu verwirklichen, Bergstetter, der seine Angehörigen (im Konzentrationslager?) verloren hat, erkennt, dass Depression kein Ausweg ist: Sein erlittenes Leid ist Motivation für den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft.

Mit diesen Personen konstruiert Dudow in „Unser täglich Brot“ ein Panorama von menschlichen Charakteren und Verhaltensweisen innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft, wobei er die einzelnen Haltungen nicht unbewertet lässt: Das tägliche Brot für alle, Grundvoraussetzung einer humanen menschenwürdigen Existenz, kann nach der Erfahrung des Nationalsozialismus nur in einer sozialistischen Gesellschaft garantiert werden. In diesem Zusammenhang gilt der Satz, den Dudow über seinen früheren Film „Kuhle Wampe“ gesagt hat, auch für „Unser täglich Brot“: „Die Wirklichkeit ist nicht schlechthin da, und man kann sie nicht schlechthin fotografieren, sondern sie nützt bestimmten Menschen, und bestimmten anderen schadet sie, so wie sie ist. Da man aber nicht die ganze Wirklichkeit, sondern nur gewisse Teile daraus, und diese nur in einem bestimmten Zusammenhang fotografieren kann, so muss man sich entscheiden, wem man damit schaden kann oder wem man damit nützen will.“

In „Unser täglich Brot“ ist der Verlust eines sicheren Wertegefüges zentral, die Brüchigkeit tradierter Werte liegt dem Verhalten der Handlungsträger konstitutiv zugrunde. Der alte Webers isoliert sich zunehmend in seinem starrsinnigen Glauben, dass die vergangenen Gesetzmäßigkeiten ewig gälten und verfällt in bedrohlicher Weise, bis er notgedrungen seine Entscheidung revidiert. Sein Sohn Harry, der den bequemen Weg eines schnellen Geschäftes auf dem Schwarzmarkt sucht, wird Handlanger eines professionellen Schiebers, hat aber nur vorübergehend geschäftliches Glück. Zudem verliert er seinen moralischen Halt so weitgehend, dass er einen anderen Menschen – ohne es zu wissen, seinen Vater – wegen eines Brotes überfällt. Er begeht schließlich Selbstmord. Die Cousine Mary, die ebenfalls auf einfache Art ein materiell unbeschwertes Leben führen möchte, rutscht immer tiefer in die gewerbsmäßige Prostitution ab. Ernst Webers ist im Film derjenige in der Familie, der den Bruch in der Tradition erkennt, beim Namen nennt und modellhaft die „richtigen“ Konsequenzen zieht.

Dudow variiert die beispielhafte Entscheidung für den gesellschaftlichen Fortschritt hin zum Sozialismus mit einer Liebesgeschichte (zwischen Inge und Peter Struwe, dem Werksleiter) sowie mit der Bekehrung einer Figur, die der des alten Webers von seiner sozialen Stellung her vergleichbar ist (Ingenieur Bergstetter) und die Katharsis der Hauptfigur damit bereits antizipiert. Auch die Massenszenen auf den Straßen stehen für diese Entscheidung. Nur ihnen ist auch die stark rhythmische, optimistische Musik Hanns Eislers unterlegt, so dass diese Bilder eine besonders intensive suggestive Wirkung erhalten.

Die Musik stützt die bildliche und verbale Aussage des Films nicht nur, sie hat eigenständige inhaltliche Funktion. Bei den Dialogpassagen in der Wohnung und in der Fabrik gibt es keine musikalische Begleitung oder Untermalung – die Musik würde vom wichtigen Wort ablenken. In den Passagen, die die einzelnen Konfliktstadien miteinander verknüpfen, sie mit der Außenwelt in Beziehung bringen, „treibt“ die Musik voran, vermittelt sie Dynamik und Entwicklung. Eisler selbst hat erklärt, was seine Musik ausdrücken soll: Den Heroismus der Hamsterer („Hungerzug“), die Freude über das erste markenfreie Essen („Die Suppe“) und besonders „die vorwärtsführende Kraft der arbeitenden Menschen“ .

Mit der Aufarbeitung bzw. der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit setzt sich das filmische Lehrstück von Dudow bis auf eine Bemerkung von Ernst Webers nicht explizit auseinander. Ernst spricht immerhin deutlich aus, dass nicht einfach alle nur Opfer einer Entwicklung waren. „Den Karren in den Dreck fahren, da wart ihr alle dabei“, so der Sohn in einer Auseinandersetzung mit seinem Vater. Da es dem Film jedoch primär um den Grundsatz des Aufbaus des Neuen geht, bei dem möglichst alle – auch der Kleinbürger – mitmachen sollen, zieht der Film quasi einen Schlussstrich unter die Vergangenheit, der Blick ist eindeutig auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet.

Die Art und Weise, wie der Film die zeitgenössische Gegenwart in Form von politisch-ökonomischen Grundkategorien („Brot“ und „Geld“) zuspitzt, lässt keinen Zweifel daran, dass auch die geschichtliche Entwicklung eben nicht als schicksalhaft, sondern als politisch-ökonomisch bestimmt begriffen wird, als eine Entwicklung, die auch von den Entscheidungen der einzelnen Individuen abhängt.

Das Rezept, das „Unser täglich Brot“ „zur Bewältigung aller Folgen der Vergangenheit, der psychischen wie der materiellen“ , verschreibt, lautet: Arbeit. Dem Film liegt ein sozialistisches Verständnis von Arbeit als dem grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnis zugrunde. Sinnvolle Perspektiven können sich in diesem Sinne nur über eine wertschöpfende Tätigkeit ergeben. Sie ist hier nicht Selbstzweck, sondern erscheint stets zweckgebunden an die Erzeugung lebensnotwendiger Güter. Im Vordergrund steht die kollektive Verausgabung der Arbeitskraft im Betrieb, hier in einer Maschinenfabrik. Interessant ist aber, dass neben der kollektiven Arbeit in der Fabrik auch der kleine Privatbetrieb, z. B. die Bäckerei, in der Nicki schließlich unterkommt, als eine positive Form von Tätigkeit erscheint.

Auffällig ist, wie gering der Stellenwert der Trümmerarbeit ist, wie wenig Wertschätzung den Menschen entgegengebracht wird, die diese Arbeit verrichten (müssen). Für alle Protagonisten ist diese Arbeit das „Letzte“, was man sich – und anderen – zumuten will. Im Film bleibt Trümmerarbeit eine Hintergrundkulisse, mit der elende Lebensbedingungen umrissen werden, zudem wird die (entfernt verwandte) Trümmerfrau Ilse von allen Mitgliedern der Familie geschnitten (s. Kap. 3. 2). Analog der politischen Auseinandersetzung geht es nicht um die Trümmer von gestern, sondern um die Schaffung des Neuen. Selbst Karl Webers als jemand, der noch der alten Welt verhaftet ist, hat für sie nichts übrig.

Für die Gewinnung einer neuen gesellschaftlichen Perspektive ist nicht nur die Aufbauarbeit zentral, sondern auch die Kleinfamilie. In „Unser täglich Brot“ spiegelt die Ausgangsfamilie einerseits zeittypisch zusammengesetzte Familienclans, andererseits projiziert Dudow in diesen Familienverband ein Gesellschaftsmodell. Die jüngeren männlichen Hauptpersonen Ernst und Harry agieren jeweils stellvertretend für die Klasse, die sie repräsentieren. Folglich unterliegen sie im Laufe der Handlung auch keiner Wandlung, sie bleiben immer, was sie zu Beginn des Films auch gewesen sind. Nur der alte Webers ist eine Ausnahme: Der Prototyp des Kleinbürgers wird durch den Zwang der Verhältnisse dazu gebracht, seine ursprüngliche Haltung aufzugeben und sein Verhalten zu ändern, allerdings eher äußerlich und aufgesetzt, im Innern bleibt er doch „der Alte“ (s. Kap. 3. 2.). Damit ist die eingangs gezeigte Familie auch ein Modell für eine zerfallende Gesellschaft: Ihr Wert als Hort materieller Sicherung und als moralischer Bezugspunkt nimmt ab. Die Funktion, Leitbild für die handelnden Subjekte zu sein, wird zunehmend von dem solidarischen Betrieb übernommen. Aber nichtsdestotrotz bleibt die Kleinfamilie unangetastet, ja gehört zu einer wünschenswerten Perspektive dazu: Ernst Webers und Peter Struwe, die Vertreter der Zukunft, machen nicht nur beruflich Karriere, sondern haben bzw. finden ihr privates, kleinfamiliäres Glück.

Filmästhetik

Der Film beginnt mit einer Zeitbestimmung: Der Titel „1946“ wird eingeblendet. Danach die erste Kontrastmontage: Eine leere Markthalle – Schnitt – ein überfüllter Zug. Die Menschen tragen große Taschen, Rücksäcke und ähnliches, denn sie kommen vom Hamstern – offiziell gibt es nichts zu kaufen. Auf diese Weise ist mit einer einzigen Montage die wirtschaftliche Situation beschrieben.

In Totalen zeigt die Kamera die Menschenmassen in eine Richtung strömen: Diese wirtschaftliche Lage besteht nicht nur für einige wenige, sondern für die große Mehrheit der Bevölkerung. Aus den Massenaufnahmen greift die Kamera den ersten Handlungsträger heraus. Es ist Nicki, die als eine der vielen zu Beginn gezeigten Menschen auf Hamsterfahrt war. Die Kamera verfolgt die Menschen weiter in Totalen. Die rhythmisch-stakkatische Musik Hanns Eislers scheint sie voranzutreiben. Einmal erhebt sich die Kamera etwas über die Köpfe der Menschen und begleitet ihre Bewegung mit einer Vorwärtsfahrt. Der Zuschauer wird durch die Kamera in die Bewegung der Massen hineingezogen und sieht sich einen kurzen Augenblick in ihre Situation versetzt. Die Menschenmassen und ihre zielgerichtete gemeinsame Bewegung sind Ausgangspunkt und Ziel des Films: Am Ende werden die Menschen den Fahrten der ersten nach dem Krieg produzierten Traktoren zusehen und applaudieren: Ihre gemeinsame Bewegung, ihr gemeinsames Ziel, ihr solidarisches Handeln haben die Maschinen zum Laufen gebracht, haben die Produktion von Traktoren in einem volkseigenen Betrieb ermöglicht. „Unser täglich Brot“ zeigt Ausschnitte und Momente von bestimmten Erfahrungen, Erlebnissen und menschlichen Verhaltensweisen auf dem Weg zu diesem Ziel. Der zeitliche Endpunkt des Ziels wird nicht definiert. Seit 1946 ist Zeit vergangen, und das Fehlen einer explizit ausgewiesenen Jahresangabe am Schluss des Films lässt die Vermutung zu, dass ein Ziel erreicht wurde, aber noch nicht das Ende des Wegs.

Mit einem harten Schnitt wechselt die Kamera von einer Massenszene in das Innere einer Küche. Eine halbnahe Einstellung zeigt die Küchentür. Sie öffnet sich und Mutter Webers kommt herein. Noch etwas müde holt sie einen kleinen Rest Brot aus dem Brotkasten, legt ihn auf einen Teller auf den Tisch und (ein Blick zur Wand leitet es ein) zieht die Küchenuhr auf. Die weiteren Familienmitglieder werden nun von der Kamera der Reihe nach in der Küche erwartet. Ernst, vom Schlaf noch benommen und ungekämmt, Inge, seine Schwester, frisch und fertig angezogen, ebenso Ernsts Frau Käthe, die sofort beginnt, der Mutter zu helfen. Harry erscheint im Morgenrock, mürrisch und schlecht gelaunt, eine Zigarette samt Spitze lässig im Mundwinkel. In der Tür begegnen sich die beiden Brüder. Ernst, nun gekämmt und schon agiler, fragt in ironischem Ton: „Na, Harry, auch schon auf?“, worauf dieser gereizt antwortet: „Ja, oder haste was dagegen?“ Zwischen den in der Küchentür stehenden Brüdern hindurch kommen zwei kleine Mädchen, die Zwillinge, in die Küche gelaufen und schauen in den Brotkasten – wie dies zuvor schon Ernst, Inge und Harry sofort nach Betreten der Küche getan hatten.

Zur Einführung des Familienoberhauptes Karl Webers wechselt die Kamera ihren Standpunkt. Der Vater wird nicht wie die anderen in der Küche erwartet, sondern isoliert im Schlafzimmer bei den letzten Handgriffen seiner Morgentoilette beobachtet. Er zupft an den Ärmeln seines Rocks, zieht die Krawatte zurecht und betrachtet sich gewissenhaft im Spiegel. Ein kurzer Rechtsschwenk in halbnaher Einstellung verfolgt seinen Gang aus dem Schlafzimmer in die Küche. Dort hat Ernst in einem Gespräch mit Inge gerade gesagt: „Aber schließlich kann ich kein Geld frühstücken.“ In diesem Moment betritt Vater Webers die Küche und schaltet sich sofort ins Gespräch ein: „Aber Geld, mein Sohn, …“ Die Küchenuhr beginnt zu schlagen. Der Vater hält inne, zieht seine Taschenuhr aus der Westentasche und vergleicht die Zeit. Im Weitergehen beendet er den begonnen Satz: „… ist die Quelle allen Wohlstandes und regelt die Ordnung der Welt.“ Er setzt sich an den Tisch und begrüßt erst jetzt die Familie mit einem „Guten Morgen“, wobei er die Hände auf dem Tisch abstützt. Der Tisch wackelt und sogleich schiebt er einen Keil unter das Tischbein. Dann seufzt er: „Wann werden wir endlich wieder in einem Wohnzimmer frühstücken wie sich’s gehört.“ Nach diesem Satz betritt die Trümmerfrau Ilse die Küche. Die Kamera erfasst sie von der Tür aus und verfolgt ihren Gang mit einem kleinen Linksschwenk. Ihr leises und zaghaftes „Guten Morgen“ wird von niemandem erwidert. Sie nimmt sich eine Tasse Kaffee, setzt sich aber nicht mit an den Tisch, sondern trinkt im Stehen. Mit einer kurzen Fahrt, die in einer Nahaufnahme endet, isoliert die Kamera die Trümmerfrau von den anderen.

Diese Isolierung wird sich in weiteren Filmsequenzen wiederholen: Ilse wird geduldet – mehr nicht. Offene Ablehnung ihr gegenüber wird kaum verborgen. So wird sie z. B. von Vater Webers zurechtgewiesen, sich nicht in der Küche die Hände zu waschen. Als kurz darauf Ernst seine Hände in der Küche wäscht, sagt der Vater nichts. Harry grinst den Vater an. Webers Blick zuerst auf Ernst und dann auf Harry verrät, dass er sehr wohl um sein ungerechtes Handeln weiß. Das süffisante Lächeln Harrys und der irritierte, unsichere Blick des Vaters: Zwei Details der Darstellung, die mehr sagen als alle Worte. Als Inge später ihre Stellung verloren hat, zeigt Webers seine Verachtung der Trümmerarbeit gegenüber ganz offen: Er fragt seine Tochter in Gegenwart der gerade in die Küche gekommenen Trümmerfrau, ob sie nun auch „schippen gehen“ und im „Dreck wühlen“ werde. Inge erwidert etwas verhalten, sie werde schon etwas anderes finden – verteidigt die Trümmerfrau und ihre Arbeit jedoch nicht. Die ablehnende Haltung gilt also nicht nur für den Vater. Wenngleich es nicht explizit ausgesprochen wird, wird sie auch von den „progressiven“ Familienmitgliedern Inge und Ernst geteilt. Hier wird das heroische Bild der Trümmerfrauen, das mit wachsender Distanz zur Nachkriegszeit aufgebaut wurde, korrigiert: Die Arbeit in den Ruinen erscheint in den Augen der Zeitgenossen als indiskutabel – wohingegen die selbstlosen Aufräum- und Aufbauarbeiten in der Fabrik als glorreiche Taten dargestellt werden. Bezeichnenderweise ist die Trümmerfrau in „Unser täglich Brot“ außerdem noch Flüchtling, wodurch das ablehnende Verhalten der Webers zusätzlich motiviert wird.

Nicki kommt schließlich erfolgreich von ihrer Hamsterfahrt mit einem großen Laib Brot zurück, und nach dem Frühstück trifft Harry seine Cousine Mary im Hausflur an. Mary, die eigentlich Marie heißt, nun aber Wert auf die englische Aussprache ihres Namens legt, ist erst spät aufgestanden, und sie trifft Harry, der noch seinen Morgenrock trägt. Es sind die beiden Figuren des Films, die scheitern werden. Dudow führt also bereits in der Frühstückssequenz alle Handlungspersonen des Films in einer für sie charakteristischen Haltung ein.

Nach den unterschiedlichen Tagestätigkeiten versammelt Dudow am Abend seine Filmfiguren wieder in der Küche. Es war Lohntag. Inge und die Trümmerfrau geben der Mutter ihr Kostgeld, Harry schenkt dem Vater eine Zigarre: „Hast wohl wieder ein Geschäft gemacht, was?“ äußert der Vater anerkennend. Nur Ernst hat wieder kein Geld gebracht – es wurde in den weiteren Aufbau der Fabrik investiert. Dies führt am Tisch zu einem Streitgespräch zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen (s. M 2).

Die einzelnen Gespräche am Küchentisch dokumentieren optisch und inhaltlich den Verfallsprozess, sie stellen die verschiedenen Stadien der Entwicklung und Entscheidungssituationen dar. In den Gesprächen werden die unterschiedlichen Bewertungen der jeweiligen Konfliktsituation vorgestellt, die von allen Beteiligten Entscheidungen verlangen. Miteinander kontrastiert werden diejenigen, die sich „richtig“ entscheiden: Ernst, Inge und Nicki mit denen, die sich „falsch“ entscheiden: Harry und Mary. Und die Mittelpunktfigur steht dazwischen, wird letztlich gezwungen, sich für eine Seite – die „richtige“ – zu entscheiden. In diesem Sinne hat die Familie Modellcharakter.

Die Kamera zeigt in einer halbnahen Einstellung den Vater und seine Söhne (Webers sitzt an der Stirnseite des Tisches, Harry und Ernst haben rechts von ihm an der Längsseite Platz genommen) und geht aus dieser Einstellung in eine Großaufnahme von Harry über, wodurch er separiert und seine folgende Aussage betont wird. Er sagt: „Ich möchte bloß wissen, wofür du den ganzen Tag arbeitest, wenn du kein Geld nach Hause bringst.“ Schnitt. Die drei sind wieder in halbnaher Einstellung zu sehen. Harry spricht weiter, während die Kamera in eine Großaufnahme des Vaters übergeht. Vater Webers: „Sehr richtig. Und wenn du das tun würdest, was Harry tut, anstatt in den Ruinen da rumzubuddeln, dann hätten wir mehr.“ Schnitt. Wieder ist die halbnahe Einstellung der drei zu sehen. Ernst antwortet, und die Kamera fährt auf ihn zu, bis er in Großaufnahme erscheint. Ernst: „Komische Leute seid ihr. Den Karren in den Dreck fahren, da wart ihr alle dabei. Aber wenn’s heißt anpacken, damit man aus dem Dreck wieder herauskommt, da will keiner mit.“ Schnitt. Die Kamera erfasst Nicki, die zur Tür hereinkommt und sich an den Tisch setzt. „Ach Kinder, hab‘ ich einen Hunger“, sagt sie gutgelaunt. Aber alle anderen schweigen. Die Kamera zieht sich in eine halbtotale Einstellung zurück. Sie nimmt eine leichte Obersicht ein. Nur die Eßgeräusche sind zu hören. Es ist ein Abschiedsbild: Zum letzten Mal sitzen alle Familienmitglieder gemeinsam am Küchentisch. Es ist kein harmonisches Bild, denn die Familie wird auseinanderbrechen. Nachdem Ernst, Harry und der alte Webers ihre Haltung, d. h. gesellschaftliche Position verdeutlicht haben, was durch eine klare Filmstruktur unterstrichen wird, die jeweils die entscheidende Aussage in einer Kamerafahrt und Großaufnahme präsentiert, löst sich die Familie auf und damit die bürgerliche Gesellschaft, für die sie beispielhaft steht. Einer nach dem anderen wird das Haus verlassen und seinen eigenen Weg suchen. Am Ende wird Vater Webers mit seiner Frau und seinen Zwillingen allein zu Hause sein. Immer mehr verliert Webers in seinem äußeren Erscheinungsbild an Korrektheit und akkuratem Auftreten. Seine Haare sind zerzaust, er trägt keine Krawatte mehr, mürrisch repariert er am Küchentisch seine Taschenuhr – all dies sind Chiffren einer voranschreitenden Krise bzw. der Auflösung der überkommenen Zeit.

Schließlich macht sich Webers in seiner feinsten Kleidung (Mantel, Handschuhe, Hut) auf, um seinen alten Arbeitgeber Renner in dessen Villa persönlich aufzusuchen, da alle seine Briefe an ihn unbeantwortet geblieben sind. Auf einer menschenleeren Straße geht Webers durch das Villenviertel. Viele Häuser sind zerstört. Diese Bilder sind auch symbolisch zu verstehen: Das Alte schlechthin ist verlassen und in irreparablem Zustand, es existiert nicht mehr. Bei der Renner-Villa angekommen, blickt Webers respektvoll auf das Haus. Vorsichtig schiebt er das Eingangstor zur Seite, ehrfürchtig betritt er die Treppenstufen. Er zieht die Handschuhe aus, man sieht seine Hand in Großaufnahme zittern, und drückt den Klingelknopf. Es rührt sich nichts. Webers öffnet vorsichtig die Tür. Schnitt. Die Kamera zeigt nun Webers in einer halbtotalen Einstellung im Inneren des Hauses. Er betritt die Eingangshalle. Die leise, melancholische Musik Eislers, von kleinen Disharmonien durchsetzt, begleitet seinen zögernden Gang durch die Halle. Sie wird lauter und das Tempo der disharmonischen Klänge nimmt zu. Die Musik greift dem folgenden Bild der Zerstörung vor. Die Kamera schwenkt analog zum Gang Webers‘ nach rechts, dieser erstarrt und nimmt wie in Trance seinen Hut ab. Die Kamera schwenkt weiter und zeigt nun aus dem tendenziellen Blickwinkel Webers‘ die zerstörten Räume der Villa. Das Ausmaß der Zerstörung wird in einem Rechtsschwenk und einer anschließenden Gegenbewegung zurück nach links beschrieben. Es erfolgt ein asyndetischer, harter Schnitt. Eine Totale zeigt die Arbeiter beim Aufbau der Fabrik, die früher Renner gehörte. Die Kontrastmontage führt die Zuschauer direkt von der zerstörten alten Welt in die im Aufbau befindliche neue Welt. Wir kennen den Weg inzwischen: Der alte Webers wird noch mehr Leid erfahren müssen, bevor auch er zur Unterstützung des sozialistischen Neuanfangs bekehrt wird.

Die Diskrepanz zwischen Webers‘ sturem Festhalten an der alten Welt und der Wirklichkeit, zwischen dem unwiderruflichen Zusammenbruch des Überkommenen und dem Aufbau der neuen sozialistischen Welt tritt in der beschriebenen Sequenz klar hervor. Das hervorragende Spiel Paul Bildts, seine unsicheren Gesten, seine stummen Blicke, seine geduckte Haltung – er hält den Hut vor sich in der Hand wie auf einer Beerdigung – und die filmtechnische Realisierung (Detailaufnahme, Kameraschwenk, Musikeinsatz, Kontrastmontage) lassen die Sequenz zu einem ausdrucksstarken metaphorischen Bild, zu einem Gleichnis werden: Zum einen für den endgültigen Zusammenbruch der alten Welt, zum anderen für das Ende der alten Vorstellungen Webers. Hier wird der Kleinbürger mit der Wirklichkeit konfrontiert, er kann seine Welt nicht länger mit bloßer Erinnerung am Leben erhalten. An dieser Stelle wird deutlich, dass Webers‘ Lebenshaltung von seiner persönlichen gesellschaftlichen Erfahrung im kapitalistischen Wirtschaftssystem und nicht bloß von oberflächlicher Borniertheit geprägt ist. Das individuelle menschliche Schicksal ist Resultat der historischen Situation.

Die Erfahrung im Renner-Haus und vor allem das Scheitern seines Sohnes Harry, der sich umbringt, nachdem er seinen eigenen Vater wegen eines Brotes beraubt und niedergeschlagen hat, steigern das Leid und die Erschütterung des alten Webers, so dass er sich am Ende des Films auf die neuen gesellschaftlichen Bedingungen einlassen kann. Sein sich stetig verschlechternder äußerer Zustand legt sogar nahe, dass die Wahl zwischen dem Alten und dem Neuen für Webers zu einer Frage auf Leben und Tod geworden ist: Da von der alten Welt nichts Trag- und Haltbares mehr übrig ist, darf er sich dem Neuen nicht mehr versagen, wenn er überleben will.

Nach dem Tode Harrys ist das Filmbild klarer und heller geworden, und die Markthalle ist wieder mit Waren gefüllt. Die gröbsten Schwierigkeiten des Fabrik-aufbaus und Produktionsbeginns (kein Lohn, kein Essen, Mangel an Fachkräften ) sind überwunden, und am Ende des Films rollen die ersten Traktoren (die nicht auf Anhieb anspringen wollen) aus dem volkseigenen Betrieb. Vater Webers, nunmehr Buchhalter in der „neuen alten“ Fabrik, steht zur Feier dieses Ereignisses gemeinsam mit Inge, Ernst, Peter Struwe und Bergstetter in vorderster Reihe und applaudiert. Dieser Optimismus mag gewollt wirken, wie auch die Wandlung des alten Webers als allzu plötzlich, ohne die naheliegenden Brüche und Widersprüche angesehen werden kann – wäre da nicht die kleine Szene vor der Werksfeier, in der Webers, nun voller Stolz auf seinen Sohn, Ernst zu einem korrekten Äußeren rät: „Weißt du, Ernst, ein Mann in deiner Stellung trägt bei so feierlichem Anlaß immer eine dunkle Schleife. Und in der Jackettasche müsstest du ein seidenes Taschentuch haben.“ Ernst schaut seinen Vater an und antwortet: „Wie der Herr Renner, was?“, worauf der Vater prompt „Ja!“ sagt.

Die Spannungen zwischen Vater und Sohn sind zwar begraben, aber die alten Denkstrukturen Webers‘, seine durch das alte Leben verinnerlichten Prinzipien und Haltungen sind noch lange nicht abgebaut, geschweige denn einer neuen politischen Sichtweise gewichen. Der alte Webers hat sich zwar mit in die Reihe derer eingeordnet, die dem Sozialismus applaudieren, wie es ihm aber im Sozialismus ergehen wird, das zeigt dieser Film nicht.

Resumee

Die im Bild konkret gezeigten Personen, ihre Haltungen und Handlungen stehen nicht nur für sich: Sie sind ein Modell für gesellschaftliche, soziale und politische Haltungen im Nachkriegsdeutschland, die vom Regisseur bewertet werden und in eine intendierte gesellschaftspolitische Aussage münden. Die filmtechnische Realisierung unterstützt die modellhafte Handlungskonstruktion, sie trägt das zur Erkenntnis und Bewertung ausgestellte Geschehen des Films: In der Kontrastmontage, in den immer wiederkehrenden Kamerafahrten, die Personen isolieren oder einander zuordnen sowie im Einsatz der Musik: Die Form des Films bestimmt seinen Inhalt, ebenso wie der Inhalt die Form bestimmt.

Die filmische Inszenierung entspricht der Intention. Kamera und Montage weisen eine eher sachlich-dokumentarische Tendenz auf. Es handelt sich bei dem Dudow-Film um keine aufwendige Inszenierung: Das Dekors ist zurückgenommen, es gibt keine expressiven Schnittfolgen, dafür relativ lange, ruhige Einstellungen. Die Beziehungen der Protagonisten untereinander werden durch Schwenks und Schnitte deutlich gekennzeichnet. Dabei wird häufig mit dem Mittel der gegenüberstellenden Montage gearbeitet. Im Spiel der Schauspieler setzt sich dieser Stil fort. Die einzelnen Charaktere – bis auf die Figur des alten Webers – verändern sich nicht, die Schauspieler stellen Typen dar, keine realen Menschen. Diese Typen haben allerdings ihr jeweils eigenes Profil, sie sind keine bloßen Charaktermasken gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Dialoge haben sowohl für das Spiel der Schauspieler als auch für die Darstellung der Konflikte und die inhaltliche Präzisierung der Entscheidungssituationen eine große Bedeutung. Der Film will überzeugen, und dafür ist das Wort wichtig. So wird der Zuschauer nicht zur Einfühlung und Anteilnahme geladen, sondern zur Stellungnahme und zur eigenen Entscheidungsfindung.

Zum Schluss sei noch auf die historische Wirklichkeit der Jahre 1948/49 in der sowjetischen Besatzungszone und der jungen DDR hingewiesen. Der Film, der seinen Ausgangspunkt im Jahre 1946 nimmt und den Zeitpunkt seines Endes offen lässt, zeigt den Aufbau eines Betriebes in eigener Organisation der Arbeiter mit Unterstützung der Gewerkschaften. Einen Monat vor der Premiere des Films war die DDR gegründet worden (7. 11. 1949). Die Selbstverwaltung der Betriebe hatte zu diesem Zeitpunkt längst einer zentralistischen Planung weichen müssen: 1948 waren die Betriebsräte aufgelöst worden, es begann die Umgestaltung in Betriebsgewerkschaftleitungen . Hier ist jedoch keine Kritik Dudows am wirtschaftspolitischen Kurs der jungen DDR zu erkennen. In „Unser täglich Brot“ geht es ihm vor allem um die Darstellung des sozialistischen Aufbaus als Alternative zur bisherigen Gesellschaftsform und nicht um die Stellungnahme zu bzw. der Propagierung von bestimmten wirtschaftspolitischen Formen wie z. B. der Arbeiterselbstverwaltung im Sozialismus.

Autorengruppe (1993)

Die Reaktionen auf Slatan Dudows DEFA-Film unterschieden sich deutlich zwischen Ost- und Westdeutschland:

 

Ostdeutsche Kritik (DDR):

Der Film wurde als authentisches Spiegelbild der Nachkriegsrealität gefeiert. Besonders hervorgehoben wurde die Darstellung des sozialistischen Wiederaufbaus und die Wandlung des alten Webers als Symbol für die Integration des Kleinbürgertums in die neue Gesellschaftsordnung. Zahlreiche Kritiker lobten die Milieutreue und die gesellschaftspolitische Botschaft als wegweisend für das neue Kino der DDR.

 

Westdeutsche Kritik (BRD):

Die westliche Presse sah den Film oft als ideologisch überfrachtet und pathetisch. Zwar wurde die atmosphärische Dichte und die Darstellung der Trümmerzeit anerkannt, doch die klare politische Ausrichtung wurde skeptisch betrachtet. Der Film galt als Beispiel für die propagandistische Ausrichtung der frühen DEFA-Produktionen.

 

Diese Differenz zeigt, wie stark Filmkritik durch politische und kulturelle Kontexte geprägt war – ein Spiegel der geteilten Nachkriegsgesellschaft. 

Slatan Dudows „Unser täglich Brot“ in Berlin und in den Landeshauptstädten uraufgeführt

Wenn es einem nach schweren Zeiten wieder besser geht und wenn man noch dazu den Aufschwung nicht irgendeinem mystischen Schicksal, sondern der eigenen Kraft verdankt, so ist es lehrreich und ermutigend, dass man sich der jüngsten Vergangenheiterinnert und im Geist die Schritte wiederholt, die einenaus dem Gröbsten herausgebracht haben. Viele von uns vergessen bereits, wie es vor drei Jahren in der deutschen Hauptstadt aussah. […] Und nur wenige hätten in jenem Winter des Hungerns und Frierens geglaubt, dass sie schon 1949 mit dem erhellten Auge des Siegers auf diese Düsternis würden zurückblicken können.

Der DEFA-Film „Unser täglich Brot“, der am 9. November in Berlin und in den Landeshauptstädten anlief, unternimmt einen solchen Rückblick. Slatan Dudow, der Regisseur, der Arbeiterschriftsteller Ludwig Turek und Hans Joachim Beyer haben dem wirklichen Leben eine schlichte Fabel abgewonnen, die ohne Umschweife in den Ameisenhaufen des Jahres 1946 hineinführt und seinen Wandelzur menschlichen Ordnung zeigt. In dieser Geschichte von der Familie Webers sieht man, wie in einem zusammenraffenden Hohlspiegel, die Linien unserer Entwicklung vom gestaltlosen Trümmermeer zur volkseigenen Industrie, vom leeren Brotkasten zur neu begründeten Ernährungswirtschaft, vom politischen Vakuum zum demokratischen Sinn. Aus der verwirrenden Personenfülle des Anfangs lösen sich die Typen und gehen ihren typischen Weg. Die Notgemeinschaft am Küchentisch verkörpert die allgemeine Not, und ihre Konflikte sind die Konflikte der Zeit. Nicht nur die Webers streiten sich bei dünnen Suppen auseinander und werden dann durch die Arbeit wieder vereint – es ist das deutsche Volk, dessen Entschluss zur Selbstbesinnung und Gesundung in packenden Bildern verhandelt wird.

Die Hauptfigur des Films ist der erwerbslose Kassenverwalter Webers. In ihm erscheinen die Zweifel gesammelt, die viele Deutsche an die Gespenster des Gestrigen fesselten. Ernst, der Sohn, lebt für den opfervollen Wiederaufbau der Maschinenfabrik, der sein Vater früher diente. Inge, die Tochter, folgt nach schlimmen Erfahrungen dem Bruder. Der Alte, in kapitalistischen Vorstellungen aufgewachsen und in kleinbürgerlichen Standesvorurteilen befangen, mißtraut und nörgelt. Er klammert sich an eine Welt, die im Zusammenbruch versunken ist, und erst als Harry, sein zweiter Sohn, der zum Schieber und Verbrecher wird, ihm die erschütternde Lehre erteilt, daß es abseits vom Volk kein Gedeihen gibt, ergreift er endlich die Hände, nach deren Druck er sich längst gesehnt hat.

Das ist der rote Faden, den die Story durch ein dichtes Gewebe von Szenen und Streiflichtern zieht: Nicht „rot“ in irgendeinem agitatorischen Sinn, sondern als psychologisch richtiges, innerlich fest verbindendes Grundmotiv. Dieser Film spricht an, weil er wahr und ehrlich ist, weil er die Menschen und die Verhältnisse menschlich schildert und es sich nirgends so leicht werden lässt, dass er in nur Rednerische ausböge. Indem er nicht, wie es so oft geschieht, von außen her „Zeitkolorit“ auf eine konventionelle Handlung pappt, sondern seinen dramatischen Einfall neu und direkt aus der Zeit und ihren Spannungen nimmt, hilft er die demokratische Filmproduktion auf eine höhere Ebene heben. Er liefert den Beweis, dass filmische Abläufe ohne billige Effekte möglich sind und dass das Publikumsinteresse nicht von Revueeinlagen und sensationellen Mätzchen abzuhängen braucht.

Man darf vermuten, dass diese Konzentration auf das Wesentliche, diese realistische Bändigung, diese kluge Beschränkung in der Vielfalt und diese Straffheit im Gedanklichen nicht zuletzt das Verdienst von Slatan Dudow sind. Die Regie, die er geführt hat, ist verhalten und dient dem Inhalt, anstatt ihn etwa mit formalistischen Gags zu überspielen. Nichtsdestoweniger kommt sie durchaus vom Filmischen her, von den bewusst benutzten Ausdruckselementen des bewegten Bildes, das zum Ton in dialektische Beziehung tritt. Wenn der alte Webers sehnsüchtig über die Fabrikmauer schaut und das Getöse der Maschinen belauscht, wenn die Kamera zu Beginn das Mädchen Nicki allmählich aus der grauen Masse der „Hamsterfahrer“ herausholt und sich mit ihr an den Familientisch begibt, wenn der gestrauchelte Sohn, den ganzen Nihilismus einer sterbenden Gesellschaftsschicht in seiner Körperhaltung, auf die Lokomotive zugeht, unter die er sich werfen wird – so ist das alles optisch konzipiert und weit vom „fotografierten Theater“. Mit solchen Szenen setzt Dudow zu einem eigenwüchsigen Filmrealismus an, der sich an den sowjetischen Meistern, aber auch an den brauchbaren Anregungen der französischen Avantgarde geschult hat.

Die Schar der Darsteller ist groß und insgesamt so lobenswert, daß es dem Kritiker schwer wird, nicht alle Mitwirkenden zu nennen. Paul Bild erfüllt die Rolle des alten Webers mit tiefem sozialen Verständnis und mit bezwingender Humanität; er ist als Typus ein lebendiges Einzelwesen und als Individuum von typischer Gültigkeit. Ähnliches, wenn auch nicht mit derselben Reife, erreicht Paul Edwin Roth, der die negative Erscheinung des Harry Webers nicht einfach abstoßend, sondern gesellschaftsanalytisch gibt. Siegmar Schneider als junger Direktor des volkseigenen Werks vermeidet es aufs Glücklichste, forsch anstatt kameradschaftlich zu sein. Harry Hindemith (als Ernst Webers) leiht der Gesinnung des Aktivistentums viel Überzeugungskraft. Inge Landgut (als Inge Webers) ist weder neckisch noch süßlich und hat den herben Charme einer leidgeprüften und doch lebensdurstigen Mädchengeneration. Ina Halley (Niki), Viktoria v. Ballasko (Frau Webers), Dolores Holve (als „Ami-Braut“ Mary, Gitta und Dorit Günther (als reizende kleine Zwillinge) und zahllose andere ordnen sich gut und sicher ein. Angelika Hurwicz, die Trümmerfrau Ilse, huscht als Schatten, Warnung und Mahnung durch die Familienküche und bestätigt ihre Fähigkeit, das dumpfe Leid der Kreatur zur lautlosen Anklage zu machen.

Im Berliner „Babylon“ errang dieser außerordentliche Film, zu dem Hanns Eisler die Musik geschrieben hat, den herzlichen Beifall eines Premierenpublikums aus Arbeitsaktivisten, Gewerkschaftsfunktionären, Politikern, Künstlern und Presseleuten.

(Neues Deutschland vom 11. 11. 1949)

„Unser täglich Brot“

Unter diesem Titel drehte die DEFA einen Aufbaufilm neuartigen Musters, der wenigstens mehr Substanz besitzt als die Aufbaufilme vergangener Jahre. Sehr hart und unvermittelt werden zwei Generationen gegenübergestellt, zwei Welten und zwei Meinungen: die Jungen, die vom Sozialismus reden und aus den Trümmern einer Maschinenfabrik wieder ein neues Werk aufbauen wollen, das später Traktoren herstellen wird, und der alte Vater, der früher Kassenverwalter an der gleichen Fabrik war und von den neuen Verhältnissen einfach überrannt wurde, so dass er sich nicht mehr in sie hineinzufinden vermag. Reichlich ungeschickt sind die einzelnen Szenen gemacht, in denen Vater und Sohn in ihren Meinungen zusammenprallen. Diese Auseinandersetzungen, in denen sich der Sohn in groben und unbeherrschten reden ergeht, erinnern peinlich an ähnlich Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Söhnen aus einer vergangenen Zeit, in denen die Söhne allerdings sehr im Unrecht waren. In diesem Film ist der Vater-Sohn-Konflikt sehr vergröbert und zugunsten einer auffälligen Tendenz aus dem echten Rahmen eines wirklichen im rein menschlichen verankerten Konflikts herausgerissen. Der Vater sieht später (selbstverständlich) seine Fehler ein, und damit wird der Vertreter der älteren Generation zur Karikatur. Dies ist jedoch Schuld des Drehbuchs und der Regie und nicht Paul Bildts, der künstlerisch eine erschütternde menschliche Darstellung dieses Vaters gibt.

Zwischen diesem schwarzweißgemalten Konflikt spielt sich eine Tragödie ab, die sehr echt gezeichnet und das beste an diesem Film ist. Der jüngste Sohn jenes Vaters ist einer der Heimgekehrten, die zu Hause nicht mehr Fuß fassen können, die auf die schiefe Ebene geraten und schließlich ein erschütterndes Ende finden: Der Sohn überfällt – unwissend – im Dunkel seinen eigenen Vater, um ihm ein Brot zu stehlen. Der Vater erkennt schließlich die Zusammenhänge, er weiß, wer ihn überfallen hat und der Sohn endet durch Selbstmord.

Neben Paul Bildt ist vor allem Paul Edwin Roth zu nennen, der den verlorenen Sohn spielt. […] Harry Hindemith hat mit dem Vater jene politisch-weltanschaulichen Dispute auszufechten und tut dies aufdringlich und grob. […]

Die DEFA hat es sich um dieses „tägliche Brot“ sehr einfach gemacht. Allein mit sozialistischem Optimismus kann man dieses Thema nicht gestalten. Dieser Film zeigt wohl, dass unser tägliches Brot das Wichtigste ist, aber er zeigt nicht, dass es trotz unserer Arbeit und unseres Bemühens dennoch ein Geschenk bleibt.

(Neue Zeit Berlin, 11.11.1949)

Uraufführung eines neuen DEFA-Films

Die DEFA hat die Uraufführung von „Unser täglich Brot“ als ein bedeutendes Ereignis aufgezogen: Gleichzeitig in den beiden größten Filmtheatern des Berliner Ostsektors […] fanden am 9. November die festlichen Premieren dieses ersten Nachkriegsfilms von Regisseur Slatan Dudow statt […].

„Unser täglich Brot“ verdient diese Herausstellung insofern, als sich in ihm ein Stück deutscher Geschichte mit ihren Zuständen, Menschen und Entwicklungen in beinahe dokumentarischer Treue spiegelt. Die DEFA führt damit die Reihe ihrer historischen Übersichten bis an die Gegenwart heran. Lagen Kurt Maetzigs „Buntkarierte“ mit ihren Schwerpunkten in der Wilhelminischen und in der Weimarer Epoche, durchleuchtete Staudtes „Rotation“ die Naziära bis zum Zusammenbruch, so setzt „Unser täglich Brot“ etwa 1946 ein, reicht mit seinen Schilderungen bis zum Heute, mit seinen Ausblicken weiter, in eine glücklichere Zukunft hinein.

In der Aufzeichnung der Fakten bemüht sich Dudow um gründlichste Gewissenhaftigkeit. Am Beispiel der Familie Webers wird mit lexikalischer Vollständigkeit demonstriert, was es an typischen Gestalten und Situationen im Ausschnitt der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung Deutschlands, den der Titel bezeichnet, nur immer gegeben hat. Es fehlt nichts, was dazu gehört. Da ist die Stadt Berlin mit ihren Nachkriegsnöten, die Schritt für Schritt überwunden werden, da ist die Fabrik, mit deren Schicksal das aller Gestalten des Films verknüpft ist: einst der Besitz brieftaschenschwerer Villenbewohner, dann von Bomben zerstört, nun volkseigen, aus dem Schutt zu neuer Ordnung, zu neuem Leben geführt in gemeinsamer Anstrengung von Arbeiter und Intelligenz, in ihrer Produktion fortschreitend vom primitiven Aschenbecher über aluminiumglänzende Kochtöpfe bis zu den ersten, dröhnend aus der Halle fahrenden Traktoren. Und da ist schließlich das Hohelied auf die allein werteschaffende Arbeit, die das sichert und schafft, was am dringlichsten für alle ist: unser täglich Brot.

Ein gutes Thema, ein nötiger Film. Leider war das Thema größer als die Gestaltungskraft seiner Bearbeiter. Die große Linie verliert sich in der Fülle vordergründiger Details; die Ereignisse und Menschen, die geschildert werden, lösen sich nicht aus dem dicken Brei einer zähflüssigen, in den Ausdrucksmitteln unbeherrschten Bildsprache; die Wahrheiten und Erkenntnisse, die sich als Konsequenz, die sich als Konsequenz der menschlichen Anteilnahme, als Quintessenz aus der Handlung und ihren Charakteren im Zuschauer selber und von selbst ergeben müssten, werden breit auf die Szenen gespachtelt und in dürrem Gespräch zerredet. Zum erstenmal hat die DEFA für die Dialoggestaltung einen Dichter zugezogen – aber so richtig und begrüßenswert das in der Theorie ist, so schwach war das Ergebnis: Ludwig Turek gab vom ersten bis zum letzten Wort den Schauspielern nichts Leitartikel mit verteilten Rollen zu reden.

Unter solchen Umständen haben die Darsteller es schwer, sich zu entfalten. Selbst Paul Bildt drang nur für Augenblicke durch die starre Formel der Reaktionärsschablone bis zum menschlichen Kern seiner Rolle. Neben ihm behaupteten sich noch am ersten Paul Edwin Roth und Harry Hindemith, die gegensätzlichen Brüder, auch Ina Halley und Dolores Holve gelang es, das entsprechende Paar auf der weiblichen Seite wirksam zu kontrastieren. Aber im ganzen bleibt der Eindruck – auch trotz der lebendigen, scharf akzentuierenden Musik Hanns Eislers – schwach und farblos. Der starke Beifall am Ende des Films galt mehr der erfreulichen Tendenz des Films und den Tatsachen, die er registriert, als ihrer künstlerischen Bewältigung.

Hugo Herrmann (Tägliche Rundschau Berlin, 11.11.1949)

Dieser Film könnte in der Sowjetunion hergestellt sein (was von der DEFA vermutlich sogar als Lob empfunden wird). Die Normung der Figuren ist hier vollendet. Anhand einer etwas verwirrend verzweigten Familie -es werden viele „Nichten“ zu Hilfe genommen – wird höchstens langweilend bewiesen, daß schwarz schwarz und weiß weiß ist, wobei schwarz natürlich die assozialen und weiß die progressiven Elemente sind. Staunend erfahren wir, daß 1946 eine so vielköpfige Familie nicht mit ihren Brotmarken auskam (immer wieder muß der Knust im Brotkasten dem Symbolismus dienen), und man fragt sich, wieso damals kinderreiche Familien davon leben konnten, daß sie ihre Brotmarken verkauften oder tauschten. Daneben wird fleißig aufgebaut (von den wackeren Arbeitern) und faul schwarz gehandelt (von den bösen kapitalistisch Eingestellten). Der Inhalt ist wirklich zu dumm, um Worte daran zu verlieren. Lehrreich und beklagenswert erscheint nur, daß ein Regisseur wie Slatan Dudow. dessen „Kuhle Wampe“ von 1933 unvergessen bleibt, inzwischen so ausgerichtet werden konnte, daß von einer Persönlichkeit, geschweige denn einem eigenen Stil, nichts mehr zu spüren ist. Das ist keine lebendige Wirklichkeit wie in den italienischen und französischen Filmen, die tatsächlich im Volke spielen, sondern nur ein gelenkter Pseudo-Realismus.

Schade um die gute Fotografie Robert Baberskes, schade um die im Gegensatz zum Film sehr eigenwillige Musik von Hanns Eisler, schade um manche Schauspieler, vor allem Paul Edwin Roth und Alfred Balthoff, deren intelligente Menschlichkeit einen angeht – schade um so junge Kräfte, wie lrene Korb, Dolores Holve, Ina HalIey-, wenn man sie immer wieder nur in Schablonen preßt, wo sollen sie ihre eigene Linie finden?

eha
Der neue Film, 21.11.49

Endlich war es so weit: Betriebsleiter Siegmar Schneider gab seiner Sekretärin Inge Landgut den ersten Kuss. Seit den ersten Filmmetern von „Unser täglich Brot“ hatte man es kommen sehen. „Na, also!“ rief ein Aktivist aus dem Parkett. „Das Publikum geht gut mit“, registrierte Regisseur Slatan Dudow.

Der Betriebsleiter in dem neuen DEFA-Film „Unser täglich Brot“ hatte nicht aus Schüchternheit so spät geküßt. Er musste erst schwer arbeiten, eine zerstörte Maschinenfabrik wieder aufbauen.

Ostberliner Gewerkschaftsfunktionäre und Aktivisten füllten neben der Presse das Ostberliner „Babylon“-Kino. Am gleichen 9. November liefen Neben-Uraufführungen vor Arbeitern in Erfurt, Leipzig, Halle, Potsdam und Schwerin. FDGB-Vorsitzender Adolf Deter hielt in Berlin für alle die Festrede gegen den Kapitalismus.

Kapitalistisch verstockt sitzt im Film der ehemalige Kassenverwalter Webers (Nationalpreisträger Paul Bildt) in der Wohnküche. Sohn und Nichte gehen als Schieber und Ami-Freundin zugrunde. Die übrigen Kinder ordnen im Kampf ums tägliche Brot einen Schutthaufen zur eigenen Traktorenfabrik, ohne Entlohnung, nur aus Liebe zur Arbeit.

Der Vater hilft zum Schluss bekehrt auch mit. Das Brot, das Webers erst nicht so ernst nahm wie das Geld, wird den ganzen Film lang symbolhaft im Munde geführt.

„Unser täglich Brot“ heißt auch die Suite, die Hanns Eisler, Komponist der ostdeutschen Johannes-R.-Becher-Nationalhymne […], für den Film geschrieben hat. In einen „Neues Deutschland“-Interview erkärt er, was seine Musik ausdrücke: den Heroismus der Hamsterer („Hungerzug“), die Freude  über das erste markenfreie Essen („Die Suppe§) und besonders  „die vorwärtsführende Kraft der arbeitenden Menschen“.

Eisler und Dudow arbeiteten nicht zum ersten mal zusammen. Eislers Lied von der Solidarität aus dem Dudow-Film „Kuhle Wampe“ wurde von den Arbeitslosen vieler Länder gesungen.

„Kuhle Wampe“, Dudows im damaligen Deutschland schnell verbotener Film der arbeitslosen Berliner Jugend, brachte dem damals jungen bulgarischen Regisseur Erfolg in vielen Ländern Europas. Der Emigrant Dudow drehte in Paris „Kuhle Wampe“ noch einmal auf französisch, zusammen mit seinem Freund Bert Brecht, der schon das deutsche Drehbuch geschrieben hatte.

1946 holte die DEFA den untersetzten, brünetten Vierziger aus Moskau nach Berlin zurück. Man riet ihm, mit DEFA-Mitteln „Kuhle Wampe“ neu zu fassen. Der halb fanatische, halb gemütliche Dudow packte zunächst seine Bühnenkomödien aus, die er im Krieg unter dem Pseudonym Stefan Brodwin schrieb. Ende 1948 führte er sein wirres, aber nicht witzloses Stück „Der Feigling“ erfolgreich in den „Kammerspielen des Deutschen Theaters“ urauf.

Kritiker, die von dem Pionier Slatan Dudow jetzt in „Unser täglich Brot“ Auffälliges erwartet hatten, zeigten sich enttäuscht. Trotz guter Schauspieler […]. Trotz guter Großstadtaufnahmen und Massenszenen, trotz eindrucksvoller Proletariergespräche. Das Drehbuch bekam die Schuld.

Regisseur Dudow hat es gemeinsam mit dem Arbeiterdichter Ludwig Turek geschrieben, der auch im Film erscheint: als fachgerechter Fräser bei Außenaufnahmen in der Lokomotivfabrik „Karl Marx“.

Drei Tage nach der Premiere von „Unser täglich Brot“ wollte Dudow „der vergifteten Atmosphäre wegen“ nur noch schriftliche Interviews“ geben. Die westliche Presse führe heute geistige Auseinandersetzungen „nur mit dem Revolver nach Chicagoer Methode“.

(Der Spiegel, 17. 11. 1949)

Im Rückblick wurde Slatan Dudows Film sowohl als historisches Dokument als auch als ideologisch geprägtes Werk der frühen DEFA-Zeit gewertet. Hier eine differenzierte Auswahl prägnanter Stimmen:

 

Richter (1971) analysiert die Figur des alten Webers als ambivalentes Symbol des Übergangs vom Kleinbürgertum zur sozialistischen Gesellschaft.

Herrmann Herlinghaus (1976) würdigt Dudows Anspruch, die soziale Realität der Nachkriegszeit unverstellt darzustellen.

Christiane Mückenberger (1994) sieht den Film als Ausdruck einer Phase, in der Kunst und Politik noch eng verbunden waren und der Aufbauwille dominierte.

Detlef Endeward & Peter Stettner (1995)  betonen die Spannung zwischen existenzieller Not und utopischer Hoffnung, die den Film durchzieht.

Andreas Kötzing (2019) hinterfragt die Identifikationsangebote des Films und sieht ihn als Versuch, sozialistische Werte filmisch zu verankern.

 

Diese Stimmen zeigen, wie sich die Perspektiven auf den Film im Laufe der Jahrzehnte gewandelt haben – von ideologiekritischer Distanz bis zur kulturhistorischen Würdigung.

Dudows „Unser täglich Brot“ hat eine Schlüsselstellung in unserer Filmgeschichte. Der Bericht vom alten Webers und seiner Familie, die genaue Schilderung des Alltags dieser Leute (wir werden die stilistische Ebene des Films als sozialen Dokumentarismus bestimmen) begründeten eine ganze Richtung unseres Spielfilms mit Auswirkungen bis in die Gegenwart. Aber mehr noch: Die Geschichte von dem in althergebrachten (kapitalistischen) Lebensverhältnissen verwurzelten alten Mann, der sich – provoziert durch die beginnenden gesellschaftlichen Veränderungen – dem Vergleich der sich im Nachkriegsdeutschland entwickelnden zwei Gesellschaftssysteme stellt und sich nach langen, schwierigen inneren und äußeren Kämpfen in die von der Arbeiterklasse geführte Entwicklung integriert, erfasst einen der wichtigsten und massenhaftesten Bewusstseinsprozesse der Nachkriegszeit. Die Originalität dieses Films zeigt sich besonders in der Konstruktion eines künstlerischen Modells, mit dem diese neuen gesellschaftlichen Prozesse in den Griff zu bekommen waren. Für realistische Kunst bedeutet dies, dass nicht nur dieser Prozeß selbst erfasst wird, sondern dass die neuen Entwicklungen auf ihre humanistische Tragweite untersucht werden, dass ihre Möglichkeiten in einer vom Künstler erhofften, erwarteten, erwünschten Weise durchgespielt und so die Potenzen einer Situation sichtbar werden. […]

So genau die im Film gezeigten Vorgänge der Wirklichkeit, den realen Vorgängen verbunden scheinen, so erweisen sie sich doch als Verkürzungen, Umformungen besonders in bezug auf das Umfassende und die innere Folgerichtigkeit des Erkenntnisvorgangs. Das Maß der humanistischen Möglichkeiten einer konkreten Lebenssituation will von Dudow ausgeschöpft werden. Der Bogen soll zur Gänze umspannt werden. In dieser Absicht realisiert sich der sozialistische Impetus Dudows, seine pädagogische Absicht. […]

In einer Variante des Szenariums formuliert Dudow eine zum Tragischen tendierende Lösung des Films: Der alte Webers stirbt. Der Alte war endlich bereit, Arbeit in der Fabrik seines Sohnes anzunehmen. Es sind aber alle Posten besetzt, nur noch der des Pförtners ist frei. Der Alte nimmt an, aber auf dem Heimweg wird er überfallen. Er stirbt an den Folgen des Unfalls. Der Mörder ist sein Sohn Harry.

So eindrucksvoll dieser Schluss auch ist, mit ihm hätte Dudow nur erreicht, dass die Wandlung des Alten vorzeitig abgebrochen worden wäre. Die Fragen seiner weiteren Entwicklung wären so unberührt geblieben, z. B. ob er sich damit abgefunden hätte, als Pförtner zu arbeiten. […]

Die gesellschaftlichen Zusammenhänge dieses Untergangs wären nicht recht einsichtig, übrig bliebe eine moralische Verurteilung des Sohnes und eine Rangerhöhung (durch gesteigertes Mitleid) des Vaters. Die Beziehungen zwischen dem Wandlungsprozeß und seinem Ende wären in dieser Fassung lose und unorganisch gewesen. Die tragische Situation hätte sich nicht aus der Bedingtheit des Charakters ergeben. […] 

Richter, Rolf: Analyse eines Charakters
Der alte Webers („Unser täglich Brot“) (Filmwissenschaftliche Beiträge, 1971, S. 110-114)

Erinnerungen an Pioniere des DEFA-Films: Slatan Dudow (Herrmann Herlinghaus, zit. nach Film und Fernsehen Nr. 3, 1976, S. 15)

Dudow beschränkte sich nicht darauf, einen historischen Zustand abzuschildern; er sah die Jahre 1932 [in diesem Jahr spielt Dudows Film „Kuhle Wampe“; F. E.] wie auch 1949 als revolutionäre Umschlagspunkte einer Entwicklung. Vor dem Hintergrund einer sozialen und nationalen Entscheidung prallten die politischen und moralischen Grundhaltungen seiner Helden aufeinander […]. Die Gestalt des jungen Webers ist gewissermaßen der Charakter der neuen Bedingungen selbst, die sich noch im ersten Entwicklungsstadium befanden.

Ebenso wie in seinem Vorkriegsklassiker war auch in Dudows erstem Nachkriegsfilm wieder der Familientisch Austragungsort kontroverser politischer Debatten. Die Konfliktkonstellation hat das Übersichtliche eines Lehrstückes. Zwischen dem guten und dem bösen Sohn steht der alte Vater, der zu spät hinter dem Imponiergehabe des einen den moralischen Abgrund und hinter der scheinbaren Lebensuntüchtigkeit des anderen dessen Selbstlosigkeit erkennt. Dudows Filme setzen auf die Kraft des Wortes […]. Eine unbedachte Formulierung im Streit um „unser täglich Brot“ spaltet die Familie Webers endgültig, nimmt dem Vater jedes gesunde Urteilsvermögen und bringt ihn in tödliche Gefahr. Die Überbetonung des Wortes lässt die Bildsprache verkümmern, besonders bei den Diskussionen am Tisch ist streckenweise die Einfallslosigkeit des Arrangements und der Kamera nicht zu übersehen. Für seine Absicht brauchte Dudow keine differenzierten Charaktere. Der moralische Frontverlauf ist endgültig. Übergelaufen wird nicht. Nur Vater Webers bekommt die Chance, sich zu verändern. Zwei Arbeiter, die an pointierten Stellen des Films ihre Skepsis mit Worten demonstrieren, sie aber zugleich durch die zupackende Tat ad absurdum führen, übernehmen den kommentierenden Part, der die Handlung anhält und dem Zuschauer zeit lässt, das Geschehen zu überdenken. Packend ist der Film dort, wo Dudow seine starke Seite zeigt, mit einer Geste, einem Blick, dem unbewussten Alltagsverhalten einer Person ihr soziales Umfeld, ihre Position im Figurenensemble schlagartig zu erhellen, manchmal sogar etwas von ihrer Geschichte durchblicken zu lassen. […]

Dudow hatte sich an einem neuen spröden Thema versucht – der Rechtfertigung volkseigener Eigentumsverhältnisse – und war dabei bemüht, auf erzählerische Konventionen zu verzichten. Die filmkünstlerische Revolution blieb jedoch aus, der Film zeigt eher eine gewisse Anfälligkeit für Anforderungen des sozialistischen Realismus. Ihm fehlte der Schwung und die Kraft, die Herbert Ihering in der Musik von Hanns Eisler entdeckt hatte. Er nannte sie „Das Ereignis“, das ihn an die großen Zeiten des russischen und deutschen Films vor 1933 erinnert habe. „Sie griff an, sie packte zu, sie konzentrierte. Die übliche illustrierende Filmmusik, die wir von Hunderten von Filmen in den Ohren haben, war weggewischt.“

aus: Mückenberger, Christiane: Zeit der Hoffnungen. 1946 bis 1949, in: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA 1946-92 (hg. v. Filmmuseum Potsdam). Potsdam 1994, S. 38.

Zum anderen „Unser täglich Brot“, eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Filmgeschichte der späten vierziger Jahre. Es ist die Position einer gesellschaftlich links orientierten, dem Prinzip des Sozialismus verbundene Kraft, die bewusst den Bruch mit tradierten politisch-ökonomischen Verhältnissen sucht, die lehrstückhaft zuspitzt, die belehren will und zumindest aus heutiger Sicht – durchaus mit negativer Konnotation – in der Regel auch so empfunden wird. Bei aller Unterschiedlichkeit [zum Film „Und über uns der Himmel“, 1947, Regie Josef von Baky) findet sich doch auf der Ebene der intendierten Aussagen eine Gemeinsamkeit: Beide Filme zeigen eher „wie es sein soll“ als „wie es ist“: Hans Richter [die Hauptfigur aus „Und über uns der Himmel“; F. E.] und Karl Webers […] machen eine Entwicklung durch und entscheiden sich schließlich wunschgemäß „richtig“. In dem Dudow-Film scheint dies besonders deutlich, da der Film seine Intentionen offenlegt, zur Diskussion stellt. Das aufgesetzte Ende, die Integration des Kleinbürgers Weber in den sozialistischen Aufbau wurde zudem von der russischen Militäradministration gewünscht – Dudow wollte den alten Webers ursprünglich sterben lassen, nachdem er von seinem Sohn Harry überfallen worden war. Aber auch in dieser Situation hätte der Film seinen Charakter als Lehrstück behalten, wenngleich etwas weniger plakativ. Dies Bedürfnis zu zeigen „wie es sein soll“ kann als Beleg dafür verstanden werden, dass es kaum den Wunsch gab, sich mit der gesellschaftlichen Realität der Nachkriegszeit ungeschminkt auseinanderzusetzen, vielmehr aber das starke Bedürfnis, Perspektiven und Zukunftswege aufzuzeigen bzw. aufgezeigt zu bekommen. Dies muss als ein Wechselverhältnis von verbreiteter Unsicherheit einerseits und autoritärer Fixierungen andererseits verstanden werden.

aus: Endeward, Detlef/Stettner, Peter: Das Brot und der Himmel. Zwei deutsche Spielfilme als historische Quellen der frühen Nachkriegszeit, in: Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle (hg. v. Irmgard Wilharm), Pfaffenweiler 1995, S. 219f.

Brot als Symbol

Jenseits des Wiederaufbaus der Fabrik und der persönlichen Entwicklung von Karl Webers spiegelt Dudow den gesellschaftlichen Wandel auch auf einer symbolischen Ebene wider. Das bereits im Titel des Films angesprochene „tägliche Brot“ taucht als wiederkehrendes Motiv an verschiedenen Stellen auf. Dabei werden unterschiedliche thematische Bezüge hergestellt und Brot als sinnstiftendes Symbol eingesetzt. Schon zu Beginn des Films, in der erwähnten Frühstücksszene, steht das Brot im Mittelpunkt. Alle Familienmitglieder, die nach und nach die Küche betreten, werfen einen prüfenden Blick in den Brotkorb, in dem nur noch ein vertrocknetes Stückchen liegt. Das alte Brot verdeutlicht die mangelhafte Versorgungssituation der Familie. Als wenig später Webers’ Nichte in der Wohnung eintrifft und vom „Hamstern“ auf dem Land ein frisches Bauernbrot mitbringt, verschiebt sich die symbolische Bedeutung. Das Brot wird zu einem Sinnbild für die Eigeninitiative der Bevölkerung im Kampf gegen Hunger und Mangelversorgung. Die Art und Weise, wie mit dem Brot umgegangen wird, verdeutlicht zugleich die Charakterzüge einzelner Familienmitglieder. Fast alle freuen sich über das frische Brot–in einer Nahaufnahme sieht man, wie die Hände der einzelnen Familienmitglieder reihum nach den Brotscheiben greifen. Nur Harry, der später zum Frühstück in der Küche er-scheint, betrachtet das Brot abschätzig und fragt seine Stiefmutter, warum es keine Butter dazu gibt. Trockenes Brot zu frühstücken, lehnt er ab.

(…)


Vollständiger Text:

Andreas Kötzing: „Ein Film aus unserer Wirklichkeit“? Sozialistische Identifikationsangebote in Slatan Dudows Unser täglich Brot (1949) In: Hürter, Johannes/Hof, Tobias (Hg.): Verfilmte Trümmerlandschaften. Nachkriegserzählungen im internationalen Kino 1945-1949. Band 119 der Reihe Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, München 2019, S. 209-226

Die retrospektiven Online-Kritiken zu Slatan Dudows Film zeichnen ein vielschichtiges Bild:

filmdienst hebt die Milieuschilderung und Atmosphäre hervor und nennt den Film ein „bemerkenswertes Dokument“. Gleichzeitig wird die ideologische Tendenz als „pathetisch und naiv“ beschrieben.

film.at. betont den familiären Konflikt und die gesellschaftlichen Umbrüche: „Der Streit um den richtigen Weg: Bruderzwist in einer kleinbürgerlichen Familie nach dem Krieg. Hunger, Heimkehrer, Umsiedler, Schwarzmarkt: Neuaufbau in der DDR – aber wie?“

Cinemathek Leipzig beschreibt Unser täglich Brot als „ein frühes Beispiel für den sozialistischen Familienfilm“, der „zwischen Trümmerrealismus und ideologischer Vision“ schwankt. Die Darstellung des Vater-Sohn-Konflikts wird als „emotionaler Kern“ des Films hervorgehoben.

Grün ist die Heide (Filmbesprechung 2013) nennt den Film „ein Lehrstück über die moralische Neuorientierung nach dem Krieg“, wobei besonders die Figur des alten Webers als „Symbol für den inneren Wandel des Kleinbürgers“ interpretiert wird.

Die Brüche einer sich wandelnden Gesellschaft konzentrieren sich in der Familie eines ehemaligen Kassenverwalters. Überlebende des Krieges, Kleinbürger*innen, Schieber*innen und optimistischer Neuaufbau – verschiedene Entwicklungslinien verdichten sich zu einem Drama, das für den Neubeginn wirbt. Die in der Not zusammengeführte Familie steht sinnbildlich für die Situation der gesamten Gesellschaft. Der Film schafft es weit über Zeitkolorit hinaus, Spannung und Brisanz zu entwickeln.

Kammerkonzert & Film »UNSER TÄGLICH BROT« – Cinémathèque Leipzig (cinematheque-leipzig.de)

(…) Die große Anerkennung des „Neorealismus“ im italienischen Film, die dessen Ruf nach dem zweiten Weltkrieg maßgeblich bestimmte, lässt vergessen, dass es im deutschen Film vergleichbare Tendenzen gab. Beginnend mit Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ (1946) entstanden so genannte „Trümmerfilme“, die in ähnlich halb-dokumentarischer Form ein vom Krieg und Faschismus zerstörtes Land zeigten. Wie im Neorealismus vertraten diese ersten deutschen Nachkriegsfilme ein antifaschistisch geprägtes Weltbild, unter dessen Prämissen ein gerechter, humaner Staat entstehen sollte. Roberto Rossellini, der mit „Roma, città aperta“ (Rom, offene Stadt) 1945 einen der ersten kritischen Filme drehte – noch während der Krieg im Norden Italiens tobte – warf 1948 auch einen genauen Blick auf das Nachkriegsdeutschland. (…)

Auszug aus der Filmbesprechung bei Grün ist die Heiede, vom 11.04.2013

Das Brot oder der Himmel?
Unterrichtseinheit (18 Stunden)

Die folgenden Überlegungen, die in einer in einer Unterrichtsskizze münden, die einen Umfang von 14 bis 18 Unterrichtsstunden hat, stammen aus dem Jahre 1999, also einer Zeit, in der die heute durch die Digitalisierung gegebenen Möglichkeiten der Arbeit mit Filmen noch nicht existierten.


Eine vergleichende Filmanalyse ist unter den Bedingungen schulischen Lernens vor allem im Sekundarbereich II möglich und sinnvoll. (…)  Das Erkenntnisinteresse in der Unterrichtseinheit richtet sich auf das menschliche Verhalten: Wie haben die Menschen  auf den sog. „Zusammenbruch“ reagiert? Eng verknüpft ist damit die Frage nach der Akzeptanz der Demokratie. 

Die Schülerinnen und Schüler sollen die Filme nutzen, um den Selbst- und Gesellschaftsbildern, den Weltdeutungen, Werten, Vergangenheits- und Zukunftsvorstellungen der Menschen nachzugehen. In diesem Zusammenhang soll nochmals betont werden:  Die Mentalitäten von Menschen – ihre Vorstellungen, Wünsche, Tagträume – lassen sich herausarbeiten, indem die Geschehens- und Handlungsmotive der Filme gegeneinandergestellt und verglichen werden. Gemeinsamkeiten deuten dann auf manifeste Dispositionen hin, da davon auszugehen ist, dass diese Gemeinsamkeiten nicht zufällig sind. Es geht also bei der quellenkritischen Arbeit nicht in erster Linie um die Überprüfung der Filminhalte auf „korrekte“ oder „falsche“ Darstellung historischer Sachverhalte oder gar Ereignisse, sondern um die Sichtweisen und Handlungen der Menschen, um ihren Umgang mit den Problemen der Zeit:

– In welcher Weise reflektieren sie dabei die unmittelbare Vergangenheit?

– Wie meistern sie die Probleme der Gegenwart?

– Wie gehen die Menschen miteinander um, welche Werthaltungen liegen ihrem Handeln zugrunde?

– Welche Perspektiven für die Zukunft entwerfen sie?

Die für den Geschichtsunterricht konstitutive Arbeit mit Quellen wird also in dieser Unterrichtseinheit über den Printbereich hinaus auf Filme erweitert. Damit verknüpft ist die Notwendigkeit, dieser Quellengattung adäquate Auswertungsmethoden zu erlernen. Über diese quellenkritische Auswertung der Filme erweitert sich zugleich der Blick der Schülerinnen und Schüler: Die technisch vermittelte Kommunikation, die in der modernen Gesellschaft wesentliche Bedeutung  gewonnen hat, wird inhaltlich und methodisch zum Gegenstand des Geschichtsunterrichts, ohne dass dies explizit zum Thema gemacht wird. Der Geschichts-unterricht liefert so einen Beitrag zur Vermittlung von Medienkompetenz.

Für die praktische Auseinandersetzung mit den Filmen muss eine klare Schwerpunktsetzung erfolgen: diese soll hier in der  Untersuchung und dem Vergleich der inhaltlichen  Merkmale der Filme  (Produktanalyse bzw. Analyse der Filmrealität) liegen.

Folgende Untersuchungsfelder sollen von den Schülerinnen und Schülern dabei selbständig bearbeitet werden:

  1. Raum-Zeit-Bezug der Filme
  2. Personenkonstellation in den Filmen
  3. Geschehens- bzw. Handlungsmotive

Die Bedingungs- bzw. Wirkungsrealität kann nur insofern Gegenstand des Unterrichts sein, als sie für die Problemstellung notwendig ist. Informationen über die politischen und wirtschaftlichen  Bedingungen der Filmproduktion in den Nachkriegsjahren , die Intentionen der Produzenten (die bewussten, vielleicht auch politisch motivierten Absichten) – soweit sie bekannt sind – und die zeitgenössische Filmrezeption sollte exemplarisch in die Schlussauswertung einbezogen werden.

Die für eine Analyse notwendige umfassendere Untersuchung des Produktionskontextes und der Publikumsresonanz wäre eher im Rahmen eines kultur- oder filmgeschichtlichen Kurses, der die Filmproduktion der Nachkriegsjahre umfassend behandeln möchte, sinnvoll.

Über grundsätzliche formale Gestaltungsmerkmale der Filme müsste ebenfalls im Zusammenhang mit der abschließenden vergleichenden Zusammenfassung nachgedacht werden..

 

Slatan Dudows Unser täglich Brot (1949) ist ein Schlüsselwerk der frühen DEFA-Produktion. Er ist nicht nur ein Sozialdrama, sondern ein parteiisch geprägter Beitrag zur Selbstvergewisserung der jungen DDR – und damit ein bedeutender Medientext seiner Zeit.

Historischer Kontext im Film:

  • Nachkriegsnot, Hunger, Schwarzmarkt, Trümmerfrauen, Heimkehrer.
  • Die Familie Webers steht exemplarisch für die soziale Zerrissenheit und die Suche nach Orientierung.

Konfliktlinien:

  • Ernst (sozialistischer Idealist) vs. Harry (Schieber, Opportunist).
  • Vater Karl als Symbol des alten Kleinbürgertums, das zwischen den Polen zerrieben wird.

Raumgestaltung:

  • Die Wohnung als Mikrokosmos der Gesellschaft.
  • Die zerstörte Fabrik als Ort des Aufbaus und der Hoffnung.

Gesellschaftlicher Hintergrund:

  • Gründung der DDR, Aufbau des Sozialismus, ideologische Abgrenzung zur BRD.
  • Film als Teil der kulturellen Bündnispolitik: Integration des Kleinbürgers in die neue Gesellschaft.

Filmische Botschaft:

  • Der Film propagiert den Aufbauwillen der Arbeiter und die Überlegenheit des sozialistischen Weges.
  • Die Wandlung des Vaters Karl vom Skeptiker zum Unterstützer des volkseigenen Betriebs ist zentral.

Gestaltungsmittel:

  • Realistische Milieudarstellung, symbolische Szenen (z. B. das „sozialistische Brot“), Musik von Hanns Eisler.

 

Rezeptionsphase

Merkmale

Zeitgenössisch (1949–50er)

In der DDR positiv aufgenommen, als identitätsstiftender Film. In der BRD kaum bekannt.

Spätere Rezeption (ab 1990er)

Neubewertung als ideologisch geprägtes, aber atmosphärisch starkes Zeitdokument.

Didaktische Rezeption (heute)

Film als Quelle für Mentalitätsgeschichte, Sozialpolitik, Erinnerungskultur und DDR-Identität. Ideal für Unterricht und politische Bildung.

Element

Beispiel im Film

Interpretation

Symbolik

Brot als Geschenk

Ausdruck von Solidarität und ideologischem Konflikt

Raum

Wohnung der Webers

Gesellschaftlicher Mikrokosmos, Konfliktraum

Dialoge

„Ich esse kein sozialistisches Brot“

Ablehnung des neuen Systems, später Überwindung

Montage

Wechsel zwischen Alltag und Fabrikaufbau

Kontrast zwischen Stillstand und Fortschritt

Unser täglich Brot konstruiert ein Raum-Zeit-Kontinuum, das die Nachkriegszeit nicht nur darstellt, sondern parteiisch deutet und politisch formt. Der Film, als eine gesellschaftliche Quelle betrachtet, zeigt, wie Film als Medium zur Konstruktion von Identität, Erinnerung und Zukunftsvision im Kontext der DDR-Gründung. genutzt wird.

Film im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1950


Filmansicht bei Merlin

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