Rote Räte – Die bayerische Revolution aus der Sicht von Augenzeugen (2019)

Annotation

Im Jahr 1918 wurde in Deutschland der Ruf nach einer besseren Gesellschaft unüberhörbar laut. Nach dem Sturz der Kaiserherrschaft forderte die Bevölkerung einen Neuanfang: mehr Mitbestimmung, mehr Gleichberechtigung, mehr Freiheiten. Besonders in Bayern entstand nach der Revolution ein regelrechtes Labor der Demokratie – sowohl mit basisdemokratischen als auch sozialistischen Experimenten. Und mit weitsichtigen Initiativen. Bis zur Diffamierung und blutrünstigen Niederschlagung durch die konservative Gegenrevolution.

60 Jahre später hat der Regisseur Augenzeugen der Münchener Räterepublik nach ihren Erlebnissen und Einschätzungen befragt. Diese erst kürzlich restaurierten Videoaufnahmen mit einem damaligen Schreiner, einem Kaufmann, einem Berufssoldaten, einem Studenten, einem Buchbinder und dem mit Gustav Landauer und Kurt Eisner befreundeten Anarchisten Augustin Souchy bilden die Grundlage des Films über die Geburt der Demokratie in Bayern.
(Text: 

Filmtitel: Rote Räte
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2019
Laufzeit: 60 Min.

Dreharbeiten und Interviews (1979-80): Klaus Stanjek, Margot Fuchs, Silvia Gassmann, Franziska Schmidt, Udo Siefken, Wilhelm Ludwig, Helfried Spitra, Christl Nollenberger
Konzept & Regie & Montage & Produktion: Klaus Stanjek
Historische Beratung: Dr. Margot Fuchs 
Restaurierung & Digitalisierung: Fa. RestauMedia /
Audiobearbeitung und Mix: Raimund von Scheibner / Grafik: Alexander Urban
Produktionsassistenz : Manuel Koesters 
Postproduktion/Colorist: Hanno Kunow
Musik: Konstantin Wecker/
Produktionsfirma: CINETARIUM Babelsberg

(Quelle: Presseheft)

Bezugsquelle: sabcat.media

Klaus Stanjek macht seit mehr als 40 Jahren Dokumentarfilme zu
gesellschaftspolitischen, sozialen, ökologischen und ethnographischen Themen für
Kino, TV, und Bildungsarbeit.

Seine Filme (z.B. „Klänge des Verschweigens“ „Kommune der Seligen“, „Die Wasserherren“, „Zwielicht – Ökologie der Künstlichen Helligkeit“) erhielten zahlreiche Auszeichnungen.

Von 1993 bis 2014 unterrichtete er Dokumentarfilmregie an der Potsdamer Filmuniversität (HFF „Konrad Wolf“).

Es wird Zeit, unsere heutigen Vorstellungen von Demokratie zu überprüfen. Gegenwärtig stehen die Gewaltenteilung, die Mitbestimmung und Meinungsfreiheit weltweit unter Beschuss. Sie erscheinen vielen zu umständlich. Ein Blick auf die ersten Monate der Demokratie in Deutschland könnte unseren Blick weiten. Im rätedemokratischen Bayern von 1918-19 konkurrierten noch Gesellschaftsmodelle in mehreren Versionen gegeneinander. Der kaiserliche Obrigkeitsstaat war jedenfalls gescheitert. Die Bevölkerung suchte nach neuer Orientierung.

Gegenwärtig erweist sich unsere Demokratie als verwundbar. Autokraten und Populisten gelingt es viel zu oft, ihre plumpe Wirkung im Rahmen der repräsentativen Demokratie zu entfalten. Durch den eskalierenden Klimawandel wie durch die Globalisierung lastet ein neuer Druck auf unserer Gesellschaft. Beides verlangt nach neuem Aufbruch aus den bisherigen Fahrwassern. Die Zeit der Räterepublik (1918-1919) ist gerade deshalb so aufschlussreich, weil sie eine Zeit des mutigen Aufbruchs zu demokratischeren Verhältnissen war.

Als ich mein Studium im Jahr 1968 begann, herrschte ebenfalls eine drängende Aufbruchsstimmung. Die damalige Studentenbewegung trat gegen die verkrusteten Verhältnisse in Deutschland an, die immer noch von autoritären Methoden der Vergangenheit durchwirkt war. Zehn Jahre danach interessierte uns diese Revolution von 1918-1919. Wir waren ein lose organisiertes Team von politisch Interessierten, die teilweise der Münchener Gruppe „CINEPOL“ angehörte. Uns ging es darum, „unterdrückte Nachrichten“ zu verbreiten und „Gegeninformationen“ bekannt zu machen. Von der bayrischen Räteregierung war damals auffallend wenig bekannt. Denn auf den Trümmern der blutig niedergeschlagenen Rätedemokratie hatten sich damals die Reaktionäre und Nationalsozialisten breitgemacht und letztlich die Erinnerung an diese Zeit der Hoffnungen und Utopien unter ihre propagandistische Kontrolle gebracht.

Zum Glück konnten wir noch einige Augenzeugen finden, die direkt an den Vorgängen beteiligt waren und aus erster Hand berichten konnten. Unsere damaligen Videoaufnahmen konnten erst im Jahr 2018 restauriert und ausgewertet werden. Sie bilden den Grundstock des Films ROTE RÄTE. (Quelle: Presseheft)

Klaus Stanjek

Interview mit dem Regisseur

(Auszug aus einem Interview von Dror Dayan mit Klaus Stanjek für „Melodie & Rhythmus“ / 1-2020)

Gab es gar keine anderen ähnlichen Aufnahmen von Zeitzeugen?

Der Bayerische Rundfunk wäre eigentlich zuständig gewesen. Er hat aber unter dem Druck der CSU und der konservativen Landespolitik einen Bogen darum gemacht; er
wollte nicht unbedingt die linke Vorgeschichte von Bayern bekannt werden lassen.
Wenn sie etwas gesendet haben, dann haben Sie mit Experten, mit Historikern oder
angeblichen Historikern gearbeitet, aber kaum mit Augenzeugen – und wenn dann
nur mit welchen aus der politischen Mitte.

Viele Filmemacher hätten diese alten Aufnahmen in eine »Hochglanz«-Form
gebracht, Sie belassen das Material aber ziemlich roh, samt seinen technischen Mängeln.
Ja, in diesem Film entschied ich mich, das Rohe in den alten Aufnahmen nicht zu
verbergen, sondern kenntlich zu machen, um die Quellenlage nicht zu beschönigen.
Es gibt Passagen, wo das Bild zittert oder die Aussagen nicht zu verstehen sind, und
das soll der Zuschauer auch wahrnehmen. In Historiendokus, wie sie beispielsweise
im ZDF laufen, macht man genau das Gegenteil. Da wird der Eindruck eines
gesicherten Geschichtsverständnisses vermittelt, indem auch ästhetisch alles
geglättet wird. Das ist meines Erachtens unangemessen. Da geht es ja auch um
Erinnerungen, die nun wirklich eine sehr subjektive Gestaltungsqualität haben. Das
zuzulassen und auch dem Zuschauer mitzuteilen − das ist die Funktion dieser
Ästhetik des Rohen. Meine Narration ist auch in einer Ich-Form und bezieht
biografische Momente bewusst mit ein, im Gegensatz zu den anonymen
Kommentaren in den konventionellen historischen Dokumentarfilmen.

Mit dieser Ich-Form fordern Sie den Zuschauer in einer der letzten Szenen auf,
in die Gesichter junger Freikorps-Angehöriger zu schauen und deren
politischen Beweggründe zu reflektieren.
Ich meine, in dieser Zeit, gerade in München, findet sich die Wurzel zum Faschismus
und dieser reaktionären Tendenz, die bis Mai 1919 noch eine ganz andere gewesen
war. Und weil der Geheimbund Thule, früher der Germanenorden, diese Entwicklung
damals systematisch und mit klandestinen Methoden vorbereitet hat, setzte sie sich
im Land fort und wurde natürlich von Hitler und den vielen Finanziers befördert. Ich
finde, das ist eine unterschätzte Wendezeit. Dass beispielsweise Juden, wie Leviné,
Eisner, Landauer und Mühsam, beteiligt waren − das hat Hitler ausgenutzt. Und
natürlich war der Adel von Entmachtung bedroht und die Industrie von
Verstaatlichung. Daher war es nicht überraschend, dass sie alle die Revolution
verhindern wollten.
___________________________________________________________________QuelQuelle: Presseheft

Revolution 1918/19 – Filme zum Thema

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