Kapitalismus und Utopie

Utopie muss gegen den Kapitalismus gedacht werden, nicht innerhalb seiner Logik.

Detlef Endeward (12/2025)

Der Zusammenhang von Kapitalismus und Utopie berührt zentrale Themen sowohl der politischen Philosophie, der Gesellschaftstheorie und Ideengeschichte und hat damit große Beduetung im Rahmen des Konzepts der Gesellschaftskompetenzen.

Kapitalismus und das „Ende der Geschichte“

Der Gedanke des „Endes der Geschichte“, den Francis Fukuyama nach dem Ende des Kalten Krieges populär gemacht hat, bezieht sich auf die Idee, dass mit der „liberalen“ Demokratie und der (neoliberalen) Marktwirtschaft eine Art endgültige gesellschaftliche Ordnung erreicht sei.

In dieser Lesart wäre der Kapitalismus nicht nur dominant, sondern unendlich, weil:

  • kein alternatives Gesellschaftsmodell mehr glaubwürdig oder durchsetzbar scheint,

  • alle historischen Kämpfe um Systeme (Feudalismus, Kommunismus, Faschismus etc.) entschieden wären,

  • die ökonomische Logik des Marktes sich globalisiert und in alle Lebensbereiche eingeschrieben hat.

Damit würde der Kapitalismus sozusagen postutopisch: Er erscheint nicht mehr als eine historische Phase unter anderen, sondern als das Ende der Entwicklung selbst.

Kapitalismus als Anti-Utopie und als Utopie zugleich

Hier entsteht ein paradoxes Verhältnis zur Utopie:

  • Als Anti-Utopie:
    Der Kapitalismus behauptet oft, keine Utopie zu sein. Er präsentiert sich als „realistisch“, pragmatisch, offen, ergebnisoffen. Doch gerade dadurch schließt er alternative Entwürfe aus — was ihn zu einer Art impliziter Anti-Utopie macht: Es gibt keine Alternative („TINA“ – There Is No Alternative).

  • Als Utopie:
    Gleichzeitig enthält der Kapitalismus utopische Elemente:

    • Die Idee unbegrenzten Wachstums und Fortschritts.

    • Die Hoffnung, dass Märkte durch Konkurrenz und Innovation das bestmögliche Leben für alle schaffen.

    • Der Glaube an technische Lösungen (Technik-Utopismus).
      Diese Vorstellungen sind zutiefst utopisch – nur dass sie nicht als solche erkannt werden, weil sie in der Realität aufgehoben scheinen.

Utopie im Kapitalismus – oder nach ihm?

Utopien im klassischen Sinn (Thomas Morus, Marx, Bloch) richten sich gegen die bestehende Ordnung und denken über Alternativen nach. Wenn aber der Kapitalismus als „Ende der Geschichte“ gilt, scheint Utopie unmöglich geworden zu sein – oder sie wird in den Kapitalismus selbst integriert:

  • Konsum und Lifestyle werden zur individuellen Utopie: Glück als Produkt.

  • Silicon-Valley-Visionen von ewiger Jugend, künstlicher Intelligenz oder Kolonisierung des Mars sind technokapitalistische Utopien – keine gesellschaftlichen, sondern unternehmerischen.

Damit ist die utopische Energie nicht verschwunden, sondern umgeleitet – von kollektiven, politischen Ideen hin zu individualistischen oder technologischen Fantasien. In diesen Fantasien ist es offenbar leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.
Das zeigt: Der Kapitalismus hat sich die Vorstellungskraft vieler Menschen angeeignet.

Utopie – als Kraft, die das Bestehende überschreitet – muss also heute gegen den Kapitalismus gedacht werden, nicht innerhalb seiner Logik.

 

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