Filmauswahl 1919 bis 1933 für die Lernwerkstatt

Die hier ausgewählten Filme umfassen natürlich nur einen kleinen Teil der Filmproduktion. Unserer Auswahl liegen Überlegungen zur historisch-politischen Bildung zugrunde. Die Filme sollen einerseits den Charakter des kulturellen Wandels in der Weimarer Republik zum Ausdruck bringen und damit die Möglichkeit eröffnen, sich der Kulturgeschichte Deutschlands aus cineastischer Perspektive zu nähern. Im Wesentlichen sollen die Filme aber einen Beitrag für die Beschäftigung mit der Sozialgeschichte und den politischen Konfliktlinien in der Weimarer Republik liefern.

Von der Motivgestaltung ausgehend, lassen sich (nach Kaes) folgende Phasen definieren:

  • „Der Schauer des Fremden“ – expressionistischer Film
  • Vom Kammerspielfilm zum Straßenfilm
  • Großstadt und Moderne
  • Nationale Mythen
  • Wem gehört die Welt – gesellschaftskritischer Film

Gregor/Patalas beschreiben die Entwicklung des Films vom Expressionismus über das Kammerspiel zur neuen Sachlichkeit und sehen zum Ende der Republik realistische Tendenzen im sozial- und gesellschaftskritischen Film. Für sie sind die Anfangsjahre von 1920 bis 1924 und die Endphase der Republik von 1930 bis 1932 eine kurze Blütephasen des deutschen Filmschaffens, die die Entstehung künstlerisch relevanter Filme ermöglichten.

Zeiträume von wirtschaftlicher, sozialer und politischer Unsicherheit waren für Siegfried Kracauer prädestiniert, um die Spielfilme dieser Zeit als Quellen für gesellschaftliche Mentalitäten zu sehen/lesen:

Ich behaupte, daß mittels einer Analyse der deutschen Filme tiefenpsychologische Dispositionen, wie sie in Deutschland von 1918 bis 1933 herrschten, aufzudecken sind: Dispositionen, die den Lauf der Ereignisse zu jener Zeit beeinflußten und mit denen in der Zeit nach Hitler zu rechnen sein wird… (Vorwort 1946 zu „Von Caligari zu Hitler“)

Kracauer gliedert die Filmgeschichte der Weimarer Zeit entsprechend der geschichtlichen Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung in die Nachkriegszeit (1918-1924), die Stabilisierungszeit (1924-1929) und die präfaschistische Zeit (1930-1933). Ausgehend von seinem filmanalytischen Ansatz ordnet er dann Filme dominierenden Motivkomplexen zu.

Bei unserer Filmauswahl orientieren wir uns an Kracauers Filmanalyse und Zuordnung der Filme jener Zeit, auch wenn wir uns bewusst sind, dass wir – Jahrzehnte nach Kracauers Studien – mit anderen Blicken auf die Filme und die Geschichte schauen.

Eine grundlegende Intention des filmischen Expressionismus war es, die innere Welt der Empfindungen und Gedanken durch äußere Entsprechungen sichtbar zu machen, vor allem elementare Gefühle wie Angst, Hass, Liebe. Sie „veranschaulichen eine von Wahnvorstellungen und Spukgestalten bevölkerte Welt“.

Das berühmteste Werk war der Film CALIGARI. Er war aber ein zu anspruchsvoller, intellektueller, Film, um ein Publikumserfolg zu werden. Dennoch übte sein Grundmotiv, die scheinbar unvermeidliche seelische Entscheidung zwischen Tyrannei und Chaos eine außerordentliche Anziehungskraft aus. Zwischen 1920 und 1924 nahmen zahlreiche deutsche Filme dieses Thema wieder auf und weiteten es nach verchiedenen Richtungen aus.

Ein Teil des Filmschaffens macht sich der Darstellung von Tyrannen zu Aufgabe.

In diesem Filmtypus hegten die Deutschen jener Zeit  – ein noch unentschiedenes, in der Wahl seiner Herrschaftsform noch freies Volk – keinerlei Illusionen über die möglichen Folgen der Tyrannei; im Gegenteil: man gefiel sich in genauer Einzelschilderung ihrer Verbrechen und Leiden, die sie mit sich bringt. Begründete sich ihre Einbildung
in der Furcht vorm Bolschewismus? Oder beschwor man diese Sschreckensvisionen,
um Gelüste auszutreiben, die man als die eigenen empfand, von denen zu befürchten stand, sie könnten einen selbst besitzen? (Es bleibt jedenfalls ein merkwürdiger Zufall, daß kaum ein Jahrzehnt später das nationalsozialistische Deutschland genau die Kombination physischer und seelischer Foltern, wie sie der deutsche Film seinerzeit darstellte, in die Praxis umsetzen sollte.) (Kracauer, a.a.O., S.84)

Noch ein weiterer Versuch wurde in den Nachkriegsjahren gemacht, das unerträgliche innere Dilemma zu überwinden. Er plädiert für die Wiederaufnahme autoritären Verhaltens, indem er eine Mentalität voraussetzte, die lieber ein tyrannisches Regime als das Chaos herrschen sähe. Typisch für diese autoritäre Tendenz waren zwei Filme, die aus beinahe feindlichen Lagern stammten und sehr verschiedene Milieus widerspiegeln. Trotz ihrer augenscheinlichen Unterschiede befürworten sie dasselbe psychologische Modell. (Krachauer, a.a.O.S. 124)

Der eine Film ist FRIDERICUS REX ein “filmisch triviales Ufa-Produkt, das 1922 in die Kinos kam.“ Der andere „Musterfilm, der autoritäres Verhalten nahelegte“, war der Film DIE STRASSE (1923).

Die Filme der Stabilisierungszeit ordnet Kracauer drei Motivkomplexen zu. Eine erste Gruppe von Filmen würde den „Zustand der Lähmung“ bezeugen. Den Filmen dieser Gruppe schreibt Kracauer eine „eskapistische Tendenz“ zu, auch vielen Dokumentarfilme, damals „Kulturfilm“ genannt, aus dieser Zeit. Der deutsche Kulturfilm, der auch im Ausland Eindruck hinterließ war WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT (1925).

In der zweiten Gruppe würden die Filme „Licht auf die gelähmten Tendenzen und Ansichten“ werfen, schreibt Kracauer. Er zählt u.a, die Filme

Und die dritte Gruppe würde nach Kracauer „den inneren Prozeß der gelähmten Kollektivseele“ enthüllen.

Gebannt von der herrschenden Lähmung, kultivierten die deutschen Filmemacher ein Filmgenre, das den Querschnitt eines beliebigen Bereichs der Realität darstellte. Diese Filme waren für die Stabilisierungszeit sogar noch charakteristischer als die Pabst-Filme, da ihre Neutralität das logische Resultat des Querschnittsprinzips selbst war. Sie hätten ihre eigenen Regeln verletzt, wenn sie sich zu einem Für und Wider bekannt hätten, das sie nur streiften. Sie verkörperten den reinsten Ausdruck der Neuen Sachlichkeit im Film. Ihre So-ist-das-Leben-Stimmung war stärker als ihre noch so schwachen sozialistischen
Gefühle. (Kracauer: a.a.aO., S. 191)

Der erste Film dieser Art war DIE ABENTEUR EINES ZEHNMARKSCHEINS (1926). Straßenszenen beherrschen den „Prototyp aller echten deutschen Querschnittsfilme“: BERLIN, DIE SYMPHONIE EINER GROßSTADT (1927). MENSCHEN AM SONNTAG (1929) war schließlich einer der ersten Filme, der die „Aufmerksamkeit auf das Los des ‚kleinen Mannes‘ lenkte“. Und mit DEUTSCHLAND – ZWISCHEN GESTERN UND HEUTE (1933/34) wird die „charakteristische Neutralität“ dieser Filme gleichsam zur Gleichgültigkeit gegenüber der Veränderung der politischen Atmosphäre durch die faschistische Machtübernahme.

Nach Kracauer: a.a.O., S. 191-200

 

Gegen Ende der Stabilisierungsphase fand nach Kracauer das Kinopublikum „Geschmack an Gesellschaftskritik“ – Gesellschaftskritik aber auch im Gewand „gefälschter Gefühle“!? Kritische Filme, die an den Ersten Weltkrieg erinnerten, fanden ihr Publikum – und ihre politischen Gegner.

Die Entwicklung des Tonfilms eröffneten den Regisseuren neue Möglichkeiten. Die zahlreichen Operettenfilme waren eine Variante, die den Ton als Gestaltungsmittel nutzten. Große Publikumserfolge waren die Filmkomödien der frühen 30er Jahre: Die Drei von der Tankstelle (1930) oder Ein blonder Traum (1932) zählten dazu.

Auch die Querschnittfilme änderten ihre Tendenz: Melodie der Welt (1930) und Das Lied vom Leben (1931)

Ferner fanden „Erfolgsstorys“ ihr begeisterte Publikum, mit dem Star dieser Filme: Hans Albers.

Filmauswahl für die Lernwerkstatt

Bedingungen der Filmproduktion 1919 bis 1933

Beiträge und Dokumente zur Filmgeschichte 1919 bis 1933

Niedersächsische Film- und Kinogeschichte 1919 bis 1933

Ausgewählte Filmschaffende in der Weimarer Republik

Literatur und Beiträge im Internet

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