Die Einflussnahme der Film Section am Beispiel der Jungen Film-Union (JFU)

Von der britischen Film Section initierte Filme

Peter Stettner

Auf einer Liste, die die britische Film Section im Jahre 1947 über deutsche Dokumentarfilm-Produzenten führte, findet sich die JFU an erster Stelle. Die Filmfirma produzierte insgesamt vier Filme dieser Art: für Großbritannien den KREIS-RESIDENT-OFFICER (K.R.O.), den ersten in der britischen Zone in diesem Zusammenhang überhaupt produzierten Dokumentarfilm. Für den deutschen Markt realisierte die JFU die drei Kurzfilme DIE ZAUEBERSCHERE, STADTMEIER UND LANDMEIER sowie Sie sind nicht gemeint“. Die Produktion dieser Filme bedeutete eine Förderung der JFU durch die britischen Kontrollbehörden. Der Film Kreis Resident Officer wurde bereits im Sommer 1947 in einer Gemeinschaftsproduktion der JFU mit der britischen „Crown-Film-Unit“ produziert, die in diesem Fall als „British Associated Producer“ fungierte. Der Film war von vornherein nur für den britischen Markt bestimmt und kam in Deutschland nicht zur Aufführung. Idee, Drehbuch und Regie stammten aus britischer Hand, lediglich der Stab bei den Dreharbeiten wurde von der JFU gestellt. Hier waren die Briten auf allen Ebenen federführend. Etwas anders sieht es bei den übrigen Kurzfilmen aus. Bei diesen Filmen legte die JFU die Drehbuchentwürfe vor und auch die Dreharbeiten wurden von der Filmfirma selbst ausgeführt. Diese Kurzfilme wurden später als Beiprogramm für die ersten abendfüllenden Spielfilme eingesetzt.

„Schwarzer Markt“, ein Filmprojekt, das später nicht mehr realisiert wurde, aber auch STADTMEIER UND LANDMEIER entsprechen praktisch wörtlich den von der Film Section genannten Themenbereichen, und  DIE ZAUBERSCHERE entspricht dem, was mit „Commodities“ bezeichnet worden war. Lediglich für den Filmstoff „Sie sind nicht gemeint“ findet sich keine direkte Entsprechung, der Inhalt passt allerdings sehr gut zu den von der Film Section in diesem Zusammenhang geäußerten filmpolitischen Überlegungen.

Die Stoffwahl der Kurz- und Dokumentarfilmproduktion der JFU wurde durch die Film Section nicht nur beeinflusst , diese Filme wurden überhaupt erst initiiert infolge der britischen Filmpolitik.

Es wird deutlich, dass die Film Section auch die konkrete Vorbereitung dieser Filmprojekte kontrollierte und in die Drehentwürfe eingriff. Die Veränderungen ließ die Kontrollbehörde allerdings von der JFU selbst vornehmen, was einer eher indirekten Kontrolle und Einwirkung entsprach. Die frühen Kurzfilme der JFU zeigen sich so auf der inhaltlichen Ebene – an der formal-ästhetischen Umsetzung war die Film Section offensichtlich nicht beteiligt – stark beeinflusst durch die britische Re-education-Politik.

Genehmigungsverfahren

Mit einem Schreiben vom 28.8.1947 überreichte Rolf Meyer der Film Section „meine ersten Vorschläge für die Kurzfilme-Produktion (…) ‚Schwarzer Markt‘, ‚Stadt und Land‘, ‚Sie sind nicht gemeint‘, ‚Die Zauberschere‘.“

Am 13. November reichte die JFU die Drehbücher zu den drei genannten Filmen ein, wobei – vorher offensichtlich in Aussicht gestellte – Finanzierungsmöglichkeiten der Filme durch die Film

Section erwähnt werden. In einem Antwortschreiben der Kontrollbehörde vom 21.11.1947 hieß es:

  1. Production of the film ‚Stadt und Land‘ is approved providing that alterations are made in the script according to the suggestions which I made to you during our conversations in Berlin.
  2. Production of the film ‚Sie sind nicht gemein…‘ is also approved providing that alterations are made in the script according to our conversation in Berlin. The production of these two films will be under guarantee of RM. 40.000 each by Film Section that is to say you will be paid 40.000 Reichsmarks on the satisfactory completion of each film. The films will go into distribution under your own arrangements and not as mandatory showings. Any profits on the films above RM. 40.000 from your gross distribution receipts will be repaid to Film Section.
  3. The script of ‚Die Zauberschere‘ is not very pleasing although the general idea of the film is good. It is felt that less time should have been spent on the introduction to the film and more time is giving ideas to women on the use of salvage materials in the making of clothes etc. It is suggested that the script be re-written along these lines and resubmitted to this Section. In any case it is felt, that this film is not one to be sponsored by Film Section but permission is given to you to make a film of this nature on your own accord.
  4. It has been decided to allocate the following quantities of rawstock to you for these three productions:
    a) Picture negative 2,100 metres per film
    b) Sound negative 3,500 metres per film
    c) Positive 4,000 metres per film
  5. During the productions of these films would you regard Mr. Elton as Film Section representative and consult him on all aspects of the production (…).

Dieses Schreiben ist der einzige zur Verfügung stehende schriftliche Kommentar der Film Section, der auf Filme der JFU inhaltlich Bezug nimmt. Hinsichtlich der Einflussnahme der Film Section auf die Kurzfilme und die damit verbundenen Intentionen der Kontrollbehörde wird in diesem Schreiben einiges deutlich. Festzuhalten ist zunächst, dass die Film Section in die Ausarbeitung der Drehvorlagen direkt eingriff. Die konkreten Veränderungswünsche wurden offensichtlich in der Regel mündlich besprochen, so wie es hier für STADT UND LAND und SIE SIND NICHT GEMEINT geschah. Diese beiden Filme wurden von der Film Section über die Zuteilung von Filmmaterial hinaus finanziell gefördert.

Mit Schreiben vom 5.12.1947 überreichte die JFU die Ihren Wünschen entsprechend abgeänderten Drehbücher
1) Stadtmeier und Landmeier
2) Sie sind nicht gemeint.
Herr Rolf Meyer wird Sie, wie heute mit Fräulein Kuhnert verabredet, morgen im Laufe des Nachmittags besuchen, um alle eventuellen weiteren Fragen zu besprechen.

Offensichtlich gab es seitens der Briten keine größeren Einwände, denn gut eine Woche später begannen die Dreharbeiten zu den drei Kurzfilmen, die aus Kostengründen en bloc abgedreht wurden. Die JFU hatte zu diesem Zweck ein kleines Atelier in Hamburg-Ohlstedt angemietet, wo sie mit einem eigenen Stab die Filme realisierte. Es ist nicht zu erkennen, dass die britische Kontrollbehörde, nachdem die Drehentwürfe für die Filme endgültig genehmigt worden waren, in die Dreharbeiten selbst noch einmal eingriff.

Motive der Filme

In ihren Handlungen und Motiven beinhalten die geförderten Filme Re-education-Themen im engeren Sinne: einmal steht Unzufriedenheit, Neid auf andere, die es real bzw. vermeintlich besser haben, und damit verbunden die indirekte Aufforderung zur solidarischen Hilfe im Zentrum (Stadt und Land), das andere Mal die Kritik rücksichtslosen Verhaltens im Alltag (Sie sind nicht gemeint). Dass diese Filme, deren Inhalte und Aussagen ganz offensichtlich der Re-education entsprachen, von der Film Section auch finanziell gefördert wurden, liegt auf der Linie der oben skizzierten filmpolitischen Überlegungen.

Der Kurzfilm „Die Zauberschere“ ist eher im Sinne eines stimulierenden Wiederaufbauimpulses zur Verbesserung der materiellen Lage der deutschen Bevölkerung zu sehen: die Aufforderung zur phantasievollen und zupackenden Selbsthilfe, um sich mit ansprechender Kleidung versehen zu können.

Diese Aussage des Films liegt ebenfalls auf der Linie der skizzierten filmpolitischen Überlegungen der britischen Kontrollbehörden, wenn als Intention dieser Filme genannt wurde: „stressing individual initiative and achievement“. In diese Richtung zielen auch besonders die Veränderungswünsche, die die Film Section gegenüber der JFU formulierte: die Eigeninitiative und Selbsthilfe ausführlicher darzustellen im Verhältnis zur Inszenierung der problematischen Ausgangslage. Dass dieser Filmstoff nicht finanziell gesponsort wurde, heißt, dass der Aspekt des Mutmachens zur Verbesserung der materiellen Lage von der Film Section nicht so hoch eingestuft wurde, wie diejenigen Bemühungen, die auf ein verständnis- und rücksichtsvolles Verhalten der deutschen Bevölkerung gerichtet waren.

Zu dem Film „Sie sind nicht gemeint“ ist leider nur das Manuskript, aber weder das Drehbuch noch der Film erhalten, so dass kein Vergleich der verschiedenen Fassungen möglich ist.
Anders verhält es sich bei den Filmen „Die Zauberschere“ und „Stadtmeier und Landmeier“. Hier existieren die Manuskripte und die fertigen Filme. Da die Manuskripte von den Filmen abweichen, ist anzunehmen, dass es sich um die ursprünglichen Manuskriptfassungen handelt.

Bei einem Vergleich zeigt sich, dass die JFU die Anregungen der Film Section in Bezug auf „Die Zauberschere“ beherzigt hat: Während der Problemaufriss im Film (keine schicken Kleider für „Normalverbraucher“) gekürzt erscheint, nimmt die Darstellung der aufgezeigten Lösungswege und praktischen Vorschläge breiteren Raum ein.

Die Film Section

Alle deutschen Filmschaffenden mussten sich nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit den von den Alliierten eingesetzten Filmkontrollbehörden auseinandersetzen.

Für die britische Besatzungszone war die Film Section zuständig. Da zu jener Zeit der für die Filmproduktion nötige Rohfilm knapp war und von den Alliierten importiert werden musste, entschied diese im Rahmen einer Vorzensur auf der Basis eingereichter Drehbücher, welche Filmprojekte umgesetzt werden konnten bzw. durften.

Dabei hatten zeitnahe Stoffe mehr Chancen, zugelassen zu werden.
Bevor die neuproduzierten Filme aufgeführt werden durften, wurden sie noch einer Endzensur unterzogen, die sicherstellen sollte, dass der Film dem eingereichten Drehbuch entsprach.

Deutsche Filmschaffende wie z.B. Rolf Meyer (Junge Film-Union) oder Rudolf W. Kipp wurden unterstützt, um den Wiederaufbau der Filmindustrie zu fördern.

Am 15.07.1949 übernahm dann die „Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft“ (FSK) offiziell die kontrollierende Funktion im Bezug auf Filme.
Faktisch war bereits mit der Währungsreform am 20.06.1948 zumindest die Vorzensur der Drehbücher überflüssig geworden, da sich von diesem Zeitpunkt an die Rohfilmknappheit milderte, die ja der offizielle Grund für die Vorzensur gewesen war.

Auch die Endzensur fand ab Herbst 1948 in Zusammenarbeit mit deutschen Stellen statt, obgleich sie erst mit der Arbeitsaufnahme der FSK tatsächlich beendet war.

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