Auf dieser zunächst scheinbar beliebig gewählten Annonce in der spalte Stellenanzeigen im „Mitteldeutschen Generalanzeiger“ verweilt die Kamera am Anfang des Films lange genug, um ihr Bedeutung zu verleihen.“ Schon einige Minuten später wird sich diese Bedeutung nicht als wirkliche Suche nach einem Kassierer erweisen, sondern als eine nach einem Raubmordopfer. Die Annonce war ein Lockmittel, sie diente dem Schein und damit dem Verbrechen begangen vom gelernten und jetzt arbeitslosen Drogisten Karl-Heinz Gabler am soeben bei der Firma Blum entlassenen Bürovorsteher Wilhelm Platzer.
Beide waren sich niemals zuvor begegnet, bis Gabler an Platzers Haustür schellt. Von innen erfasst der Kamerablick ihn als durchscheinenden Schattenriss im Milchglas der Tür, er wird so visuell schon zum unbekannten Eindringling, zur dunklen Bedrohung. Weniger die Gutgläubigkeit Platzers als sein kleinbürgerliches Streben nach Rehabilitierung und angemessener Beschäftigung in leitender Stellung bringen ihn dazu, Gablers zweifelhaftem Ansinnen Folge zu leisten, am frühen Abend – trotz einer späteren Verabredung – einen fast 40 Kilometer langen Radweg zur Vertragsunterzeichnung über den angeblichen Kassiererposten in Kauf zu nehmen. Lapidar steht am Ende des Weges denn auch Platzers Ermordung, der Raub der 1.000,- RM Kaution, der mitgeführten Schecks und des Fahrrades – möglicher Indizien also auch zur Rekonstruktion und Aufklärung des Verbrechens durch die Polizei.
Doch so wenig wie Gablers Annonce einen wirklichen Kassierer suchte, sondern ein Opfer, so wenig sucht die Polizei in der Folge Platzers wirklichen Mörder, sondern gleichfalls ein Opfer, das dann in doppelter Hinsicht auszubeuten wäre, in kriminalistischer wie in politischer – und damit beginnt die eigentliche Geschichte.
AFFAIRE BLUM und auch der authentische Fall aus den Jahren 1925/26 gründen auf einer Vermischung aus tatsächlichen Ereignissen und dem konterkarierenden Anschein, dem Imaginären, dem Ausgedachten und gedanklich Präformierten.
Eine Art Doppelstruktur durchzieht den Film von Anfang bis Ende:
die kriminalistisch-realistische Ebene einerseits, die politisch-imaginäre andererseits.
Das wird dem Zuschauer erkennbar aus der filmisch-auktorialen Erzählhaltung, die nicht nach einem simplen „Wer war es“ fragt, sondern, weil sie alle Informationen von Anbeginn ausbreitet und nicht das geringste verschweigt, sich konzentrieren kann auf die Entwicklung der Handlung, auf die Milieus und ihre Implikationen, auf die Zeit und ihre Bedeutung und auf die agierenden Personen. Was dem Zuschauer an komplettem Wissen um die wirklichen Geschehnisse mitgegeben ist, macht ihm die darauf folgende Handlungsentwicklung zum Gegenstand des Erstaunens. Denn was geschieht, Gablers Verhaftung aufgrund einer Unachtsamkeit, das wäre nicht mehr als der Beginn polizeilicher Routinearbeit und bei der erwähnten Konstruktion des Films keine Erzählung wert.
Doch entscheidend ist hier, daß keine polizeiliche Routine, sondern eine „politische Routine der Polizei“ zu funktionieren beginnt. Was der Zuschauer kennt, rekonstruiert die Polizei nicht, was dagegen aus dessen Sicht abwegig ist, wird verfolgt. Vom eigentlichen Kriminalfall trennt sich so ein anderer Fall: für die Behörden der „Fall Blum“, für den Betrachter des Films der „Fall Justiz- und Polizeibehörden“. Diese nämlich lassen den jüdischen Industriellen Blum und seinen Chauffeur Bremer wegen des Verdachts des Mordes an Wilhelm Platzer verhaften.
Die polizeiliche Begründung dafür stützt sich darauf, dass
1. der verschwundene Platzer von Blum entlassen worden war;
2. der verhaftete Gabler eine erfundene Geschichte ohne Namen erzählt hat, die nicht nur geglaubt, sondern auch direkt mit Blum und dem verschwundenen Platzer in Verbindung gebracht wird, und
3. darauf, daß Blum Jude ist.
Die „Affaire Blum“, wie sie in den Zeitungen bald genannt werden wird, entwickelt sich aus dem handfesten „Fall Gabler“. Weil in ihr die Motivation zur Strafverfolgung und die Wahrheit sich diametral gegenüber stehen, weil die Motivation auf nichts anderes sich gründet als auf Antisemitismus und dieser hier als das benannt wird, was er ist: imaginär, ein reines Vorurteil.
Der Film stellt diesen Antisemitismus in zahlreichen Nuancen dar, so:
- wenn der Sohn des Landgerichtsrats Konrad, nachdem es vermeintlich erwiesen ist, daß Blumnicht nur Steuerhinterziehung, sondern auch Devisenschiebung begangen hat, sagt, da könne man mal sehen, „daß auch’n Jude killen kann, aber nicht wegen Politik, sondern wegen Geld.“
- wenn Landgerichtsrat Konrad von Blum redet: „Dunkel, die Augen, die Nase – intelligent, aber raffiniert!“
- wenn derselbe Konrad mit Blum in dessen Zelle während der Untersuchungshaft zusammentrifft und ihm dessen Interpretation des Verhaltens Gablers („Mit einem solchen Geständnis hat er das kleinere Übel gewählt.“ auslegt als „geschickte Dialektik“ und hinzufügt: „Der Dreh ist typisch!“
- wenn der Ehefrau Jakob Blums, Sabine Blum, der Besuch ihres Mannes in der Untersuchungshaft verwehrt wird mit dem Hinweis auf die angebliche Schwere des Verbrechens und Verdunklungsgefahr. Im selben Moment wird Christina Burmann, die Verlobte Gablers, dem eigentlichen Verbrecher, zu ihm ins Sprechzimmer gelassen. Sabine Blums Drängen entgegen Schwerdtfeger mit den entlarvenden Worten: „Sie glauben, dass sie hier benachteiligt werden. In keiner Weise! Was hier geschieht, geschieht nur nach dem Gesetz!“ „Nach dem Gesetz“; meint hier eben: außerhalb des Gesetzes.
Der Film lässt sich jedoch nicht darauf ein, den Antisemitismus einzelnen individuellen Schwächen oder Auswüchsen zuzuschreiben, er zeigt ihn auch nicht als Erscheinung an sich, sondern brandmarkt ihn ganz konkret als staatliche Kriminalität.
Antisemitismus erscheint bei den Repräsentanten von Justiz und Polizei jeweils als eine Komponente unter anderen innerhalb einer „Gesamtgesinnung“ und vermittelt damit ein Bild von rechtsgerichteten politischen Einstellungen, die als für die Zeit typische angesehen werden können: Bei Schwerdtfeger korrespondiert der Antisemitismus mit einer ausgeprägten militaristischen Haltung, bei Konrad und Hecht mit einem betonten Nationalismus. In der Figur von Konrads Sohn Egon wird die Verbindung von Antisemitismus und Korpsstudententum demonstriert.
Und alle diese Momente finden sich vereinfacht in der Person Gablers wieder: sein Hang zum militantem Auftreten, seine Vorliebe für die Äusserlichkeiten des Korpsstudententums, die Übernahme von deutsch-nationalem Gedankengut. Gabler ahmt nach, er nimmt – unverarbeitet – die Leitbilder auf, die ihm Angehörige gesellschaftlich herrschender Klassen bieten – auch den Antisemitismus. Dieser ist bei ihm weniger politische Überzeugung als zweckgebundenes Verhalten, er sichert ihm die Wohlgesonnenheit von Justiz und Polizei, verspricht ihm Rettung.
Diese Übernahme angebotener Leitbilder wie auch die Tatsache, dass dies unvorbereitet geschieht, wird in den „Verhör“gesprächen deutlich.
Gabler, Mörder aus materieller Not, war für die erste Zeit nicht viel mehr als ein willkommener Stichwortgeber für die Polizei. Stichwortgeber auch dann, wenn er gar nichts sagte: Nicht Gabler nennt den entscheidenden Namen – weil er ihn bis dato auch gar nicht kennt – , sondern die Polizei selbst. Kriminalkommissar Schwerdtfeger: „Aber eins steht für mich schon fest. Wer steckt dahinter?“ Kriminalassistenz Lorenz antwortet: „Blum!“ (Sequenz 05)
Gabler hätte die Fäden der Geschichte spätestens dann in die Hand nehmen können, wenn er sich seiner Benutzung bewusst und zum Mitleiden mit den Unschuldigen Blum und Bremer fähig gewesen wäre. Um sich jedoch aus der allmählich auch für ihn immer enger werdenden Schlinge zu befreien, tischt er der Polizei zu ihrer Freude eine revidierte und noch verdrehtere Version seiner ursprünglichen Fiktion auf. Seine Beteiligung an der Beseitigung der Leiche des angeblich von Blum erschossenen Platzer rechtfertigt er damit, daß er Geld brauchte. Wie selbstverständlich erwähnt er, für diese Hilfeleistung habe er Blum auch „gleich gesagt, er muß mir das Doppelte geben, und das hat er auch getan.“
An dieser Stelle wird antisemitische Gesinnung deutlich und jene oben erwähnte Doppelstruktur des Films offenbar.
Die wahre Ursache des eigentlichen Verbrechens, seine materielle Notsituation, gereicht Gabler auf zweifache Weise zur Entlastung: als „moralische“ Begründung für die zugestandene Beteiligung an einem (so nie stattgefundenen) verbrechen, wie auch als persönlich leicht handhabbares Erzählmaterial, das einer Verdichtung der Fiktion und ihrer Authentizitätssicherung dient, ohne vollkommen aus der Luft gegriffen zu sein. Der Rückgriff Gablers auf die eigene reale Notsituation in der Fiktion, bleibt nicht nur dem Beschauer des Films als einzigem vollständig durchsichtig, sondern arbeitet als „Tatsache“ (!) auch dem Antisemitismus der selbstzufriedenen Behörden reibungslos in die Hände.
Der Film erzählt so zugleich auch vom Prinzip antisemitischen Verhaltens, dem Verschmelzen von Tatsächlichem von Fiktionalem. Und wie er sich bildet, nachgerade aus dem Nichts heraus, wie er gewalttätig die Lebenswege einander Unbekannter motivlos vermischt zu Geschichten, die Geschichte machen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine kurze Szene während der Verhaftung Blums und Bremers (Sequenz 06), deren Familien gemeinsam Blums Haus bewohnen, verteilt auf Obergeschoss und Souterrain. Als sich in der Nacht der Verhaftung alle auf dem Korridor treffen und von der Polizei als Verhaftungsgrund plötzlich „Mordverdacht“ genannt wird, beginnt die Frau des Chauffeurs zunächst zu lamentieren und wendet sich an Schwerdtfeger: „Unter Mordverdacht? Und mein Mann ist da mit drin? Ja, was hat denn mein Mann damit zu tun?“ Als Blum versucht, sie zu beruhigen, schreit sie ihn an: „Ach, darum immer die großen Geschenke zu Wehnachten und der Urlaub, so oft er welchen haben wollte. – Mein Mann ist unschuldig, glauben Sie mir!“
Was die Frau hier hinausschleudert, hat vermutlich weniger mit dem aufgestauten Hass auf den Angehörigen einer anderen Gesellschaftsklasse zu tun, sondern ist der latente Antisemitismus, der keine Klassengrenzen kennt. Dies dürfte in seiner Klarheit umso mehr der Fall sein, als die Frau ihre Anschuldigung ja völlig gefahrlos macht: aufgrund des Verdachts einer staatlichen Autorität und im Schutz derselben.
Dass am Ende beide Familien noch immer unter einem Dach wohnen, jede nach wie vor für sich, bestärkt das vom Film veranschaulichte Prinzip des Antisemitismus: er ist alltäglich, bricht unvermittelt hervor, seine Latenz, die, wie gesagt wurde, auf Imaginärem beruht, ist immer für Tragödien gut.
Den Antisemitismus in seinem kaum glaublichen Funktionieren zu zeigen, geht über bloßes Zeigen hinaus, es beinhaltet auch eine gesellschaftspolitische Einordnung. Das ist hier der Fall. Insofern nimmt der Film eindeutig Stellung und legt seine Perspektive offen: Der Film zeichnet das Bild des verbreiteten Antisemitismus, wie er in der Zeit der Weimarer Republik in vielen rechtsgerichteten Kreisen – und darüber hinaus – vorherrschte aufgrund der Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus. Er zeigt, dass der Faschismus nicht voraussetzungslos entstand, und deutet auch die Folgen an: In der Schlußeinstellung (Sequenz 25) antwortet Blum auf die Aussage seiner Frau, dass es vorbei sei: „Das ist noch nicht vorbei, das fängt erst an! Als ich heute von den Richtern stand als Zeuge, da hatte ich das Gefühl, alle, die da hinter mir saßen, denen wäre es lieber gewesen, ich säße auf der Anklagebank und nicht dieser Gabler.“
Und vor dem Ausblenden des Bildes geht die unverbindliche Begleitmusik in angedeutete Marschfanfaren über.
Der Film ist ein Warn- und Fragezeichen angesichts der gesellschaftspolitischen Probleme, die sich in der nachfaschistischen Zeit stellten. Er fragt nach möglicherweise noch vorhandenen antisemitischen Einstellungen, er weist auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Justiz- und Polizeireform hin. In diesem Zusammenhang gewinnt zusätzlich an Bedeutung, was der Film neben dem Aufzeigen des Prinzips des Antisemitismus zeigt: das politische Wesen einer reaktionären Beamtenschaft in Justiz und Polizei. Die beiden Richter Konrad und Hecht werden dem Zuschauer als Repräsentanten der deutschen Richterschaft der Weimarer Republik vorgeführt, ihre politischen Absichten gleichsam als repräsentativ für die politische Einstellung der Richterschaft. Und: die Machtmittel der Männer, die gegen das Unrecht einschreiten, reichen gerade noch für die Verhinderung eines Justizirrtums, nicht aber für eine grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse.
Der konkrete Fall der Jahre 1925/26 wird so, obwohl sich die Handlung eng anlehnt an den authentischen Justizskandal, lediglich exemplarisch genommen für die politischen Verhältnisse jener Zeit, und dabei deutlich gekennzeichnet, dass die grundsätzliche Problematik darüber hinaus von Bedeutung bleibt. So geht es Stemmle und Engel dann auch nicht um eine penible Rekonstruktion der damaligen Geschehnisse – die Filmhandlung weicht davon in zahlreichen Momenten ab – sondern um das „Typische“ am Fall. Und so geht es auch bei den agierenden Personen nicht um differenzierte Menschenbilder, sondern um die Typisierung der Charaktere. Es wird auf Einfühlung ermöglichende, individuelle Psychologie verzichtet: was wesentlich ist, wird vorgeführt. Die Justizvertreter Konrad und Hecht beispielsweise in ihrer uniformen Ähnlichkeit mit Zwicker, Stehkragen und dem gewichsten Schnurrbart, ihrem knappen, zackigen und krächzenden Ton – und ihrem kriminellen Handeln.
Dieses Vorführen setzt sich auch fort in der Zeichnung der anderen Personen, auch der Nebenfiguren und ihres Umfeldes.
Vorgeführt werden:
- Fischers Unterwerfung gegenüber Autoritäten, wenn er sich bei Schwerdtfeger devot nach Gabler erkundigt: „Erlaube mir die Frage: Sitzt er wegen politisch?“
- die Bemerkung der Frau des Landgerichtsrat Konrad zu ihrem Sohn: „Wenn Väterchen von dem neuen Fall (Blum) spricht, lebt er richtig auf!“
- die nicht zur politischen Abstraktion fähige Frau Blum, für die die ganze Angelegenheit „Wahnsinn“ bedeutet, der ihr „gespenstisch“ erscheint, also nicht erklärbar. Ihren Besuch im Landtag anläßlich der dortigen Erörterung der „Affaire Blum“ beschließt sie, nachdem ein Großteil des Saals den mit ihr befreundeten Präsidenten Wilschinsky nicht zu Wort kommen läßt, mit den Worten: „Das ist ja ein Tollhaus!“ (Sequenz 17)
- der Sozialdemokrat Wilschinsky, dessen lockerer und formloser Lebensstil sich in einem morgendlichen Auftritt im Pyjama vor dem mittlerweile hinzugezogenen neutralen Kriminalkommissar Bonte ebenso äußert wie sein politischer Optimismus in dieser Angelegenheit gegenüber Sabine Blum mit den Worten: „Wir sind auch noch da!“
- jener Bonte aus Berlin, die moralische Instanz des Films, der von den Hauptfiguren vielleicht die statischste ist: ohne jede Übertreibung erledigt er trocken seinen Job, den im Grunde jeder hätte erfolgreich zum Abschluss bringen können, wenn er nur gewollt hätte.
- der unterste Beamtenrang, den dieser Film zeigt, der Polizeidiener, der Gabler zur entscheidenden Vernehmung durch Bonte vorführt: „Der Untersuchungsgefangene Gabler“ leiert er in einem Ton, der über die Denotation hinaus die konnotative Bedeutung transportiert, dass eben diese drei Worte durchaus unter verschiedenen Regimes so gesprochen werden könnten. Wie der Mann vor der geöffneten Tür zu Schwerdtfegers Dienstzimmer steht, in seiner schmucklosen Uniform, das Koppel locker umgebunden, die rechte Hand bequem an der Hosennaht, in der linken den großen Schlüsselbund und an einem der Finger den Ehering, so erscheint er als pure Funktion, hinabgedrückt zur menschgewordenen Pflichterfüllung.
Diese „Typisierung“, wie sie der Film durchweg vorführt, hat zur Folge, dass der verbliebene (filmische) Vorstellungsraum, der nicht von Psychologie verstopft ist, die Möglichkeit einer „politischen Tiefenperspektive“ belässt, die Gültigkeit beansprucht über die historische Wirklichkeit der erzählten Geschichte hinaus.
Solche auf Verallgemeinerung und Nachdenken abzielende Präsentation der Handlungsträger offenbart der Film auch in seiner ästhetischen Form.
Die Transparenz der Erzählweise wird unterstrichen von einer Distanz in der Darstellung, die nicht mit Kühlheit in dem Sinne verwechselt werden darf, daß der Mensch in ihr verlorenginge. Das Gegenteil ist der Fall.
Wie der Film beispielsweise am Anfang Gablers Mord an Platzer darstellt, ist für diese ihm eigene Mischung aus individueller Distanz und allgemeiner Nähe typisch.
Wenn Platzer mit Gabler in dessen Haus anlangt, bleibt die Kamera zunächst in leichter Obersicht in Höhe der Toreinfahrt stehen. Das folgende Geschehen im Haus wird sie ausschließlich von außen beobachten. Sie rückt an die Außenwand in Höhe des Küchen- und des Stubenfensters heran und fährt jeweils von einem zum anderen. Bevor Gabler Platzer erschießt, zieht er die Vorhänge des Stubenfensters zu . Jede Anteilnahme des Betrachters wird so vermieden, bis ein Schuss die stille zerreißt, der Schnitt auf das Küchenfenster Christinas Entsetzen zeigt und ihre Verzweiflung bei weiteren Schüssen. Es folgt ein Schnitt in die Totale der Außenfront: Im Wohnzimmer wird das Licht gelöscht, von Ferne bellt ein Hund, Gabler zieht die Vorhänge wieder zurück und horcht. Was hier gewissermaßen in der nochmals potenzierten Distanzierung durch den Filmschnitt kulminiert, bringt zugleich die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und zu begreifen, was eigentlich geschehen ist. Originalton und Bild (die gedämpft durch das Fenster zu hörenden Schüsse, das deutliche Bellend es Hundes, das wie unschuldig daliegende Wohnhaus in der klaren Nacht) schaffen eine Räumlichkeit, die in ihrer Begrenztheit zum Typus wird, sich über den Einzelfall hebt, der austauschbar wäre.