Der Holocaust im deutschen Nachkriegsspielfilm

 

„Der Film MORITURI zählt zu den wenigen frühen Versuchen, sich mit Krieg und Verfolgung auseinanderzusetzen“, so M. Thiele 2001

Dagegen:

Vielfach besteht der Eindruck, die Nachkriegszeit sei vor allem durch das Beschweigen der jüngsten Vergangenheit geprägt gewesen. Doch in den Jahren unmittelbar nach Ende des Interner Link:2. Weltkriegs sind in Deutschland einige Filme entstanden, die sich mit der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Europa befassten und in diesem Kontext von jüdischer Erfahrung erzählten: Der von Fritz Kortner geschriebene Film DER RUF (1949, Regie: Josef von Baky) über die Remigration eines Professors, der sich mit dem Antisemitismus der Nachkriegszeit auseinandersetzen muss und daran letztlich stirbt, zeigt nicht nur ein Panorama der Perspektiven von Exilant*innen und die Mehrsprachigkeit des Exils, sondern auch die Schattierungen von Täter*innen- und Mitläufer*innenschaft in Deutschland – wobei sich das tragische Ende im internationalen Verleihtitel THE LAST ILLUSION weitaus stärker andeutet; auch der von Artur Brauner produzierte Film MORITURI (1948, Regie: Eugen York) über eine Gruppe im Wald Versteckter am Ende des 2. Weltkriegs sei hier erwähnt; ebenfalls der DEFA-Film EHE IM SCHATTEN (1947, Regie: Kurt Maetzig), in dem angelehnt an die Geschichte Joachim und Meta Gottschalks von einem Schauspieler*innenehepaar erzählt wird, das sich der fortschreitenden Verfolgung und drohenden Deportation der jüdischen Frau nur durch den gemeinsamen Suizid entziehen kann; oder schließlich die jiddischsprachige Produktion LANG IST DER WEG (1947/48, REGIE: Herbert B. Fredersdorf, Marek Goldstein), die jüdische Überlebende im Transit eines DP-Camps zeigt – um nur einige Beispiele zu nennen.

aus: Lea Wohl von Haselberg: Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945, bpb.de 11.05.2021 [CC BY-NC-ND 3.0 DE]

Bis Ende 1949 wurden insgesamt deutsche 75 Spielfilme produziert. Davon thematisierten 6 Filme die Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden:

  • IN JENEN TAGEN (1947); LANG IST DER WEG (1947/48) und MORITURI (1948) aus der Opferperspektive
  • EHE IM SCHATTEN (1947) und Affaire Blum (1948) aus Persepktive der Verfolgten
  • ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN und DER RUF aus Emigrantenperspektive.
  • UNSER TÄGLICH BROT (1949) und RAT DER GÖTTER (1950) aus antifaschistischer Perspektive.

Obwohl die jeweiligen Perspektiven, aus denen die Geschicten erzählt werden vergleichbar sind waren die Erzählweisen sehr verschieden. Siehe dazu ausführlich die Darstellungen zu den einzelnen Filmen.  Die Reaktionen des Kinopublikums waren dagegen selten positiv.

Wenn also ca. 10 % der Filmproduktionen sich mit der Thematik befassten, so sind die Aussagen „nur wenige Versuche“ oder „produktive Phase“ wohl stark abhängig von der jeweiligen Perspektive der AutorInnen.

Eine  Auseinandersetzung mit diesen Filmen auch heute noch inzweifacher Hinsichtlohnend:

  1. Als filmische Geschichtserzählung erinnern sie an das Grauen des faschistischen Terrors und das Leid der Verfolgten und liefern uns Stellungnahmen von Menschen. die diese Verbrechen gerade erst erleben mussten und überlebt haben oder aber davon gewusst haben mussten.
  2. Im Kontext mit den zeitgenössischen Reaktionen auf diese Filme – in der Filmkritik und beim Kinopublikum – erfahren wir etwas über die Mentalität der Menschen, über ihre Bereitschaft oder ihr Unvermögen sich mit dieser Vergangeneheit und ihrer Schuld auseinanderzusetzen.

Und sind diese Film nicht auch heute noch Filme gegen das Vergessen?

Grundlagen

Autorengruppe Nachkriegsspielfilme: Spielfilme der Nachkriegszeit als Quelle ihrer Gegenwart. (unveröffentl. Manuscript 1992)

Tim Gallwitz: „Was vergangen ist, muss vorbei sein!“. Zur Gegenwärtigkeit des Holocaust im frühen deutschen Nachkriegsfilm 1945-1950. In: Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des
Holocaust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut-DIF e.V., Frankfurt am Main 2001

Cilly Kugelmann: Lang ist der Weg. Eine jüdisch-deutsche Film-Kooperation. In: Fritz Bauer Institut (Hg.): Jahrbuch 1996 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt a. M. 1996, S. 353-370

Martina Thiele: Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film. Dissertation an der Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen 2001

Lea Wohl von Haselberg: Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945, bpb.de 11.05.2021 [CC BY-NC-ND 3.0 DE]

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