Faszination Film

Die Faszination durch einen ganz anderen Film (…) beschreibt Lion Feuchtwanger in sei­nem Roman »Erfolg« (1930). Der Minister Klenk aus Bayern sieht bei einem Besuch in Berlin in einem überfüllten Kino Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin«, der allerdings im Roman anders heißt. Das Publikum ist erregt.

»Der Minister Klenk, die um ihn Sitzenden groß überragend, denkt nicht daran, sich von dieser Unruhe anstecken zu lassen. Er hat gelesen: ein Film ohne Auf­bau, ohne Weiber, ohne Handlung; Spannung ersetzt durch Tendenz. Anschauen muß man sich so was, wenn man schon in Berlin ist. Er wird den Filmjuden nicht hereinfallen auf ihre künstlich gemanagte Sensation.« Dann läuft der Film, hämmert die Musik. Man sieht das verdorbene Fleisch mit den sich bewegenden Maden, die protestierenden Matrosen. »Die Erbitterung auf dem Schiff steigt, man weiß nicht recht wieso. Allein man spürt, es kann nicht gut ausgehen, jeder im Publikum spürt es. Die Herren auf der Leinwand nehmen es nicht ernst ge­nug. Sie müßten eingreifen, endlich, durchgreifen. Sind sie blind? Aber wir haben es auch heranziehen spüren im letzten Kriegsjahr und haben auch zu spät eingegriffen. Freilich haben wir auch nicht diese hämmernde Musik gehabt. Es ist eine scheußliche Musik, aber sie läßt einen nicht los. Natürlich muß man die­sen Saufilm verbieten. Es ist ganz raffinierte Stimmungsmache, eine Schweine­rei, Es ist wirklich keine genügende Ursache, die Disziplin aufzusagen, weil ein Stück Fleisch madig ist. Da haben wir im Krieg ganz anderes herunterfressen müssen, mein Lieber. Dennoch ist Klenk nicht recht für die Offiziere, er ist für die Matrosen.« Als die Offiziere das Kommando zum Erschießen der Meuterer geben, gehen die Gewehre nicht los. »Ein Taumel packt die Menschen, die auf der Leinwand und die vor ihr. Warum hat man so lang gewartet. Aber jetzt ist es ja da, jetzt begehren sie auf, jetzt endlich geht es los. Und die Leute vor der Leinwand jubeln, sie klatschen denen auf der Leinwand zu. In die grausame, triumphierende, hämmernde, scheußliche Musik hinein klatschen sie, wie jetzt die auf der Leinwand auf die Offiziere eine tolle groteske Jagd anfangen, sie hervorholen aus albernen Verstecken, sie über Bord schmeißen in die fröhlich hochspritzende See, einen nach dem andern, den mickrigen Schiffsarzt darunter, seinen Kneifer ihm nach. Klenk sitzt still, es hat ihm den Atem verschlagen, er sitzt, der riesige Mann mucksmäuschenstill. Es hat keinen Sinn, das zu verbie­ten. Es ist da, man atmet es ein mit jedem Atemzug, es ist in der Welt, es ist eine andere Welt, es ist Blödsinn, sie zu leugnen.«


Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz, 1991 (zuerst 1930), S. 482f. Zitiert nach Irmgard Wilharm: Geschichte, Bilder und die Bilder im Kopf, in: Irmgard Wilharm (Hg.): Geschichte in Bilder. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle, Pfaffenweiler 1995, S. 7-24 (hier: S. 21/22)

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