»Sehen« ist immer ein subjektiver Vorgang

Wir orientieren uns in unserer Umwelt in starkem Maße visuell. Alles, was wir mit den Augen wahrnehmen ist jeweils originär, immer erstmalig und einmalig. Über diesen alltäglichen Wahrnehmungsprozeß denken wir jedoch nicht nach. Er ist selbstverständ­lich. Denn das, was wir sehen, scheint uns objektiv zu sein, da wir es als Objekt der Realität wahrnehmen. Die visuell wahrgenommene Realität scheint uns zudem »wahr«. »Ich habe gesehen!« ist so etwas wie ein Wahrheitsbeweis.

In Wirklichkeit sehen wir nicht mit den Augen. Sie sind Rezeptoren, d. h. »Geräte« der Wahrnehmung, die das Wahrgenommene an das Gehirn weitergeben. Und dort ge­schieht zweierlei:

  • Das visuell wahrgenommene wird mit den Wahrnehmungen der anderen Sinnes­organe verarbeitet
  • dieses »Wahrnehmungspaket« wird mit früheren realen oder pseudorealen Erfah­rungen verglichen.

Die »Verarbeitung« der Wahrnehmung ist abhängig von

  • Ausbildung, Beruf, Sozialisation
  • sozialem Umfeld
  • psychischer und physischer Verfassung
  • Wahrnehmungsintention (Erwartung, Zielsetzung)
  • Wahrnehmungssituation

Diese Momente haben ebenso, langfristig gesehen, zur »visuellen Sozialisation« eines Menschen beigetragen, zur

  • Art, wie er gelernt hat, die Umwelt visuell zu erfahren und
  • wie vorgefertigte visuelle Produkte (Mode, Bilder, Filme) zu sehen gefordert haben.

„»Sehen« ist also immer ein subjektiver Vorgang, der fest in unserem Werte- und Normensystem verankert ist. Er bezieht die vorhandene Realität in unsere Subjektivität mit ein.

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* Nach: Dieter Rolf Eichhorn: Bilder – wie sie entstehen und wirken, wie wir mit ihnen umgehen können. medien praxis. Praktische Medienarbeit 17. Hrsg. von der Zentralstelle Medien der deutschen Bischofs­konferenz, Referat Medienpädagogik