Zum Wert und Unwert des Historienfilms

Man kann davon ausgehen, dass in unserer Mediengesellschaft Vorstellungen über die entferntere Vergangenheit durch filmische Medien geprägt sind, vielleicht sogar hauptsächlich. Und zwar vor allem durch die unterhaltende Rezeption inszenierter Vergangenheit in sog. historischen Filmen: vom „Sandalen“-Film (Antike), über den Ritterfilm (Mittelalter), den Western usw. Aber auch zeithistorische Themen wie das Deutsche Kaiserreich, der 1. und der 2. Weltkrieg erfreuen sich großer Beliebtheit in filmischen Inszenierungen.

Wenn über den Wert eines solchen Films als historische Darstellung geurteilt werden soll, so wird immer wieder die zu hinterfragende „sachliche Richtigkeit“ derselben angeführt. Dieses Kriterium ist zwar unerlässlich, aber auch unbefriedigend. Denn es kann sich eigentlich nur auf zwei Aspekte beziehen: überlieferte Fakten (ein meist dünnes Gerüst) und eine getreue optische Ausstattung (Kostüme, Dekor usw.). Ein Film zeigt aber immer viel mehr, es geht um die konkrete Ausgestaltung von Szenen, um die Frage der Psychologisierung von Personen, ihren Handlungen und Beziehungen untereinander. Dazu kommt, dass bei knapper Quellenlage (Antike) viel dazu phantasiert werden muss, bei guter Quellenlage kann nur eine kleine Auswahl getroffen werden. Auf die Darstellung von Geschichte zielende Filme sind – auch wenn sie keine offensichtlichen „Fehler“ enthalten – immer Konstrukte.

Wie kann man diese Konstrukte aus der Sicht des Historikers beurteilen? Einen in diesem Kontext ernst zu nehmenden Wert haben solche Filme nur dann, wenn sie ihren Charakter als Konstrukt selbst deutlich machen. Das heißt, wenn sie nicht in der einfühlenden Inszenierung eines „So war es“ aufgehen. „Das Schlimmste, was passieren kann, sind Geschichtsfilme, die beim Zuschauer mit der Suggestivkraft der Bilder Eindrücke vermitteln, die ein lückenloses Bild im Sinne des ‚So war es‘ entstehen lassen. Historiker können nur wünschen, dass Geschichtsfilme bei der ‚Präzision des Ungefähren‘ stehen bleiben“ (Wilharm). Wenn historisierende Filmdarstellungen ihren Charakter als Konstrukt verdeutlichen, beim „Ungefähren“ stehen bleiben, so kann dies auf formal sehr unterschiedliche Weise erfolgen.

Eine Strategie zur Brechung des Illusionscharakters besteht darin, dass die Ereignisse und Vorgänge in einer zumindest teilweise bewusst unglaubwürdigen Vergangenheit spielen. Ein extremes Beispiel wäre GESCHICHTSUNTERRICHT (Regie: Straub/Huillet, 1973), nach „Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar“, in dem die Schauspieler als Schauspieler erscheinen, die einen Text vortragen, eingeleitet bzw. unterbrochen von einer Autofahrt durch Rom. Zu nennen wäre hier aber auch CARAVAGGIO (Regie: Derek Jarman, 1986), dessen historisierendes Dekor durch Elemente der Moderne, z.B. ein Telefon, gebrochen wird.

Eine andere Strategie besteht darin, den historischen Handlungsraum zwar detailgenau zu rekonstruieren, das Geschehen aber zugleich als „tot“ und starr erscheinen zu lassen, auf Psychologisierung, auf Identifikation und Einfühlung zu verzichten. Beispiele hierzu sind etwa BARRY LYNDON (Regie: Kubrick, 1975) oder DER KONTRAKT DES ZEICHNERS (Regie: Greenaway, 1982 ).

Eine weitere Möglichkeit der Brechung besteht darin, die Darstellung durch filmgestalterische Mittel so zu übertreiben, dass der Inszenierungscharakter sehr deutlich erscheint. Ein gutes Beispiel hierfür ist DER UNTERTAN (Regie: Staudte, 1951), wo die satirische Überspitzung z.B. durch Zeitraffer und extreme Kamerastandpunkte sowie -objektive umgesetzt wird.

Bei der großen Mehrzahl der historisierenden Filmdarstellungen sind solche Brechungen nicht vorhanden. Sie lassen uns das Geschehen so erleben, als wäre das Filmteam in der jeweiligen Epoche dabei gewesen. Bei diesen meist auf Einfühlung angelegten Darstellungen ist es besonders wichtig zu fragen, aus welcher Perspektive sie das Geschehen erzählen bzw. ob eine Perspektive überhaupt auszumachen ist. Definiert wäre eine Perspektive z.B. durch Sozial- und Bildungsstatus, politischen Standort, Alter und Geschlecht einer Person. An Standort und Perspektive gebunden sollte das darzustellende Ereignis / Geschehen fest umrissen sein, innerhalb der gewählten Perspektive muss die Darstellung „stimmen“, und die begrenzte Perspektive muss deutlich bleiben.

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